Tagesanbruch: Das Geisterschiff, der tote Eisbär, Fahrverbot für Senioren Was heute Morgen wichtig ist

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Stellen Sie sich vor, Sie fliehen aus Libyen, weil dort in weiten Teilen des Landes Anarchie, Scharia und das Recht des Stärkeren gelten. Stellen Sie sich weiter vor, Ihr Schiff geht im Mittelmeer unter. Zum Glück werden Sie gerettet, von einem europäischen Schiff.
Es wird nicht einfach für Sie, denken Sie, denn Sie haben gehört, dass es in letzter Zeit Schwierigkeiten mit den Booten gegeben hat, die Flüchtlinge retten. Dass Sie nun wahrscheinlich nicht nach Italien gebracht werden, sondern nach Spanien. Auch gut, denken Sie, dann dauert die Fahrt halt länger. Sie sind froh, dass Sie am Leben sind.
Dann läuft das Boot in den Hafen ein – und Sie sind wieder in Libyen.
Genau das geschah gestern. Die "Asso 28" legte am Montagabend im Hafen von Tripolis an. Das Versorgungsschiff hat 108 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet und zurück nach Libyen gebracht, wo Migranten auf der Durchreise nach Ansicht von Experten Folter und Menschenhandel drohen.
Deshalb bringen europäische Schiffe Gerettete bisher eben nicht nach Libyen zurück und deshalb will sogar Italiens wenig zimperlicher Innenminister Matteo Salvini nichts mit der Aktion zu tun haben.
Ein Rücktransport verstößt gegen geltendes Recht, wegen eines ähnlichen Vorgangs ist Italien 2012 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden.
Wer aber hat den Befehl zum Rücktransport gegeben? Der Kapitän? Der neapolitanische Reeder? Die italienische Regierung, die gerade einen harten Kurs fährt? Die Recherche unseres Investigativ-Chefs Lars Wienand legt nahe, dass es anders war.
So oder so – der Vorfall dürfte die Debatte um die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer weiter anheizen.
Was zur "Asso 28" bekannt ist, lesen Sie hier.
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18 Jahre und vier Tage nach dem Bombenanschlag auf den Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn scheint es, dass das Verbrechen vom 27. Juli 2000 ungesühnt bleibt. Damals waren zehn meist jüdische Russland-Aussiedler teils schwer verletzt worden, ein ungeborenes Kind starb im Körper seiner Mutter.
Das Düsseldorfer Landgericht hat den Neonazi und Militaria-Händler Ralf S. freigesprochen. Die Zeugenaussagen über seine angeblichen Tatbekenntnisse haben die Strafkammer nicht überzeugt.
Ein Freispruch zweiter Klasse? Unser Kriminalitätsexperte Dietmar Seher, der sich gerne durch 1.000 Seiten dicke Aktenstapel arbeitet, ist davon überzeugt. Das Gericht konnte nicht anders, sagt er. Aus dem NSU-Untersuchungsausschuss, der sich auch mit Wehrhahn beschäftigt hat, ginge hervor, dass bei den Ermittlungen damals "fürchterlich geschlampt" worden sei.
Es sei ähnlich ermittelt worden wie bei den NSU-Morden und schon 1980 beim Oktoberfest-Attentat. Die Ermittler hätten einfach nicht geglaubt, dass es rechten Terror geben könne, weil sie vom linken RAF-Terror gewöhnt seien, dass es Bekennerbriefe gebe.
So gebe es im Prozess 18 Jahre später zwar plausible Erklärungen, aber keine stichhaltigen Belege. Im Rechtsstaat kann einem Richter das nicht reichen, um einen Menschen lebenslang hinter Gitter zu schicken.
Wie es weitergeht? Die Ermittler hatten vor 18 Jahren noch zwei andere heiße Spuren. Wie belastbar sie sein können, ist offen. Dietmar Seher hat die Ereignisse von damals nachgezeichnet. Seine Analyse des Prozesses lesen Sie hier.
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25.000: So wenig Eisbären soll es laut WWF höchstens noch auf der Welt geben. Einer von ihnen wurde gerade im norwegischen Spitzbergen getötet. Dort griff ein Eisbär offenbar ein Crewmitglied eines deutschen Kreuzfahrtschiffes an – zwei andere Männer eröffneten das Feuer und töteten den Bären.
Das Foto des toten Tieres sorgt seitdem für Wut und Empörung im Netz, der Reiseveranstalter Hapag-Lloyd-Cruises gerät in Erklärungsnot. Die Ermittlungen der örtlichen Behörden werfen Fragen auf und könnten das Unternehmen belasten. Haben zwei Männer auf den Bären geschossen oder nur einer? Waren vier Menschen an Land oder zwölf? Gehen Passagiere an Land, um Tiere zu beobachten oder nicht?
In dem öffentlichen Diskurs geht es mittlerweile noch um viel mehr: Der Mensch sollte nicht in den Lebensraum der Eisbären eindringen. Besonders der in Norwegen boomende Eisbären-Tourismus gefährdet den Fortbestand der Spezies.
Das Bild des toten Eisbären am Strand muss aufrütteln, denn viele Tierarten haben dann die größten Überlebenschancen, wenn der Mensch sie in Ruhe lässt. Mein Kollege Patrick Diekmann hat wütende Reaktionen gesammelt und den aktuellen Ermittlungsstand im Fall des toten Eisbären zusammengefasst.
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Bleiben wir im ewigen Eis. Unangenehme Nachrichten blenden wir manchmal ganz gerne aus – dafür gibt es zu viele davon auf der Welt, als dass wir uns ihnen allen angemessen widmen könnten. Die Klimakatastrophe beispielsweise ist in letzter Zeit aus dem Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit verschwunden. Das heißt nicht, dass das Artensterben nicht weitergeht. Im Gegenteil.
Wie ein internationales Forscherteam im Fachblatt "Antarctic Science" berichtet, ist die größte Kolonie von Königspinguinen dramatisch geschrumpft. In den Achtzigerjahren bevölkerten noch 500.000 Pinguin-Paare die Schweine-Insel im Südlichen Ozean – heute sind es nur noch circa 60.000.
Die Forscher haben unter anderem Satellitenbilder ausgewertet, die zwischen den Jahren 1988 und 2017 aufgenommen worden waren. "Wenn sich die Königspinguine auf dem Boden niederlassen, verschwindet die Vegetation. Um die Kolonie bleibt die Vegetation hingegen erhalten. Es ist also ziemlich einfach zu sehen, wie viel Platz die Kolonie besetzt", sagte Forschungsleiter Henri Weimerskirch der französischen Zeitung "Le Figaro".
An Ort und Stelle wollen die Forscher nun herausfinden, wie sehr der Klimawandel für den Rückgang verantwortlich ist. Es gibt mehrere mögliche Gründe – von eingeschleppten Mäusen und Raubtiere über Krankheiten bis zu veränderten Umweltbedingungen im Zusammenhang mit dem Klimaphänomen "El Niño".
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Unfallforscher wissen: Wenn es auf der Straße scheppert, sitzt meistens ein ganz Junger am Steuer – oder aber ein ganz Alter. Die Fahranfänger hält der Gesetzgeber mit speziellen Regelungen im Zaum, etwa Probezeit oder null Promille. Für Senioren am Steuer gibt es aber keine Regelungen.
Auch wenn die Augen schlechter sehen, die Reaktionen langsamer werden: Den Führerschein dürfen Ältere in Deutschland selbst dann behalten, wenn sie eigentlich hinterm Lenkrad überfordert sind. Dadurch verursachen sie überproportional viele schwere Unfälle, sagen Forscher.
Das Problem werde sich noch verschärfen. Deshalb fordern sie einen Senioren-Tüv. Andere Verkehrsexperten lehnen ihn ab. Starke Argumente haben beide Seiten.
Wie soll dieser Fahrtest funktionieren? Was spricht dafür, was dagegen? Und welche Lösungen haben sich unsere Nachbarländer ausgedacht? Die Antworten darauf finden Sie hier.
Wie denken Sie darüber, liebe Leser? Lesen Sie unser "Pro & Kontra" zum Senioren-Tüv: Meine Kollegin Annemarie Munimus und Georg Rudinger von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e. V. (BAGSO) zeigen darin klare Kante. Und erklären ihren Standpunkt.
Schreiben Sie mir Ihre Meinung – oder machen Sie bei unserer Umfrage mit! Das Stück kommt im Laufe des Vormittags auf unsere Seite. Hier können Sie schon jetzt abstimmen.
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WAS STEHT AN?
Monatelang haben CSU und CDU und SPD um die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ankerzentren gerungen. Heute gehen die ersten in den Dienst. Selbstverständlich schreitet Bayern voran und wandelt sieben bisherige Aufnahmeeinrichtungen zu eben jenen Zentren um.
Menschen auf der Suche nach Asyl sollen dort an einem Ort die komplette Antragstellung durchlaufen: von der Registrierung bis zur Bewilligung oder Abschiebung. Das Ziel sind schnellere Asylverfahren und einfachere Abschiebungen.
Mein Kollege David Ruch hat sich bei der Recherche zu unserem "Schnell erklärt" den Einrichtungen auch über die Begrifflichkeiten genähert. "Die Bundesregierung wirft den Anker aus", sagt er. "Als Signal, dass in der Asylpolitik jetzt nichts mehr aus dem Ruder läuft. Dass man für Vertriebene und Verfolgte aber weiterhin sicherer Hafen bleibt."
Die Ankerzentren sind eine geschickte CSU-Worterfindung, meint er. Dass die neuen Einrichtungen aber weniger Anker und vielmehr Zentrum sind, zeigt der Vergleich mit den Ankunftszentren des Bamf, die es bereits seit Längerem in allen Bundesländern gibt. Auch sie bieten eine Antragsbetreuung aus einer Hand.
Der wesentliche Unterschied ist, dass die Schutzsuchenden aus den Ankerzentren erst einmal nicht heraus können: Familien für bis zu sechs Monate, Erwachsene ohne Aussicht auf Asyl für bis zu 18 Monate. Genau dort setzt auch die Kritik vieler Organisationen an, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind.
Die Erfahrung zeige, dass ein längerfristiges Zusammenleben Hunderter Flüchtlinge ohne Perspektive und ohne Beschäftigung in großen Unterkünften auf sehr engem Raum unweigerlich zu Konflikten innerhalb des Zentrums und auch in der Nachbarschaft führe, sagt etwa der Caritas-Direktor in München und Freising, Georg Falterbaum. "Große Anker- oder Transitzentren sind auf Exklusion ausgerichtet, schüren Aggressionen und verhindern Integration."
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Die Diskussion um die US-Sanktionen gegen den Iran setzen sich fort. Scharf kritisiert nun Grünen-Abgeordneter Omid Nouripour die US-Senatoren für ihren Brandbrief, über den t-online.de als erstes deutsches Medium berichtete. Die Unterzeichner – darunter die prominenten Republikaner Ted Cruz und Marco Rubio – missachteten "kaltschnäuzig" europäische Sicherheitsinteressen.
In dem Brief werden Deutschland, Großbritannien und Frankreich gewarnt, die US-Sanktionen gegen Iran zu umgehen. "Sich unter diesen Bedingungen hinzustellen und von europäischen Regierungen zu verlangen, man möge die Bestrafung europäischer Unternehmen aufgrund amerikanischer Gesetze einfach so hinnehmen, ist das krasse Gegenteil partnerschaftlicher Politik", sagte Nouripour nun t-online.de.
Und auch die EU-Kommission reagiert auf den Brief: "Unternehmen und Staaten aus der EU, die wirtschaftliche Beziehungen zum Iran unterhalten, verhalten sich gesetzeskonform. Sie umgehen die US-Sanktionen nicht, da diese Sanktionen in der EU keine Anwendung finden", sagte ein Sprecher.
Alle Reaktionen lesen Sie hier.
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Eigentlich eine gute Nachricht: Ab diesem Monat bieten Internetprovider wie Telekom und 1&1 die ersten DSL-Tarife mit bis zu 250 MBit/s an. Hinter diesem neuen "DSL auf Speed" steckt eine Technologie namens Supervectoring.
Warum Kritiker damit dennoch nicht zufrieden sind? Weil die Telekom mit ihren alten Kupferkabeln den Ausbau des schnellen Internets eher behindert als befördert. Schließlich wären mit Glasfaserkabel Download-Raten von bis zu 1Gb/s drin.
Einige Firmen nutzen die Lücke zwischen Angebot und Bedürfnis bereits und verkabeln ganze Dörfer mit Glasfaserkabeln – die damit ein schnelleres Netz haben als so mancher Großstadtkiez.
Doch für die meisten Deutschen sind DSL-Verträge mit Supervectoring vorerst die einzige Möglichkeit, an eine schnelle Internetverbindung zu kommen. Was Sie dafür tun müssen? Das erfahren Sie hier.
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Heute ist Whistleblower Edward Snowden seit fünf Jahren in Moskau im Asyl. Er hatte 2013 geheime Überwachungsprogramme des US-Geheimdienstes NSA aufgedeckt. Nach einer spektakulären Flucht über Hongkong gewährte ihm Moskau Asyl, nachdem ihn viele Staaten nicht einreisen lassen wollten. In den USA droht ihm eine lange Haftstrafe.
Wie die spektakuläre Flucht gelang, hat Snowden-Anwalt Robert Tibbo t-online.de bereits vor einigen Monaten verraten. Das Interview können Sie hier noch einmal lesen – und dazu Snowdens Flucht in einem spannenden Video mit dem Kommentar von Robert Tibbo nachempfinden.
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Heute ist übrigens auch Erdüberlastungstag. Das bedeutet, dass die Menschheit die für dieses Jahr natürlich verfügbaren Ressourcen bereits heute komplett aufgebraucht hat. Dieser Tag ist in diesem Jahr nach Berechnung einer Forschungsorganisation schon heute – so früh lebte die Weltbevölkerung noch nie auf Öko-Pump.
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WAS ANSCHAUEN?
Im Windschatten des Wacken Open Air findet 150 Kilometer weiter südlich zeitgleich ein weiteres Musikfestival statt: "A Summer's Tale". Wie der fast schon lyrische Name vermuten lässt, werden damit die feineren Sinne angesprochen: Statt "Faster. Harder. Louder" (Wacken) heißt das Motto hier: "Musik und Natur. Kultur und Genuss".
In der Nähe von Lüneburg treten nicht nur Bands auf verschiedenen Bühnen auf – zusätzlich finden auch Lesungen unter anderem mit Wladimir Kaminer und Anja Rützel statt, Fernsehkoch Tim Mälzer tritt mit einer Kochshow auf, es gibt eine Liveschalte in die Antarktis, Workshops zu Meditation und Yoga, ein Wissenszelt, ein Kinderzelt, eine Zwergstadt, eine Zirkusschule und, und, und.
"Summer's Tale", das in diesem Jahr zum vierten Mal stattfindet, ist ein Festival für alle jene, die immer gerne auf Festivals gegangen sind, aber keine Lust mehr haben, im Zweimannzelt zu übernachten und sich vier Tage von Dosenravioli zu ernähren.
Die Zielgruppe ist groß: Letztes Jahr wurden 12.000 Tickets verkauft. Die Gäste werden gebeten, ihr Auto zu Hause zu lassen, um Geld und CO2 zu sparen. Für Fahrräder wird eine Fahrradgarderobe angeboten, die Veranstalter schreiben fast schon entschuldigend, dass an den 33 Foodständen auch Fleisch angeboten wird – das dann aber "größtenteils aus der Region und/oder in Bioqualität." Natürlich.
Ach ja, Musik gibtʾs übrigens auch. Unter anderem von Mando Diao, New Model Army, Madness, Fury in the Slaughterhouse.
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WAS AMÜSIERT MICH?
Das Wetter, heißester Tag des Jahres, die 40-Grad-Marke in Sicht. Experten sagen voraus, dass die Dürre noch bis September anhalten könnte. Gut, dass ich kein Hund bin, denken wahrscheinlich die meisten. Wenn sie auch nur an das dichte Fell denken, fangen sie schon an zu schwitzen.
Auf der anderen Seite: Manche Hunde haben es wirklich gut. Dieser hier zum Beispiel. Anschauen und genießen …
Morgen übernimmt an dieser Stelle mein Kollege Jan Hollitzer. Ich wünsche Ihnen einen schönen Mittwoch und einen wunderbaren August.
Ihr Rüdiger Schmitz-Normann
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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