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Tagesanbruch: Warum manche Politiker Nachhilfe brauchen


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Was heute wichtig ist
Die digitalen Kleingeister

MeinungVon Florian Harms

06.03.2019Lesedauer: 6 Min.
Manfred Weber.Vergrößern des Bildes
Manfred Weber. (Quelle: imago)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Gerhard Spörl saß gerade in einer Bilanzpressekonferenz, als die Nachricht vom Tod des früheren Justiz- und Außenministers Klaus Kinkel hereinplatzte. Unsere erste Reaktion im Newsroom war: Den Nachruf muss Gerhard schreiben! Keiner kann Wesen und Wirkung großer Politiker so gut erspüren und zu Papier bringen wie er. Genau das hat er dann auch getan, und zwar binnen Minuten: In Ermangelung eines Laptops notierte unser Kolumnist seinen Text mit dem Kugelschreiber auf drei Seiten Papier und schickte sie uns per SMS. Meinem Kollegen Patrick Diekmann kam die verdienstvolle Aufgabe zu, sie abzutippen. Hat sich gelohnt, finde ich.

Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger würdigt in einem persönlichen Nachruf Kinkels Verdienste im Umgang mit der RAF: "Um die andauernde Gewaltspirale zu durchbrechen startete er eine der wichtigsten politischen Initiativen der Nachkriegszeit. So wurden einige RAF-Inhaftierte, die der Gewalt entsagten, aus der Haft entlassen und weiteren Häftlingen eine Aussicht auf Resozialisierung ermöglicht."

Versöhnung statt Härte: Mit diesem Kurs hat Klaus Kinkel wesentlich zur Entschärfung des RAF-Terrors beigetragen. Dazu passte auch die begleitende Operation des Bundesverfassungsschutzes, der einen Agenten mit dem Decknamen "Hans Benz" auf untergetauchte RAF-Mitglieder ansetzte, um sie zurück in die Legalität zu schleusen. Während meiner Studienzeit lernte ich einen dieser RAF-Aussteiger kennen. Er war jahrelang im Ausland gewesen, hatte sich nach seiner Aussage aber nichts Gravierendes zuschulden kommen lassen und konnte nun mithilfe von "Hans Benz" nach Deutschland zurückkehren. Nach seinem Verfahren nahm er ein Studium auf und war ein friedliebender, netter Familienmensch. Klaus Kinkel mag nicht direkt in die Verfassungsschutzaktion involviert gewesen sein, aber seine Initiative ebnete ihr den Weg. Er verstand, dass sich der Terror nicht nur mit Strafverfolgung und Druck besiegen ließ, sondern dass der Staat zugleich den vielen Aussteige- und Aussagebereiten in der RAF die Hand reichen musste, um den Kampfgeist und den Mythos der Gruppe zu brechen. Das ist ein großer Verdienst.


WAS STEHT AN?

Die Europäische Union ist eine großartige Errungenschaft – aber ihre Beamten und politischen Vertreter sind oft Kleingeister. Das beweisen sie einmal mehr beim sogenannten "europäischen Leistungsschutzrecht". Sie geben vor, die Interessen von Künstlern und Verlagen zu schützen, de facto beschneiden sie die Kreativität des freien Internets genauso wie die Gestaltungsmöglichkeiten digitaler Unternehmen. Konkret kann das dazu führen, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie beispielsweise auf Google Informationen suchen, künftig mit nichtssagenden Ergebnissen abgespeist werden – und dass Sie Artikel von Nachrichtenseiten wie t-online.de dort viel schlechter finden werden. So könnten Google-News-Ergebnisse aussehen, wenn das sogenannte "Leistungsschutzrecht" tatsächlich eingeführt wird:

Von einem "Rohrkrepierer" sprechen Kritikerauch deshalb, weil die sogenannte "Reform" das Hochladen und Teilen von Fotos, Videos, Grafiken auf YouTube, Facebook, Twitter und Co. massiv erschweren würde. Treibende Kraft bei dem Vorhaben sind CDU und CSU, also zwei Parteien, in denen man digitale Kompetenz mit der Lupe suchen muss. Zu einem der obersten Leistungsschutzverfechter schwingt sich Manfred Weber auf, der CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl. Ihm und seinen Parteifreunden schlägt nun die Wut einer ganzen Generation entgegen: Büros von EU-Abgeordneten werden mit wütenden Zuschriften und Anrufen junger Wähler bombardiert, gestern Abend demonstrierten Tausende Menschen vor CDU-Geschäftsstellen. Für den 23. März, kurz vor der entscheidenden Abstimmung im EU-Parlament, sind bundesweite Proteste angekündigt. Verständlich. Wenn Politiker die digitale Welt nicht verstehen, brauchen sie eben Nachhilfe von jenen, die sich täglich in ihr aufhalten.


Markus Söder, Olaf Scholz, Annegret Kramp-Karrenbauer, Annalena Baerbock, Jörg Meuthen, Katarina Barley, Nicola Beer, Robert Habeck, Ralph Brinkhaus und viele, viele Spitzenpolitiker mehr werden uns heute mit launigen Reden zum Politischen Aschermittwoch beglücken. Da wird ausgeteilt, gespottet und auch mal über die Stränge geschlagen. Motto: Die anderen sind Schufte, aber wir sind dufte. Das kann man mögen oder man kann es lassen.

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Und man kann eine Wette abschließen: Wetten, dass keiner der Genannten heute über die Gründe für die erstaunliche Entwicklung des Bundeshaushalts sprechen wird? Jahrelang ist das Steuergeld in den Staatssäckel geprasselt, jahrelang haben die Regierenden einen eisernen Sparkurs gepredigt. Wie kann es dann sein, dass im Haushalt trotzdem ein Milliardenloch klafft, das größer und größer wird? Wie kann es sein, dass die Staatsverschuldung heute deutlich höher ist als vor zehn Jahren? Es hat einen einfachen Grund, erklärt unser Autor Daniel Stelter in seinem schmissigen Gastbeitrag: Das Geld wurde nicht gespart und nicht durch Steuersenkungen an die Bürger zurückgegeben, sondern umverteilt – in Rentenprojekte, Krankenversicherung, Energiewende und Migration. Nicht so dufte.


Viel dürfte dagegen auch heute noch über die europapolitischen Ideen Emmanuel Macrons diskutiert werden. Nüchtern, realistisch, aber auch ein wenig verhuscht, wie es hierzulande Usus ist. Die Franzosen haben Visionen, die Deutschen haben Bedenken. Legt man beides übereinander, müsste eigentlich etwas Produktives dabei herauskommen, oder? Deshalb ist es wichtig, dass die Debatte weitergeht. CDU-Außenpolitikexperte Norbert Röttgen macht in einem Gastbeitrag auf t-online.de den Anfang, unser Parlamentsreporter Jonas Schaible liefert die Einordnung.

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Im Handelsstreit zwischen Amerika und China sieht es nach einer baldigen Einigung aus – auch zwischen Europa und den USA? Heute hat EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in Washington eine Audienz. Sie wird versuchen, Strafzölle auf europäische Autos zu verhindern.


Eine unabhängige Kommission veröffentlicht heute in Berlin ihre Fallstudie "Sexueller Kindesmissbrauch in Institutionen und Familien in der DDR". Mehr dazu hier.


WORÜBER FREUEN?

Regelmäßig schreibe ich im Tagesanbruch über das Leid der Menschen im Nahen Osten. Heute schreibe ich über einen Hoffnungsschimmer. Er heißt Bait al-Shams, was auf Arabisch "Haus der Sonne" bedeutet, und ist ein bemerkenswertes Projekt: Gemeinsam mit einer Handvoll Unterstützern hat eine Hamburger Mutter im palästinensischen Flüchtlingslager Schatila in Beirut einen Waldorf-Kindergarten errichtet, in dem fast 60 Kinder palästinensischer und syrischer Flüchtlinge behütet spielen und lernen können. "In den Kindergärten, in den Schulen und in den Familien herrscht hier oft Gewalt, Druck und Zwang, gerade wenn es um Bildung geht", berichtet Wiebke Eden-Fleig. "Daran wollte ich etwas ändern, den Spaß der Kinder am Lernen fördern, und dies mit den Eltern zusammen. Bildungseinrichtungen können hier auffangen, was psychisch selbst enorm belastete Eltern nur schwer können. Der Kindergarten bietet ganzheitliche und gewaltfreie frühkindliche Erziehung an." Mit ihrem Verein Just Childhood möchte sie ihr Engagement nun ausweiten und einen zweiten Kindergarten im Flüchtlingslager Wavel in Baalbek übernehmen, der mehr als 200 Kindern einen sicheren Platz zum Spielen und Lernen bieten soll. Noch ein Hoffnungsschimmer in einem geschundenen Land.


WAS LESEN?

Stellen Sie sich bitte einen 14-jährigen Jungen vor. Er heißt Jackson Oswalt, wohnt in Memphis und hat … in seinem Kinderzimmer einen Kernreaktor gebaut. Doch, einen Kernreaktor. Ja, einen echten. Er ist wahrscheinlich der jüngste Mensch, dem je eine Kernfusion geglückt ist. "Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich in der Lage bin, wissenschaftliche Projekte erfolgreich durchzuführen", erzählte er meiner Kollegin Imke Gerriets. "Ich habe das ganz allein geschafft." Verblüffend – aber wie hat er das gemacht? Das hat er uns ebenso verraten wie das, was er als Nächstes plant.


Teure Mieten, fehlende Behausungen: Deutschland erlebt eine Wohnraumkrise. Auch viele Politiker halten dies für das wichtigste Problem des Landes – trotzdem kommt der Wohnungsbau nicht voran, weder in der Stadt noch auf dem Land. Woran liegt's? Unsere Wirtschaftsexpertin Ursula Weidenfeld weiß Bescheid.


WAS AMÜSIERT MICH?

An der Wand hängt ein Portrait. So weit, so normal. Ein Männergesicht, nicht besonders filigran, aber es scheint eine besondere Tiefe zu haben. Begeben wir uns also hinein in das Kunstwerk, tauchen wir ein in das Werk. Nein, ich schreibe mich hier nicht für die Sätze im Museumskatalog warm. Ich meine es wörtlich: Begeben wir uns hinein.

Ich wünsche Ihnen einen überraschend schönen Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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