Köpfe, Themen, schwache Gegner Fünf Gründe, warum die Grünen derzeit durchstarten
Fünf Tage vor der Landtagswahl in Bayern dürfen die Grünen auf ein Traumergebnis hoffen. Ihr Aufschwung im Freistaat bestätigt zugleich einen bundesweiten Trend. Darum sind die Grünen derzeit so stark.
Bis Mitte des Jahres war völlig unklar, wer in Bayern die Nummer zwei hinter der CSU würde: SPD, AfD oder Grüne. Wenige Tage vor der Wahl scheint die Frage beantwortet: Die Grünen haben sich in Umfragen klar abgesetzt. Die Partei nähert sich der 20-Prozent-Marke. Sie könnte ihr Ergebnis von 2013 mehr als verdoppeln.
Das wäre für die Grünen ein bahnbrechender Erfolg. Noch sind es nur Umfragewerte, am Sonntag sind auch durch das Wahlrecht noch Verschiebungen möglich. Die Grünen selbst warnen beflissen. Doch die Zahlen fügen sich ein ins Gesamtbild. In Hessen, wo zwei Wochen nach Bayern gewählt wird, in Nordrhein-Westfalen und bundesweit sind die Grünen in Umfragen zuletzt auf 18 Prozent geklettert.
Die Frage ist: Warum?
1. Der Asylkrach in der Union hat die Grünen gestärkt
Auf dem Höhepunkt der Asylkrise im Juni stand die Union bundesweit noch stabil bei mehr als 30 Prozent. Die Grünen kamen in Umfragen auf elf bis 13 Prozent. Ähnlich das Bild in Bayern: Die CSU lag bei 40 Prozent und mehr, die Grünen mit 13 Prozent etwa gleichauf mit SPD und AfD.
Dann aber eskalierte die CSU den Streit mit der Schwesterpartei CDU über die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze. Die Werte der Union gerieten ins Rutschen – die Grünen starteten durch. Die Union sackte im Bund auf 26 bis 28 Prozent ab, die CSU in Bayern auf nur noch 33 bis 35 Prozent. Die Grünen erreichen bundesweit aktuell 15 bis 18 Prozent, ebenso stark sind sie in Bayern.
Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass bundesweit aktuell doppelt so viele ehemalige Unionswähler zu den Grünen wechseln wie zur AfD.
2. Die Grünen sind der klare Gegenentwurf zur AfD
Die Entwicklung der Umfragen zeigt: Das Kalkül vor allem in der CSU, durch verbale Entgleisung und eine vorgebliche Politik der Härte gegen Asylbewerber der AfD das Wasser abzugraben, geht nicht auf. Wenn der Umgang mit Flüchtlingen das beherrschende Thema ist, richten mehr Menschen ihre Wahlentscheidung danach aus. Das Ergebnis: Die AfD wird eher stärker als schwächer. Gleichzeitig wird auch der ideologische Gegenpol gestärkt: die Grünen.
Ob es um das Bekenntnis zu Europa geht, die offene Gesellschaft oder um die Verteidigung von Minderheitenrechten – die Grünen haben sich klar positioniert. Und das seit vielen Jahren. Insbesondere ihre Haltung zur Flüchtlingspolitik ist eindeutig. Die Fraktionsgemeinschaft der Union wäre dagegen daran fast zerbrochen. Auch die Linke liefert sich erbitterte Debatten, ebenso wie SPD und FDP. Keine andere Bundestagspartei ist so entschieden liberal und pluralistisch wie die Grünen.
3. Die Grünen profitieren von der Schwäche der SPD, aber nicht nur
Die Hälfte der aktuellen Sympathisanten wählten bei der Bundestagswahl 2017 noch nicht die Grünen. Laut einer Forsa-Umfrage gewinnen die Grünen bundesweit Anhänger von ganz verschiedenen Parteien.
Darunter sind viele enttäuschte SPDler, die sich nun der Ökopartei zuwenden: Zwei von fünf neuen Anhängern kommen von den Sozialdemokraten. Dabei dürfte eine Rolle spielen, dass das neue Spitzenduo Robert Habeck und Annalena Baerbock die Frage des sozialen Zusammenhalts in den Vordergrund rückt.
Ein Viertel der neuen Grünen-Anhänger wählte aber zuletzt die Union. Und etwa ein Drittel kommt von anderen Parteien und Nicht-Wählern. Die Grünen gewinnen also nicht nur im linken Lager.
4.Grüne Themen treiben die Menschen auf die Straße
In Bayern positionierte sich die Partei frühzeitig als Wortführer im Protest gegen das Polizeiaufgabengesetz. Sie schob die Demonstrationen dagegen maßgeblich an. Einem Demonstrationsaufruf im Mai folgten rund 40.000 Menschen.
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Die Grünen mobilisierten auch für die Kundgebung am Wochenende im Hambacher Forst, der sich zwischen 30.000 und 50.000 Menschen anschlossen. Andere Großdemos zu klassisch grünen Themen wie Massentierhaltung oder Asylpolitik zogen in jüngster Vergangenheit wiederholt Zehntausende Menschen an.
Kernanliegen der Ökopartei bringen derzeit also wieder viele Menschen auf die Straße. Dabei dürfte besonders geholfen haben, dass der Dürresommer die Debatte über den Klimawandel wieder neu entfacht hat.
5. Neue Köpfe, neuer Wind
Robert Habeck und Annalena Baerbock führen die Partei ruhig. Sie kommen offenbar gut an, die Mitgliederzahlen steigen, größeren Streit gab es in den vergangenen Monaten nicht. Nach außen sendete die Partei so das Signal: Sie ist zur Erneuerung in der Lage. Neues Spitzenpersonal muss nicht aus der bestehenden Führung nachrücken – anders als in der SPD. Baerbock war einfache Abgeordnete. Habeck kam gar nicht aus Berlin. Er war bis August Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein.
"Die beiden machen's einfach gut", sagt Fraktionschef Anton Hofreiter über das Führungsduo. Damit meint er vielleicht auch, dass sich Habeck und Baerbock nicht in Flügelkämpfe verstricken. Beide sind Realos, die gleichwohl auch linke Themen nach vorn stellen. Habeck sagt, er wolle "den sozialen Zusammenhalt neu begründen". Er wolle weg vom Ruf der Milieupartei, der das Soziale egal sei. Mehrfach haben er und Baerbock den neue Anspruch der Partie formuliert: führende Kraft der linken Mitte zu werden.
- Bericht des "Tagesspiegel"
- Eigene Recherchen