Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Deutschlands Sicherheit wird in der Sahelzone verteidigt
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
wenn Sie mir einen Gefallen tun möchten, dann nehmen Sie sich bitte eine Minute Zeit für eine Umfrage: Meine Kollegen möchten gern herausfinden, wie sich die Leserschaft des Tagesanbruch zusammensetzt, alles anonym natürlich. Hier entlang bitte.
Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
In vier Wochen ist Europawahl, im politischen Berlin wächst die Nervosität. Da schreien manche sofort "Koalitionsbruch!", wenn die CDU eine Klausurtagung ansetzt. Bei dem Treffen nach der Europa- und der Bremen-Wahl könne ja vielleicht eventuell möglicherweise wer weiß schon Annegret Kramp-Karrenbauers Machtübernahme vorbereitet werden. Jedenfalls wenn die Union viele Stimmen verliere und die SPD obendrein, denn die verliere ja eh immer. Dann werde nämlich der Unmut in der CDU so groß, dass endlich was geschehen müsse, und hey, dann müsse sie doch endlich abtreten, die Merkel.
So spinnt in diesen Tagen mancher seine Gedanken, doch sind das derzeit nicht viel mehr als Hirngespinste. Kanzlerin Merkel macht bisher keinerlei Anstalten, ihr Amt an den Nagel zu hängen, an den sie schon den Parteivorsitz gehängt hat. Sie ist entschlossen, noch eine ganze Weile weiterzumachen – wenn man sie lässt.
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Und das ist der Schlüssel. Noch hat die Kanzlerin sowohl in der Union als auch in der SPD viele Anhänger (oder zumindest Dulder). Ihrer selbst ernannten Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer mag das Respekt abnötigen, gefallen kann es ihr eigentlich nicht. Es wäre viel leichter, mit einem Amtsbonus in die Neuwahlen zu gehen statt als Newcomerin. Hinzu kommt, dass ihre Umfragewerte seit ihrer Wahl zur CDU-Chefin nicht wachsen, sondern fallen. So gesehen läuft der ehrgeizigen Saarländerin die Zeit weg. Am Zaun des Kanzleramts rütteln wie weiland der Gerd wird sie eher nicht – aber war es wirklich so klug von ihr, einen streng konservativen, fast reaktionär anmutenden Kurs einzuschlagen? Ich habe da so meine Zweifel, lasse mich aber gern von unserer Politikchefin Tatjana Heid bekehren. In ihrem Videokommentar erklärt sie schlüssig, warum die CDU-Vorsitzende ziemlich viel ziemlich richtig gemacht hat.
Quelle: Statista
WAS STEHT AN?
Deutschlands Sicherheit wird auch in der Sahelzone verteidigt: So lässt sich in Abwandlung eines Zitats des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck die Lage zusammenfassen, der sich die Bundesregierung gegenwärtig in Afrika gegenübersieht. Die sogenannten G5-Sahel-Staaten – Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad – drohen aufgrund zunehmender Instabilität zum akuten Sicherheitsrisiko für Europa zu werden. Die Liste ihrer Probleme ist lang:
Schlimme Armut, wenig Bodenschätze und eine schwache Wirtschaft. Die meisten Menschen arbeiten in der Landwirtschaft, die durch Dürren und andere Folgen des Klimawandels geschädigt wird. Viele Bürger sind Analphabeten, Frauen haben wenig Rechte. Die staatlichen Strukturen sind schwach, die Bevölkerung wächst rapide. Im Niger, wo Frauen durchschnittlich sechs bis sieben Kinder bekommen, liegt das Wachstum mit vier Prozent an der Weltspitze.
Hinzu kommen massive Sicherheitsprobleme: Zahlreiche Terrorgruppen, darunter Ableger von al-Qaida und IS, breiten sich aus und verschärfen die Konflikte zwischen Ethnien und Religionen. Die Extremisten starten ihre Angriffe oft auf Motorrädern, binnen fünf Monaten wurden bei Kämpfen in Burkina Faso, Mali und Niger mehr als 2.000 Zivilisten getötet.
Über ganze Landstriche haben die Regierungen die Kontrolle längst verloren. Warlords, Terrorpaten und Schleuser machen sich breit, was eine Geißel für die Menschen vor Ort ist – und zunehmend auch für uns Europäer zur Gefahr wird. Deutsche Sicherheitsbehörden warnen, dass die bisherigen Anstrengungen, darunter Entwicklungshilfe und der Bundeswehreinsatz in Mali, nicht ausreichen. Erstarken die Terroristen, wächst auch die Gefahr von Anschlägen in Europa. Werden die G5-Länder zu "failed states", bekommen wir womöglich ein zweites Afghanistan – quasi direkt vor unserer Haustür.
Auch die Entwicklung der Migration bereitet deutschen Sicherheitsbehörden Sorgen. Die Italiener haben zwar ihre Häfen für Flüchtlingsboote geschlossen – aber das Problem dadurch nicht gelöst, sondern nur verlagert: Die Fluchtrouten laufen nun seltener über Libyen, aber häufiger über Marokko. Dabei etabliert sich eine neue Route: Immer mehr Migranten reisen, häufig von nigerianischen Schlepperbanden gelotst, über Niger, Mali oder Mauretanien Richtung Casablanca. In der marokkanischen Hafenstadt besteigen sie ein Flugzeug nach Istanbul und machen sich dann auf den Weg über den Balkan Richtung EU. Rund 60 Prozent der Migration läuft inzwischen über die Balkanroute, und die Türkei ist dabei trotz Merkels Deal mit Erdogan das wichtigste "Drehkreuz".
Das ist der Hintergrund, vor dem Angela Merkel morgen zu einer dreitägigen Reise nach Burkina Faso, Mali und Niger aufbricht. Die Bundeskanzlerin war schon mehrfach in der Region; sie möchte dabei helfen, die Staaten zu stabilisieren. Sie spricht mit den Präsidenten Kaboré, Keita und Issoufou, trifft Studenten und Vertreter der Zivilgesellschaft, lässt sich die Polizeiarbeit zeigen und besucht Bundeswehrsoldaten. Besonderes Augenmerk verdient die von den G5-Staaten aufgestellte Militärtruppe Force Conjointe: Unterstützt mit deutschem und europäischem Geld soll sie die Landesgrenzen kontrollieren und Terroristen bekämpfen – was ihr bisher aber kaum gelingt.
Auch deshalb ist der Besuch der Kanzlerin so wichtig: Als Signal, dass Deutschland den strauchelnden Staaten zur Seite steht. Und als freundliche Aufforderung, im Bemühen um mehr Stabilität nicht nachzulassen. Denn Deutschlands Sicherheit wird auch in der Sahelzone verteidigt.
Der Tag der Arbeit ist kein Arbeitstag. Sondern ein Sofa-Tag. Oder vielleicht ein Garten-Tag? So oder so wird morgen eine satte Gesellschaft in die Polster sinken. Vor 100 Jahren hatte die Weimarer Nationalversammlung zum ersten Mal den Tag der Arbeit zum Feiertag geadelt, ihn "dem Gedenken des Weltfriedens, des Völkerbundes und des internationalen Arbeiterschutzes geweiht" und für ihn den "Character eines Weltfeiertages erstrebt". Puh, klingt irgendwie anstrengend und echt lange her. Uns geht es doch so gut jetzt. Noch jemand ein Gläschen?
Nun könnte man sich, wenn man morgen behäbig vom Nachmittagsbierchen aufblickt und die Gedanken schweifen lässt, an die hässlichen neumodischen Worte erinnern, die ab und zu die Runde machen. Gig Economy zum Beispiel. Das ist eine Vorhölle von Wegwerfjobs aus dem Internet, wo sich Leute vom einen Mikroverdienst zum nächsten hangeln und von Urlaubsgeld und Arbeitgeberanteil nur träumen können. Oder uns kommen all jene in den Sinn, die am unteren Ende der marktwirtschaftlichen Verwertungskette schuften, Paketzusteller zum Beispiel. Vielleicht driften die unerfreulichen Gedanken weiter zu internationalen Giganten wie Amazon, für die Arbeitnehmer mit A anfängt und Ameise interessanterweise auch. Die sich selbstverständlich an das Arbeitsrecht halten und dabei insbesondere dessen Untergrenzen ausloten. Eigentlich würden wir auf unserem Sofa an dieser Stelle lieber wegdösen. Wäre angenehmer. Aber wenn es bröckelt an den Rändern der sozialen Marktwirtschaft, wäre dann die Zeit des Sofahockens nicht eigentlich vorbei?
Apropos Wirtschaft: Was macht ein Manager, der mehr als 50 Milliarden Euro Kapital vernichtet hat? Er macht einfach weiter. Jedenfalls im DAX-Unternehmen Bayer. Dessen Chef Werner Baumann hat mit dem Segen des Aufsichtsrats den amerikanischen Monsanto-Konzern für viele Milliarden übernommen und dabei enorme Risiken mitgekauft: Mehr als 13.000 Klagen sind allein in den USA gegen Monsanto anhängig, weil dessen Herbizid Glyphosat möglicherweise Krebs erregt. Bayers Aktienkurs stürzte um fast 40 Prozent in den Keller, auf der Hauptversammlung verweigerten Groß- und Kleinaktionäre Baumann deshalb die Entlastung. Ein bisher einmaliger Vorgang in einem DAX-Unternehmen.
Nachdem der Rauch verzogen ist, liest man nun vielerorts: Ja, das sei ein Dämpfer für den Unglücksraben, aber nein, das werde ihn nicht den Job kosten. Es sei schlicht zu riskant, einem neuen Chef die vertrackten Details der Monsanto-Integration zu übertragen. Lieber solle er den Schlamassel selbst aufräumen. Da wird der Wunsch zum Vater des Gedankens. Selten war ein Argument so fadenscheinig. Es unterschätzt den Ärger der Aktionäre und die Skepsis in der Branche: Wer will denn noch mit einem Vorstand Geschäfte machen, der das Vertrauen seiner Eigentümer verloren hat? Richtig, das kann nicht lange gut gehen. Der Chemie-Boss hat seine Karriere selbst vergiftet.
Was fehlt noch? Genau, der Brexit! Im britischen Dauerdrama steht die nächste entscheidende Woche an: Premierministerin Theresa May soll der EU die Ergebnisse ihrer Verhandlungen mit der Labour-Opposition mitteilen. Ihre Mitteilung könnte allerdings sehr kurz ausfallen, erklärt unser Brexit-Experte Stefan Rook.
WAS LESEN?
Irre Geschichte, die mein Kollege Patrick Diekmann da ausgegraben, Pardon, an Land gezogen hat: Fischer in Norwegen schlugen Alarm – ein Wal behinderte ihre Boote. Sie setzten das Tier fest und entdecken ein auffälliges Geschirr. Offenbar hatten sie einen russischen Spion geangelt.
Vergangene Woche habe ich versucht, Chinas Expansionspläne als Motor für die Weltwirtschaft zu deuten. Man kann darin aber auch etwas anderes sehen: beinharten Imperialismus.So erklärt unser Außenpolitikexperte Gerhard Spörl Chinas Politik.
Lügen, Diffamierungen, Hass: Bei den Wahlen in Brasilien und Indien waren Desinformationskampagnen via WhatsApp ein wichtiger Hebel – und nun offenbar auch in Spanien. "Es wäre ein Wunder, wenn dieser Trend nicht auch nach Deutschland schwappt", sagt mein Kollege Jan-Henrik Wiebe,der Ihnen dazu diesen Text empfiehlt.
WAS AMÜSIERT MICH?
Was hat VW mit dem 1. Mai zu tun – nix? Von wegen!
Ich wünsche Ihnen einen frohen Tag und einen friedlichen 1. Mai.
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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