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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat ein Türkei-Problem


SPD-Kanzlerkandidat
Das Türkei-Problem des Martin Schulz

spiegel-online, Von Florian Gathmann und Severin Weiland

Aktualisiert am 16.03.2017Lesedauer: 4 Min.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.Vergrößern des Bildes
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. (Quelle: ap-bilder)

Martin Schulz ist bisher nicht zu packen - deshalb gräbt die Union nun alte Äußerungen von ihm zur EU-Mitgliedschaft der Türkei aus. Seine unklare Haltung könnte für den SPD-Kanzlerkandidaten tatsächlich zum Problem werden.

Der türkische Präsident kennt kein Halten mehr: Wer sich seinem Auslandswahlkampf und dem seiner Minister in den Weg stellt, den vergleicht Recep Tayyip Erdogan mit Nazi-Deutschland - selbst wenn es sich bei den Niederlanden um ein Land handelt, das wie kaum ein anderes in Westeuropa unter der Hitler-Herrschaft gelitten hat. Um seine Verfassungsreform durchzusetzen, scheint Erdogan jedes Mittel recht zu sein. Er profiliert sich gegen äußere "Feinde", um zu Hause zu punkten - ein probates Mittel aus dem Machtpolitik-Baukasten.

Doch die Türkei wird nun auch in Deutschland zusehends zum Wahlkampfthema: CDU und CSU schießen sich auf SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ein, weil dieser lange Zeit ein klarer Befürworter des türkischen EU-Beitritts war.

Die Haltung des früheren Europaparlaments-Präsidenten hat sich zwar über die Jahre verändert. Insbesondere seit den Reaktionen der türkischen Führung auf den Putsch-Versuch im vergangenen Sommer sieht man auch in der traditionell beitrittsfreundlicheren SPD die EU-Perspektive der Erdogan-Türkei sehr viel skeptischer. Nur: Während führende Unions-Politiker seit Wochen ein Ende der Verhandlungen mit Ankara fordern, äußern sich Schulz und Co. gar nicht zu diesem Thema - oder sehr viel unentschiedener.

Genau darin sieht man nun in der Union offenbar die Chance, dem SPD-Kanzlerkandidaten zu schaden. Bisher ist das CDU und CSU - mit Blick auf die kontinuierlich guten Umfragewerte von Schulz und seiner Partei - trotz verschiedener Versuche nicht gelungen.

Am härtesten wird Schulz von den Christsozialen angegangen, die mit dem Slogan werben: "Für die CSU ist klar: kein EU-Beitritt der Türkei!" In einem aktuellen Spot auf der CSU-Facebook-Seite, der schon mehr als 300.000 Mal aufgerufen wurde, wird die Attacke mit dramatischen Klängen unterlegt.

Zunächst ist ein Erdogan-Zitat zu sehen: "Eure Praktiken unterscheiden sich nicht von den früheren Nazi-Praktiken." Dann heißt es: "Vom Kandidaten Schulz kein Wort dazu. Klar, denn er hat seit Jahren ein festes Ziel." Anschließend folgt ein Redeausschnitt von einer Veranstaltung aus dem Europawahlkampf 2009, in der sich der Sozialdemokrat für den türkischen EU-Beitritt ausspricht. Zum Abschluss ist CSU-Vize Manfred Weber zu sehen, der im Europaparlament der konservativen EVP-Fraktion vorsitzt. Er sagt: "Wer Martin Schulz wählt, der holt die Türkei in die Europäische Union - und das ist falsch."

Weber ist nicht der einzige Unions-Spitzenmann mit diesem Vorwurf. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte über Schulz: "Er wollte immer den EU-Beitritt der Türkei." CDU-Vize Julia Klöckner meinte: "Er steht für den EU-Beitritt der Türkei, was wir ablehnen." Und CDU-Generalsekretär Peter Tauber kritisierte, der SPD-Mann habe den EU-Beitritt der Türkei immer wieder gefordert.

Tatsächlich ist die Sache etwas komplizierter. Wie die ganze Geschichte der türkischen Beitrittsverhandlungen.

Sie gleicht einer Endlosschleife. 2004 entschieden die Staats- und Regierungschefs der EU, die Gespräche mit der Türkei "beitrittsoffen" zu eröffnen, im Jahr darauf liefen sie an. Doch seitdem ist fast nichts geschehen. Von 35 Kapiteln zu einzelnen Sachfragen, die verhandelt werden müssen, sind nur 16 geöffnet worden. Lediglich im Bereich Wissenschaft und Forschung wurde ein Kapitel geschlossen - und das auch nur vorläufig.

Im Herbst 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, kam die EU allerdings unter Druck wegen des Deals mit der Türkei. So wurde der Regierung in Ankara versprochen, den stockenden Beitrittsprozess wiederzubeleben. Und so wurde das Kapitel Wirtschafts- und Währungspolitik im Dezember 2015 geöffnet, das zu Finanzen- und Haushaltsvorschriften Ende Juni 2016. Doch der Putschversuch zwei Wochen später und die harsche Reaktion Erdogans gegen die Opposition haben die Gespräche ins Stocken gebracht.

Bundesregierung hält an Beitrittsprozess fest

Die Bundesregierung hält zwar an dem ergebnisoffenen Prozess fest, die Eröffnung weiterer Kapitel ist aber laut Regierungssprecher Steffen Seibert derzeit undenkbar. Einen Schritt weiter ging das EU-Parlament, das sich im November in einer fraktionsübergreifenden Resolution - auch mit Stimmen der dortigen SPD-Europaabgeordneten - für ein vorübergehendes Einfrieren der Beitrittsgespräche aussprach. Das Votum aber ist rein symbolischer Natur und daher folgenlos: Weder EU-Kommission noch Mitgliedstaaten sind daran gebunden.

Sozialdemokrat Schulz hat sich zuletzt Anfang Januar in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" - damals noch Europaparlamentschef und noch nicht SPD-Kanzlerkandidat und designierter Parteichef - zum Thema geäußert. Die Beitrittsverhandlungen seien richtig, "weil wir die Türkei als Partner brauchen und weil wir so positiv auf das Land einwirken können", sagte er damals.

Das klingt schon deutlich reservierter als in der Vergangenheit, aber eine klare Absage an die Türkei wollte und will Schulz nach wie vor nicht formulieren. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, sagt immerhin: "In der heutigen Verfassung kann die Türkei natürlich kein Mitglied der EU werden." Die Attacken der CSU gegen Schulz wehrt er mit der Bemerkung ab, CSU-Chef Horst Seehofer sei schon gegen Beitrittsgespräche gewesen, als die Türkei noch pro-europäische Reformen gemacht habe. "Damit hat Seehofer leider die Hardliner in Ankara gestärkt", spielt Annen den Ball wieder zurück.

Und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagt, wenn sich Erdogan mit seinem Verfassungsreferendum durchsetze und dem Präsidenten damit nahezu unbeschränkte Macht verliehen werde, "dürfte sich der EU-Beitritt der Türkei für unabsehbare Zeit erledigt haben". Der hätte sich allerdings, falls Erdogan das Referendum gewinnt und - wie angekündigt - die Todesstrafe wieder einführt, ohnehin aus formalen Gründen erledigt.

Die generelle Zurückhaltung der SPD in dieser Frage hat wohl auch damit zu tun, dass die Sozialdemokraten traditionell stärker von Deutschtürken gewählt werden als die Union. Andererseits ist Kanzlerkandidat Schulz am Ende mit seiner Haltung doch ziemlich nah bei Amtsinhaberin und CDU-Chefin Angela Merkel. Sie hat den EU-Beitritt der Türkei anders als ihr SPD-Vorgänger Gerhard Schröder nie gefordert, als Oppositionschefin hatte Merkel lediglich vom Ziel der privilegierten Partnerschaft gesprochen.

Doch als Regierungschefin nennt sie die Gespräche ergebnisoffen - so wie es der aktuelle Koalitionsvertrag vorsieht. Etwas anderes hat Merkel selbst nach den Entwicklungen der vergangenen Wochen nicht formuliert.

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