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Corona-Beschlüsse — Merkel? "Ihre unangefochtene Autorität ist passé"


Meinung
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Tagesanbruch
Die gestutzte Kanzlerin

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 11.02.2021Lesedauer: 6 Min.
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Grenzen ihrer Macht: Angela Merkel muss eingestehen, dass sie sich bei Schulöffnungen gegen die Wünsche der Ministerpräsidenten nicht durchsetzen konnte (ab 0:21). (Quelle: reuters)
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Guten Morgen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,

schön, dass Sie heute Morgen eingeschaltet haben. Hier ist der Mitschnitt der gestrigen Bund-Länder-Videokonferenz, exklusiv für Abonnenten des Tagesanbruchs:

WAS WAR?

Fiiiieep! Krchchchchz… Fiiiieep! Klick.

"So, könnt ihr mich jetzt hören?"

"Klar und deutlich."

"Auch ihr da oben in Hamburg, Kiel und Schwerin?"

"Ja-ha, Angela! Super Ton!"

"Gut, ich möchte gleich zu Beginn noch mal darauf hinweisen, dass die Sieben-Tage-Inzidenz ja immer noch sehr…"

"Wissen wir, Angela, aber wir müssen jetzt mal über Öffnungsperspektiven reden."

"Genau. Und wir brauchen einen Stufenplan."

"Und die Friseure! Wir müssen die Friseure endlich mal aufmachen!"

"Und Kitas, vergiss die Kitas nicht, Reiner."

"Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß ja, dass viele von euch sehr gerne bald wieder einzelne Wirtschaftsbereiche öffnen wollen, und ich will das ja auch, sobald es vertretbar ist, aber die Wissenschaftler sagen uns ja eben klipp und klar, dass wir daran denken sollten, dass wir in unsere Entscheidungen einbeziehen, dass das jetzt eben eine sehr entscheidende Phase in dieser Pandemie ist, weil wenn wir jetzt zu schnell wieder zu vieles öffnen, dann steigt eben auch das Risiko, vor allem das Risiko durch die Mutationen, das haben wir ja bei den Briten in Großbritannien gesehen und das sehen wir jetzt auch in Südtirol bei den… also in Südtirol, jedenfalls sollten wir das im Blick behalten und…"

"Apropos Perspektive: Armin, dein Bild ist verrutscht."

"Wie verrutscht? Seht ihr mich jetzt nicht mehr, oder was?"

"Nur so halb."

"Wir sehen deinen Bauch."

"Um Himmels Willen, kann da nicht mal jemand was machen??? … Was ist denn da… Wie geht denn das… Himmelherrgottnochmal, kann man hier noch nicht mal eine stinknormale Videokonferenz einrichten, das ist doch…"

"Du musst nur die Kamera ein bisschen nach oben drehen, Armin."„

"Welche Kamera???"

"Die oben am Computer, da ist so ein schwarzer Punkt."

"Apropos Punkt. Liebe Mitstreiter, wir in Bayern haben ja eine sehr klare Sicht auf die Lage. Geschlossen lassen. Alles geschlossen lassen. Nur das hilft. So machmer das."

"Nee, Markus, das hast du nicht allein zu entscheiden. Die Situation hier bei uns ist ja ganz anders als bei dir da unten, wo ihr da ständig neue Corona-Ausbrüche habt. Wir hier haben die Lage nämlich schon ziemlich gut im Griff…"

"Wir auch!"

"Genau! Und wir auch!"

"…und deshalb bin ich dafür, dass jetzt mal jeder selbst entscheidet, was er wieder aufmacht. Ich zum Beispiel mach jetzt mal als Erstes die Schulen auf…"

"Und die Kitas!"

"…genau, und dann kommen die Friseure dran und dann sehen wir weiter, wird schon alles nicht so schlimm kommen, wie‘s der Drosten immer sagt, es wird ja auch bald wärmer.“

"Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß ja nicht, ob das jetzt unser Signal an die Bürgerinnen und Bürger sein sollte, also dass jetzt alles so durcheinandergeht, also die Leute verlangen ja, dass wir verantwortungsvoll handeln, und die Wissenschaftler sagen ja…"

"Wir müssen auch noch übers Impfen reden, Angela."

"Aber erst mal Pause, bitte. Der Olaf muss mal kurz raus. Da hat der Bundestag angerufen. Irgendwas mit Putin oder so."

"Ich geh mal eben."

"Tschüss."

"Bis später."

Klick. Krchchchchz… Fiiiieep!

So, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, nun dürfen Sie wieder Leserinnen und Leser sein – und ich darf Ihnen vergewissern: Die Szene, die Sie gerade gehört haben, war natürlich frei erfunden. Total ausgedacht. Na ja, zumindest nehmen wir das mal an. Stundenlang haben die Häuptlinge der Bundesländer mit der Oberchefin über die Corona-Lage disputiert, und herausgekommen ist mal wieder ein typischer Kompromiss:

Der Lockdown wird bis zum 7. März verlängert, Friseure dürfen aber schon am 1. März wieder aufsperren. Rübezahlmähnen stutzen. Wann Schulen und Kitas wieder aufmachen, darf nun jedes Bundesland selbst entscheiden. Die Drängler haben sich durchgesetzt, entgegen den Empfehlungen der meisten Virologen, die zu einer Fortsetzung oder sogar Verschärfung der bisherigen Beschränkungen rieten. Doch Frau Merkel konnte ihre harte Linie nicht gegen die Länderchefs halten – das sei okay so, "selbst wenn’s manchmal etwas mühsam ist", gestand sie ein. Sie habe nämlich als Bundeskanzlerin – anders als bei EU-Verhandlungen in Brüssel – in der föderalen Republik kein Vetorecht. Selten zuvor hat die Kanzlerin die Grenzen ihrer Macht so offen eingestanden wie auf der Pressekonferenz gestern Abend. Die unangefochtene Autorität, die Angela Merkel noch im vergangenen Jahr genoss, ist passé. Die Ministerpräsidenten winden ihr das Heft des Handels nach und nach aus den Händen, und je näher wir der Bundestagswahl kommen, desto weniger Gestaltungsspielraum wird ihr bleiben. Die überlebensgroße Kanzlerin schrumpft im Spätherbst ihrer Karriere wieder auf Normalmaß.

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Zurück zu den Regeln: Medizinische Masken bleiben beim Einkauf, in Behörden, im Nah- und Fernverkehr verpflichtend. Private Reisen und Besuche sind weiter tabu. Die Überbrückungshilfe für notleidende Betriebe und Selbstständige soll nun endlich ausgezahlt werden. Hoffen wir, dass es klappt.

Der wichtigste Beschluss ist aber ein anderer: Die Corona-Entscheider haben sich endlich zu einem Strategiewechsel durchgerungen. Sie verlängern nicht nur den Lockdown, sondern führen nun auch eine Zahl ein: Sobald die Sieben-Tage-Inzidenz bundesweit mindestens drei Tage lang unter die Marke von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner sinkt, soll es weitere Lockerungen geben, vor allem im Handel und in der Gastronomie. Alle Bundesbürger haben nun also endlich ein konkretes Ziel vor Augen, auf das wir gemeinsam hinarbeiten können – mit Disziplin, Geduld und Umsicht. Wo und was genau dann gelockert wird, wollen die Chefs allerdings erst am 3. März überlegen. Vieles bleibt also vage. Mein Kollege Tim Kummert sieht darin ein eklatantes politisches Missmanagement, dementsprechend gepfeffert ist sein Kommentar. Ohnehin liegt die Inzidenz heute bundesweit bei 68. Es bleibt also noch einiges zu tun, bis wir in die nächste Videokonferenz schalten können und es dann wieder heißt "Fiiiieep! Krchchchchz… Fiiiieep! Klick. So, könnt ihr mich jetzt hören?" Oder so ähnlich.


WAS STEHT AN?

Wie immer nach den Bund-Länder-Runden steht am Tag danach die Diskussion der Ergebnisse auf dem Programm. Im Bundestag gibt Frau Merkel eine Regierungserklärung ab, in den Landesparlamenten von Kiel und Schwerin werden die Beschlüsse ebenfalls erörtert. Das ist insofern interessant, als sich Schleswig-Holsteins CDU-Regierungschef Daniel Günther zuvor mit einem "Perspektivplan" für Lockerungen hervorgetan hatte – und Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig seit ihrer Kritik am Impf-Management der Bundesregierung als profilierte Merkel-Gegenspielerin gilt. Wir dürfen davon ausgehen, dass der Kompromiss von gestern Abend schon heute gründlich zerredet wird.

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Die Türkei hat einen neuen Militäreinsatz gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK im Nordirak begonnen. Die Operation in der Provinz Dahuk nahe der türkischen Grenze habe unter anderem das Ziel, PKK-Stellungen zu zerstören. Man wolle "Terrorangriffe" aus dem Nordirak verhindern und die Grenzsicherheit gewährleisten, heißt es. Terrorvorwürfe hat man im Herrschaftsbereich des Recep Tayyip Erdoğan ohnehin schnell bei der Hand: In Istanbul wird heute der Prozess gegen die deutsche Journalistin Meşale Tolu fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr, ihrem Ehemann und weiteren Angeklagten die Mitgliedschaft in der linksextremen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei MLPK vor – und die gilt in der Türkei als Terrororganisation. Tolu war 2017 festgenommen worden und saß mit ihrem kleinen Sohn mehr als sieben Monate lang in Untersuchungshaft, auf t-online hat sie von ihren Erlebnissen erzählt. Nun lebt sie glücklicherweise wieder in Freiheit in Deutschland. Der Zustand des türkischen Rechtsstaats bleibt jedoch düster, wie die Kollegen der "Frankfurter Rundschau" berichten.


Nach monatelangen Straßenprotesten in Belarus beginnt heute in Minsk die "Allbelarussische Volksversammlung" unter der Führung von Dauerdiktator Alexander Lukaschenko. Der 66-Jährige will sich von 2.000 linientreuen Apparatschiks in seinem Kurs bestätigen lassen und einen Fünfjahresplan beschließen. Eine reine Symbolveranstaltung also, von der keine substanziellen Veränderungen zu erwarten sind. Bleibt nur zu hoffen, dass den wackeren Demonstranten im eisigen Corona-Winter nicht die Puste ausgeht. Wie sagte Swetlana Tichanowskaja, Oppositionskandidatin bei der Präsidentschaftswahl im August 2020 und für viele die wahre Siegerin der Abstimmung: "Bitte hören Sie nicht auf, nach Belarus zu schauen, weil weniger demonstriert wird. Viele Menschen sitzen immer noch im Gefängnis."


WAS LESEN, HÖREN, SEHEN?

Viele Menschen beschweren sich in diesen Tagen über die Kälte. Liebe Leute, bleibt gelassen, das war oft schon schlimmer. Aber dieses Experiment unserer Wetterkolumnistin Michaela Koschak ist wirklich sehenswert.


Kinder leiden besonders unter der Pandemie. Die Ergebnisse einer neuen Studie sind alarmierend: Schon fast jedes dritte Kind ist psychisch auffällig, berichtet der NDR.


Kann uns der Stoizismus einen gelasseneren Umgang mit Krisen und mehr Freude an den einfachen Dingen des Lebens lehren? Das Online-Magazin "Perspective Daily" hat untersucht, "warum so viele Menschen auf eine antike Achtsamkeitslehre abfahren".


WAS AMÜSIERT MICH?

Das kann ja heiter werden, wenn die Friseure am 1. März wieder aufmachen…

Ich wünsche Ihnen einen Tag mit gutem Durchblick. Morgen schreibt meine Kollegin Camilla Kohrs den Tagesanbruch, am Samstag hören Sie dann wieder von Marc Krüger und mir.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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