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Streit um Abschaffung von Einfamilienhäusern: Das sind die Fakten


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Worum es beim brisanten Streit um das Einfamilienhaus geht


Aktualisiert am 16.02.2021Lesedauer: 4 Min.
Eine neugebaute Einfamilienhaussiedlung im Ruhrgebiet: Die Grünen sehen den Bau von Einfamilienhäusern aus ökologischen Gründen kritisch: Sie verbrauchten zu viel Fläche, zu viel Energie und trieben die Zersiedlung voran.Vergrößern des Bildes
Eine neugebaute Einfamilienhaussiedlung im Ruhrgebiet: Die Grünen sehen den Bau von Einfamilienhäusern aus ökologischen Gründen kritisch: Sie verbrauchten zu viel Fläche, zu viel Energie und trieben die Zersiedlung voran. (Quelle: dpa)

Nach einem Interview mit Grünen-Fraktionschef Hofreiter entbrennt eine Debatte über den Bau von Einfamilienhäusern. Von Verbot ist die Rede – was aber niemand gefordert hat. Das sind die Fakten.

Lässt sich der Traum vom Eigenheim mit den Erfordernissen des Umwelt- und Klimaschutzes in Einklang bringen? Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter spricht darüber in einem Interview. Danach gibt es heftige Kritik und die Grünen werden wieder als "Verbotspartei" bezeichnet. Doch worum geht es eigentlich? Ein Überblick:

Worum geht es in der Debatte?

Auslöser ist die Entscheidung von SPD und Grünen im Bezirk Hamburg-Nord, in den neuen Bebauungsplänen keine Einfamilien- und Reihenhäuser auszuweisen. Rückendeckung bekamen sie von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Er beklagte in einem Interview mit dem "Spiegel" den Bau von Einfamilienhäusern aus ökologischen Gründen: Sie verbrauchten zu viel Fläche, zu viel Energie und trieben die Zersiedlung voran.

Hat Hofreiter ein Verbot von Einfamilienhäusern gefordert?

Nein. Weder Hofreiter noch die Grünen wollen ein komplettes Verbot neuer Einfamilienhäuser oder gar neuer Eigenheime. Hofreiter erklärte das in dem Interview ausdrücklich: "Natürlich wollen die Grünen nicht die eigenen vier Wände verbieten. Die können übrigens sehr verschieden aussehen: Einfamilienhaus, Reihenhaus, Mehrfamilienhaus, Mietshaus. Wo was steht, entscheidet allerdings nicht der Einzelne, sondern die Kommune vor Ort." Auf die Frage zur Zukunft von Einfamilienhäusern antwortete er: "Das wird von Region zu Region, von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Man muss den Kommunen die Möglichkeit geben zu entscheiden."

Wie waren die Reaktionen auf Hofreiters Interview?

Politiker der Union und der FDP sowie Vertreter der Wirtschaft sprachen in ihren Reaktionen von den Grünen als "Verbotspartei" – obwohl sich Hofreiter im Interview klar von einem Verbot distanzierte. Der thüringische CDU-Landesvorsitzende Christian Hirte sagte der "Bild": "Von Privateigentum und den Träumen von Millionen von Familien hat die politische Linke noch nie etwas gehalten. Weiter geht es Richtung grüne Verbotspartei mit dem Einfamilienhaus als Feindbild."

"Die Grünen wollen den Menschen den Traum vom Eigenheim madig machen", kritisierte der bau- und wohnungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Daniel Föst. Die eigenen vier Wände und vor allem das Einfamilienhaus seien ein Wohlstandsversprechen und die beste Altersvorsorge. "Statt Bürgerinnen und Bürger in DDR-Plattenbauten zu pferchen, müssen wir endlich mehr Menschen den Weg ins Eigenheim ebnen."

Auch Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB), interpretierte Hofreiters Äußerungen als Verbot: "Eine ideologisch geprägte Verbotspolitik ist der völlig falsche Weg", sagte er. "Wer heute neu baut, baut nachhaltig: Eigenheimbauer planen und bauen nach hohen Standards in Sachen Energieeffizienz und nutzen neueste und nachhaltige Verfahren. Damit ist der Neubau das Musterbeispiel dafür, wie klimagerechtes Bauen und Wohnen aussehen kann."

Zuspruch bekam Hofreiter von Linken-Chef Bernd Riexinger, der dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte: "Man muss den Flächenverbrauch reduzieren, aus sozialen Gründen und aus Gründen des Klimaschutzes. Deshalb können wir mit den Einfamilienhäusern nicht so weitermachen wie bisher. Wir sollten stattdessen in den Städten verdichten und Grundstücke so bebauen, dass mehr Wohnungen rauskommen – vor allem mehr bezahlbare Wohnungen."

Warum werden Einfamilienhäuser kritisiert?

Einfamilienhäuser brauchen viel Fläche, schaffen gleichzeitig aber Wohnraum für nur wenige Menschen. Dazu kommt die Versiegelung – also das komplette Zubauen – von Boden. In versiegelte Böden fließt kein Wasser ab, was das Risiko für Überschwemmungen erhöhen kann. Insgesamt wird in Deutschland zu viel Boden versiegelt. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) schreibt zu den damit verbundenen Risiken: "Mit dem Verbrauch neuer Flächen für Verkehrs- und Siedlungszwecke und zunehmender Versiegelung gehen vor allem die Lebensraumfunktion des Bodens, die Fruchtbarkeit und die Wasserdurchlässigkeit des Bodens verloren. Zu den Folgen zählen der Verlust der Bodenfauna, örtliche Überschwemmungen bei starken Regenfällen, niedrige Grundwasservorräte sowie städtische Wärmeinseln durch fehlende Verdunstungskälte. Mit den unbebauten Flächen und unversiegelten Böden als endliche Ressource muss also sparsam umgegangen werden. Die Bedeutung des Bodens als Grundlage unserer Existenz muss in den Köpfen eines jeden verankert werden, denn wir brauchen ihn wie die Luft zum Atmen."

Laut Nabu dauert es rund 2.000 Jahre, bis zehn Zentimeter fruchtbarer Boden entstehen. Dieses wertvolle Gut werde durch die Bebauung zerstört. Der derzeitige Flächenverbrauch in Deutschland entspricht laut Nabu etwa einem Einfamilienhaus pro Minute.

Die Probleme hat auch die Bundesregierung erkannt, die im Zuge ihrer Nachhaltigkeitsstrategie den Flächenverbrauch radikal begrenzen wollte. Das selbst gesteckte Ziel von 30 Hektar Flächenverbrauch pro Tag bis 2020 wurde nicht erreicht und auf 2030 verschoben. "Wir prüfen, mit welchen zusätzlichen planungsrechtlichen und ökonomischen Instrumenten das Ziel erreicht werden kann", heißt es dazu im Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Wo gibt es schon Einschränkungen beim Bau von Einfamilienhäusern?

Auslöser der aktuellen Debatte ist Hamburg-Nord: In den Stadtteilen Winterhude, Langenhorn und Fuhlsbüttel, die zusammen den Bezirk Nord bilden, wird unter dem grünen Bezirksamtschef Michael Werner-Boelz der Neubau von Einfamilienhäusern nicht mehr genehmigt. In Thüringens größter Stadt Erfurt sollen langfristig keine neuen Einfamilienhäuser mehr gebaut werden.

Auch in Schleswig-Holstein wird derzeit darüber diskutiert, ob in gefragten Wohnorten wie Kiel, Flensburg und Norderstedt noch neue Einfamilienhäuser gebaut werden sollten. Der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen empfiehlt jedenfalls, in Schleswig-Holstein keine Neubaugebiete mehr für Einfamilienhäuser auszuweisen.

Wie entwickelt sich der Flächenverbrauch in Deutschland?

Eines ist klar: Immer mehr Flächen in Deutschland werden bebaut. Laut Statistischem Bundesamt wuchsen die Siedlungs- und Verkehrsflächen von 1992 bis 2019 von 40.305 Quadratkilometer auf 51.489 Quadratkilometer. Allerdings nahm der durchschnittliche Flächenverbrauch in den vergangenen 20 Jahren deutlich ab. Im Vier-Jahres-Schnitt von 1997 bis 2000 wurden täglich knapp 130 Hektar für Siedlungen und Verkehr verbraucht, im Zeitraum von 2015 bis 2018 waren es nur noch 56 Hektar.

Wer verbraucht in Deutschland wie viel Fläche?

Laut Statistischem Bundesamt befinden sich 31 Prozent aller Wohnunterkünfte in Einfamilienhäusern – diese nehmen aber 41 Prozent der bebauten Fläche ein. Umgekehrt verhält es sich mit Mehrfamilienhäusern: 42 Prozent der Wohnunterkünfte entfallen auf 33 Prozent der Fläche. Pro Jahr werden derzeit rund 100.000 neue Einfamilienhäuser genehmigt. Beim Flächenverbrauch gibt es zudem ein Stadt-Land-Gefälle: In Gemeinden unter 2.000 Einwohnern werden im Schnitt 1.545 Quadratmeter pro Einwohner "verbraucht" – also bebaut. In Großstädten mit mehr als einer halben Million Einwohnern sind es nur 219 Quadratmeter.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP, dpa, Reuters
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