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Grüne stellen sich neu auf – Politikexperte: "Partei als Ganzes hat versagt"


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Nach dem Grünen-Beben
"Das ist kein großer Verlust für die Partei"

  • Jakob Hartung: Redakteur für Politik und Wirtschaft
InterviewVon Jakob Hartung

26.09.2024Lesedauer: 3 Min.
Statement der Grünen-ParteivorsitzendenVergrößern des Bildes
Sie machen Platz für einen Neustart: Omid Nouripour und Ricarda Lang, die Co-Vorsitzenden der Grünen. (Quelle: Fabian Sommer/dpa/dpa-bilder)
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Die Grünen stellen sich nach katastrophalen Wahlergebnissen personell neu auf. Es sind jedoch größere Veränderungen notwendig, erklärt ein Politikexperte.

Dieser Abgang kam überraschend. Der gesamte Vorstand der Grünen ist zurückgetreten. Ricarda Lang und Omid Nouripour machen Platz für einen personellen Neuanfang an der Spitze der Partei. Der zehnköpfige Vorstand der Grünen Jugend ging noch einen Schritt weiter und ist gleich ganz aus der Partei ausgetreten.

Was der Schritt des Grünen-Vorstands für die Partei, Wirtschaftsminister Robert Habeck und den Klimaschutz in Deutschland bedeutet, erklärt Politikexperte Lothar Probst im Gespräch mit t-online.

t-online: Herr Probst, was bedeutet der Rücktritt des Vorstands für die Partei?

Lothar Probst: Die Grünen können jetzt neue Gesichter präsentieren, aber das ist noch kein Schritt in Richtung einer inhaltlichen Neuausrichtung. Sie gelten vielen Menschen als realitätsfern, ideologisch verbohrt und als Verbots- und Gängelungspartei. Darüber hinaus tun die politischen Mitbewerber alles dafür, sie kleinzuhalten. Die Grünen sollten sich daher der neuen Realität unserer Gesellschaft stellen.

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Lothar Probst (Quelle: teutopress GmbH via www.imago-images.de/imago-images-bilder)

Zur Person

Lothar Probst, geboren 1952, ist emeritierter Professor der Universität Bremen. Sein Schwerpunkt liegt in der Parteienforschung. Der Politikwissenschaftler hat zahlreiche Beiträge über die Geschichte und Entwicklung der Partei der Grünen veröffentlicht.

Wie sieht die aus?

Es ist mittlerweile so, dass Umweltthemen nicht mehr durchdringen, obwohl wir immer häufiger Naturkatastrophen wie Dürren oder Überschwemmungen erleben. Außerdem treibt viele Menschen die Migrationspolitik um. Doch die Grünen haben das Thema sträflich vernachlässigt.

Die schlechten Umfragen und verheerenden Wahlergebnisse in diesem Jahr waren ausschlaggebend für den Rücktritt von Nouripour und Lang. Waren die beiden allein für die Misere der Grünen verantwortlich?

Nein, der alte Vorstand war sicherlich nicht allein schuld an der Krise der Grünen. Die Partei als Ganzes hat versagt, vor allem diejenigen, die ständig die Politik der Regierungsmitglieder kritisiert haben. Auch Teile der Regierung haben mit dem unbeliebten Heizungsgesetz zu dem Stimmungstief beigetragen.

Können die Grünen von dem Rücktritt profitieren?

Personen machen in der Politik immer einen Unterschied. Als Robert Habeck und Annalena Baerbock im Jahr 2019 als Führungstandem auftraten, hat das den Grünen sehr genützt. Nun sind wir aber in einer ganz anderen Situation. Jetzt reicht es nicht, nur die Personen auszutauschen. Die Partei muss einen Kurswechsel vornehmen.


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Es reicht nicht, nur die Personen auszutauschen. Die Partei muss einen Kurswechsel vornehmen.


Prof. Lothar Probst


Wie müsste dieser aussehen?

Die Grünen sollten den Zusammenhang zwischen Ökologie und Ökonomie stärker betonen. Jeder heute nicht in den Klimaschutz investierte Euro wird die zukünftigen Generationen das Doppelte und Dreifache kosten. Die Transformation unserer Wirtschaft wollen nicht nur die Grünen, sondern sie ist notwendig. Doch die Partei muss die Menschen dabei mitnehmen und eine akzeptierende Umweltpolitik machen.

Was meinen Sie damit?

Erstens müssen sie ihre umweltpolitischen Maßnahmen transparent begründen, zweitens auch soziale Ausgleichsmechanismen schaffen und drittens den Leuten die Angst nehmen, dass sie von der Veränderung überfordert werden. Einige Menschen haben bereits zu Hause Wärmepumpen installiert und kaufen Elektroautos. Da ist aber nur ein kleiner Teil. Damit auch die Mitte der Gesellschaft die Maßnahmen der Grünen akzeptiert, müssen sie eine andere Umweltpolitik entwickeln.

Neben dem Vorstand der Grünen ist auch der Vorstand der Grünen Jugend zurückgetreten, aufgrund Differenzen zur Partei. Er will eine neue Bewegung gründen. Zerbrechen die Grünen jetzt?

Nein, das glaube ich nicht. Der Grüne-Jugend-Vorstand wird keinen Erfolg haben.

Wieso?

Na ja, schauen Sie sich mal die Wahlergebnisse der Grünen bei jungen Leuten an. Offensichtlich hat die Grüne Jugend nicht viele Fans bei den Jugendlichen, da hat die AfD viel besser abgeschnitten. Ein großer Teil der Grünen Jugend tickt sehr weit links und bremst die pragmatische Politik der Parteiführung aus. Ihr Austritt ist kein großer Verlust für die Partei. Sollen sie doch eine linke Jugendorganisation gründen. Eine linke Alternative wie die Linkspartei hat derzeit überhaupt keine Chance, die gehen doch gerade unter.

In der Grünen-Krise bringt sich jetzt auch Robert Habeck in Stellung. Was bedeuten die Entwicklungen für seine Ambitionen als Kanzlerkandidat?

Das ist noch unklar. Robert Habeck hängt das Heizungsgesetz wie ein Mühlstein um den Hals. Gleichzeitig ist er wahrscheinlich der Einzige, der die Partei wieder auf Kurs bringen kann. Wenn Franziska Brantner eine der Parteivorsitzenden wird, könnte sie ihm den Rücken dabei freihalten.

Das heißt mit Blick auf die Bundestagswahl?

Noch lässt sich nicht absehen, ob Habeck im nächsten Jahr als Kanzlerkandidat antreten wird. Klar ist aber: Die ganze politische Landschaft kann sich innerhalb eines Jahres verändern. Wer hätte 2020 gedacht, dass der unbeliebte Scholz mal Kanzler wird? Und wenn man sich die Beliebtheitswerte anschaut, liegt Robert Habeck aktuell vor Olaf Scholz und Friedrich Merz. Insofern haben die Grünen noch ernsthafte Chancen, im nächsten Jahr um die Kanzlerschaft mitzuspielen. Es hängt aber von den Grünen ab, ob es ihnen gelingt, den Negativtrend umzukehren.

Herr Probst, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Prof. Dr. Lothar Probst
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