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Das Triell der Kanzlerkandidaten hat eine Siegerin


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Das Triell hat eine Siegerin

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 30.08.2021Lesedauer: 7 Min.
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"Sie legen der Industrie Fesseln an": Die drei Kanzlerkandidaten haben sich in einem ersten Triell kontroverse Debatten um die Klimapolitik, Afghanistan und das Verhältnis zur Linkspartei geliefert. (Quelle: reuters)
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Ein gelungener Auftakt

bisher war der Bundestagswahlkampf mau. Seit gestern Abend ist das anders. Hitzige Wortgefechte oder scharfe Attacken gab es in der ersten Fernsehdebatte der drei Kanzlerkandidaten zwar nicht – aber eine lebhafte Diskussion über viele Fragen, von denen Deutschlands Zukunft abhängt. Keiner der drei Kombattanten trug einen klaren Sieg davon, jeder hatte stärkere und schwächere Momente – und alle versuchten sie, die Bürger in der gesellschaftlichen Mitte auf ihre Seite zu ziehen.

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Annalena Baerbock, die nach diversen Fehlern in den vergangenen Wochen Boden verloren hatte, wirkte gut vorbereitet und erfrischend. Sie wiederholte die Grünen-Parolen vom schnellen und entschlossenen Klimaschutz, zeigte sich aber auch in Detailfragen sattelfest: Kohleausstieg vorziehen, Solaranlagen auf jedes neue Gebäude, ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr. "Die Klimakrise spitzt sich zu, aber die Politik ändert sich nicht: das kann nicht sein", lautet ihre zentrale Botschaft, sie will den sofortigen Aufbruch in eine klimaneutrale Republik anführen. Besonders glaubwürdig wirkte sie aber auch, als sie wiederholt mehr Unterstützung für Kinder und Familien forderte.

Armin Laschet, der mitsamt CDU und CSU in den Abwärtsstrudel geraten ist, trat zu Beginn kämpferisch auf und setzte sich sogar von seinen Parteifreunden ab: Er geißelte den Afghanistan-Rückzug der Merkel-Regierung als "Desaster", forderte einen nationalen Sicherheitsrat, damit außenpolitische Entscheidungen künftig schneller getroffen werden, und verlangte eine bessere Ausstattung für die Bundeswehr. Der SPD warf er vor, bei Rüstungsprojekten ständig zu blockieren: Da saßen seine Attacken. Im weiteren Verlauf der Debatte gelang es ihm aber seltener, seine Punkte zu machen, seine oft verkniffene Miene und die Neigung, im entscheidenden Moment nach unten anstatt in die Kamera zu schauen, hinterließen keinen souveränen Eindruck.

Olaf Scholz, den der überraschende Umfrageaufschwung der SPD beflügelt, referierte routiniert über den Umbau der Energieversorgung und die EEG-Umlage und skizzierte, wie er mehr Windräder und Stromtrassen bauen will, indem er Planungsverfahren beschleunigt. Armin Laschets Angriffe ließ er abtropfen und beharrte darauf, dass Steuererhöhungen für Reiche die Gesellschaft gerechter machen. In seiner stoischen Art und mit seiner fast unbeweglichen Miene erinnerte er tatsächlich ein wenig an Angela Merkel, die sich bei ihren TV-Duellen mit Peer Steinbrück und Martin Schulz ebenfalls nicht aus der Reserve hatte locken lassen.

Das war gestern sicher nicht die beste Fernsehdebatte aller Zeiten, aber es war eine Diskussion, die dem Publikum zumindest Orientierung vermittelt hat, welche politischen Alternativen zur Wahl stehen (Hier lesen Sie die Blitzanalyse unserer Reporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert). Alle drei Parteien haben Kanzlerkandidaten aufgestellt, die ihr Handwerk verstehen und sich glaubwürdig für das Gemeinwohl einsetzen. Sie haben Überzeugungen, Ideen und Pläne – auch wenn alle drei den Eindruck erwecken, dass sie die tatsächliche Dimension der notwendigen Veränderungen nicht wirklich sehen oder nicht benennen wollen.

Es ist ja nicht nur die Klimakrise oder die digitale Revolution, es ist nicht nur die soziale Spaltung oder die schlechte Ausstattung vieler Schulen, es sind nicht nur die Folgeschäden der Pandemie oder die überteuerten Mieten in Großstädten, es sind nicht nur die Krisen im Nahen und Fernen Osten oder die bedrohliche Macht der chinesischen Diktatur, es ist nicht nur das Artensterben oder das rasante Wachstum der Weltbevölkerung – es sind alle diese Herausforderungen gleichzeitig, auf die die nächste Bundesregierung Antworten geben muss. Ob Herr Scholz, Frau Baerbock oder Herr Laschet dafür geeignet ist? In einer Umfrage nach der Debatte sahen 36 Prozent der Zuschauer den SPD-Mann als Sieger, 30 Prozent die Grüne und 25 Prozent den Unionskandidaten.

Doch auch jetzt dürften immer noch viele Bürger rätseln, wem sie ihre Stimme geben sollen. Wohl noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es wenige Wochen vor einer Bundestagswahl so viele Unentschlossene. Treue CDU-Anhänger sind abgestoßen vom tapsigen Armin Laschet. Menschen, die von den jahrelangen Querelen in der SPD genervt waren, überlegen plötzlich, ob der nüchterne Olaf Scholz womöglich doch wählbar wäre. Und umweltbewusste Leute, die ihren Enkeln keinen zerstörten Planeten hinterlassen wollen, hadern mit der nassforschen Annalena Baerbock. Wohl nicht alle diese Bedenken vermochte die gestrige Debatte aufzulösen.

Eine Siegerin hat sie trotzdem hervorgebracht: Gewonnen hat die demokratische Kultur. Wer sich anschaut, wie vergiftet, polemisch und verletzend politische Debatten in vielen anderen Demokratien geführt werden – seien es die USA, Großbritannien, Ungarn, Polen oder Italien – konnte sich im ersten TV-Triell der Bundestagswahl 2021 über einen fairen Schlagabtausch freuen. So gesehen war dieses Wochenende ein gelungener Auftakt zur heißen Phase des Wahlkampfs. Noch 26 Tage bis zur Entscheidung.


Bei einer Fernsehdebatte findet der eine Teil vor den Kameras statt. Der andere dahinter. Dahinter, das war in diesem Fall das VIP-Zelt im Studio 20 auf dem Filmgelände in Berlin-Adlershof. Bei Häppchen und Getränken und mit Handys im Anschlag versammelten sich dort Politiker und Strategen der drei Parteien, um die Debatte auf großen Bildschirmen zu verfolgen – und den ebenfalls anwesenden Hauptstadtjournalisten zu erzählen, warum gerade ihr Kandidat oder ihre Kandidatin am besten abgeschnitten hatte. Neben den üblichen Solidaritätsadressen konnte man dort manches interessante Detail aus den Planungsstuben des Wahlkampfs erfahren. Auch diese Hintergrundinformationen sind für Berichterstatter wertvoll.

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Wertvoller jedenfalls als das parallele Geplapper auf Twitter. Dort trompeten auch gestern Abend wieder Aktivisten, die zwar ihr Geld als Journalisten verdienen, aber ihre professionelle Neutralität aufgegeben haben, ihre Ansichten in die Netzwelt. Seltsames Phänomen, dieses digitale Blasengebrabbel. Es geht darum, möglichst schnell möglichst meinungsstarke Sätze rauszuhauen und dafür möglichst viele "Likes" einzusammeln. Dass die Mehrheit der deutschen Mediennutzer diese aktivistische Selbstbeschäftigung vieler Journalisten eher befremdlich findet und sich stattdessen eine ausgewogene Berichterstattung wünscht, scheint die Kolleginnen und Kollegen nicht zu jucken. Auch so kann man sein Publikum aus den Augen verlieren.


Maas auf Afghanistan-Mission

Mehr als 10.000 Menschen in Afghanistan stehen noch auf den Ausreiselisten des Auswärtigen Amtes. Um auszuloten, wie sie nach dem Ende der militärischen Evakuierung in Sicherheit gebracht werden können, ist Außenminister Heiko Maas gestern zu einer viertägigen Reise in die Region aufgebrochen. Nach der ersten Station in der Türkei, auf der es um den Weiterbetrieb des Flughafens Kabul und die Aufnahme von Flüchtlingen ging, lauten die weiteren Ziele ab heute Usbekistan, Pakistan und Tadschikistan, bevor schließlich Katar folgt. In dem Golfemirat sitzt ja quasi das Außenministerium der Taliban, mit dem der deutsche Unterhändler Markus Potzel schon seit Tagen Gespräche über Ausreisefragen führt.

Auch die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – Frankreich, Großbritannien, die USA, Russland und China – beraten heute über die Lage in Afghanistan. Dabei wollen sich die Briten und die Franzosen für die Errichtung einer "sicheren Zone" in Kabul einsetzen, wie Präsident Emmanuel Macron angekündigt hat. Dies könne einen UN-Rahmen für Notfälle schaffen, Zuständigkeiten klären und "es der internationalen Gemeinschaft erlauben, Druck auf die Taliban aufrechtzuerhalten", glaubt er. So kann man die bittere Wahrheit natürlich auch umschreiben: Ohne Kooperation der "Gotteskrieger" sind alle weiteren Evakuierungsbemühungen zum Scheitern verurteilt.


50 Jahre grüner Frieden

Die Umweltschützer von Greenpeace haben sich leider in eine Gurkentruppe verwandelt, wie ihre dämliche Aktion während der Fußball-Europameisterschaft bewies. Aber früher war die Organisation, die 1971 aus dem Protest einer kleinen Aktivistengruppe gegen einen US-Atomtest vor der Küste Alaskas entstand, eine visionäre Garde. Zum heutigen 50. Geburtstag beschwören die Veteranen noch einmal die guten alten Zeiten. Zum Jubiläumsfest kommt nicht nur Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, sondern auch Angela Merkel ins Ozeaneum nach Stralsund. Titel der Diskussion: "Klima, Natur, Mensch: Was muss sich ändern, damit sich endlich etwas ändert?" Ja, das wüsste man wirklich gern.


Tempo 30 in Paris

Bürgermeisterin Anne Hidalgo macht Ernst: Ab heute gilt fast in ganz Paris ein Tempolimit von 30 km/h. Ausnahmen sind nur wenige sechsspurige Magistralen wie die Champs-Élysées mit erlaubten 50 km/h sowie der Autobahnstadtring Périphérique mit 70 km/h. 59 Prozent der Pariser hätten einer Geschwindigkeitsbegrenzung bei einer Umfrage zugestimmt, heißt es aus der Stadtverwaltung. 25 Prozent weniger Unfälle, deutlich weniger Lärm, mehr Raum für Radfahrer und damit auch mehr Klimaschutz lauten die Argumente. Bleibt die Frage, wann auch die Bürgermeister deutscher Großstädte auf den Trichter kommen.


Was lesen?

Robert Habeck und Markus Söder haben sich auf t-online ein spannendes Streitgespräch geliefert. Wer konnte bei welchen Themen punkten? Die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach hat die beiden Kontrahenten im Interview mit meiner Kollegin Lisa Becke bewertet. Die Debatte können sie übrigens hier noch einmal in voller Länge anschauen (die technischen Probleme sind behoben).


CDU und CSU kommen nicht aus dem Umfragetief heraus. Stellt sich Markus Söder doch noch gegen den Kanzlerkandidaten Armin Laschet? Unser Reporter Tim Kummert hat sich in der Union umgehört.


Die Lage in Afghanistan wird immer gefährlicher. Der Terrorismusexperte Peter Neumann befürchtet nun einen neuen Bürgerkrieg, wie er im Interview mit meiner Kollegin Saskia Leidinger erklärt.


Gestern endete die zwölfwöchige "Tatort"-Sommerpause, ab nächsten Sonntag wird im Ersten wieder frisch ermittelt. Aber wussten Sie, welche Millionenbeiträge in die Finanzierung der Filme fließen und wie bei den Ausgaben getrickst wird? Mein Kollege Steven Sowa hat für Sie hinter die Kulissen geschaut.


Was amüsiert mich?

Jeder hat ja seinen eigenen Eindruck vom Triell bekommen.

Ich wünsche Ihnen einen vielversprechenden Wochenbeginn. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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