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CDU und SPD nach der Europawahl: Auf der Suche nach Hoffnung


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Union und SPD nach der Europawahl
Zwei werden durchgeschüttelt


27.05.2019Lesedauer: 5 Min.
Andrea Nahles: Die SPD-Chefin stellt ihren Posten als Fraktionschefin zur Wahl.Vergrößern des Bildes
Andrea Nahles: Die SPD-Chefin stellt ihren Posten als Fraktionschefin zur Wahl. (Quelle: Michael Sohn/ap)

Beide Regierungslager haben massiv verloren. Union und SPD müssen sich in einer neuen Wirklichkeit sortieren. Die einen reagieren mit alten Parolen, die anderen mit überharten Attacken.

Wenn einem der Schreck in die Glieder fährt, dann kann es passieren, dass es einen schüttelt, von innen heraus und unkontrolliert. Es kann aber auch sein, dass man sich selbst kurz schüttelt, einmal kräftig zwinkert, durchatmet, und weitermacht.

Wer am Tag nach dem politischen Beben bei der Europawahl SPD und CDU beobachtet, der gewinnt sehr den Eindruck, dass in beiden einstigen Volks- und heutigen Regierungsparteien den maßgeblichen Personen die Kontrolle entglitten ist. Dass sie sich nicht berappeln, sondern immer noch durchgeschüttelt werden von den Ereignissen dieser außergewöhnlichen Wahl.

Die gleiche Antwort auf neue Fragen

In der SPD rumorte es in der Vorstandssitzung, die erst nach hinten verschoben, dann verlängert wurde, bevor Andrea Nahles knapp verkündete, dass die Partei kommende Woche eine Vorstandsklausur abhalten werde. Auf der Klausur soll besprochen werden, dass die SPD erstens nicht genügend Strategiefähigkeit habe, dass ihr zweitens klare Positionen fehlten und dass sie drittens ihr Profil in der Regierung nicht genug schärfe.

Also all das, was schon nach der Bundestagswahl 2017 besprochen, analysiert und dann anders umgesetzt werden sollte. Die Wahl ist eine andere, das Ergebnis noch schlechter, neue Gründe wie die Klimaschutzpolitik kommen hinzu, aber die Antwort der SPD ist die Gleiche. Sie versucht, die Kontrolle zu gewinnen, indem sie tut, was sie tat, während sie die Kontrolle verloren hat.

Am Morgen hatten Parteilinke ein Papier lanciert, das eigentlich für den Vorabend angekündigt war. Darin fordern sie klare Ansagen an die Union - etwa ein Klimaschutzgesetz noch in diesem Jahr und vor allem die Grundrente der SPD ohne Bedürfnisprüfung. Da die Union den Zeitplan für das Klimaschutzgesetz in Frage stellt und die Grundrente ohne Bedürfnisprüfung ausschließt, ist das die Vorbereitung des Koalitionsbruchs im Winter zur Halbzeitevaluation.

Aus zwei schlechten wurden zwei sehr schlechte Optionen

Dass in der Sitzung auch darüber geredet wurde, ob die Koalition noch halten kann, daraus machte Nahles kein Geheimnis. Die Mehrheit habe das aber skeptisch gesehen, sagte sie. Was sicher auch daran liegt, dass man ein katastrophales Abschneiden bei den Landtagswahlen in Brandenburg, vor alle aber Sachsen und Thüringen schon einpreist. Würde man jetzt brechen, würde man das Spitzenpersonal wegdrängen, dann startete der oder die Neue direkt in die nächsten Niederlagen. Auch deshalb bricht die Personaldiskussion noch nicht voll durch.

Doch was im Winter schon abzusehen war, ist jetzt real: Die Möglichkeiten der SPD schwinden immer weiter. Aus zwei schlechten Optionen, weitermachen als 20-Prozent-Partei oder die Koalition aus Kalkül beenden, sind nach Bremen und der Europawahl zwei sehr schlechte Optionen geworden, weitermachen als 15-Prozent-Partei oder die Koalition als Verlierer aus Kalkül beenden.

Eine echte Idee, wie man den Osten gewinnen könnte, hat niemand. Dass man zwar jahrelang über Klimaschutz geredet, ihn aber in der Regierung nie entschieden vorangetrieben hat, fällt der Partei jetzt auf die Füße. Dass auch der einstige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die damalige Umweltministerin Barbara Hendricks immer wieder ausbremste, versinnbildlicht die Misere. Dass die Umweltministerin Svenja Schulze jetzt das Klimaschutzgesetz am Kanzleramt vorbei an die anderen Ministerien schickte, ist nicht mehr als eine Geste. Zudem drohen der SPD die Städte verloren zu gehen, in denen sie bisher noch recht stark war. Die Grünen waren diesmal die Stadtpartei.

Die SPD wird durchgeschüttelt, und sie weiß nicht, was sie dagegen tun kann.

An die Grünen verloren, doch die AfD im Blick

Auch die CDU hat schwer verloren, zehrt aber noch vom Stimmenspeck der geruhsamen Merkeljahre. Aber wer nur noch bei den Menschen über 60 die stärkste Kraft ist und wer auf Landtagswahlen zusteuert, die nicht verloren werden dürfen, vor allem nicht gegen diesen Gegner, die AfD, der muss sich ernste Fragen stellen. Auch wenn die Parteichefin noch nicht angegangen wird.

Ähnlich wie die Sozialdemokraten, muss auch die CDU sich fragen, wie sie in den Städten, unter den nicht ganz Alten und im Osten zugleich wieder zulegen kann. Ihr innerer Konflikt wird kaum abklingen: Einerseits hat sie an keine Partei so viel verloren wie an die Grünen. Andererseits hängt das Schicksal der Parteichefin, aber auch die Grundausrichtung der Partei an den Ergebnissen in den drei ostdeutschen Ländern - und dort landete die CDU zweimal hinter der AfD, in Thüringen nur knapp vor ihr.

Die Ergebnisse der Kommunalwahlen immerhin waren besser für die CDU, schlechter für die AfD. Das wird jetzt von Vertretern der Union als Beleg dafür angeführt, dass man mit regionalen Themen gewinnen könne. So oder so muss die Union gegen die AfD bestehen, ohne die anderen noch mehr zu verschrecken.

Kontrolle über Kommunikation entglitten

Dass diese Wahl ihre Spuren hinterlassen hat, fällt vor allem auf, weil der CDU an diesem Tag so offenkundig die kommunikative Kontrolle entgleitet. Sowohl öffentlich als auch intern.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Thomas Bareiß twitterte: "Wenn die Erstwähler mal ihr eigenes Geld verdienen und selber spüren wer das alles bezahlen muss sieht die Wahl vielleicht auch wieder anders aus. Ich bin sicher, dass schlussendlich die Vernunft siegt." Als hätte nicht der größere Teil der arbeitenden Menschen, sondern nur eine Gruppe von Teenagern die Grünen gewählt.

Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident, der von allen Demokraten in Ämtern derzeit die zugleich undankbarste, schwerste und folgenreichste Aufgabe hat, die AfD-Hochburg Sachsen für die CDU zu verteidigen, sagte, er sehe mit Sorge, dass Parteien gewännen, die "nur ihre eigene Position als das Absolute sehen" und "nicht fähig sind zu Kompromissen" - und meinte damit AfD und Grüne. Dieselben Grünen, die mit CDU, SPD, in einer Ampel, einer Jamaika- und einer Kenia-Koalition sowie in Rot-rot-grünen Koalitionen mit SPD und Linken an der Spitze koalieren.

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Die Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte über das Video der mehr als 80 YouTuber, die dazu aufgerufen hatten, nicht Union, SPD und erst recht nicht AfD zu wählen, sie habe sich gefragt, was los wäre, hätten 70 Redaktionen diesen Aufruf veröffentlicht; nur sind YouTuber keine Journalisten, eher vergleichbar mit Popstars, Fernsehstars oder Sportlern. Bestenfalls also handelt es sich um einen schiefen Vergleich, schlimmstenfalls klingt es wie Liebäugeln mit der Beschränkung von Meinungsäußerungen im Internet.

Heftige Schuldzuweisung

Dazu kommt die interne Uneinigkeit. Noch am Wahlabend verschickte die Parteizentrale eine erste Analyse an den Vorstand. Darin wird als Grund für das schwache Abschneiden bei jungen Wählern auch auf den "vermeintlichen 'Rechtsruck'" in der Jungen Union verwiesen, als ein Beispiel neben dem Umgang mit den Fridays-For-Future-Protesten und den Videos des YouTubers Rezo, der Haltung zu Uploadfiltern und der starken Präsenz der sehr rechten Werteunion in den Medien. Das ist offene Kritik vor allem an einer Aussage des JU-Chefs Tilman Kuban, der von einer "Gleichschaltung" der Partei gesprochen hatte, aber keine dramatische Schuldzuweisung. Kuban reagierte heftig: "Das eigene Haus hat in der letzten Woche völlig versagt, und jetzt sollen andere schuld sein?", sagte er der "Welt".


Die CDU klingt zumindest an diesem Tag nach der Wahl nicht nach einer Partei, die mit sich im Reinen ist, und auch nur in der Lage, sich ohne Zorn und Leidenschaft in einer neuen Welt neu zu sortieren.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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