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Tagesanbruch: Fünf bleibende Erfahrungen aus dem Südsudan


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MeinungVon Florian Harms

15.11.2019Lesedauer: 6 Min.
Straßenszene in der Stadt Wau im Norden des Südsudans.Vergrößern des Bildes
Straßenszene in der Stadt Wau im Norden des Südsudans. (Quelle: F. Harms)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Wer in diesen Tagen in Nachrichtensendungen hineinzappt, wird von wildem Geschnatter empfangen: Die Impeachment-Anhörung hat begonnen! Große Aufregung! Trump sagt dies und twittert das; seine Unterstützer und seine Kritiker schießen verbale Giftpfeile im Minutentakt aufeinander. Hier eine gepfefferte Meinung, da eine noch schrillere, und immer alle Kameras und Mikrofone drauf.

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Wenn ich mir dieses absurde Theater ansehe, wünschte ich, ein paar der Kameras und Mikrofone würden nicht in Washington aufgebaut, sondern im Herzen Afrikas. Im Südsudan hätten die Menschen eigentlich jeden Grund zur Aufregung: Sie leben im Elend, weil habgierige Politiker im In- und Ausland das Land in die Krise gestürzt haben und die Weltgemeinschaft nur wenig Notiz von der Tragödie nimmt. Um zu erfahren, was hier vor sich geht, muss man sich schon die Mühe machen herzukommen.

Was ist das Fazit nach fünf Tagen im ärmsten Staat der Welt? In so kurzer Zeit nimmt man nur Ausschnitte wahr, klar. Aber schon die sind wertvoll genug, um davon zu berichten – und zu hoffen, dass vielleicht ein paar mehr Menschen Interesse für dieses Drama zeigen. Hier also fünf Erfahrungen im Südsudan:

Erstens: Die Menschen haben Krieg und Verfolgung satt. Sie sehnen sich nach Frieden, er ist der Schlüssel für alles andere. Erst wenn die Leute sich sicher fühlen, können sie die Infrastruktur wieder herrichten, Straßen, Krankenhäuser, Schulen und stabile Häuser bauen, Geschäfte eröffnen. Noch ist aber völlig unklar, ob der Frieden hält. Präsident Salva Kiir und sein Kontrahent Riek Machar haben die Einjahresfrist zur Bildung einer gemeinsamen Regierung verstreichen lassen; nun haben sie weitere 100 Tage Zeit bekommen. Die meisten Beobachter sind allerdings skeptisch, dass es ihnen gelingen wird; womöglich brechen im Frühjahr wieder Kämpfe aus.

Wie verunsichert die Leute im Südsudan sind, erlebte ich, als ich in einem Dorf im Norden des Landes Kalyam begegnete: einem pfiffigen 19-Jährigen, der wohl an die 1,80 Meter misst. Aber als ich auf ihn zuging, schreckte er blitzartig zurück und wollte Reißaus nehmen. Erst als ich ihn freundlich ansprach und die Hand ausstreckte, fasste er Vertrauen. Warum er so schreckhaft war? Weil er in der Vergangenheit erlebt hatte, wie andere fremde Männer in sein Dorf einfielen: Marodierende Soldaten brandschatzten, mordeten, vergewaltigten. Den Menschen sitzt die Furcht tief in den Gliedern. Sie davon zu befreien, wird Zeit brauchen.

Zweitens: Das Bevölkerungswachstum ist ein Problem, aber es wäre lösbar. Warum bekommen die Familien im Südsudan so viele Kinder?, fragen mich einige Leser, sie können sie doch gar nicht ernähren! Die Antwort ist einfach: Weil Kinder hier nicht nur ein Statussymbol sind, sondern auch die einzige Altersvorsorge. Wer in einem bettelarmen Land wie diesem nicht genügend Nachkommen hat, die ihn im Alter unterstützen, läuft selbst Gefahr zu verhungern. Deshalb ist der zweite Schlüssel nach dem Frieden der Kampf gegen die Armut – und der führt, neben humanitärer Akuthilfe, über den Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Bildung. Nur wer satt und bei Kräften ist, nur wer etwas gelernt hat, kann einen Job ergattern, Pläne schmieden, seine Zukunft planen, sich vielleicht sogar für demokratische Strukturen engagieren. Der amerikanische Psychologe Abraham Maslow hat dies in seiner Theorie der Bedürfnispyramide treffend beschrieben.

Auch die deutsche Bundesregierung setzt sich für die Förderung von Gesundheit und Bildung ein. "Mit diesen zwei Faktoren sinkt die Kinderzahl pro Frau automatisch", sagt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Sein Ministerium investiert jährlich 100 Millionen Euro in die Familienplanung und Gesundheitsversorgung für Mütter im Niger, in Kamerun und Malawi (der Südsudan ist leider noch nicht dabei). Die Summe klingt hoch, wirkt allerdings wie ein Tropfen auf dem heißen Stein, bedenkt man den tatsächlichen Bedarf: Um Mütter vor Gewalt zu schützen und ihnen Zugang zu Verhütungsmitteln zu geben, bräuchte es den Vereinten Nationen zufolge in den kommenden zehn Jahren weltweit 239 Milliarden Euro. Mit den derzeitigen Entwicklungshilfeetats der Staatengemeinschaft wird diese Summe nie und nimmer erreicht.

Drittens: Wie dringend die Menschen im Südsudan eine gute Gesundheitsversorgung brauchen, habe ich in einem Kinderkrankenhaus in der Stadt Wau erfahren. Dort traf ich auf der Stabilisierungsstation für Kleinkinder Alfred Bol. Seine zweijährige Tochter Rose hat Malaria und Diarrhö und ist unterernährt. Damit erleidet sie das Schicksal zigtausend Kinder im Südsudan: Erst erkranken sie an Malaria, dann folgt Durchfall, wodurch sie nichts mehr essen und rapide an Gewicht verlieren. Alfred ist Bauer. Als Freischärler über sein Land herfielen und die Hütten abfackelten, musste er fliehen. Jetzt besitzt er nichts mehr; seit Tagen hat er kaum etwas gegessen. "Ich hoffe einfach nur, dass endlich Frieden einkehrt, damit ich meine Kinder unbesorgt aufziehen und meine Felder wieder bestellen kann", sagt er.

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Im Zimmer nebenan liegt auf einem Bett Agwei Ngwanchol mit ihrem Töchterchen Ajok. Das Kind wurde vor fünf Tagen mit Malaria geboren. Also trug Agwei es fünfeinhalb Stunden lang zu Fuß aus ihrem Dorf ins Krankenhaus. Zehn Kinder hat sie geboren, fünf sind bereits gestorben, vielleicht wird Ajok das nächste sein. Wenn man das Baby dort liegen sieht, wie es mit flachem Atem um sein Leben ringt, begreift man die unfassbare Tragik der Krise im Südsudan.

"Unser Volk leidet schrecklich – wegen der Politiker!", sagt Mawada Mahmoud Joseph. Die 35-Jährige ist Ärztin in dem Krankenhaus – die einzige. Ihre Kollegen sind in die Hauptstadt Juba umgezogen, wo sie etwas mehr verdienen und vielleicht die Chance haben, beruflich voranzukommen. Spielt Mawada auch mit dem Gedanken, wegzugehen? "Nein! Ich bleibe, ich will den Menschen hier helfen!", sagt sie entschieden. "Das ist unser Land, wir müssen doch endlich vorankommen!" Woraus schöpft sie Hoffnung? "Gott wird uns helfen." Die Gottesdienste in der Episkopalkirche geben ihr Kraft. "Aber die Menschen in Europa sollten wissen: Sie können uns dabei helfen, endlich voranzukommen. Wir brauchen dringend Kindernahrung, Medikamente und sauberes Trinkwasser."

Stimmen wie jene von Mawada Mahmoud Joseph sollten weltweit gehört werden. Sie sind in diesen Tagen wichtiger als das Geschnatter rund um Herrn Trump. Außenminister Heiko Maas hat gestern exklusiv auf t-online.de angekündigt, dass die Bundesregierung weitere drei Millionen Euro in den humanitären Fonds für den Südsudan einzahlen wird. Aber auch jede private Spende hilft – das ist die vierte Erfahrung.


WAS STEHT AN?

Heute geht es ums Geld. Der Bundestag beschließt die neuen Klimaschutzgesetze, außerdem macht der Haushaltsausschuss das letzte Schleifchen an den Bundeshaushalt 2020. Es geht um 360 Milliarden Euro. In Brüssel verhandeln EU-Parlamentarier mit Vertretern der Mitgliedstaaten über den EU-Haushalt 2020. Da geht es um 160 Milliarden Euro. Vielleicht fällt ja diesmal ein bisschen mehr für humanitäre Hilfe ab.

Uli Hoeneß nimmt heute auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern endgültig seinen Hut. Manche sagen leider, andere sagen endlich. Was BVB-Geschäftsführer Watzke, Schalkes Aufsichtsratschef Tönnies und die Chefs anderer Bundesligisten sagen, lesen Sie im Bericht meiner Sportkollegen.


WAS LESEN?

Die rechtsextremistische "Atomwaffen Division" wird in den USA für mehrere Morde verantwortlich gemacht. Seit Kurzem soll sie auch einen Ableger in Deutschland haben, der mit Umsturzplänen und Drohungen Rätsel aufgibt: Wer sind diese Leute? Meine Kollegen Jonas Mueller-Töwe und Lars Wienand haben eine Spur gefunden, die nach Thüringen führt.


In Großbritannien wird es bald spannend: Sollte Boris Johnson am 12. Dezember tatsächlich die Wahlen gewinnen und anschließend seinen Ausstiegs-Deal durchs Parlament bringen, beginnt die Übergangsphase, in der das Vereinigte Königreich und die EU ihre künftigen Beziehungen regeln wollen. Worum genau geht es dabei – und wo lauern die Tücken? Unser Brexit-Experte Stefan Rook bringt Sie auf den Stand.


Die Bundesregierung zieht sich zur Digitalklausur nach Meseberg zurück, um endlich eine neue Mobilfunkstrategie zu beschließen. Meine Kollegin Laura Stresing kennt die Pläne bereits, hat sie Experten vorgelegt und gefragt: Sieht das nach einer schnellen Lösung für das Funklochproblem aus?


WAS AMÜSIERT MICH?

Es ist nicht alles schlecht im Südsudan. Diese Dreikäsehochs im Flüchtlingslager in Wau haben mich außerordentlich amüsiert (und ich sie offenbar auch). Selbst an den schlimmsten Orten kann entwaffnender Humor Brücken bauen – das ist die fünfte und letzte Erfahrung für heute.


Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Freitag und dann ein schönes Wochenende. Am Montag schreibt Peter Schink den Tagesanbruch. Mich lesen Sie ab Dienstag wieder, dann wieder aus Berlin. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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