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Tagesanbruch: Der verlängerte Arm des Kreml in Deutschland


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 22.10.2018Lesedauer: 8 Min.
Setzt auf Propaganda im Verborgenen: Russlands Präsident Wladimir Putin.Vergrößern des Bildes
Setzt auf Propaganda im Verborgenen: Russlands Präsident Wladimir Putin. (Quelle: Alexei Druzhinin/POOL SPUTNIK KREMLIN/dpa)
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WAS WAR?

Propaganda: Bei diesem Wort denken viele Menschen an kämpferische Parolen, leicht durchschaubare Behauptungen, plakative Lügen. Aber die Propaganda unserer Tage macht es uns nicht so leicht, sie zu entlarven. Die Chefs vieler Staaten versuchen, zur Mehrung ihrer Macht die Bevölkerungen anderer Länder zu beeinflussen, erst recht im Konfliktfall. Die Unterschiede zwischen Diktaturen wie China, Autokratien wie der Türkei und sendungsbewussten Demokratien wie den USA sind da eher diffus als klar.

Tatsächlich schwer als Indoktrination erkennbar ist, was uns aus Osteuropa erreicht: Die russische Propaganda findet im Verborgenen statt, und sie begegnet (oder sollte ich sagen: unterminiert?) uns mit einer Raffinesse, die ihresgleichen sucht. "Desinformazia" nennt der russische Geheimdienst seine Strategie, die Bevölkerungen westlicher Länder "durch eine geschickte Mischung aus Lügen, Halbwahrheiten und selektiver Hervorhebung von tatsächlichen Geschehnissen" zu beeinflussen, wie die Autoren Constanze Kurz und Frank Rieger in ihrem Buch "Cyberwar" schreiben. Das dahinter stehende Ziel scheint klar: Der Kreml versucht, die Nato, die EU und einzelne Länder wie die USA und Deutschland zu destabilisieren, um deren Stellung in der Welt zu schwächen und die eigene Macht auszuweiten.

So funktioniert Propaganda seit Jahrzehnten – aber die heutigen russischen Methoden sind ungleich subtiler als früher: Das Kampfgebiet sind die sozialen Netzwerke im Internet, Facebook, Twitter, YouTube und Co., und dort sind die Botschaften so raffiniert versteckt, dass viele Menschen hierzulande sie nur mit Mühe oder gar nicht erkennen. Mal begegnet uns die Indoktrination als Wut über Merkels Flüchtlingspolitik, mal als vermeintlicher Feminismus – und seit Neuestem auch ins Mäntelchen linker Kapitalismuskritik und ökologischer Weltverbesserung gewandet.

Mein Kollege Jan-Henrik Wiebe hat vergangenen Freitag in einer exklusiven Recherche gezeigt, wie die russische Führung mithilfe einer heimlichen Medienzentrale in Berlin ihre Propaganda verbreitet: über Facebook-Kanäle mit teils Millionen Followern. Ich wage die Wette: Viele Menschen, die diese Seiten abonniert haben, sich regelmäßig die professionell gemachten Videos und Postings ansehen, haben keinen blassen Schimmer, welchem Einfluss sie da ausgesetzt sind.

Entsprechend groß ist nun die Empörung. Unsere Recherche hat im gesamten deutschsprachigen Raum Reaktionen hervorgerufen, und auch die Berliner Politik ist alarmiert. "Die Bundesregierung muss sich endlich angemessen mit dieser Problematik beschäftigen. Ihre Aufgabe wäre es, die Anbieter sozialer Netzwerke an ihre große gesellschaftliche Verantwortung zu erinnern und zu mehr Transparenz zu verpflichten", sagt der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Der Deutschland-Chef von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, berichtet, wie er selbst von einer der russischen Medienfirmen hinters Licht geführt wurde. Auch FDP-Chef Christian Lindner äußert deutliche Kritik: "Wenn russische Staatsmedien von deutschem Boden aus operieren, muss dies kenntlich gemacht werden", sagte er mir gestern. "Es kann nicht sein, dass scheinbar unabhängig betriebene Plattformen in Deutschland als verlängerter Arm des Kreml operieren." Und der Bundesrat? Heute steht dort das Thema "Fake News, Hate Speech und Bots – Herausforderungen für Demokratie und Rechtsstaat?" auf dem Programm. Das Fragezeichen könnte man weglassen, meine ich.

"Die digitale Propaganda gleicht einer Hydra", schreibt die "Neue Zürcher Zeitung". "Man kann einem Manipulanten durch öffentliche Kenntlichmachung gleichsam den Kopf abschlagen, doch sogleich wachsen neue nach. Diese Agenten inszenieren sich als alternative Stimmen, welche die Widersprüche der etablierten Organe aufdecken. Und manchmal machen ihnen die kritisierten Massenmedien durch mangelhafte Leistung das Leben leicht."

Das betrifft uns Journalisten, und es trifft zu. Deshalb legen wir bei t-online.de so großen Wert auf eine ausgewogene Berichterstattung. Deshalb trennen wir in unseren Texten möglichst strikt zwischen neutralen Berichten einerseits und Meinungsbeiträgen andererseits und kennzeichnen letztere deutlich. Deshalb lassen wir unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen, etwa in unserem Format "Pro & Kontra". Deshalb geben wir unter unseren Artikeln die verwendeten Quellen an. Und deshalb stecken wir viel Zeit, Energie und Sorgfalt in unsere Recherchen: um aufzudecken, was im Verborgenen liegt, um den Mächtigen auf die Finger zu klopfen und Ihnen zu berichten, was wirklich in der Welt geschieht. Auch wir sind nicht unfehlbar, auch wir machen mal Fehler, aber dann korrigieren wir diese deutlich und transparent. "Die Presse hat die Aufgabe, das Gras zu mähen, das über etwas zu wachsen droht", hat der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar gesagt. In diesem Sinne verstehen wir bei t-online.de uns auch als Rasenmäher.

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WAS STEHT AN?

Die Bundespolitik ist in diesen Tagen wie eingefroren, habe ich im "Tagesanbruch am Wochenende" gesagt. Gut zehn Minuten lang unterhielt ich mich dort mit meinem Kollegen Marc Krueger über den seltsamen Zustand des Berliner Politikbetriebs: Die drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD befinden sich in Schockstarre. Das Debakel bei der bayerischen Landtagswahl haben sie noch nicht verdaut, da droht schon der nächste Tiefschlag am kommenden Sonntag in Hessen.

Für die SPD steht nichts weniger als das Überleben auf dem Spiel, in der Partei herrscht eine Mischung aus blanker Panik und trauriger Resignation. So ähnlich muss es sich damals auf der "Titanic" angefühlt haben. Aber auch Angela Merkels politisches Schicksal ist durch die Landtagswahl gefährdet – und zwar gleich doppelt: "Sollte die SPD wegen eines schlechten Ergebnisses die große Koalition verlassen, könnte Merkel vielleicht noch eine neue Koalition anführen, etwa mit Grünen und FDP. Ob die jedoch zustande kommt, ist nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen ungewiss. Sollte das nicht klappen, müsste es Neuwahlen geben", schreibt mein Kollege Johannes Bebermeier. "Eng wird es für Merkel aber auch, wenn Volker Bouffier nicht als Ministerpräsident weitermachen könnte." Dann droht ihr spätestens auf dem CDU-Parteitag im Dezember ein Endspiel.

Genau deshalb starren sie in Berlin nun alle auf Hessen, wie die Kaninchen vor der Schlange. Sie sagen irgendetwas, ohne wirklich etwas zu sagen – Merkel, Spahn, Klöckner, die heute alle in Hessen wahlkämpfen. Sie reden über Rücktritt, ohne zurückzutreten – so wie Horst Seehofer. Sie klammern sich aneinander – so wie Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus, der dazu aufruft, die geplagte SPD nett zu behandeln. Alle wissen, dass das nächste Beben kommen wird, aber noch weiß keiner, wen es in den Abgrund reißt. Stürmische Zeiten.

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Der sonntägliche Tatort hat es dieser Tage schwer, auch für Agententhriller ist das Klima rauer geworden: Sie müssen sich anstrengen, um vom richtigen Leben nicht in die Kinderabteilung verwiesen zu werden. Der Showdown, der sich um den Tod Jamal Khashoggis im saudischen Konsulat von Istanbul vollzieht, hängt in Sachen Dramatik, Spannung und Winkelzügen jeden Drehbuchautor ab. Einziger Nachteil: Alles ist echt.

Türkische Sicherheitskreise setzen einen Informationsschnipsel nach dem anderen in die Welt – von der Knochensäge über Folterdetails bis zu einem geheimnisumwobenen Tonmitschnitt – und treiben den politischen Gegenspieler Saudi-Arabien vor sich her. Die Saudis wiederum werkeln an ihrer Strategie, den starken Mann in Riad vor dem Vorwurf einer direkten Beteiligung zu schützen, und sie stellen sich dabei gar nicht so ungeschickt an. Ihr Ziel ist es, das Gesicht zu wahren: ihr eigenes und das derjenigen, die mit Saudi-Arabien weiterhin ungestört Geschäfte machen wollen. Dazu brauchen sie die Unschuld des Herrschers nicht zu beweisen. Es genügt, Zweifel daran zu säen, dass er den Tod seines Kritikers persönlich befohlen hat. So funktioniert Propaganda heute, siehe oben.

Wie sollte Deutschland sich in dieser Situation verhalten? Was tun im Umgang mit einem mächtigen Herrscher, für den ein Auftragsmord mutmaßlich zum politischen Repertoire gehört? Der Mangel an abschließender Klarheit wird uns vermutlich erhalten bleiben. Zudem sitzt Muhammad bin Salman fest im Sattel, und keine europäische Sanktion wird daran etwas ändern. Sein Land ist ein Gigant im Ölgeschäft, verfügt über Berge von Geld und hat viele lukrative Aufträge zu vergeben. Was kann man da überhaupt machen? Ist das nicht ein enormes Dilemma?

Ist es nicht. Die deutsche und europäische Haltung braucht nicht davon abzuhängen, wie tief das saudische Herrscherhaus in den Tod von Istanbul verstrickt ist. Egal, wie grausam die Details im Fall Khashoggi sind: Es ist nicht das größte Verbrechen dieses Regimes. Muhammad bin Salman persönlich trägt die Verantwortung für die Eskalation des Krieges im Jemen, wo eine erbarmungslose Blockadepolitik und saudische Bomben das Land mit Zerstörung, Hunger und Cholera überzogen haben. Einen Eindruck davon bekommen Sie in dieser Fotoreportage der "New York Times". Der Kronprinz will im Jemen eine militärische Lösung erzwingen, ohne Rücksicht auf Verluste – so wie Baschar al-Assad es in Syrien tut. Hat Muhammad bin Salman auch noch einen Mord befohlen? Wir müssen die Antwort gar nicht wissen, um sein Handeln zu beurteilen.

Mit moralischer Entrüstung ist allerdings noch niemandem geholfen. Boykottmaßnahmen und wirtschaftlicher Druck haben sich bei politischen Systemen, die innerlich gefestigt sind, meist als wirkungslos erwiesen. In Saudi-Arabien bietet sich für die Europäer jedoch eine historisch einmalige Chance, Einfluss zu nehmen. Denn das Land ist ein Familienunternehmen: Der Staat, das ist die Familie Al Saud. Die Loyalität der übrigen Bewohner erkauft sich die Familie, indem sie deren Wohlstand garantiert. Doch der Kronprinz weiß, dass dieses Arrangement in Gefahr ist: Das Öl verliert an Bedeutung. Hören die Einnahmen auf zu sprudeln, ist es mit der Herrschaft der Al Saud vorbei.

Saudi-Arabien zu einem modernen, vielseitigen Staat umzubauen, ist das zentrale Projekt des jungen Herrschers – weg vom Öl, damit sein Thron eine Zukunft hat. Dazu braucht er starke, langfristige Partner. Auf wen kann er setzen? Russland und China stellen keine unbequemen Fragen zu Menschenrechten. Doch Russland ist mit den Feinden Saudi-Arabiens eng verbandelt. China wiederum nutzt die Zusammenarbeit, um seine Partner schleichend in Abhängigkeit zu bringen, was man zum Beispiel in Afrika besichtigen kann.

Und das Schwergewicht USA? Trumps Loyalität scheint käuflich – nichts ist für ihn wichtiger als Ego, Profit und Amerikas Vormacht. Obendrein suchen die Hardliner im US-Kabinett gemeinsam mit Saudi-Arabien die Konfrontation mit dem Iran. Den Amerikanern ist es dabei sogar egal, wie sehr ihr Verbündeter den islamischen Extremismus fördert. Ein verheerender, folgenschwerer Fehler, sagt der ehemalige CIA-Agent Robert Baer in unserem Interview. Doch trotz Kuschelkurs: Trumps Präsidentschaft ist auch für die Saudis unberechenbar. Für uns Europäer ist das ausnahmsweise einmal eine gute Nachricht. Denn sie beschert uns eine starke Position. Die Zeit ist gekommen, sie zu nutzen: durch eine klare Haltung und unmissverständliche Signale. Stopp aller Rüstungsexporte. Sanktionen gegen Angehörige des saudischen Herrscherhauses. Einfrieren der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Bis die Kampfhandlungen im Jemen enden.

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ZAHL DES TAGES

Rund 10.000 Menschen sind gestern in Dresden für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit auf die Straße gegangen – doppelt so viele wie bei der islamfeindlichen Pegida-Bewegung. Gut so.

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WAS LESEN?

Groß, blond, blauäugig: Vor bald 30 Jahren soll ein gut aussehender Friedhofsgärtner im Staatsforst Göhrde und in Lüneburg fünf Menschen brutal getötet haben, darunter zwei Liebespaare. Jetzt dämmert den Ermittlern: Der Mann hat möglicherweise viele weitere Morde begangen. Die Polizisten holen die Akten von 100 ungeklärten Fällen aus den Archiven. Als ich diesen Text unseres Kriminalreporters Dietmar Seher aus unserer Serie "Ungeklärte Kriminalfälle" las, lief es mir kalt den Rücken hinunter.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Die Politik sei wie eingefroren, habe ich geschrieben. Stimmt das wirklich? Fragen wir doch mal unseren Cartoonisten Mario Lars:

Ich wünsche Ihnen einen dynamischen Start in die Woche. Machen Sie es besser als andere: Seien Sie aktiv, bewegen Sie was, reißen Sie Bäume aus! Sinnbildlich natürlich, Sie wissen schon.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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