Was heute wichtig ist Der perfekte Zeitpunkt zu gehen?
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Für Schriftsteller ist es der Literaturnobelpreis. Für Schauspieler ein Oscar. Für Politiker ist es die Ernennung zum Bundesminister oder die Wahl zum Kanzler. Für Fußballer ist es ein silberner Pokal, der die allerhöchste Weihe bedeutet.
Er ist 73,5 Zentimeter groß, 7,5 Kilogramm schwer und hat die Macht, eine Karriere zu vollenden. Unser Kolumnist Stefan Effenberg verfehlte ihn 1999 so knapp wie noch niemand zuvor durch zwei Gegentore in der Nachspielzeit gegen Manchester United – und gewann ihn 2001 doch. Noch heute ist er der Spieler, der als Kapitän den FC Bayern 2001 zum Titel führte und seiner Karriere damit die Krone aufsetzte. Derweil trägt Deutschlands Rekordnationalspieler Lothar Matthäus einen Makel mit sich herum. Er ist zwar Weltmeister. Die Champions League hat er aber nie gewonnen. Weder mit Bayern noch mit Inter Mailand.
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Gestern Abend um 23.10 Uhr durften die Spieler des FC Bayern München den Pokal nach 2001 und 2013 erneut in die Höhe recken, in den Nachthimmel von Lissabon – nach einem atemberaubenden Finalspiel gegen Paris St. Germain (wenn auch mit Tonproblemen bei der TV-Übertragung im ZDF).
Das Besondere daran ist zugleich das Historische. Es nennt sich Triple und bedeutet, dass ein Verein alle drei wichtigen Trophäen in einer Saison gewonnen hat: die nationale Meisterschaft, den nationalen Pokalwettbewerb und die Champions League, wie sie seit 1992 heißt. Erst vier Vereine in Europa haben das seitdem geschafft: Manchester United, Inter Mailand, der FC Barcelona und Bayern. Bayern war 2013 die erste deutsche Mannschaft. Damals war sie erfolgreich mit der Trainerlegende Jupp Heynckes.
Das erneute Triple in dieser Saison, nur sieben Jahre später, ist eine Sensation, die aus drei ganz besonderen Geschichten besteht (Die besten Bilder finden Sie hier).
1. Trainer Hansi Flick war noch bis November 2019 Co-Trainer – also einer von denen, die im Hintergrund viel machen, aber in der Öffentlichkeit nicht richtig ernst genommen werden. Erst recht nicht, wenn sie einen Namen wie ein Wellensittich haben, weil sie niemand Hans-Dieter nennt. Probleme hatte dieser Hansi Flick zum Start im November reichlich. Bayern hatte gerade 1:5 gegen Eintracht Frankfurt verloren, wirkte national angeschlagen und international nicht konkurrenzfähig. Der Kader? Eher zu klein. Die neuen Spieler? Nicht so stark wie erwartet. Die alten Spieler? Unzufrieden. Die Perspektive? Eigentlich überschaubar.
Flick sollte erstmal ein paar Spiele übernehmen, bis der Verein einen neuen Cheftrainer gefunden hat. Doch dann gewann Bayern mit Flick fast alle Spiele. Und er durfte bleiben. Flick löste mit seiner ruhigen, bestimmten und kommunikativen Art die Probleme. Alle. Als erster Verein überhaupt hat Bayern nun alle elf Spiele in der Champions League gewonnen.
2. Stürmer Robert Lewandowski wechselte 2014 zu Bayern, um diesen Champions-League-Pokal zu gewinnen. Er ist seit einem Jahrzehnt der beste Torjäger in der Bundesliga. Insgesamt 236 Tore in 321 Spielen hat er da geschossen. Die wären für Lewandowski allerdings nahezu wertlos gewesen, wenn er nicht gestern Abend seine Karriere gekrönt hätte. Dazu ist er mit 15 Toren Torschützenkönig der Champions League. Jetzt könnte er sogar noch zum besten Spieler der Welt gewählt werden. Auch dafür brauchte er diesen Titel unbedingt.
3. Fünf Spieler waren schon 2013 beim ersten Triple dabei: Manuel Neuer, David Alaba, Jérôme Boateng, Javi Martinez und Thomas Müller. Mit Neuer, Boateng und Müller also drei Spieler, die Deutschland 2014 zum Weltmeister gemacht haben. Wir erinnern uns gern an die Bilder aus dem Maracanã-Stadion in Brasilien mit dem goldenen Pokal, der auf Länderebene natürlich das Größte ist. Die drei haben nun eine unfassbare Sammlung an Titeln.
Und sie haben nun zumindest theoretisch eine einmalige Chance. Neuer ist 34 Jahre alt, Müller wird in Kürze 31 und Boateng wird 32. Alle drei sind somit jenseits der 30 Jahre und in einem Bereich, in dem andere Weltmeister ihre Karrieren bereits beendet haben. Sie haben ihren persönlichen Nobelpreis, ihren Oscar bekommen. Zweimal sogar. Sie sind auf dem absoluten Höhepunkt. Mehr können sie eigentlich nicht erreichen.
Ist das vielleicht der perfekte Zeitpunkt zu gehen? Um die Karriere zu beenden und sich die Schmach zu ersparen, in den nächsten Jahren abzubauen und irgendwann vom Verein zum alten Eisen geschoben zu werden?
Auf der einen Seite ist es wie bei erfolgreichen Schriftstellern, Schauspielern und Politikern: Fußballer auf diesem Niveau spielen nicht in erster Linie des Geldes wegen, sondern aus Leidenschaft, Ehrgeiz und Motivation. Warum aufhören, wenn man seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann? Gerade wenn die Hoffnung besteht, in den nächsten ein, zwei Jahren noch mal vor Zuschauern im Stadion spielen zu können, wenn Hygienekonzepte greifen oder ein Impfstoff da ist?
Auf der anderen Seite haben Fußballer dieses Niveaus die finanzielle Unabhängigkeit, jederzeit den Absprung schaffen zu können. Schluss mit dem Druck, den Negativschlagzeilen, wenn der Körper mal nicht mehr will.
Neuer hat wohl 2021 noch die Chance, mit der deutschen Nationalmannschaft Europameister zu werden. Müller und Boateng werden dagegen wohl ohnehin nicht mehr zum DFB zurückkehren, Boateng denkt sowieso seit Jahren über einen Abschied von Bayern und einen Wechsel zu einem anderen Verein nach. Aber was will er da überhaupt noch erreichen? Nach dem Vorrundenaus mit der Nationalmannschaft in Russland 2018 hatten Müller und Boateng auch im Verein schwächere Phasen. Nun haben sie es noch mal allen gezeigt. Oder wie Müller es ausdrückte: "Natürlich freue ich mich, dass ich noch mal zeigen konnte, dass ich nicht in den Altglas-Container gehöre, sondern noch ein bisschen was im Tank hab'."
Wer kann schon von sich behaupten, als Held auf dem Höhepunkt seines Erfolges abgetreten zu sein? Vielleicht Philipp Lahm. Der hat als Kapitän nach dem WM-Titel 2014 überraschend seine Karriere in der Nationalmannschaft beendet. Mit 30 Jahren.
In der belarussischen Hauptstadt Minsk eskaliert die Situation immer mehr: Auf der einen Seite mehr als 100.000 Demonstranten, die den Rücktritt von Europas letztem Diktator fordern – auf der anderen Seite die Sicherheitskräfte, die den Präsidentenpalast von Machthaber Alexander Lukaschenko schützen. Der zeigt weiterhin keinerlei Kompromissbereitschaft und ließ sich gestern Abend bewaffnet und in schusssicherer Weste von einem Hubschrauber in den Palast bringen. Staatsmedien zeigten, wie Lukaschenko mit einer Kalaschnikow-Maschinenpistole in der Hand in schwarzer Montur den Hubschrauber verließ.
WAS STEHT AN?
Die vergangene Woche war die der Demokraten, diese wird die der Republikaner. Sie werden Donald Trump im Rahmen des Parteitags zweieinhalb Monate vor der Wahl am 3. November offiziell zum Präsidentschaftskandidaten küren. Zum Auftakt des Parteitags an diesem Montag (Ortszeit) soll Trump von den Delegierten nominiert werden. Trump wird dafür wohl nach Charlotte reisen. Zum Abschluss der weitgehend virtuellen Veranstaltung will Trump an diesem Donnerstag auf dem Südrasen des Weißen Hauses seine Rede halten, mit der er die Nominierung annimmt. Dabei wird er sicherlich verbal ordentlich auf den Putz hauen.
Neun Monate dauerte die Zwangspause aufgrund von Corona. Heute gehen die Syriengespräche der Regierung mit Opposition und Zivilgesellschaft über eine neue Verfassung weiter. Ziel ist es laut dem UN-Syrienbeauftragten Geir Pedersen, Vertrauen aufzubauen, um ein Ende des mehr als elfjährigen Konflikts zu erreichen. Leider verbindet alle Beteiligten eine Gemeinsamkeit: Sie gehen nicht davon aus, dass nun ein Durchbruch, geschweige denn ein Wunder passiert.
Knapp eineinhalb Jahre ist der Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch her. Heute beginnt die Anhörung vor der Urteilsverkündung im Mordprozess gegen den Attentäter. Der angeklagte Rechtsextremist hat sich im März in einer Videoschalte überraschend als schuldig bekannt. Dem Australier werden 51 Morde, 40 versuchte Morde sowie Terrorismus zur Last gelegt. Die Gerichtsanhörung zur Bekanntgabe des Strafmaßes am High Court der neuseeländischen Stadt könnte drei Tage dauern.
"Ich war selbst Kinderprinz und komme aus einer Karnevalshochburg – ich weiß also, wie wichtig Karneval für viele Millionen Deutsche ist, aber ich kann mir Karneval in diesem Winter, mitten in der Pandemie, schlicht nicht vorstellen."
Das ist doch eigentlich eine ganz vernünftige, logische Aussage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, oder?
Trotzdem kam sie nicht überall gut an. Seit vergangener Woche diskutieren Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen: Sollten Großveranstaltungen dieser Art unter Auflagen möglich sein? Oder ist es nicht vielmehr ein Witz, dass wir darüber überhaupt ernsthaft reden?
Nachdem meine Kollegen Sophie Loelke und Peter Schink das in der "Frage der Woche" diskutiert haben, hat Spahn heute in NRW seinen ersten Auftritt seit den Karnevalsaussagen. Er besucht eine Diskussionsveranstaltung der CDU-Dortmund zum Thema "Corona und das Gesundheitssystem." Na ja. Und nun eben auch zum Thema Karneval.
Bevor beim Karneval das ganz große Rad der Feierei gedreht werden kann, geht es diese Woche ohnehin erstmal um private Feiern.
Heute beraten die Gesundheitsminister von Bund und Ländern über die Auflagen für Feiern und andere Veranstaltungen. Dilek Kalayci, Berlins Gesundheitssenatorin und Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, ist für einheitliche und gegebenenfalls auch neue Regeln.
Neben Urlaubsrückkehrern sind sorglose Feiern derzeit eine Ursache, weshalb die Infektionszahlen in ganz Deutschland wieder ansteigen. Eine Obergrenze für Teilnehmer könnte helfen. Wo die liegen könnte, ist allerdings noch unklar. Derzeit sind in Niedersachsen beispielsweise 50 Menschen bei Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen erlaubt, in NRW 150, in Hamburg auf dem Privatgrundstück 25, in angemieteten Räumen 50.
Neben den privaten Feiern sollen auch eine mögliche einheitliche Verschärfung der Maskenpflicht – eventuell am Arbeitsplatz – sowie einheitliche Bußgelder bei Vergehen Thema werden.
WAS LESEN?
Masken sind in Corona-Zeiten ein leidiges Thema. Für einige Menschen sind sie aufgrund einer Erkrankung wirklich mit Leid verbunden – und eine Spezies lehnt sie leidenschaftlich ab: der Maskenverweigerer. Wie praktisch, dass es Ärzte gibt, die ihm beim Verweigern helfen und ein Attest ausstellen, um ihn zu befreien von der Maskenpflicht. Manche stellen die Formulare sogar zum Download bereit. Einfacher geht es nicht. Bis jetzt.
Denn inzwischen schauen Ärztekammern und Justiz genauer hin. Mein Kollege Lars Wienand berichtet davon, dass sogar gegen die Verweigerer ermittelt wird, die so ein Attest nutzen. Nicht nur das Ausstellen, sondern auch der Gebrauch nicht zutreffender Gesundheitszeugnisse kann demnach als Straftat verfolgt werden. Die Details lesen Sie hier.
Die Europäische Union hat schon seit Jahren ein Problem mit zwei Mitgliedern: Polen und Ungarn scheren sich nicht um den Schutz ethnischer und sexueller Minderheiten, um die Unabhängigkeit der Gerichte oder um die Pressefreiheit. Sprich: Sie verabschieden sich Stück für Stück von der Demokratie.
Brüssel hatte dem bisher wenig entgegenzusetzen außer Worthülsen. Polen und Ungarn schützen sich gegenseitig und blockieren Sanktionen. Nun allerdings rüstet Europastaatsminister Michael Roth gegen die Autokraten auf. Wie, das hat er meiner Kollegin Madeleine Janssen erzählt.
In Ungarn hat das Interview bereits für Wirbel gesorgt. Außenminister Péter Szijjártó kündigte am gestrigen Sonntag auf Facebook an, den deutschen Botschafter einzubestellen. Laut Nachrichtenportal "index.hu" aufgrund von Antisemitismus-Vorwürfen gegen Ungarn von Roth.
WAS AMÜSIERT MICH?
Tote Hose während der Corona-Pandemie?
Ich wünsche Ihnen einen hervorragenden Start in die Woche. Morgen schreibt mein Kollege Peter Schink für Sie.
Ihr
Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Twitter: @florianwichert
Mit Material von dpa.
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