Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Licht in der Finsternis
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Wenn die tektonischen Platten der Weltpolitik beben und das Getöse der Ichlinge zur Kakofonie anschwillt, dann wächst die Sehnsucht nach Ausgleich, Stabilität und Stille. Wie heißt es so schön: In der Mitte ruht die Kraft. Aber ist es wirklich die Ruhe, die Stärke schafft? Wer den Kopf hebt und über die Grenzen unseres Landes hinausschaut, kann den Rest der Welt für einen Augenblick in drei konzentrischen Kreisen betrachten.
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Da ist im ersten Kreis zunächst Europa: Der erfolgreichste Staatenbund der Welt, der Millionen Menschen Frieden, Wohlstand und Sicherheit beschert – aber nicht weiß, wie er seine Erfolgsgeschichte im 21. Jahrhundert fortschreiben soll. Im Osten schlittern Polen, Ungarn und Rumänen in einen ungesunden Nationalismus, nebenan schwelt der Ukraine-Konflikt. Im Westen hastet Frankreichs Macron von einem Thema zum nächsten und verprellt damit EU-Partner ebenso wie viele Mitbürger. Auf lauthals angekündigte Reformversprechen folgen erst Proteste, dann Einknicken, zuletzt bei der Rentenreform. Im Süden haben es die Spanier erst nach mehrmaligen Wahlen geschafft, eine Regierung ins Amt zu hieven, die nun aber von der Gunst baskischer und katalanischer Ultranationalisten abhängt. Im Norden bereiten sich die Briten auf die glorreiche Zeit ohne EU vor, ohne zu wissen, was genau das eigentlich sein soll und wie es geht. Der große Ian McEwan entwirft in seinem neuesten Roman eine ebenso böse wie treffende Metapher für den absurden Brexit: Eine Kakerlake verwandelt sich in den englischen Premierminister und stürzt das Land mit Lügen, List und Bosheit ins Chaos. In Brüssel wiederum hat man nun zwar eine neue Kommission mit großen Plänen, aber noch keine schlüssige Strategie, wie sich die großen Pläne in der auseinanderdriftenden EU umsetzen lassen. Ein politisches Hauen und Stechen vorauszusagen, ist da fast schon eine Binse.
Auch der zweite Kreis unserer Weltumgebung stimmt kaum frohgemut. Im Süden steht Libyen auf der Kippe zwischen einem eskalierendem Bürgerkrieg und einer fragilen Waffenruhe rivalisierender Warlords, ihrerseits aufgepäppelt von konkurrierenden Großmächten. Weder ist das Flüchtlingsproblem gelöst noch der Kampf um Öl und Gas entschieden. Nebenan droht sich die Sahelzone in ein Aufmarschgebiet von Islamisten, Terroristen und Banditen zu verwandeln, das Leid, Not und Gewalt bis nach Europa exportiert. Am Persischen Golf ringen die saudische Wahhabiten-Diktatur und der schiitisch-autokratische Iran um die Vorherrschaft und fachen die Konflikte im Jemen, in Syrien, im Irak, im Libanon und in Katar immer wieder aufs Neue an. Am Bosporus geriert sich der türkische Präsident wie ein Sultan und teilt die Region gemeinsam mit Russlands Putin auf: Nimm du Idlib, dann nehme ich Kurdistan! Schicksale oder gar Wünsche der Bewohner haben keinen Platz in dieser neokolonialen Politik.
Der dritte Kreis erscheint noch prekärer. Der impulsive Donald Trump mag uns ebenso erschrecken wie die Unerbittlichkeit der Pekinger Politbüro-Bosse in Xinjiang und Hongkong. Handelskonflikt, Industriespionage, Währungsmanipulationen: Der Schlachtenlärm dröhnt seit Monaten um den Globus, aber er ist nur ein Vorspiel des künftigen Duells der beiden Supermächte USA und China im Ringen um die globale Vorherrschaft. Wir sind auf dem Weg in einen neuen Kalten Krieg, nur dass er diesmal in einer globalisierten Welt stattfindet, auch mit digitalen Technologien ausgetragen wird und noch viel mehr Menschen in Mitleidenschaft ziehen dürfte.
Drei konzentrische Kreise, aber keine Ordnung: Die deutsche Außenpolitik muss durch ein internationales Minenfeld manövrieren, um die Interessen unseres Landes zu wahren. Macht sie das gut? Kaum ein Tag vergeht ohne einen schlauen Leitartikel, einen klugen Aufsatz oder eine tiefschürfende Rede, die Deutschlands Schwäche in der internationalen Politik beklagt. Und es ist ja wahr: Europa findet trotz der immensen Herausforderungen immer noch nicht zu einer kraftvollen, geeinten Haltung, was auch an fehlenden Impulsen und mangelndem Führungswillen in Berlin liegt.
Visionslos, mutlos, schwach: So tönt die Klage über die Außenpolitik der Bundesregierung immer wieder, gelegentlich auch hier im Tagesanbruch, und beim Außenminister mag sie ja tatsächlich richtig platziert sein. Die Kanzlerin hingegen erscheint derzeit als die einzige Außenpolitikerin von Rang und Format, sie bringt wenigstens kleine Hoffnungsschimmer in die Finsternis. Visionen hat sie nicht, Ideen schon. Wenn der Nahe Osten in einen neuen Krieg zu schlittern droht, weil Herr Trump und die Mullahs lieber Risiko statt Schach spielen, dann fliegt sie nach Moskau, um das vereiste Verhältnis zu Wladimir Putin aufzutauen, weil ohne den im Nahen Osten nun mal nichts mehr geht. Aus alten Gegnern werden neue Verbündete: Das Einmaleins der Realpolitik beherrscht Angela Merkel besser als die meisten Bescheidwisser im Hauptstadtgeschnatter. Sie redet den libyschen Kriegsfürsten und deren Unterstützern in Moskau, Kairo, Riad und Ankara so lange gut zu, bis sie in Berlin eine Friedenskonferenz ausrichten darf. In der Sahelzone stützt sie die strauchelnden Präsidenten, damit die nicht von Milizen und Terroristen hinweggefegt werden. In Brüssel vermittelt sie zwischen Franzosen und Briten, zwischen West- und Osteuropäern.
All diese Schritte mögen klein erscheinen, wenn man die große Brille des Kommentators auf der Nase hat. Dann erscheinen Frau Merkel und die ihren wie Zauderer. Aber wer die vielen Fallstricke der Außenpolitik berücksichtigt, wer das mühsame Ringen um noch so kleine Kompromisse wertschätzt, wer Ausgleich und Stabilität dem Twitter-Geschrei und dem Krachen von Raketen vorzieht, der kann auch einfach mal anerkennen: In der Ruhe liegt die Kraft. Das ist durchaus ein Lichtblick.
WAS STEHT AN?
Die Wahl ist zwar schon bald drei Monate her, aber Thüringen hat immer noch keine Regierung. Die Lage ist kompliziert: Bodo Ramelows Koalition aus Linkspartei, SPD und Grünen hat keine Mehrheit mehr, ihr fehlen vier Stimmen im Landtag. Die Landes-CDU von Mike Mohring hat sich deshalb mit mal mehr, mal weniger realistischen Vorschlägen zur Regierungsbildung eingebracht, immerhin ist sie bei der Wahl, Moment, ich sehe noch mal nach, ah ja: drittstärkste Kraft geworden. Dennoch spielt sie jetzt wohl höchstens noch als Mehrheitsbeschafferin für einzelne Gesetze einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung eine Rolle, das wird wohl das Ergebnis ihrer heute beginnenden Klausurtagung sein. Für Herrn Mohring ist das nicht so schön. Das hat er sich selbst zuzuschreiben – einerseits. Andererseits ist auch die Selbstbeschränkung der CDU schuld an der Misere, analysiert unser Reporter Johannes Bebermeier.
Die neue EU-Kommission will heute erstens ihre Initiative für einen europaweiten Mindestlohn und zweitens Details ihres Green Deal vorstellen: Ein milliardenschwerer Fonds soll Länder und Regionen unterstützen, die sich beim geplanten Umbau zu einem klimaneutralen Europa bis 2050 schwer tun. Wir können davon ausgehen, dass bald noch mehr Milliarden nach Polen fließen werden. Merke: Wer in Brüssel lange genug meckert, geht als reicher Mann nach Hause.
Auch in Berlin geht es heute um Kohle, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinn. Die Bundesregierung verhandelt seit Monaten mit den Braunkohle-Unternehmen und den Ministerpräsidenten der Kohleländer über Entschädigungszahlungen für das Abschalten von Kraftwerken. Diese Woche könnte es endlich eine Einigung geben. Merke: Wer in Berlin lange genug meckert … siehe oben.
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Klagen von Journalisten gegen das BND-Gesetz. Sie befürchten, dass die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes bei der Auslandsüberwachung den Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis aushöhlen.
Eine Jury aus Sprachwissenschaftlern gibt das "Unwort des Jahres 2019" bekannt. 397 Vorschläge wurden eingereicht, darunter "Bauernbashing", "Ökodiktatur" und "Umvolkung". Um 10 Uhr wissen wir mehr.
WAS LESEN UND ANSCHAUEN?
Wie geht es weiter im Konflikt zwischen den USA und dem Iran? Die Lehre aus den vergangenen Tagen ist zwar beklemmend, aber keinesfalls nur negativ, schreibt unser Amerika-Experte Gerhard Spörl. Doch eines steht fest: Jetzt müssen wir mit allem rechnen.
Falls Sie wie ich gelegentlich (nur gelegentlich) abends auf dem Sofa sitzen und in historischen Fernsehserien schmökern, dann haben Sie bestimmt auch die wunderbare erste Staffel der wunderbaren Serie "The Crown" gesehen. Und dann werden Sie mir auch zustimmen, dass dort eine ganz bestimmte Rolle noch viel eindrucksvoller als die der Königin verkörpert wird: Alex Jennings spielt meisterhaft den weinerlich-selbstgerechten Schluffi Edward VIII., der erst aus Liebe zu einer bürgerlichen Amerikanerin auf die Krone verzichtete, dann aber seinen Privilegien doch nicht entsagen wollte, mit den Nazis anbandelte und das Königshaus in eine tiefe Krise stürzte.
Warum ich Ihnen das heute erzähle? Weil die Royals nun wieder mit einer Krise konfrontiert sind. Wieder geht es um eine Frau, wieder um die Liebe und um die Bürde, in eine blaublütige Familie hineingeboren worden zu sein. Genau, um Harry und Meghan geht es, die in diesen Tagen die Blätter mit den großen Schlagzeilen bestimmen, selbst wenn die Queen gestern Abend gute Miene zum schwierigen Spiel gemacht hat. Wenn Sie das Drama hinter den Schlagzeilen besser verstehen wollen, darf ich Ihnen diesen Artikel meines Kollegen Marc von Lüpke über Edward und die Tücken der Liebe ans Herz legen.
WAS AMÜSIERT MICH?
Man kann mit dem Smartphone allerhand Klamauk anstellen. Noch mehr allerdings dann, wenn man gleich mehrere Handys besitzt.
Ich wünsche Ihnen einen wohl balancierten Tag. Denken Sie dran: In der Ruhe liegt die Kraft. Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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