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Falsche Atteste wegen Maskenpflicht: Jetzt droht Ärzten und Patienten Ärger


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Maskenverweigerer unter Druck
Ärztekammern gehen gegen Gefälligkeitsatteste vor


Aktualisiert am 22.08.2020Lesedauer: 6 Min.
Maskenpflicht: Die Mund-Nasen-Bedeckungen sind für manche Menschen ein rotes Tuch. Ärztekammern prüfen zunehmend Fälle, in denen Ärzte leichtfertig Atteste zur Befreiung ausstellen.Vergrößern des Bildes
Maskenpflicht: Die Mund-Nasen-Bedeckungen sind für manche Menschen ein rotes Tuch. Ärztekammern prüfen zunehmend Fälle, in denen Ärzte leichtfertig Atteste zur Befreiung ausstellen. (Quelle: Bernd Wüstneck/dpa)
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Maskenmuffel gibt es viele – und sie finden willfährige Ärzte, die ihnen Gefälligkeitsatteste ausstellen. Doch nun droht Medizinern und vermeintlichen Patienten Ärger.

"Gern Familienrabatt. 50 Prozent", schrieb der Arzt. Er stellt Atteste aus, die den Inhaber von der Pflicht befreien, etwa in Geschäften oder Zügen Masken zu tragen. Eigentlich verlangt der Mediziner 30 Euro pro Attest, aber bei der Anfrage einer Mutter mit vier Kindern auf Facebook ließ er mit sich reden.

Ein Attest, das wie auf einem Basar gehandelt wird? Das ist dann doch ungewöhnlich, aber in der Coronakrise kein Einzelfall. Zunehmend beschäftigt das Thema Ärzteorganisationen und Justiz.

Ob der Deal mit der Mutter zustande kam, wird auf der Facebook-Seite des Mediziners Peer E. nicht klar. Gut zu tun hat er aber offenbar. Sein Name fällt täglich mehrfach als Empfehlung in einschlägigen Gruppen des sozialen Netzwerks in Deutschland, obwohl er seine Praxis in Österreich hat. "Aufgrund der zahlreichen Anfragen wird es ein paar Tage dauern, bis Sie Ihr Attest bekommen", warnt E. auf seiner Homepage, wo Interessenten nur ein paar Felder ausfüllen müssen.

So offensiv wie E. geht derzeit kein Arzt in Deutschland vor. Trotzdem melden die Ärztekammern Dutzende Prüfungen, ob Ärzte gegen ihre Berufspflicht verstoßen, weil sie Blanko- oder Gefälligkeitsatteste ausgestellt haben. Das ergab eine Umfrage von t-online.de bei allen Ärztekammern. Nicht nur die Mediziner sind dafür verantwortlich. Denn Patienten üben großen Druck auf Ärzte aus, ihnen entsprechende Atteste auszustellen. Dennoch machen es manche Ärzte den Patienten auch sehr leicht. Von einem "Spiel mit dem Feuer" ist in der Ärztezeitung die Rede.

Arzt für Zehntausende Atteste verantwortlich

Das könnte nun für beide Seiten Folgen haben: Inzwischen interessieren sich auch Staatsanwälte für einige Ärzte, ermitteln wegen des "Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse". Aber auch erste Maskenverweigerer, die Atteste präsentieren, geraten in den Fokus. Der "Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse" (§279) ist eine Straftat. Es droht nicht nur eine Geldstrafe, sondern eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.

Die Staatsanwaltschaft in Kassel ist ein Vorreiter in den Ermittlung. Die Behörde rechnet damit, dass sie Anstoß für diverse Ermittlungsverfahren in anderen Dienststellen liefern wird. Das sagt zumindest ihr Sprecher Andreas Thöne t-online.de. In Kassel läuft ein Ermittlungsverfahren gegen einen Arzt, der "Zigtausende, vielleicht sogar Hunderttausende Atteste" in Umlauf gebracht hat. Der Arzt heißt Jens B. und hat das selbst behauptet. Die Staatsanwaltschaft Kassel will ihr bekannte Fälle von Nutzern solcher Atteste an andere, örtlich zuständige Staatsanwaltschaften abgeben.

Die Namen von Jens B. und Peer E. tauchen in internen Chat-Gruppen von Zugbegleitern auf, weil Reisende ständig Bescheinigungen vorzeigen, die von den beiden Ärzten kommen. Und selten hat das solche Konsequenzen wie in jenem Fall am 30. Juli im Münchner Hauptbahnhof.

Bundespolizisten hielten einen Mann (37) ohne Maske an. Als der ein Internet-Attest von B. präsentierte, leitete die Polizei Ermittlungen wegen des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse ein. Es war bereits das zweite Verfahren durch die Bundespolizei München. "Weitere Dienststellen, die das konsequent verfolgen, sind hier bisher leider nicht bekannt geworden", erklärt ein Sprecher der örtlichen Bundespolizei t-online.de. Zumindest unter Attest-Nutzern schlug der Fall hohe Wellen: "Es kamen zahlreiche Mails, wie wir uns erdreisten können, ein ärztliches Attest anzuzweifeln."

Urologe B. hatte zwar in einem Video appelliert, man solle seine Blanko-Atteste "nicht zweckentfremden". Nur ist ein Blanko-Attest bereits eine Art Zweckentfremdung. Dass er mit diesem Widerspruch mutmaßlich kein allzu großes Problem hat, liegt nahe: In seinen Filmen sitzt der Arzt oft vor der Zeichnung eines Menschen mit Metall-Maske, die Sklaven in Brasilien tragen mussten, und vor einem "Q". Der Buchstabe dürfte für die verschwörungsideologische QAnon-Bewegung stehen, bei der manche Anhänger bereits jeden Bezug zu ihrem bisherigen Leben verloren haben.

B. selbst bat inzwischen um Geldspenden, weil er nicht mehr als Arzt arbeite, keine neue Beschäftigung habe und die Ärztekammer gegen ihn ermittle, wie er sagt. "Jetzt werde ich Rechtsanwälte brauchen, aber keine, die weiter Teil des Systems sein wollen." Experten rechnen nicht damit, dass ein Arzt in einem solchen Fall seine Zulassung behalten kann.

Hausdurchsuchung bei Ärztin

Bei einer Kollegin aus Bad Kohlgrub in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen kamen Polizisten bereits mit dem Durchsuchungsbeschluss. Die Staatsanwaltschaft München II sagt wenig über den Fall, aber die Ärztin sprach auf einer Demo empört darüber. Wer sich über die "unsinnige, gesundheitsschädliche staatliche Maßnahmen" hinwegsetze, werde eingeschüchtert und bedroht. Auf ihre Attest-Kunden stießen die Ermittler offenbar über die Abfrage eines Spendenkontos: Als Gegenleistung für eine Spende an eine örtliche Corona-Protestgruppe stellte sie ein Attest aus. Die Krankenkasse zahlt ohnehin nicht für Maskenatteste.

Fachgesellschaft bejaht Nutzen
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) bejaht in einer Stellungnahme den Nutzen von Mund-Nasen-Bedeckungen in Räumen und im Freien, wenn Abstand nicht eingehalten werden kann. Sie bieten demnach Fremdschutz, ein Selbstschutz sei wahrscheinlich. Zur Untersuchung für Atteste empfiehlt sie: "Bei Patienten mit Herz- und Lungenerkrankungen und vorhandener Ruhe- oder Belastungsdyspnoe und/oder eingeschränkter Lungenfunktion sollte eine Blutgasanalyse bei anliegender Maske, idealerweise unter Belastung durchgeführt werden."

Die Ärztin sagte bei der Demo, sie habe nicht für die Atteste geworben, sondern sei angesprochen worden. Unter den beschlagnahmten Daten fänden sich "sehr bekannte Namen aus der Bundesrepublik". Vorgeworfen wurde ihr das Ausstellen von Attesten ohne Erhebung einer Anamnese oder ärztlichen Untersuchung.

Hessens Ärztekammer-Präsident Edgar Pinkowski hat die Mediziner ausdrücklich vor einem solchen Vorgehen gewarnt: "Zur gewissenhaften ärztlichen Berufsausübung gehören insbesondere die Einhaltung der Regelungen in der Berufsordnung." Wer nicht mit der notwendigen Sorgfalt verfährt und Blanko- oder Gefälligkeitsatteste ausstellt, verstößt gegen § 25 der Berufsordnung.

In den vergangenen zwei Wochen habe die Zahl solcher Verdachtsfälle zugenommen, heißt es etwa von der Ärztekammer Thüringen. Sie spricht von "weniger als zehn" entsprechenden Prüfungen. "Mehrere" melden die Ärztekammer Bayern und Niedersachsen, von zwei bis drei spricht etwa die Ärztekammer Hamburg.

Keine Zahlen kann ausgerechnet die Kammer in Baden-Württemberg nennen, wo die Bewegung der selbsternannten "Querdenker" besonders groß ist. Man habe "andere Prioritäten".

Auf die baden-württembergische Kammer hatte sich ein Arzt in Sachsen-Anhalt berufen, als er förmlich zu Attesten einlud: "Kommen Sie bei uns vorbei und Sie erhalten nach einer kurzen Untersuchung ein Attest, das Sie vom Tragen des MNS befreit“. Das Facebook-Posting las sich, als würde er das Attest unabhängig von Diagnosen ausstellen. Das wollte die baden-württembergische Kammer dann doch nicht so empfohlen haben und stellte die Bedingungen klar. Auf Intervention der zuständigen Kammer in Sachsen-Anhalt änderte die Praxis ihr Posting. Seither hat sie keine Probleme mehr.

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Ähnlich verfuhr auch die Ärzte-Selbstverwaltung Nordrhein in Düsseldorf, wo ein Kammermitglied Atteste nach Videogesprächen anbot. "Ein solches Vorgehen entspricht nicht der von Ärztinnen und Ärzten geschuldeten Sorgfalt". Auf den Rüffel hin gab der Arzt eine Erklärung ab, darauf künftig zu verzichten. Derartige Verstöße könnten aber auch zu berufsrechtlichen Maßnahmen führen, vorrangig zu Verwarnungen oder Geldbußen, so eine Sprecherin der hessischen Kammer.

Nachweis ist oft schwierig

Die Kammern sind auf Hinweise angewiesen, um gegen Missbrauch vorzugehen: "Wir werden nicht investigativ tätig", erklärt ein Sprecher der Kammer in Schleswig-Holstein. Dort sind wie etwa in Bremen, Berlin, Rheinland-Pfalz und im Saarland keine Prüfungen anhängig oder bekannt. Das heißt nicht, dass es keine gibt. "Uns müssen konkrete Fälle gemeldet werden."

Der Nachweis, dass Bescheinigungen zu Unrecht ausgestellt wurden, sei schwer, sagt eine Sprecherin der Hamburger Kammer. "Wer eine solche Bescheinigung erhalten hat, gibt diese in der Regel nicht aus der Hand und beschwert sich nicht selbst." Was wiederum bedeutet: Ärzte müssen offenbar sehr offensiv Gefälligkeitsatteste anbieten, um Probleme zu bekommen.

Der österreichische Arzt E., der Familienrabatt bietet, hält sein Angebot auch nach Monaten noch aufrecht. Österreichs Ärztekammer ermittelt, aber eine Handhabe hat sie bisher nicht gefunden. Ein Sprecher wollte sich dazu nicht äußern. Aber auch in seinem Fall können Nutzern zunehmend Probleme drohen, weil der Name Peer E. bekannter wird und Zweifel an seinen Attesten häufiger werden.

Eine in der Coronakrise entstandene Vereinigung von Ärzten und Wissenschaftlern, die sich laut Selbstbeschreibung für Gesundheit, Freiheit und Demokratie einsetzt, hält eine Liste von Ärzten bereit, die bei der Ausstellung von Attesten "unterstützten". Kritische Fragen beantwortet der Hannoveraner Volkswirtschafts-Professor Stefan Homburg, der Pressesprecher der Initiative ist: Wissenschaftlich sei die Schutzfunktion umstritten, Studien kämen auch zu entgegengesetzten Ergebnissen. "Es ist allein Aufgabe des behandelnden Arztes, gesundheitliche Chancen und Risiken der Gesichtsmaske individuell abzuwägen."

Verdeckte Anfragen von "Report Mainz" hatten bereits gezeigt, dass es manchen Ärzten nicht um gesundheitliche Fragen geht. Unterstützer von einer Initiative "Ärzte für Aufklärung" zeigten zum Teil keine Bedenken, alleine wegen vermeintlicher Ablehnung der Maskenpflicht Atteste auszustellen.

Justiz hat andere Möglichkeiten zum Ermitteln

Wenn es Impfunfähigkeitsbescheinigungen gibt, an deren Berechtigung Zweifel bestehen, bezieht die Ärztekammer Thüringen in einzelnen Fällen bereits die Staatsanwaltschaft ein. Es gibt keine Pflicht, dass eine Kammer Mediziner dort wegen möglichen Gefälligkeitsatteste anzeigt. "Aber die Behörden haben andere Ermittlungsmöglichkeiten als wir", heißt es aus Thüringen.

Das gilt umgekehrt aber auch: Die Kammern können wenig machen, wenn sich Patienten beschweren, weil sie nach ihrer Ansicht zu Unrecht kein Attest bekommen haben oder ein Befreiungs-Attest von einem Arzt nicht anerkannt wird. Auch dazu sind bei einzelnen Kammern Hinweise eingegangen, die nun geprüft werden.

Verwendete Quellen
  • Deutsche Gesellschaft für Pneumologie: Stellungnahme zur Auswirkung von Mund-Nasenmasken auf den Eigen- und Fremdschutz bei aerogen übertragbaren Krankheiten
  • Ärztekammer Hessen: Ärztliches Attest nur bei medizinischer Indikation
  • tagesschau.de: Ärzte hebeln Maskenpflicht aus
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