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Brexit-Revolte im Parlament – die Abgeordneten schlagen gegen Johnson zurück


Meinung
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MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 03.09.2019Lesedauer: 7 Min.
Irgendwie erinnert seine Gestik an den Herrn in Washington, oder?Vergrößern des Bildes
Irgendwie erinnert seine Gestik an den Herrn in Washington, oder? (Quelle: Francois Mori/ap)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Der Duden kennt viele Wörter für Menschen mit politischer Verantwortung, ein Titel aber fehlt: der Mimikry-Minister. Der Mimikry-Minister kommt als starker Max daher, plustert sich auf, spricht lauter als andere und hat auf jede Frage eine schnelle Antwort, selbst wenn sie aus Luft besteht. Er hat auch große Pläne, und er weiß sie eloquent hinauszuposaunen, vor allem in Wahlkampfzeiten. Wenn es ihm und seiner Partei hilft, dann posaunt er beispielsweise im Bierzelt eine Pkw-Maut heraus, die alle Autofahrer berappen müssen, nur die deutschen nicht, und er geht auch dann damit hausieren, wenn ihm längst jeder Jurist zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen bescheinigt hat, dass so eine Ausnahmemaut mit dem Europarecht unvereinbar ist.

Der Mimikry-Minister lässt sich davon nicht abschrecken, schließlich will er Karriere machen. Der Posten des Landesgruppenchefs im Bundestag ist ein wunderbarer Posten, und später, irgendwann, wer weiß, vielleicht sogar der Sessel des Parteichefs? Der Mimikry-Minister hieß mal Alexander Dobrindt und paukte als Chef des Verkehrsressorts die Autoausnahmemaut gegen alle Widerstände durch Kabinett und Bundestag. Heute ist er zur Belohnung, genau, CSU-Landesgruppenchef im Bundestag. Ein schöner Posten. Auf seinem Stuhl im Ministerium nahm Andreas Scheuer Platz, der wohl auch ganz gern noch mehr werden will, und sich ebenfalls, genau, gegen alle Widerstände für die Autoausnahmemaut verkämpfte. Obgleich er wusste, dass der Europäische Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Maut noch prüfte, schloss er bereits millionenschwere Verträge mit Betreiberfirmen ab. Damit nicht genug. Wie die "Süddeutsche Zeitung" jetzt enthüllt, ließ er sich von den Firmen möglicherweise auch noch gehörig hinters Licht führen.

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Schon jetzt ist absehbar, dass die Stümperei der beiden Mimikry-Minister von der CSU den Steuerzahler Hunderte Millionen Euro kosten wird. Und wenn Sie sich jetzt fragen, wie man solche Leute noch guten Gewissens in Regierungsverantwortung wählen kann, sind Sie sicher nicht allein. Weiter Karriere machen werden sie wohl trotzdem.


WAS STEHT AN?

Reime, die ihre Geheimnisse bewahren,
werden sich hinter den Wolken entfalten,
Und dort, auf einem Regenbogen,
Liegt die Antwort auf eine unendliche Geschichte.
Ah!
Unendliche Geschichte.
Ah!
Unendliche Geschichte.
Ah!
Unendliche Geschichte.
Ah!

Mja. Ich gebe zu, in der deutschen Übersetzung klingen die Zeilen, die der britische Barde Limahl uns anlässlich der Verfilmung von Michael Endes Kinderbuchklassiker 1984 entgegenträllerte, noch trivialer als auf Englisch. Wäre nicht die Melodie des Komponistengenies Giorgio Moroder gewesen, der Song hätte niemals seinen weltweiten Siegeszug angetreten. So aber hat jeder halbwegs popaffine Laie sofort den unnachahmlichen Synthesizer-Sound im Ohr und kann gar nicht anders, als mitzusummen (falls Sie noch mal reinhören möchten: bitte schön).

35 Jahre nach dem Welterfolg der Musikschnulze bescheren uns die Briten wieder eine unendliche Geschichte, nur ist sie diesmal weniger eingängig. Das Brexit-Theater hält uns nun schon seit drei Jahren, zwei Monden und mehreren Tagen in Atem. Hauptsache, raus aus der EU! Nein, nur mit einem guten Deal!! Doch, schnell raus!!! Nie und nimmer, dann bleiben wir lieber!!!! Weder das britische Parlament noch die britische Gesellschaft kann sich bisher entscheiden, und der absurde Streit auf der Insel wird immer stärker zur Belastung für Europa. Es ist ja nicht so, dass es keine anderen Anliegen gäbe, um die sich die EU dringend kümmern müsste. Eine Antwort auf die aufstrebende Wirtschaftssupermacht China, die Flüchtlingskrise im Mittelmeer, der Kampf gegen die Klimakrise, das immer noch schwelende Schuldendrama in Südeuropa, die Entwicklung einer digitalen Strategie, es gäbe noch mehr. Da stellt mancher die Frage, ob man den renitenten Briten nicht einfach nachgeben und ihre Bedingungen für einen À-la-carte-Brexit akzeptieren sollte. Von 17.500 t-online.de-Lesern sagen allerdings fast 90 Prozent "nein", und ich bin einer davon. Europa muss seine Interessen verteidigen, sonst verliert es seine Glaubwürdigkeit und seine Bindungskraft. Es muss hart bleiben. Also muss die Auflösung des Dramas von der anderen Seite des Ärmelkanals kommen.

Der Dirigent, der der unendlichen Geschichte endlich einen Schlussakkord verpassen will, schwingt nicht nur den Taktstock zischend durch die Luft, er katapultiert gleich das ganze Orchester von der Bühne. Das Parlament in London soll so lange pausieren und Däumchen drehen, bis das Werk vollbracht und der Brexit ein für alle Mal beschlossen ist. So will es der Maestro Boris Johnson – und er zieht dafür alle Register. Um seine Gegner in Schach zu halten, die nun auch in den Reihen seiner konservativen Partei immer zahlreicher werden, droht er mit Neuwahlen – was die Kontrahenten nur noch ärger wüten lässt.

Es ist also alles für einen heißen Dienstag angerichtet, wenn das Parlament nach der Sommerpause heute seine Arbeit wieder aufnimmt – kurzzeitig, denn kommende Woche soll schon die Zwangspause beginnen. Das kurze Zeitfenster wollen die Gegner eines ungeregelten Brexits für eine "Dringlichkeitsdebatte" nutzen: Der Premier soll per Gesetz gezwungen werden, in Brüssel um einen weiteren Aufschub des Ausstiegs zu bitten, falls bis zum 31. Oktober keine Einigung steht. Heute wird disputiert, morgen entschieden, übermorgen geht der Entwurf ins Oberhaus: Ein parlamentarisches Hauruckverfahren soll Herrn Johnson ausbremsen. Als wäre das nicht schon genug des Dramas, muss ein schottisches Gericht auch noch entscheiden, ob es noch in dieser Woche eine Anhörung zu einem Antrag auf eine gerichtliche Verfügung gegen die Zwangspause für das Parlament gibt. Ach ja, und am Abend trommeln Herrn Johnsons Kritiker zum Massenprotest auf dem Parliament Square.

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Kommen Sie noch mit? Ja, mir fällt es auch schwer. Und ich beginne zu ahnen, dass die Geschichte des Brexits auch Ende Oktober noch nicht beendet sein wird. Da müssen wir wohl durch, selbst wenn es schmerzt.

Ah!
Unendliche Geschichte.
Aua!
Unendliche Geschichte.
Aua! Aua!


Es ist eine einfache Rechnung: Je jünger man ist, desto länger, schlimmer, vollständiger muss man es ausbaden. Das treibt die Schüler an, freitags gegen die Klimakrise und für eine erträgliche Zukunft zu protestieren: Ihre Zukunft ist ein Marathon, kein Kurzstreckenlauf wie für Ältere. Auch anderswo gehen Schüler und Studierende auf die Straße, weil ihnen sonst die Perspektive flöten geht: in Hongkong. Gestern, zum Schulstart, umringten Menschenketten die Lehreinrichtungen. Im Zentrum der Stadt sammelten sich Protestierende. Es blieb friedlich, was man vom vorangegangenen Wochenende nicht gerade sagen kann. Da flogen die Fetzen.

So beginnt die Woche Nummer 14 des Protests in Hongkong. Die Stadt ist eine Wirtschafts- und Finanzmetropole, ein Ort, an dem Banken auf ein Image der Seriosität setzen, wo es auf Verlässlichkeit ankommt, Geschäftsleute Vertrauen vermitteln wollen. Anders gesagt: Hongkong ist keine Stadt, in deren Adern der beständige Wunsch nach Umsturz pulsiert. Internationale Unternehmen versuchen sich angesichts der anhaltenden Proteste in einer heiklen Gratwanderung: einerseits ihre Geschäfte im riesigen Markt China nicht zu gefährden, andererseits ihre Reputation im Rest der Welt nicht mit allzu offenkundiger Unterwürfigkeit gegenüber Peking zu beschädigen. Doch im Zweifel fällt die Wahl zugunsten Chinas aus. Die Großbanken HSBC und Standard Chartered haben in ganzseitigen Anzeigen die brennenden Barrikaden in Hongkong verurteilt, zu wichtig sind die Finanzgeschäfte im Reich der Mitte. Denn China fackelt nicht lange. Zahlreiche Mitarbeiter von Hongkongs Prestige-Airline Cathay Pacific wurden bereits vor die Tür gesetzt, weil sie mit der Demokratiebewegung sympathisierten.

Auf die Proteste hat der zunehmende Druck, in dem sich die Angst vor einem militärischen Eingreifen Chinas mit der um den eigenen Arbeitsplatz mischt, jedoch keine mäßigende Wirkung – im Gegenteil: Die harte Linie gegen die friedlichen Massendemonstrationen bringt viele zu der Überzeugung, dass die Größe der Menschenmenge allein nichts bewegt. Zu den Protesten gehört deshalb immer wieder auch Gewalt. Möglicherweise haben die Hongkonger Regierung und ihre Pekinger Strippenzieher gehofft, die Randale würde die Demokratiebewegung spalten, gemäßigte Demonstranten und genervte Anwohner gegen die radikaleren Aktivisten aufbringen – doch bisher bleibt das aus. Schmährufe muss stattdessen die Polizei über sich ergehen lassen, die wegen exzessiver Gewaltanwendung massiv in der Kritik steht. Tränengas in Wohnvierteln und U-Bahn-Stationen, Prügelattacken mit dem Schlagstock, sexuelle Demütigung einer Demonstrantin auf einer Polizeistation: Die Wut in Hongkong richtet sich gegen die Vollstrecker des Apparats. Es geht ums Ganze: entweder Bürgerrechte und Demokratie – oder chinesische Verhältnisse. Hongkong kämpft um seine Zukunft. Da machen nicht nur die Schüler mit.


WAS LESEN, ANSCHAUEN UND ANHÖREN?

Viel wurde geschrieben über die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, trotzdem bleibt noch einiges zu sagen. Unsere Politikchefin Tatjana Heid erklärt in Ihrem Videokommentar, warum die CDU sich langfristig womöglich doch Gesprächen mit der AfD öffnen sollte. Unser Audioredakteur Marc Krüger und ich wiederum haben in einer Spezialausgabe des Tagesanbruch-Podcasts über die gesellschaftlichen Gründe für das Erstarken der AfD gesprochen.


Mancher Fernsehzuschauer traute seinen Ohren nicht: Auf der Grünen-Wahlparty in Sachsen wurde die Bundestagsfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt interviewt – und hinter ihr trällerten Leute die SED-Hymne "Lied der Partei". Was war da los? Mein Kollege Lars Wienand weiß Bescheid.


Eine junge Frau kehrt im Jahr 1952 aus dem sowjetischen Gulag in ihre Heimatstadt zurück, die jetzt Stalinstadt heißt und in der DDR liegt. Sie will herausfinden, wer sie verpfiffen hat. Was klingt wie längst vergangene Zeitläufte, ist in Wahrheit eine aktuelle Parabel auf ostdeutsche Geschichte. Heute feiert der Kinofilm "Und der Zukunft zugewandt" in Eisenhüttenstadt seine Deutschlandpremiere, in der Hauptrolle glänzt Alexandra Maria Lara. Hier sehen Sie den Trailer.


WAS AMÜSIERT MICH?

Und, hat Merkels Kabinett das Signal der Wahlergebnisse verstanden? Schnell mal unseren Cartoonisten Mario Lars fragen:

Ich wünsche Ihnen einen großherzigen Tag. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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