Erste TV-Debatte des Wahlkampfes Blitzumfrage sieht klaren Sieger des "Triells"
Corona, Afghanistan, Klimaschutz: In der ersten TV-Debatte vor der Bundestagswahl ging es um viele Themen. Einer der drei Kandidaten konnte beim Publikum besonders punkten.
Zum ersten Mal in diesem Bundestagswahlkampf trafen am Sonntagabend die Kanzlerkandidaten der größeren Parteien in einer Livediskussion im Fernsehen aufeinander: Annalena Baerbock von den Grünen, Olaf Scholz von der SPD und Armin Laschet für die Union. Nach einer Blitzumfrage sieht das Meinungsforschungsinstitut Forsa den SPD-Kanzlerkandidat Scholz als Sieger des sogenannten Triells von RTL und ntv.
Demnach sahen 36 Prozent der befragten Zuschauer Scholz vorne, 30 Prozent Grünenkanzlerkandidatin Baerbock und 25 Prozent CDU-Chef Laschet. Nur 22 Prozent fanden Laschet sympathisch, über Scholz sagten das 38 Prozent und über Baerbock 37 Prozent. Forsa hat nach der Debatte rund 2.500 Personen befragt.
Im sozialpolitischen Teil der Debatte sprach sich Scholz gegen eine Erhöhung des Rentenalters auf 70 Jahre aus. "Nein, das schließe ich aus", so der Finanzminister. Das Eintrittsalter dürfe nicht weiter steigen. Baerbock forderte eine Kindergrundsicherung: "Es ist zutiefst ungerecht, dass jedes fünfte Kind in Armut lebt." Daher sollten Geringverdiener steuerlich entlastet werden: Bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern könne es eine Entlastung von 2.000 Euro geben. Das sei finanzierbar. Zudem forderte Baerbock die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro.
In der Steuerpolitik griff CDU-Chef Laschet Scholz und Baerbock scharf an. "Es ist eine sozialdemokratische Herangehensweise, immer wenn man kann, auch die Grünen sind mit dabei, Steuern zu erhöhen", so Laschet. Die Steuerpläne von SPD und Grünen seien töricht. Er sei für die komplette Streichung des Solidaritätszuschlags und einen ähnlichen Unternehmenssteuersatz wie etwa in Frankreich, sodass deutsche Unternehmen im Binnenmarkt nicht abwanderten.
Scholz zeigt sich bedrückt von Lage in Afghanistan
Zu Beginn der Debatte ging es um die jüngste Katastrophe in Afghanistan. Laschet sprach von einem Desaster – für den Westen insgesamt, aber auch für die Bundesregierung. Baerbock warf Union und SPD vor, sich in Afghanistan weggeduckt zu haben. "Sie haben innenpolitische Motive über außenpolitische Verantwortung gestellt", sagte sie. Baerbock kritisierte, dass das SPD-geführte Auswärtige Amt nicht ausreichend schnell Visa für Schutzbedürftige ausgestellt habe. "Es war ein Desaster mit Ansage", so die Grünenkanzlerkandidatin.
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Scholz zeigte sich "sehr bedrückt" über die Geschehnisse in Afghanistan. Auf Auslandseinsätze werde die Bundeswehr aber auch in Zukunft nicht verzichten können. "Ich glaube, dass wir auch in Zukunft Missionen brauchen, wo wir mit unseren Soldaten dazu beitragen, dass Frieden und Sicherheit gewährleistet werden", sagte er. Deshalb müsse die Regierung dafür sorgen, "dass die Bundeswehr gut ausgestattet ist."
Corona: Baerbock attackiert Scholz und Laschet
Laschet warf in diesem Zusammenhang Scholz vor, die Beschaffung von bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr verzögert zu haben. "Seit zehn Jahren diskutieren wir darüber, hören sie Sie auf zu blockieren, Herr Scholz." Dieser entgegnete, die Bundeswehr habe vor allem in der Zeit der schwarz-gelben Regierung von 2009 bis 2013 zu wenig Geld bekommen. In seiner Zeit als Bundesfinanzminister habe es den "größten Aufwuchs" gegeben, auf jetzt über 50 Milliarden Euro. "Dafür habe ich mich sehr eingesetzt."
Beim Thema Corona-Pandemie warf Grünenkandidatin Baerbock den Kandidaten von CDU und SPD vor, als Bundesregierung die Schulen und Familien vernachlässigt zu haben. "Eine Politik des Abwartens hat dazu geführt, dass Kinder eineinhalb Jahre keinen richtigen Unterricht hatten. Das zeigt, dass Kinder und Familien bei Ihnen keine Priorität hatten", so Baerbock.
Scholz gegen neuen Lockdown
NRW-Ministerpräsident Laschet wies den Vorwurf eines Schlingerkurses in der Pandemie zurück. Er habe immer versucht, auf unterschiedliche Infektionsgeschehen eine passende Antwort zu geben. Einerseits sei der Gesundheitsschutz wichtig, es gebe aber auch noch andere Faktoren. So sei es unerlässlich, Schulen offenzuhalten. Scholz sagte, er halte einen neuen Lockdown angesichts der steigenden Impfquote für nicht nötig: "Das kommt für mich nicht in Betracht." Normalität wie früher werde es aber noch nicht geben. Vorsichtsmaßnahmen seien weiter angebracht.
Beim Thema Klimapolitik vertraten Scholz und Laschet gleichermaßen die Meinung, keine Verbote zu verhängen. "Nö", antwortete der SPD-Kanzlerkandidat kurz auf die Frage nach Verboten. Baerbock fasste ihre Prioritäten im Kampf gegen den Klimawandel zusammen: erneuerbare Energien ausbauen, Solarpflicht für alle Dächer und den Kohleausstieg vorziehen. Ab 2030 dürften nur noch saubere Autos neu zugelassen werden. Laschet und Scholz warf sie vor, zu langsam zu sein. "Wir haben nicht nur Sturzfluten." Es müsse jetzt gehandelt werden.
Baerbock: "Offensichtlich haben Sie keinen Plan"
Laschet warf seiner Grünen-Kontrahentin dagegen ein industriefeindliches Vorgehen vor. "Sie legen der Industrie Fesseln an und sagen, dann lauf mal schneller." Das einzige, was die Grünen konkret vorschlügen, sei ein Verbot von Verbrennermotoren ab 2030 sowie eine Pflicht zur Installationen von Solarpanelen auf Dächern. Stattdessen schlug Laschet schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren vor, um etwa den Ausbau von Windenergie voranzutreiben.
"Offensichtlich haben Sie keinen Plan", warf Baerbock Laschet dagegen beim Klimaschutz vor. Die CDU müsse endlich Vorschläge vorlegen und nicht nur Vorschläge anderer Parteien torpedieren. "Wenn die nächste Regierung nicht alles auf Klimaneutralität ausrichte, bekommt Deutschland ein fettes Problem." SPD-Kandidat Scholz versprach ebenfalls, Bürokratie abbauen und auch Planungssicherheit für die Industrie schaffen zu wollen – etwa beim Strombedarf. Er attackierte Laschet ebenfalls dafür, nicht genug beim Ausbau erneuerbarer Energien getan zu haben.
SPD überholt Union in jüngster Umfrage
Im Umgang miteinander zeigten sich die Kandidaten fair. Auf die Frage, warum einer der anderen Kandidaten "nicht Kanzler kann", verweigerten sie jeweils die Antwort. "Ich glaube, dass das nicht der Stil ist, den wir in Deutschland pflegen sollten, dass wir über die anderen sagen, was sie nicht können", antwortete Scholz. Laschet sagte: "Den Wähler interessiert ja nicht, warum ich jemand anderen schlecht finde, sondern der fragt: Warum glaubst Du denn, dass Du es kannst." Baerbock verhielt sich genauso und betonte: "Wir brauchen jetzt einen wirklichen Aufbruch."
Einer aktuellen Umfrage zufolge hält der Höhenflug der SPD an, während die Union weiter an Rückhalt verliert. Im Sonntagstrend, den das Meinungsforschungsinstitut INSA für "Bild am Sonntag" erhebt, gewinnen die Sozialdemokraten zwei Prozentpunkte im Vergleich zur Vorwoche und kommen auf 24 Prozent – das höchste Ergebnis im Sonntagstrend seit September 2017. Die Union hingegen verliert einen Punkt und kommt auf 21 Prozent. Das ist der niedrigste Wert, den INSA jemals für die Union gemessen hat.
- Eigene Beobachtungen
- Nachrichtenagenturen dpa und Reuters