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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CSU-Schwäche im Heimatland Ein Bayernwahl-Debakel hätte bundesweite Konsequenzen
Dass die CSU ihre absolute Mehrheit verliert, scheint einen Monat vor der Landtagswahl in Bayern so gut wie sicher. Das hätte Folgen für die Partei, das Bundesland – und den Bund.
Als es zum letzten Mal so schlecht um die CSU stand wie jetzt, rollten in der Partei Köpfe. Es war im Herbst 2008, die Christsozialen hatten bei der Landtagswahl ein Debakel erlebt, gemessen an den eigenen Ansprüchen jedenfalls. Anschließend stellte erst Parteichef Erwin Huber sein Amt zur Verfügung, dann Ministerpräsident Günther Beckstein.
Die CSU war damals auf historisch schwache 43,4 Prozent abgerutscht. Heute wäre das ein gutes Ergebnis. In den beiden aktuellsten Umfragen kommt die CSU auf rund 36 Prozent. Von der Landtagswahl wird deshalb viel abhängen. Nicht nur die künftige Rolle der CSU in Bayern. Das Ergebnis dürfte Auswirkungen haben, die weit über Bayern hinausreichen.
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Muss Söder zurücktreten?
Zuerst geht es um Markus Söders Karriere. Die wenigsten glauben zwar, dass Söder wegen eines schlechten Abschneidens zurücktreten muss. Es fehlt ein plausibler Nachfolger. Sollte die CSU aber nur 35 Prozent oder weniger holen, könnte es eng werden.
Wahrscheinlich aber wird Söder bleiben und die Schuld an einem schwachen Ergebnis auf Berlin schieben. Also auf seinen alten Gegner, Parteichef Horst Seehofer. Es geht also, zweitens, um dessen Zukunft – mit, drittens, Folgen für die Regierung und die Ausrichtung der Partei.
Verliert die CSU viel, muss Seehofer wohl die Parteispitze räumen. Für die Nachfolge kommen vor allem zwei infrage: Söder, der dann aber selbst geschwächt wäre. Und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der aber in der Partei wenig loyale Anhänger hat.
Weiter Krise zwischen CDU und CSU?
Außenseiterchancen haben Manfred Weber, der wohl Spitzenkandidat der Konservativen für die Europawahl wird, aber vielen Konservativen zu liberal, und in Brüssel zu weit weg ist. Einige Liberale träumen noch vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann, der aber als Spitzenkandidat das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl verantwortet.
So oder so, Seehofers Position in der Bundesregierung wäre durch ein schlechtes Ergebnis massiv geschwächt. Die zunehmend selbstbewusste Landesgruppe im Bundestag könnte sich dann noch stärker gegen die CDU und Kanzlerin Merkel stellen – erst recht, sollte Alexander Dobrindt Parteichef werden.
Schneidet die CSU wider Erwarten sehr gut ab, könnte Söder Ansprüche auf den Parteivorsitz erheben. Oder Seehofer würde sich behaupten, und in Berlin erst recht seine Spitzen gegen die Kanzlerin fortsetzen. Dass sich das Verhältnis von CDU und CSU entspannt, ist also nicht zu erwarten.
Welche Flüchtlingspolitik?
Viertens geht es um die Frage, welche Flüchtlingspolitik die Union künftig machen wird. Die Partei hatte das schwache Abschneiden bei der Bundestagswahl als Folge der Migrationspolitik interpretiert. In der Folge trieb sie restriktivere Maßnahmen voran, verschärfte die Sprache und Seehofer drohte im Streit mit Merkel sogar mit Rücktritt.
Das Kalkül ging offenbar nicht auf. Die CSU stürzte in den Umfragen ab. Eine Mehrheit unterstellte der Partei und ihrer Spitze, eigene Interessen vor die des Landes zu stellen. Die Beliebtheitswerte von Seehofer und Söder sanken. Der bayerische Ministerpräsident landete in einer Forsa-Umfrage jüngst auf dem letzten Platz unter den Regierungschefs der Flächenstaaten.
In Söders Umfeld hält man die Eskalation Berichten zufolge heute für einen Fehler – und steuert gegen. In einer Bierzeltrede im Berchtesgadener Land sprach er mit Blick auf Asyl von Balance und lobte den Einsatz von Bürgermeistern, Kirchen und Flüchtlingshelfern seit 2015.
Sollte die CSU sich noch erholen, wird sich Söder das als Verdienst zuschreiben wollen. Die Deutung wird dann wohl heißen, dass Nüchternheit mehr Erfolg bringe als Polemik. Sollte die CSU wie erwartet schlecht abschneiden, wird wohl Söders Umfeld das auf den Krawall der vergangenen Monate zurückführen.
Viel spricht deshalb dafür, dass die CSU sich künftig weniger brachial gegen Flüchtlinge positionieren wird. Aber sollte Alexander Dobrindt an die Parteispitze kommen, könnte es anders kommen. Er gilt als der eigentliche Scharfmacher in der Partei.
Die neue Rolle der CSU
Die CSU wird nach dem 14. Oktober einen Koalitionspartner brauchen. Es geht also, fünftens, um das Selbstverständnis der Union. Bisher sah sich die CSU als Staatspartei. Die absolute Mehrheit war ihr Anspruch. Jetzt könnte die CSU so weit absinken, dass sie nicht mehr stärkste Einzelpartei in einem Bundesland ist. Und sie könnte gezwungen sein, mit einem ideologischen Gegner zu koalieren.
Rechnerisch kämen als Koalitionspartner infrage: die SPD und die Grünen. Die Freien Wähler nur, wenn es die FDP nicht in den Landtag schafft. Und die AfD. Es geht damit, sechstens, auch um die Haltung der Union zur AfD. Die CSU, die innerhalb der Union weit rechts steht, hat ein Bündnis mit der AfD schon ausgeschlossen. Diese Entscheidung könnte aber auf die Probe gestellt werden, sollten SPD und Grüne den Rücktritt Söders zur Bedingung für ein Bündnis machen.
Können Schwarz und Grün miteinander?
Eine Koalition mit der SPD ist denkbar, eine mit den Grünen auch. Die Spitzenkandidatin Katharina Schulze verbindet im Wahlkampf Ökologie mit Heimatverbundenheit. Die Grünen sind in Bayern für Konservative wählbar. Und sie wollen mitregieren. Das sagen sie in ihrem Wahlprogramm.
Doch zuletzt hat sich der Streit zwischen CSU und Grünen wieder verschärft. Co-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann sagte: "Solange die CSU im AfD-Gewand herumläuft, ist eine Zusammenarbeit unvorstellbar." Auch das Polizeiaufgabengesetz müsse geändert werden, sagen die Grünen. Andererseits machte CSU-Generalsekretär Markus Blume die Grünen für den Aufstieg der AfD verantwortlich.
Diese neue Schärfe folgt wahrscheinlich auch daraus, dass die Grünen in Umfragen derzeit deutlich zweitstärkste Kraft sind. Sie könnten sich, wie im sozialstrukturell durchaus ähnlichen Baden-Württemberg, als stärkste linke Partei in Bayern etablieren. Damit geht es, siebtens, auch um die Vorherrschaft im linken Lager, im Bayern jenseits der CSU. Und langfristig, wie in Baden-Württemberg, vielleicht sogar irgendwann um die Möglichkeit, die CSU in der Staatskanzlei abzulösen.
- Eigene Recherchen
- "Berliner Zeitung" zur Bayernwahl