UN-Weltbevölkerungskonferenz Bekommt die Menschheit ihr Wachstum in den Griff?
Allein die Bevölkerung Afrikas wird sich bis 2050 auf 2,4 Milliarden Menschen verdoppeln. In Nairobi berieten in diesen Tagen 165 UN-Staaten über die absehbaren Folgen, das Thema ist hochsensibel.
Die Weltbevölkerung wächst. Und Europa schaut mit Besorgnis gerade auf die Entwicklungen in Afrika: Auf dem Kontinent soll sich die Bevölkerung einer UN-Prognose zufolge bis 2050 auf 2,4 Milliarden Menschen verdoppeln. Was wird aus all den Menschen, wenn das Wirtschaftswachstum nicht mithält?
Schon 1994 hatten sich 179 Staaten in Kairo zusammengetan und beschlossen, wie sie das Wachstum der Weltbevölkerung begrenzen wollen. Doch es hat 25 Jahre gedauert, bis sich die Länder erneut getroffen haben – diese Woche, in Nairobi. Doch noch immer sind viele der Ziele eine Wunschvorstellung. Und das Thema Bevölkerungswachstum ist mehr denn je hochsensibel.
Frauenrechte als Schlüssel
Die UN-Weltbevölkerungskonferenz vor 25 Jahren in Kairo stellte damals einen Paradigmenwechsel dar. Anstatt sich nur die Bevölkerungszahlen anzuschauen, beschlossen die Staaten, das Wachstum zu begrenzen, in dem die Rechte der Frauen gestärkt werden: Wenn jede Frau frei entscheiden kann, wann, mit wem und wie viele Kinder sie haben möchte – und vollen Zugang zur Familienplanung bekommt –, dann wird sich auch die Wachstumsfrage klären.
Das 1994 verabschiedete Programm sieht zum Beispiel vor, die Kindersterblichkeitsrate bis 2015 auf unter 35 pro 1.000 Geburten zu senken. Die Müttersterblichkeitsrate sollte um 75 Prozent reduziert werden. Und alle sollten Zugang zu sicherer und effektiver Familienplanung ihrer Wahl und medizinische Betreuung bekommen.
Bedrückende Zahlen
Doch 25 Jahre später ist die Bilanz ernüchternd. Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, der mit dem UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) und Dänemark die Konferenz ausrichtete, fasste die bedrückende Lage zusammen: 800 Frauen und Mädchen sterben täglich während der Schwangerschaft oder Geburt. 33.000 Mädchen unter 18 werden jeden Tag verheiratet. Vier Millionen Mädchen müssen jedes Jahr qualvolle weibliche Genitalverstümmelung durchleben.
Warum wurden die Ziele von Kairo noch nicht erreicht? Wie so oft fehle es an politischem Willen und an Geld, sagt Arthur Erken, Kommunikationschef von UNFPA. Aber vor allem ist das Thema Bevölkerungswachstum ein hochsensibles. Zwischen vielen Ländern im globalen Süden und globalen Norden klafft eine große Lücke. Etwa hat Afrika südlich der Sahara der UN zufolge eine Geburtenrate von 35,5 Geburten pro 1.000 Menschen, Europa dagegen 10,4 Geburten. Viele der angesprochenen Themen sind in etlichen Gesellschaften umstritten oder gar Tabu – zum Beispiel Verhütung oder Abtreibung.
"Es braucht eine ganz hohe Kultursensibilität"
Auch die Geschichte spielt eine große Rolle. "Bevölkerungswachstum ist ein kontroverses Thema, weil einige Länder in der Vergangenheit versucht haben, Bevölkerungswachstum mit missbräuchlichen, erzwungenen Maßnahmen zu kontrollieren", schrieb der Wissenschaftler Alex Ezeh in einem Bericht der Bill and Melinda Gates Foundation. "Es ist so schwierig, über Bevölkerungfragen zu sprechen, dass die Entwicklungsgemeinschaft sie seit Jahren ignoriert", so der Professor für globale Gesundheit an der Drexel University in Philadelphia.
Bevölkerungsentwicklung und damit verbundene sexuelle Gesundheit und Rechte seien definitiv ein sensibles Themen, gerade in Afrika, sagt auch Angela Bähr, die Programmdirektorin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) und Vorstandsmitglied von Venro. "Es ist möglich, das anzusprechen, aber es braucht eine ganz hohe Kultursensibilität." In einigen Ländern Afrikas sei es zudem für Organisationen, die sich etwa mit Sexualaufklärung und Schwangerschaftsabbruch beschäftigen, schwieriger geworden.
Mehr außenpolitische Aufmerksamkeit
Auf die Frage nach der Problematik Bevölkerungswachstum reagiert ein Mitglied der kenianischen Regierung pikiert. Dem ostafrikanischen Land wird eine Verdopplung der Bevölkerung bis 2050 vorhergesagt. Die Frage des Bevölkerungswachstums sei "getrieben von Ignoranz, manchmal von Rassismus, manchmal von Vorurteilen, manchmal einfach von Dummheit", sagt Macharia Kamau, Staatssekretär im Außenministerium. Das Problem in Kenia sei nicht Bevölkerung, sondern Entwicklung. "Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir uns entwickeln."
Aus deutscher Sicht ist das auch mit Blick auf die Migration ein Thema. Zwar migrieren viel mehr Menschen innerhalb Afrikas als von dort nach Europa. Aber die Sorge, mit der wachsenden Bevölkerung in Afrika werden künftig mehr Menschen nach Europa kommen, ist da. Dass Afrika nun eine viel größere Rolle in der Außen- und Entwicklungspolitik Deutschlands spielt, "hat ohne Zweifel auch was mit Migration zu tun", sagt Maria Flachsbarth, Staatssekretärin im Entwicklungsministerium, die für Deutschland an der Konferenz teilnahm. Doch viel mehr gehe es darum, den Menschen in Afrika die gleichen Chancen zu geben, wie denen in Deutschland.
Ob die Nairobi-Konferenz viel bewirkt, muss sich zeigen. Die Beteiligung war freiwillig, die Verpflichtungen sind nicht bindend. Und das Treffen an sich war umstritten: Der Vatikan etwa, der 1994 dabei war, wollte 2019 nicht teilnehmen.
- Nachrichtenagentur dpa