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Tagesanbruch: Seehofers Boykott, Effenbergs Ansage, Blick in die Zukunft


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

13.06.2018Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Unions-FraktionssitzungVergrößern des Bildes
Angela Merkel und Horst Seehofer (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Weltpolitik haben wir gestern gesehen, aber auch ein politisches Spektakel. Der Trump-Kim-Gipfel hat schon jetzt gute Chancen, im Dezember in den Jahresrückblicken zum wichtigsten politischen Ereignis 2018 gekürt zu werden. Wenn nicht … ja, wenn nicht alles doch noch anders kommt. Die sorgsam inszenierten Bilder – der Handschlag, die gemeinsame Begutachtung von Trumps gepanzerter Limousine, der ganze Rummel – sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir gestern vor allem eines gehört haben: Absichtserklärungen. Ob ihnen wirklich Taten folgen oder ob sie bloß Lippenbekenntnisse bleiben, wissen wir noch nicht. Mein Kollege Gerhard Spörl hat analysiert, was Kim und was Trump von der Vereinbarung haben, was sich Südkorea erhofft, was China fürchtet – und wie es nun weitergehen kann. Wie immer ein präziser und ausgewogener Text.

Was wir beim Blick auf die weltpolitische Lage nicht aus den Augen verlieren sollten: Kims Regime ist immer noch eine brutale Diktatur, hat 200.000 Menschen in Arbeitslagern eingesperrt, lässt ungezählte Menschen misshandeln und ermorden. Dieser Teil der Wahrheit kam bei all dem Rummel gestern etwas zu kurz.

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Der sexuelle Missbrauch eines Kindes, die Grausamkeit der Taten in Staufen bei Freiburg lassen keinen Beobachter kalt. Oder vielleicht doch? Die Mutter, ihr Lebensgefährte, die weiteren Täter: Sie alle ließ das Schicksal des Jungen kalt. Wir möchten diese Menschen gerne zu Monstern erklären, aber es hilft nichts, sie gehören zur selben Spezies wie wir, auch wenn uns das ratlos zurücklässt. Was geht in den Gehirnen dieser Leute, die nicht so fundamental anders sind als unsere eigenen, bloß vor?

Eine Antwort, die Wissenschaftler darauf geben, ist, dass deren Gehirne doch ein kleines, aber entscheidendes bisschen anders sind. Vergleichende Hirnscans zeigten bei pädophilen Sexualstraftätern auffällige Abweichungen, die mit zwanghaftem und suchtartigem Verhalten in Verbindung gebracht werden, ebenso mit mangelnder Impulskontrolle. Das kann angeboren oder durch traumatische Erfahrungen während der Entwicklung des Gehirns entstanden sein. Etwa dadurch, dass der spätere Täter als Kind selbst sexuell missbraucht wurde.

Die ins Gehirn gebrannte sexuelle Orientierung – an der Pädophile offenbar genauso wenig ändern können wie jeder andere auch – sei von anderen Persönlichkeitsmerkmalen abgeschottet, sagen manche Forscher, weshalb Täter in ihrem Auftreten dem Monsterklischee häufig nicht entsprechen und freundlich, unauffällig, scheinbar ganz "normal" erscheinen. Im Umgang mit ihren Taten drehten sie sich die Dinge zurecht, um Schuldgefühlen und eigener Verantwortung aus dem Weg zu gehen, sagt die Psychiaterin und Professorin Judith Becker – zum Beispiel, dass das Kind zu Beginn nicht Nein gesagt habe, oder dass man es doch wirklich liebe. Und tatsächlich: "Der Junge ist mir definitiv wichtig" – diesen Satz hat sogar der Hauptbeschuldigte von Staufen über die Lippen gebracht.

In der beschreibenden Sprache der Wissenschaft, irgendwo zwischen Hirnstruktur und Verhaltensmuster, geht eines jedoch verloren: die Schuld. Die distanzierten, um Objektivität bemühten Erklärungen können nichts an dem Grauen ändern, mit dem man auf die Geschehnisse in Staufen schaut. Fassungslos. Und sich immer noch fragt: Was sind das bloß für Menschen?

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WAS STEHT AN?

Die Migrationspolitik entwickelt sich zum Sprengsatz der großen Koalition. Merkel hindert Seehofer daran, seinen großspurig angekündigten "Masterplan" durchzuziehen, also boykottiert er den heutigen Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt. Er will nicht als Merkels Pudel gelten, erst recht nicht, wenn Journalisten und Fotografen dabei sind. Er will aber auch nicht mit der Journalistin Ferda Ataman an einem Tisch sitzen. Ataman, eine meinungsstarke Expertin für Integrationsfragen, hatte in einem Artikel den Namenszusatz "Heimatministerium" für Seehofers Haus kritisiert. Ein Mann, der zwei Frauen davonläuft, statt offen und kontrovers mit ihnen zu diskutieren. Wenig souverän.

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Der Bundestag entscheidet heute, ob die Bundeswehr Kampfdrohnen bekommen soll, und das britische Unterhaus entscheidet heute Abend über eine Entschärfung des Brexit-Gesetzes. Ohne Frage, beides ist relevant – aber ein anderes Thema finde ich heute noch wichtiger: In Berlin beginnt der "Testlauf für die Schule der Zukunft". Zwei Tage lang erproben Lehrer, Schüler und Künstler, wie die Schule von morgen aussehen muss, damit Kinder und Jugendliche sinnvoll gefordert und gefördert werden. 200 Schulen und mehr als 1.000 Schüler haben sich an einem Ideenwettbewerb beteiligt; Bundespräsident Steinmeier zeichnet die besten Vorschläge aus. Wichtig finde ich das deshalb, weil ich oft den Eindruck habe, dass vielerorts die Schulen nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Das scheint nicht an mangelndem Engagement der Lehrer zu liegen, sondern an der chaotischen deutschen Bildungspolitik: Heute dieser Lehrplan, morgen jener. Hier ein hohes Prüfungsniveau, dort ein niedrigeres. Marode Schulgebäude, fehlende Computer, Lehrermangel, Unterrichtsausfall, die Liste ließe sich fortsetzen.

Nun wollen Union und SPD das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern lockern. Aber das wird nicht reichen, um Deutschlands Bildungssystem den benötigten Reformschub zu verpassen. Es braucht neue Ideen. Vielleicht sehen wir sie ja heute und morgen in Berlin.

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Gestern Abend ist die deutsche Nationalmannschaft in Russland gelandet – aber der Fall Gündogan/Özil lässt das Team immer noch nicht los. Nun wird bekannt, dass sogar Bundeskanzlerin Merkel persönlich mit den beiden über ihr umstrittenes Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan gesprochen hat. Und nun kommt Stefan Effenberg. Unser Kolumnist spricht im Interview zur WM Klartext – auch zum Fall Erdogan: Der DFB hätte die beiden Nationalspieler rauswerfen müssen, sagt er. Dieser Text wird heute für Wirbel sorgen, das kann ich Ihnen prophezeien.

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Am Sonntagnachmittag startet das DFB-Team gegen Mexiko die Mission Titelverteidigung – mit Marco Reus. Der BVB-Star hat seit seinem Debüt in der Nationalmannschaft vor sechseinhalb Jahren erst 31 Länderspiele absolviert, wurde immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen. So verpasste er den Titelgewinn 2014 und die EM vor zwei Jahren. Fragen wir doch mal einen ehemaligen Nationalspieler, warum Reus in Russland trotzdem eine überragende Rolle spielen wird. Der ehemalige Nationalspieler heißt Cacau, und er glaubt das wirklich. Warum? Das hat er meinem Kollegen Guido Heisterkamp erklärt.

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WAS LESEN?

Apropos Fußball-WM: Besonders möchte ich Ihnen die neue Kolumne unserer Korrektorin Stefanie Schlünz empfehlen. Heute dreht sie sich nicht um Orthografie – sondern um etwas viel, viel Wichtigeres. Ich sage nur: "Wäre, wäre, Fahrradkette." Eigentlich erscheint der Text erst heute Vormittag. Aber als Tagesanbruch-Abonnent können Sie ihn jetzt schon lesen.

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Bitte versetzen Sie sich für einen Augenblick in die Zukunft. Sagen wir, ins Jahr 2048. Roboter und Algorithmen haben nicht nur die meisten einfachen Tätigkeiten übernommen, sondern steuern auch viele Unternehmen. Kassierer, Lastwagenfahrer, Fabrikarbeiter, Finanzanalysten, Controller: Braucht es nicht mehr, gibt es nicht mehr. Genauso wenig wie viele andere Berufe. Was machen dann all die Menschen, die bisher diese Berufe ausübten? Was geschieht, wenn die globalen Finanzströme nur noch von Computern gesteuert werden? Würde Griechenland dann auch vor dem Ruin gerettet oder würde sich das Computerhirn kühl für "Exitus" entscheiden? Was geschieht, wenn manche Menschen ihre Synapsen mit Computerchips verschalten lassen und zu superintelligenten Zwitterwesen mutieren? Alles Humbug?

Nicht so schnell. Vor einiger Zeit habe ich Ihnen das Buch "Homo Deus" des israelischen Historikers Yuval Noah Harari empfohlen. Wenn es so etwas wie eine Pflichtlektüre zu den großen Zukunftsfragen der Menschheit gibt: Das wäre eine. Falls Ihnen der Wälzer zu dick ist: Die Kollegen der "Augsburger Allgemeinen" haben ein Interview mit dem Philosophen Richard David Precht geführt, in dem er einige der aufgeworfenen Fragen diskutiert. Und ein Interview mit Harari können Sie bald auf t-online.de lesen.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Radfahrer bewegen sich in ihrem eigenen Tempo durch die Stadt – nicht in demselben wie die Fußgänger, nicht in demselben wie die Autos. Radfahrer haben deshalb häufig ihre eigene Spur. Zur Not malt man die auch nur in anderer Farbe auf den Gehweg. Handy-Nutzer bewegen sich in ihrem eigenen Tempo durch die Stadt – nicht in demselben wie normale Fußgänger, nicht in demselben wie die Radfahrer. Handy-Nutzer haben deshalb ihre eigene ... Moment mal.

Vergessen Sie bitte nicht, ab und an nach oben zu schauen. Dann wird das heute bestimmt ein unfallfreier Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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