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Tagesanbruch: Mehr Disziplin, bitte! Die Franzosen zeigen, wie es geht


Meinung
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Was heute wichtig ist
Mehr Disziplin, bitte!

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.06.2019Lesedauer: 6 Min.
Die ersten französischen SNU-Dienstleistenden.Vergrößern des Bildes
Die ersten französischen SNU-Dienstleistenden. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Es ist Zeit für ein Bekenntnis: Ich bin ein großer Freund von Disziplin. Ich glaube, dass sie in unserer bunten, individualisierten und gelegentlich zum Hedonismus neigenden Gesellschaft wichtiger denn je ist. Es gibt viele Eigenschaften, mit denen man heutzutage Anerkennung ernten kann. Ehrgeiz und Entschlossenheit gehören dazu, Solidarität und Verantwortungsbewusstsein. Toleranz und Humor natürlich auch, na klar. Andere Eigenschaften vermisse ich dagegen zusehends, und ich bin damit nicht alleine. Rücksichtnahme scheint für viele Leute ebenso ein Fremdwort zu sein wie Anstand. Das beginnt bei der Ruppigkeit an der Supermarktkasse und endet in hemmungsloser Gehässigkeit in den sozialen Medien. Am Dienstag habe ich mich an dieser Stelle dafür ausgesprochen, dass Facebook, Youtube und Twitter alle Hasskommentare löschen sollen. Sie glauben nicht, welchen Giftsturm man schon mit so einer harmlosen Forderung heraufbeschwört. Und das ist nichts im Vergleich zu der Böswilligkeit und den Drohungen, die viele Politiker ernten. Man fragt sich, wie tief ein Mensch sinken muss, um solche Widerwärtigkeiten in seine Tastatur zu hacken.

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Es fehlt vielen Zeitgenossen aber offenkundig nicht nur an Anstand, sondern auch an Disziplin. Sicher, die Klage des Alters über die Jugend ist seit Jahrtausenden eine alte Leier. Aber wenn ich mich so umgucke in unserer Gesellschaft, dann beobachte ich, wie vielerorts der Schlendrian und das fröhliche Mir-doch-Egal um sich greifen. Da macht man andere für die eigenen Fehler verantwortlich, zeigt bei jedem Pieps auf die Doofen da oben, statt sich mal an die eigene Nase zu fassen, führt sich auf der Autobahn, in der U-Bahn oder an der Supermarktkasse auf, als sei man der Kaiser von China, und erwartet selbstverständlich auch dann eine extra Portion Sahne, wenn noch nicht mal jeder ein Stück Kuchen bekommt.

Waren das jetzt zu viele Metaphern? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Auch mir ist natürlich bewusst, dass in unserem Land sehr viele Menschen sehr hart arbeiten – und das nicht nur zu ihrem eigenen Wohl. Trotzdem ertappe ich mich immer wieder bei dem Gedanken, dass etwas mehr Disziplin vielen Mitbürgern nicht schaden würde. Gerade auch jüngeren. Und meist kommt dann gleich der zweite Gedanke hinterher: Lernen das die Leute heute nicht mehr? Spielt das in vielen Familien, Schulen und Ausbildungen nur noch eine Nebenrolle?

Wäre es so, könnte ich aus eigener Erfahrung sagen, dass es schade ist. Als junger Mann war ich mir dessen nicht bewusst, aber in der Rückschau weiß ich heute: Mein Zivildienst in einem Operationssaal in Dresden hat meine Persönlichkeit geprägt und mich die Vorteile von Selbstbeherrschung, Ausdauer und Konzentration gelehrt. Die Erfahrung, sich monatelang für andere Menschen einzusetzen, eigene Bedürfnisse hintanzustellen, jeden Morgen um 4:40 Uhr aufzustehen und durch die halbe Stadt zu gondeln, um rechtzeitig bei den Hilfsbedürftigen zu sein: Sie ist von unschätzbarem Wert. Eine gestrenge Oberschwester hatte ich damals, sie duldete keine halben Sachen. Puh. Heute weiß ich: Mir hat dieser Drill gut getan. Er hat dazu beigetragen, dass ich seither hohe Ansprüche an meine Arbeit lege, dass mir unermüdlicher Einsatz Freude, nicht Frust bereitet – und dass ich trotzdem weiß: Man kann als Einzelner noch so gut sein, mit Teamwork wird das Ergebnis immer besser ausfallen. Wenn ich mir unsere Gesellschaft so angucke, dann wünsche ich mir manchmal, es gäbe den verpflichtenden Zivildienst noch (oder, wer es lieber mag, den Dienst in der Bundeswehr).

Und dann schaue ich hinüber zu unseren Nachbarn nach Frankreich und sehe: Die haben das verstanden. Präsident Macron hat dort soeben den Service National Universel (SNU) eingeführt, zunächst freiwillig, aber künftig verpflichtend: Wer zur Abitur- oder Führerscheinprüfung zugelassen werden will, muss nachweisen, dass er den Dienst absolviert hat. Der dauert immerhin einen Monat. “Zwei Wochen lang Lektionen in Patriotismus in der Gemeinschaftsunterkunft und dann noch mal zwei Wochen Mini-Praktikum bei der Armee, der Feuerwehr oder einem gemeinnützigen Verein“, berichtet Nadia Pantel in der “Süddeutschen Zeitung“. “Außerdem auf dem Lehrplan: die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, französische Kultur und Geschichte, die Werte und Symbole der Republik, Bürgerengagement in Vereinen und Initiativen und schließlich Selbstverteidigung.“ Das Ziel: “sozialen Zusammenhalt stärken, der Nation dienen, die Durchmischung der Bevölkerung erreichen.“

Nun mögen Sie einwenden, dass vier Wochen unmöglich ausreichen, um einem jungen Menschen den Wert von Anstand und Disziplin zu vermitteln. Aber sie können ein Anfang sein. Wir Deutschen tun uns ja manchmal etwas schwer, uns an anderen zu orientieren. In diesem Fall hätte ich überhaupt nichts dagegen, wir würden uns ein Vorbild an unseren Nachbarn nehmen.


WAS STEHT AN?

Der eine gilt als Erfüllungsgehilfe des Sultans. Der andere versammelt alle Menschen hinter sich, die auf mehr Liberalität, politische Freiheiten und Wirtschaftsreformen hoffen: Die Neuwahl des Bürgermeisters scheidet Istanbul in zwei etwa gleich große Lager. Fast neun Millionen Menschen werden am Sonntag an die Urnen gerufen. Bei der Kommunalwahl Ende März hatte überraschend der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu von der Mitte-Links-Partei CHP über Binali Yildirim triumphiert, den Vertreter der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan. Nach Einsprüchen der AKP annullierte die Wahlbehörde die Abstimmung. Jetzt also die Entscheidung. Ein neuerlicher Sieg Imamoglus in der größten türkischen Stadt könnte den Beginn der Post-Erdogan-Ära einläuten. Das wäre eine Zeitenwende. Deshalb haben wir unseren Reporter Patrick Diekmann nach Istanbul geschickt, der auf t-online.de für Sie berichten wird.


Bis zu 20.000 Menschen aus 16 Ländern werden heute beim ersten internationalen Fridays-for-Future-Streik in Aachen erwartet. Ein starkes Signal.


Mit einem Friedensfest kontern die Bürger von Ostritz in Sachsen heute ein Treffen von Neonazis in ihrer Stadt. Auch Ministerpräsident Kretschmer kommt. Noch ein starkes Signal.

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Heute ist kalendarischer Sommeranfang – und die Wetterleute sagen: Ab jetzt wird es richtig, richtig heiß. Bis zu 40 Grad! Da verstehe ich jeden, dem das ein bissle zu viel ist. Also machen Sie es doch wie ich: Eis am Morgen vertreibt Hitze und Sorgen. Eis um zwei: Bin dabei! Eis am Abend: erfrischend und labend.


WAS LESEN?

Es ist eine missliche Lage, derart aufgehängt in der Luft zu schweben. Doch Harry Houdini hat die Situation unter Kontrolle, immerhin hat er sich bereits aus der Zwangsjacke befreit, die ihm kurz zuvor noch die Arme fixierte. Dieses Kunststück, das Sie hier in einer Aufnahme aus dem Jahr 1916 sehen, zählte zu den berühmtesten Tricks des großen Zauber- und Entfesselungskünstlers. Das Foto ist Teil unserer Rubrik "Historisches Bild", in der Ihnen mein Kollege Marc von Lüpke jeden Tag eine zeitgeschichtliche Begebenheit zeigt. Schauen Sie doch mal hinein.


Apropos Kunststück: Können Sie auf einem Hochseil balancieren? Machen Sie es doch einfach mal! Kurz ein bisschen üben – und dann geht’s los. Kommt Ihnen irre vor? Stimmt, mir auch. So wie der neueste Plan von Andreas Scheuer: Der Verkehrsminister will die Führerscheinregeln ändern. Autofahrer dürfen künftig auch ein Motorrad steuern – ohne Prüfung. Ein bisschen Theorie und etwas Übung sollen genügen. Wer den Minister auf die Idee brachte, ist unklar. Seine eigenen Experten jedenfalls waren es nicht. Im Gegenteil: Sie warnen vor steigenden Opferzahlen im Straßenverkehr. Ein Ablenkungsmanöver nach dem Mautdebakel? Mein Kollege Markus Abrahamczyk ist der Sache nachgegangen.


Sophia Flörsch ist eine Kämpferin. Mit 18 Jahren fährt sie als eine von wenigen Frauen in der Nachwuchs-Rennserie Formel 3. Bei einem schweren Unfall im November erlitt die Münchnerin eine Wirbelsäulenfraktur – aber sie kämpfte sich zurück und saß schon im April wieder im Auto. Ihren großen Traum verfolgt sie weiter: Ein Cockpit in der Formel 1. Beim Besuch in unserer Redaktion berichtete sie meinen Kollegen Robert Hiersemann und David Digili von ihren Erfahrungen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die moderne Welt ist irgendwie zu kompliziert. Digital hier, virtuell dort, manche scheitern an den Einstellungen ihres Handys, andere an der Mikrowellenuhr. Früher war alles viel einfacher. Jeder fand sich zurecht. Stimmt doch – oder? Testen wir es doch mal.

Ich wünsche Ihnen einen Eis-gekühlten Freitag und dann ein schönes Wochenende. Wenn Sie den Tagesanbruch abonniert haben, erhalten Sie morgen früh die Samstagsausgabe.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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