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Tagesanbruch: Das Internet braucht einen neuen Vertrag


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Was heute wichtig ist
Wir müssen auf unser Internet aufpassen

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

12.03.2019Lesedauer: 5 Min.
Demonstration zum neuen Urheberrecht.Vergrößern des Bildes
Demonstration zum neuen Urheberrecht. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier kommt der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Ich erzähle Ihnen heute von einer Idee, die mich schon lange fasziniert. Sie ist 30 Jahre alt und entstand in der Nähe von Genf. Ihr Erfinder nannte sie "Mesh". Sie sollte kostenlos und für jedermann frei zugänglich sein. Sie sollte Menschen und Ideen verbinden, zu mehr Gleichheit und Freiheit führen. Zunächst fehlte das Geld, die Idee umzusetzen. Doch der Mann hinter der Idee ist ein konsequenter Visionär. Deshalb setzte er "Mesh" ohne eine Finanzierung im Alleingang um.

Heute nutzen die Technologie mehr als vier Milliarden Menschen. Es handelt sich um das World Wide Web, wie "Mesh" heute heißt. Sein Erfinder Tim Berners-Lee ist Idealist. Er will, dass das WWW offen, transparent und vielfältig ist. Geld verdienen will er damit nicht. Außerdem soll es frei von staatlicher Einflussnahme sein. Im WWW versammeln sich deshalb in den ersten Jahren neben Wissenschaftlern viele weitere Idealisten, auch hierzulande.

Und heute? Während der 30. Geburtstag des WWW gefeiert wird, findet im texanischen Austin die weltweit größte Internetkonferenz statt. Auch South by Southwest (SxSW) ist ein Ort für Idealisten. Wo normalerweise Innovationen des Internets gefeiert werden, fallen in diesem Jahr aber auch Begriffe wie "Zerschlagung", "Digitalsteuer" und "Regulierung". EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager erzählt unter Beifall von Milliardenstrafen der EU-Kommission. Und die amerikanische Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren fordert die Zerschlagung von Unternehmen. Von Internetkonzernen.

Was ist passiert? Was ist in den vergangenen 30 Jahren schiefgelaufen? Drei Eigenschaften des WWW machen uns heute zu schaffen.

Erstens: Es ist neutral, ein Werkzeug mit dem Gutes und Schlechtes machbar ist. Es ermöglichte den "arabischen Frühling", genauso wie russische Propaganda. Wir können als 16-jährige Klimaaktivistin Hunderttausende Unterstützer finden. Oder als Geheimdienst Millionen von Menschen ausspionieren. Berners-Lee dachte als Idealist aber nicht an die schlechte Seite. Daran, dass sein WWW auch missbraucht werden kann. Von Unternehmen, von Staaten, von Gaunern.

Zweitens: Wenn alles mit allem verlinkt wird, lösen sich physische Orte auf. Wir benötigen keine CDs oder DVDs mehr, wenn Musik und Filme überall verfügbar sind. Zeitungen verkaufen sich nicht mehr, wenn Informationen im Überfluss vorhanden sind. Es gibt keine Konkurrenz zwischen Händlern mehr, wenn ein Großhändler (Amazon) überall verfügbar ist. Weil Konsumenten global von den besten Angeboten angezogen werden, entstehen neue Monopole wie Google, Facebook, Paypal, Amazon.

Drittens: Die Vielzahl der verfügbaren Informationen und die Geschwindigkeit ihrer Verbreitung wird zur Herausforderung an sich. Sie überfordert Menschen, überfordert Gesetzgebung und Gerichte.

Ein Beispiel für die komplexe Problematik ist die aktuell geführte Debatte über das neue Urheberrecht. Politiker wollen mit Uploadfiltern Recht durchsetzen. Delegieren damit Rechtsprechung an Privatfirmen. Doch die vermeintliche Lösung bedroht zugleich die 30 Jahre alte Idee von Berners-Lee. Vielfalt und Freiheit sind akut gefährdet.

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Zum dreißigsten Geburtstag des WWW bleibt deshalb nicht viel mehr als eine Zwischenbilanz. Weil wir inmitten einer Entwicklung stehen, können wir kaum absehen, was noch geschehen wird. So vielfältig, wie Berners-Lee sich das WWW erhofft hat, sind auch die Herausforderungen, die es mit sich bringt.

Der Philosoph Thomas Hobbes beschrieb einmal den Urzustand der Menschheit als einen "Krieg aller gegen alle", der durch einen (fiktiven) Gesellschaftsvertrag beendet wurde. Laut Hobbes existieren menschliche Gemeinschaften, weil alle davon profitieren. Seine Prämisse: Alle müssen diesen Vertrag (fiktiv) unterschrieben haben. Das Internet braucht womöglich einen neuen Gesellschaftsvertrag. Mit Regeln, die erst noch gefunden werden müssen. Weil das Netz anderen organisatorischen Gesetzmäßigkeiten folgt als Nationalstaaten.


WAS STEHT AN?

Noch so ein Vertrag.

Nur wenige Stunden vor der heutigen Abstimmung im Londoner Parlament verkündete die britische Regierung in der Nacht einen Durchbruch bei den Gesprächen mit der Europäischen Union. Was Theresa May lange erbeten hat, wird nun Realität. Eine rechtlich verbindliche Erklärung soll das Brexit-Abkommen ergänzen. Dabei geht es um den Backstop, dem wichtigsten Knackpunkt.

Bis 2020 will man einen Ersatz für die Notlösung zum Backstop finden, dann könnte Großbritannien auch die Zollunion mit der EU verlassen. Zudem soll eine weitere Erklärung Großbritannien das Recht einräumen, den Backstop auszusetzen, wenn die EU ihre Pflichten verletzt.

Der Tweet von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Einigung ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten. Freundlich ist er nicht. Vor Journalisten sagte Juncker: "Es wird keine dritte Chance geben."

Noch mal kann May also nicht ankommen. Allein schon, weil die Zeit für weitere Verhandlungen fehlt.

Deal or no Deal? Ob der Kompromiss Theresa May eine Mehrheit verschafft, sehen wir heute im Londoner Parlament. Akt eins von drei steht auf der Tagesordnung. Wie bitte? Wenn Sie die Übersicht verloren haben, sind Sie in guter Gesellschaft. Unsere Grafiker haben versucht, Ordnung ins Brexit-Chaos zu bringen. Und die Kollegen der Politikredaktion erklären heute Morgen das Prozedere.


Wer der Meldungen aus Großbritannien müde geworden ist: Etwas weniger im Scheinwerferlicht diskutieren die Vereinten Nationen in Nairobi über die Zukunft des Planeten. Es geht um einen der wichtigsten Feinde der Natur. Den Müll. Einigung nicht ausgeschlossen.

In Venezuela steuert der Machtkampf zwischen Präsident Nicolas Maduro und dem selbst ernannten Interimspräsident Juan Guaidó auf eine Entscheidung zu. Der Grund ist simpel: Seit fünf Tagen ist ein Teil des Landes ohne Strom, und Maduro ist offenbar nicht in der Lage, das zu ändern. Das von Guaidó geführte Parlament hat nun den Notstand ausgerufen. Doch damit ist die Machtfrage nicht entschieden. Das Militär unterstützt Maduro, das Volk ist bei Guaidó. Patt.


WAS LESEN?

Erstaunliche Zahlen hat die "New York Times" veröffentlicht. Die US-Regierung investiert offenbar unbemerkt in einen immer größer angelegten Militäreinsatz in Somalia. Im Kampf gegen die terroristische Al-Schabab-Miliz flog die US-Luftwaffe laut "NYT" in den vergangenen beiden Monaten 25 Einsätze, bei denen 225 Menschen getötet wurden. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2018 gab es 47 solcher Einsätze, mit 326 Toten. Die "New York Times" fragt nun nach der Strategie. US-Präsident Donald Trump wollte doch eigentlich weniger in Auslandseinsätze investieren.

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Noch ein Land, dessen Leid man von Deutschland aus nur erahnen kann. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie es den Menschen in Venezuela geht, hat die britische BBC die Krise in neun Infografiken zusammengefasst. Ein Teaser: Die Inflationsrate lässt sich in Prozent kaum noch ausdrücken.


WAS BEGEISTERT MICH?

Sturm "Eberhard" hat in großen Teilen Deutschlands für erhebliche Schäden gesorgt. Millionen Menschen sind betroffen. Doch in all dem Chaos gibt es auch zwei erfreuliche Nachrichten: In München ging ein Einsatz der Feuerwehr glimpflich aus. Die Einsatzkräfte konnten fünf Eichhörnchen-Babys vor dem Absturz retten. In Bremerhaven konnte die Feuerwehr eine Katze und sein Herrchen befreien. Das Haustier war aus dem vierten Stock auf ein Dach geklettert, der 25-jährige Katzenhalter hinterher. Dort saßen beide im Sturm fest – bis die Feuerwehr kam und sie retten konnte.

Am anderen Ende der Welt eine ähnlich tierische Geschichte: In Südafrika ist ein deutscher Tauchlehrer von einem Wal verschluckt worden. In Todesangst hielt er die Luft an. Der Wal aber war offenbar genauso entsetzt – und spuckte den 51-Jährigen wieder aus. Der überlebte unverletzt. Ein Freund hielt das Unfassbare im Video fest.

Und zu guter Letzt: Bitte einmal gut festhalten. In Ingolstadt haben Verkehrsminister Andreas Scheuer und Digital-Staatsministerin Dorothee Bär das erste Flugtaxi vorgestellt.

Die Drohne soll autonom (also ohne Pilot) fliegend bis zu vier Passagiere transportieren. Doch zur Präsentation kam die Drohne per Tieflader – denn die Testphase beginnt erst jetzt. Frühestens 2025 wird die Drohne erste Passagiere transportieren. Oder wie Scheuer in Ingolstadt sagte: "Schaut ziemlich cool aus, jetzt muss er nur noch fliegen."

So denn. Ich wünsche Ihnen einen ausgeruhten Tag.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @peterschink

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