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Tagesanbruch: Klimakrise – jetzt sind wir alle gefordert


Meinung
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Was heute wichtig ist
Jetzt sind wir alle gefordert

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 02.05.2019Lesedauer: 6 Min.
Aktivisten protestieren in Berlin gegen die ökologische Krise.Vergrößern des Bildes
Aktivisten protestieren in Berlin gegen die ökologische Krise. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hoffentlich haben Sie sich am Feiertag gut erholt und sind gewappnet für den Ernst des Lebens.

WAS WAR?

Der Ernst des Lebens beginnt vor unserer Haustür. Er hat vier Räder und verbraucht eine Menge Benzin, Diesel oder Strom. Er fliegt weit oben über unsere Köpfe und hinterlässt weiße Streifen; immer wieder sitzen auch wir selbst in diesen Maschinen, auf dem Weg zum Strand, Städtetrip oder Geschäftstermin. Der Ernst des Lebens liegt als Steak, Wurst oder Frikadelle auf unserem Teller, und er steckt in unserem Smartphone, PC und all den anderen Geräten, die uns den Alltag erleichtern. Er dampft aus den Tankern, die uns die Turnschuhe aus China, Rotweine aus Australien und Jeans aus Bangladesch bringen, sowie aus den Schloten der Kreuzfahrtschiffe, mit denen wir durch die Karibik und die Antarktis schippern.

Der Ernst des Lebens heißt Treibhausgas, und wer ihn noch genauer benennen will, der nennt ihn Kohlendioxid (CO2), Methan und Stickoxide. Sie sorgen dafür, dass sich unser Planet immer weiter aufheizt, das Wetter immer häufiger Kapriolen schlägt, die Natur zur Geißel wird. Schuld daran sind wir selbst. Das Wachstum der Weltbevölkerung, der globalisierte Handel, unser Lebenswandel überfordern die Ressourcen der Erde und bringen sie aus dem Gleichgewicht. Das ist längst eine Binsenweisheit (mehr dazu hier).

Quelle: Statista

Aufhalten können wir die globale Krise nicht mehr, aber wir könnten sie wenigstens dämpfen. Dafür müssten schnellstens harte Gegenmaßnahmen ergriffen werden – weltweit. Doch wirklich harte Maßnahmen sind erfahrungsgemäß nur dann durchsetzbar, wenn einflussreiche, weltweit respektierte Länder vorangehen, den anderen Staaten als Vorbild dienen und Druck ausüben. Deutschland könnte dieses Land sein, es hat alles, was es dafür braucht: Geld, Wirtschaftskraft, Fachwissen, Renommee, Verbündete. Leider hilft das alles nichts, wenn die Regierung zu wenig daraus macht.

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Die Klimapolitik der Bundesregierung ist kein Trauerspiel. Sie ist ein historisches Versagen. In diesen Tagen können wir dabei zusehen, wie ein müdes Kabinett die goldene Gelegenheit für eine klimapolitische Kehrtwende verstreichen lässt. Der Schwung durch die Umweltkonferenzen, Greta Thunbergs mutiger Protest, der Schülerstreik, die Solidaritätsaktionen von Tausenden Wissenschaftlern, das gewachsene gesellschaftliche Krisenbewusstsein: Der Rückenwind für eine entschiedene Klimapolitik könnte kaum größer sein als jetzt. In der SPD haben das einige verstanden, Umweltministerin Svenja Schulze treibt wegweisende Gesetzesinitiativen voran – und die zaudernde Kanzlerin mitsamt ihren Unionsministern vor sich her. Die allerdings haben die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt. Die überhebliche Gleichgültigkeit, mit der Verkehrsminister Andreas Scheuer, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und der CDU-Wirtschaftsflügel die Diskussion um eine CO2-Steuer abgewürgt haben, macht sprachlos. Und die Kanzlerin besitzt nicht mehr die Autorität, den Widerstand in den eigenen Reihen zu brechen.

Man muss so eine CO2-Steuer nicht gut finden. Aber dann sollte man wenigstens Alternativen mit vergleichbarer Wirkung vorschlagen. Aus der Union kommt wenig mehr als ein vager Hinweis auf den CO2-Emissionshandel. Das ist zu wenig. Dabei verhalten sich die Unionspolitiker allerdings nicht anders als die Mehrheit der Bundesbürger. Die meisten von uns sind, Hand aufs Herz, noch nicht bereit, unseren Lebenswandel grundlegend zu ändern, um das Klima zu schonen. Wie absurd das ist, begreifen wir manchmal erst, wenn wir die Ignoranz anderer Menschen erkennen – so wie in dieser NDR-Dokumentation über die Kreuzfahrtbranche.

Wie überwinden wir unsere Trägheit? Erstens müsste die Bundesregierung den Kampf gegen die Klimakrise zu ihrer höchsten Priorität erheben – mit einem Machtwort der Kanzlerin. Zweitens müsste jeder von uns bereit sein, auf manches zu verzichten und einige einfache Regeln zu beachten (mehr dazu hier). Das macht nicht immer Spaß, notwendig ist es trotzdem. So ist das eben mit dem Ernst des Lebens.


WAS STEHT AN?

Wohl noch nie war ein Juso-Chef so mächtig wie Kevin Kühnert, was weniger an der Stärke der Jugendorganisation als an der Schwäche ihrer Mutter SPD liegt. Kühnert kann noch so abseitige Forderungen erheben, er dringt damit in der Öffentlichkeit durch und prägt das Erscheinungsbild seiner Partei, weil deren Vorsitzende Andrea Nahles in den eigenen Reihen kaum noch Autorität genießt, Generalsekretär Lars Klingbeil vielen als Leichtmatrose gilt und die SPD-Minister in erster Linie auf eigene Rechnung arbeiten. Nur deshalb kann auch Sigmar Gabriel alle naslang mit irgendeiner Idee aus dem Off die Schlagzeilen diktieren.

Doch diesmal hat ihm Kevin Kühnert den Schneid abgekauft. Denn der hat auch eine Idee, die er in der heute erscheinenden "Zeit" erklärt: Herr Kühnert möchte deutsche Unternehmen kollektivieren. "Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar", sagt er. Was er meint, illustriert er am Beispiel BMW: "Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW 'staatlicher Automobilbetrieb' steht oder 'genossenschaftlicher Automobilbetrieb' oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht." Entscheidend sei, dass die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werde. "Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebes gibt."

Auch Vermieter sind nicht vor Herrn Kühnert sicher: Sozialismus bedeute im "Optimalfall", dass es keine privaten Vermietungen mehr gebe, weiß er. "Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Konsequent zu Ende gedacht, sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt."

Leider verrät uns Herr Lenin, Pardon, Kühnert nicht, ob seine Ansichten auf Kenntnis des Grundgesetzes und des Öffentlichen Rechts basieren oder ob er sie nach einem Blick ins "Kommunistische Manifest" gewonnen hat. Wobei, genug Zeit für dessen Lektüre hätte er nach seinem abgebrochenen Studium eigentlich gehabt. In der SPD jedenfalls genießt Kühnert eine Stellung, die nicht schwächer ist als die der schwachen Vorsitzenden. Gelingt es dem Juso-Chef, seine sozialrevolutionären Vorstellungen durchzusetzen, macht die SPD einen Purzelbaum zurück in die Fünfzigerjahre, in die Zeit vor ihrem Godesberger Programm. Das wäre dann der Moment, in dem sie sich endgültig als Volkspartei verabschiedet. Lenin wäre stolz auf sie.

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Stellen Sie sich bitte für einen Moment vor, ein junger Mensch in Ihrer Familie würde flügge und sich für einen Beruf entscheiden. "Maler", hören Sie, will der Nachwuchs werden. Nein, nicht das bodenständige Handwerk, sondern die brotlose Kunst soll es sein. Die Begeisterung von Eltern und Verwandtschaft dürfte sich in Grenzen halten.

So ändern sich die Zeiten. Das wohl größte Universalgenie der Menschheitsgeschichte, ein Mann, der heute vor 500 Jahren gestorben ist, war erst einmal genau das: Maler und Zeichner. Aber auch Ingenieur, Erfinder, Erforscher der menschlichen Anatomie, Naturwissenschaftler, technologischer Visionär, die Liste ließe sich fortsetzen. Sie werden in den kommenden Tagen sicher noch viel über ihn und seine Werke hören, von denen manche wirklich jeder kennt: die Mona Lisa zum Beispiel oder den Vitruvianischen Menschen mit dem goldenen Schnitt. Zugleich ist den wissenschaftlichen Errungenschaften des Meisters eine eigene Wikipedia-Seite gewidmet, auf der Sie vielleicht einfach mal nach unten scrollen mögen. Dauert eine Weile. Eine Ausstellung in Tübingen zeigt Nachbauten seiner Erfindungen.

Interdisziplinäres Arbeiten nennt man das heutzutage. Mit Leonardo da Vinci wandelte dieses Prinzip auf zwei Beinen durch die Renaissance. Nun hebt das Getöse der Feierlichkeiten zu seinem runden Todestag an, und die Lobgesänge auf sein Genie sind allerorten zu hören. Sobald sie verklungen sind, machen wir die kleinen Schubladen unserer Zeit aber wieder auf. Hier die IT-Fakultäten, die dringend ausgebaut gehören. Dort die Geisteswissenschaften, die "Was-willst-du-denn-damit-mal-machen?"-Studiengänge, und vom Künstlerdasein wollen wir gar nicht erst anfangen. Dass kreatives Denken seine Quellen in beidem hat, dass ein Meister wie da Vinci aus den Schmalspurschmieden zweckgerichteter Bildung kaum hätte hervorgehen können: Dieses Wissen ist unserer Wissensgesellschaft verloren gegangen. Ein bisschen Renaissance könnte uns also nicht schaden. Dann würden bei der Berufswahl die Verwandten auch nicht so pikiert gucken.


WAS LESEN?

Carole Cadwalladr ist für viele Menschen eine Heldin. Die Investigativjournalistin des britischen "Observer" hat aufgedeckt, wie Facebook während des Brexits half, Verschwörungstheorien und Gerüchte zu verbreiten, Nationalismus zu schüren und demokratische Prozesse zu beschädigen. In einem Vortrag berichtete sie eindrucksvoll von ihren Erkenntnissen (hier ist die Aufnahme). Wenn Sie die verdaut haben, mögen Sie sich vielleicht einige Minuten des Gesprächs zu Gemüte führen, das Facebook-Chef Mark Zuckerberg soeben mit dem Historiker Yuval Noah Harari geführt hat. Klicken Sie dazu bitte hier und springen Sie zu Minute 20. Sie werden feststellen: Der Herrscher über die mächtigste Kommunikationsmaschine der Welt, der vollmundig einen "Neuanfang" beim Datenschutz verspricht, hat keinerlei Problembewusstsein. Exakt gar keines. Was daraus für Ihre eigene Facebook-Nutzung folgt? Das entscheiden Sie selbst.


Die Studie der Uni Bremen hat es in sich: Eine Agrarlobby im Bundestag und im EU-Parlament verhindere systematisch eine bessere Politik zum Wohle von Umwelt, Tieren und Verbrauchern – so der Vorwurf der Autoren. Doch das Papier ist umstritten. Also hat mein Kollege David Ruch nachgefragt: Hat die Agrarlobby wirklich zu viel Einfluss auf die Politik?


WAS AMÜSIERT MICH?

Warum tut die Bundesregierung nicht mehr gegen die Klimakrise? Ach so:

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Und uns allen wünsche ich, dass wir mehr gegen die Klimakrise tun. Ist gar nicht so schwer – siehe oben.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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