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Grünen-Parteitag: "Omids Bewerbung ist eine halbherzige Kandidatur"


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Grünen-Kandidat teilt aus
"Das ganze Land schüttelt nur den Kopf"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 29.01.2022Lesedauer: 7 Min.
Robert Habeck und Annalena Baerbock nach der Urabstimmung der Grünen zum Koalitionsvertrag: "Wir müssen wieder klarer sprechen".Vergrößern des Bildes
Robert Habeck und Annalena Baerbock nach der Urabstimmung der Grünen zum Koalitionsvertrag: "Wir müssen wieder klarer sprechen". (Quelle: F. Kern/imago-images-bilder)
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Der Kampf um das Erbe von Habeck und Baerbock scheint entschieden, aus Sicht vieler Grüner sollen Ricarda Lang und Omid Nouripour künftig die Partei lenken. Ein Mann will das nicht akzeptieren.

Am 28. und 29. Januar wählen die Grünen auf ihrem digitalen Parteitag ihre neuen Vorsitzenden. Bis vor Kurzem bewarben sich nur die bisherige Parteivize Ricarda Lang und der Außenpolitiker Omid Nouripour um die Nachfolge von Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Anfang Januar kündigte dann auch Mathias Ilka von den hessischen Grünen seine Bewerbung an. Er ist der einzige Gegenkandidat – und tritt ohne Aussicht auf Erfolg an. Was ihn antreibt, erklärt er im Interview.

t-online: Herr Ilka, Sie wollen für den Grünen-Vorsitz kandidieren. Noch vor wenigen Tagen, als Sie mich anriefen, hatte ich Ihren Namen noch nie gehört. Bin ich schlecht informiert oder fahren Sie eine schwache Kampagne?

Mathias Ilka: Das würde ich so nicht sagen. Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn meine Partei mich prominenter vorgestellt hätte. Ich hatte mich auch an die entsprechenden Stellen gewandt, leider ohne Erfolg. Man sagte mir, ich solle mich selbst um meine Kampagne kümmern. Für viele scheint es schon ausgemacht, dass Omid Nouripour und Ricarda Lang die neuen Vorsitzenden werden. Das finde ich falsch. Basisdemokratie heißt für mich, dass man auch Außenseitern eine Chance gibt.

Wie lief der bisherige Kandidaten-Wettlauf?

Wir haben uns bei einigen Landesverbänden vorgestellt, doch nicht alle haben mich eingeladen. Bei manchen Terminen wirkt es so, als wären meine Gegenkandidaten schon Vorsitzende. Die Themen waren: Fußball, wir mögen uns, alles läuft super. Ich hätte mir schärfere Fragen gewünscht.

Lang gilt als politisches Talent, Nouripour als profilierter Außenpolitiker. Trauen Sie den beiden die Parteiführung nicht zu?

Ich nehme beide nicht ernst. Omids Bewerbung ist eine halbherzige Kandidatur. Ich glaube, der Parteivorsitz wäre für ihn 'nice to have', er hat ja sein Bundestagsmandat. Ansonsten liegt seine Leidenschaft eher bei Eintracht Frankfurt. Ricarda Lang ist Sozialpolitikerin und versucht, hier für die Grünen verlorene Glaubwürdigkeit wieder zurückzuholen. Ich bezweifle, dass sie das schaffen wird.

Lang setzt sich für höhere Hartz-IV-Sätze und eine Kindergrundsicherung ein, aus Sicht linker Grüner wichtige Projekte.

Ich habe ihr Interview mit Ihnen gelesen. Ich glaube ihr auch, dass sie sich eine neue Sozialpolitik wünscht und Hartz-IV-Sätze, die für ein würdiges Leben reichen. Aber sie wird das nicht durchsetzen, weder in der Ampel noch bei den Grünen. Die Prioritäten unseres Spitzenpersonals haben sich verändert. Wir vertreten schon länger nicht mehr die Interessen der sozial Schwachen. Die ökologische Transformation gelingt aber nicht ohne soziale Gerechtigkeit.

Die beiden haben eine Aufarbeitung des Wahlkampfes angekündigt. Machen Sie den Parteimitgliedern ein ähnliches Versprechen?

Sollten die beiden gewählt werden, wird es keine Aufarbeitung geben. Das sollte allen klar sein. Wir Grüne diskutieren nicht mehr, dabei hätten wir viel aufzuarbeiten, nicht nur den Wahlkampf. Wir sind in Teilen zu abgehoben, schon in unserer Ansprache. Viele Menschen, ob auf dem Land oder aus sozial schwachen Familien, verstehen nicht mehr, was wir überhaupt wollen. Der Vorschlag eines Parlamentspoeten ist das perfekte Beispiel dafür, wie sehr wir uns von Teilen der Bevölkerung entfernt haben. Wir brauchen keinen Staatsdichter, wir müssen selbst wieder klarer sprechen.

Was gäbe es denn aufzuarbeiten?

Annalena hat Fehler gemacht, zum Beispiel mit ihrem Lebenslauf. Aber das ist kein schlimmer Fehler. Ich dachte mir damals nur: Sag doch einfach, wie es ist! Die Menschen im Land spüren doch, wenn jemand unehrlich zu ihnen ist. Anstatt dazu zu stehen, dass sie wenig Erfahrung hat, wurden Dinge hochstilisiert und Geschichten erzählt. Leider wiederholt sich das gerade mit den Bonuszahlungen.

Der grüne Bundesvorstand hatte sich selbst einen 1.500 Euro hohen Corona-Bonus pro Mitglied bewilligt, darunter Habeck, Baerbock und Ricarda Lang, die nun gegen Sie antritt. Sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Untreue.

Ich glaube nicht, dass Habeck und Baerbock so in Not sind, dass sie 1.500 Euro brauchen. Umso unverständlicher ist die Art, wie sie damit umgehen. Das hat auch wenig mit grünen Werten zu tun, so wie ich sie verstehe. Dabei ist die Angelegenheit so banal, aber nicht, weil die Beträge klein wären. Für viele Menschen sind 1.500 Euro viel Geld. Sondern weil es so schlecht kommuniziert wird. Erst wird es verschwiegen, dann versucht man, das Problem wegzuwischen. Und das ganze Land schüttelt nur den Kopf.

Ist Ihre Kandidatur nicht vollkommen chancenlos?

Mag sein. Aber ich bekomme gerade viele Anrufe von Leuten, die sagen: Bleib dran, toll, dass es einen Gegenkandidaten gibt. Außerdem habe ich mir mit meiner Bewerbung immerhin zehn Minuten Redezeit auf dem Parteitag erstritten. Die werde ich nutzen.

Wozu?

Ich will die Schleusen wieder öffnen und den Mitgliedern das Gefühl geben, dass sie alles ansprechen können. Die Partei hat Angst, dass sie zerbricht, wenn sie offene Diskussionen zulässt. Das sehe ich anders.

Wir haben einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, mit dem wir die Klimaziele verfehlen werden. Das war allen Beteiligten bewusst, aber wir wollten in die Regierung. Natürlich muss man Kompromisse schließen, aber wir haben schlecht verhandelt.

Mit so einer Rede werden Sie nicht bei allen Begeisterung auslösen.

Aber ich weiß, dass ich vielen Grünen aus der Seele spreche. Menschen, die aus tiefer Überzeugung für grüne Ideen streiten, aber spüren, dass wir auf einem falschen Weg sind. Meine Kandidatur ist ein Weckruf an meine Partei: Wir brauchen einen Kurswechsel.

Aber Sie sind doch gerade erst in der Regierung angekommen und wollen schon wieder umdrehen?

So wie wir in der Regierung aufgestellt sind, werden wir wenig grüne Inhalte durchsetzen können. Olaf Scholz ist kein Klimakanzler, das muss uns allen klar sein. Wir sind das klimapolitsche Feigenblatt der Ampel, eine Ausrede dafür, zu wenig zu machen. Wir werden die Pariser Klimaziele reißen und verschieben die wirklich große Herausforderung: den Menschen klarzumachen, dass sich unser Leben radikal ändern muss und wird.

Angenommen, Sie haben recht. Wie hätten die Grünen denn mehr rausschlagen sollen? Das Verhandlungsgeschick der FDP hat man, oder eben nicht.

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Wir hätten so einen Koalitionsvertrag nie unterschreiben dürfen. Das Tempolimit haben wir fast kampflos aufgegeben, das Verkehrsressort ebenfalls. Der Zeitplan war zu knapp und der Hunger nach Ämtern zu groß. In der Opposition hätten wir authentischer für unsere Inhalte kämpfen und die Regierung unter Druck setzen können.

Lieber nicht regieren, als falsch regieren?

Ist es besser, seine Prinzipien zu verraten? Um das klar zu sagen: Es geht hier nicht um Prinzipienreiterei, sondern um Inhalte und Ehrlichkeit in der Sache. Wir müssen die Gesellschaft darauf vorbereiten, dass es harte Einschnitte geben wird. Aber unsere Grünen-Vorsitzenden trauen sich nicht. Auch dieser romantischen Vorstellung von der Elektromotorisierung der Gesellschaft widerspricht niemand. Es wird keine 40 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen geben.

Warum nicht?

Unser ohnehin schon steigender Energiebedarf würde durch die Decke gehen. Wir müssen unseren Verbrauch radikal kürzen, nicht erhöhen. Das sagt Ihnen aber kein Grüner mehr, weil viele das offene Wort scheuen. Neulich sagte mein Mitbewerber Omid Nouripour bei einer Vorstellungsrunde sinngemäß, dass wir den Klimawandel mit technologischen Innovationen in den Griff kriegen. Das ist das FDP-Argument, das lautet: Wir müssen nur genug kluge Dinge erfinden, dann wird das schon mit der Klimakrise. Das verkennt die historische Aufgabe, die vor uns liegt. Natürlich brauchen wir Innovation, aber es ist eine Illusion zu glauben, dass das reichen würde.

War die Geschlossenheit, die Sie kritisieren, nicht auch ein Erfolgsrezept im Wahlkampf? Wähler mögen keine Parteien, die sich innerlich zerfleischen.

Erfolg zu welchem Preis? Nun sitzen wir in der Regierung, aber wir vertreten nicht konsequent das, wofür wir eigentlich stehen. Sie sagen Erfolgsrezept, ich sage: Mit 14,8 Prozent Stimmanteil bei der Wahl waren wir noch gut bedient.

Das Kanzleramt schien für die Grünen eine Weile in Reichweite. Je näher man der Macht kommt, desto weniger möchte man falsch machen – ist das so schlimm?

Schlimm oder nicht, es wird sich auf lange Sicht rächen. Zum Beispiel haben wir einen enormen Zuwachs an Mitgliedern von Fridays for Future. Die werden wir reihenweise enttäuschen. Wir werden vielleicht am Ende sagen, dass wir den Ausbau der Windkraft angekurbelt haben. Aber das ist keine Kunst, bei dem niedrigen Sockel, bei dem wir starten.

Ein Ausbau der Windkraft ist doch aus grüner Sicht ein Anfang.

Ein Anfang reicht aber nicht. Auch fehlt für einen massiven Ausbau von Windkraftanlagen das Geld, was auch gerne verschwiegen wird. Wir haben eine Klimaregierung versprochen, aber ich sehe keine. Am Ende der Ampelkoalition werden wir wieder bei acht Prozent und in der Opposition landen. Ich spreche mit vielen Menschen in meiner Partei, das ist ein verbreitetes Gefühl.

Was wollen Sie anders machen?

Sollte ich gewählt werden, würde ich dafür sorgen, dass die Grünen wieder authentischer werden: mehr Transparenz, offenere Debatten, mehr Ehrlichkeit. Klimaschutz ist das Gebot der Stunde.

Das sagen alle.

Ja, aber wir dürfen bei dem Thema keine Kompromisse mehr eingehen, nur um Posten abzugreifen. Außerdem würde ich die Reichen stärker zur Kasse bitten und den Fokus mehr auf Menschen mit wenig Einkommen richten. Warum sprechen wir Grüne so wenige Arbeiter und Arme in der Gesellschaft an? Weil wir abgehoben reden und uns nicht für deren Belange einsetzen.

Vertreten Sie eine schweigende Mehrheit bei den Grünen oder gehören Sie zur aussterbenden Art?

Ich weiß, dass viele Menschen in meiner Partei das ähnlich sehen. Ob sich das bei der Vorstandswahl auch so zeigt, kann ich nicht sagen.

Fürchten Sie Konsequenzen, wenn Sie den falschen Leuten auf den Schlips treten?

Mir wurde schon mehrmals nahegelegt, aus der Partei auszutreten. Aber wenn ich meinen Ortsvorsteher in Hessen dabei beobachte, wie er mit dem SUV durch die Gegend kurvt und gleichzeitig Klimaschutz predigt, kann ich nicht stillhalten.

Herr Ilka, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Mathias Ilka
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