Nach Rücktritt von Lang und Nouripour Grüne-Jugend-Vorstand tritt aus – und hat große Pläne
Es ist der zweite grüne Knall an einem Tag: Nach dem Rücktritt des Parteivorstands zieht sich auch die Spitze des Jugendverbands zurück – und gründet offenbar eine neue Bewegung.
Der Bundesvorstand der Grünen Jugend hat sich entschieden, geschlossen aus der Partei auszutreten und beim Bundeskongress des Jugendverbands im Oktober nicht erneut zu kandidieren. Das kündigte der Kreis um die Chefinnen Svenja Appuhn und Katharina Stolla in einem Brief an, der auch t-online vorliegt. Jetzt wollen die Verantwortlichen eine neue "Bewegung" gründen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Es brauche eine "politische Kraft, die dafür kämpft, die Wirtschaft endlich in den Dienst der Menschen zu stellen" und sich um ihre Sorgen kümmere, heißt es in einer Erklärung, die der zehnköpfige Vorstand der Nachwuchsorganisation am Donnerstagmorgen veröffentlichte. Die Co-Vorsitzende, Katharina Stolla, sprach von einem Entfremdungsprozess und sagte: "Es ergibt dauerhaft keinen Sinn, linke Opposition zu einer Politik zu sein, die die eigene Partei mitträgt."
Grüne-Jugend-Vorstand verlässt Partei geschlossen
Am Vortag hatte die Gruppe zunächst mitgeteilt: "Wie ihr vielleicht schon gehört habt, haben wir – der gesamte Bundesvorstand der Grünen Jugend – uns dazu entschieden, nicht erneut zu kandidieren und morgen aus der Partei auszutreten", heißt es darin. Ihr Brief ist an die scheidenden Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Katharina Dröge und Britta Haßelmann, gerichtet.
Die Entscheidung zum Parteiaustritt sei bereits "in den letzten Wochen" getroffen worden, also noch vor der Bekanntgabe des Rücktritts des Grünen-Bundesvorstands am Mittwoch, schrieben Appuhn und Stolla weiter.
Grüne Jugend: Politik "nur noch von rechts getrieben"
"Ihr alle habt gemerkt, dass sich die Konflikte zwischen grüner Partei und Grüne Jugend in den letzten Jahren immer weiter zugespitzt haben". Als Beispiele werden das Sondervermögen für die Bundeswehr, der Konflikt um das Abbaggern des Braunkohleorts Lützerath, die Verschärfungen in der Migrationspolitik und der Streit über den Bundeshaushalt genannt.
"Wir merken, dass unsere inhaltlichen, aber auch strategischen Vorstellungen von Politik immer weiter auseinandergehen – und glauben, dass es mittelfristig keine Mehrheiten in der Partei für eine klassenorientierte Politik gibt, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt". In "Ermangelung einer hörbaren linken Opposition im Bundestag" habe die Grüne Jugend sich "zunehmend in der Rolle einer öffentlichen linken Opposition gesehen", heißt es weiter. Die Politik werde "nur noch von rechts getrieben".
Frühere Mitglieder kritisieren Grüne-Jugend-Vorstand
Der Vorstand werde seine Amtsgeschäfte bis zum Bundeskongress der Grünen Jugend vom 18. bis 20. Oktober in Leipzig gewissenhaft zu Ende führen, die Wahl des neuen Bundesvorstands ermöglichen und danach auch aus der Grünen Jugend austreten. "Wir werden uns danach aufmachen, einen neuen, dezidiert linken Jugendverband zu gründen", so die Vorstandsmitglieder.
Der Schritt sorgt auch für Kritik. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Karoline Otte war früher auch Grüne-Jugend-Mitglied und sagte t-online: "Ich verstehe den Frust und den muss die Partei und insbesondere Robert [Habeck] viel ernster nehmen, als bisher geschehen. Ich verstehe aber nicht den Weg", so Otte. Die Partei benötige einen progressiven Jugendverband, "der eng dran ist und den Neuaufstellungsprozess begleitet".
Boris Palmer ätzt gegen Grüne Jugend
Kritik an dem Schritt des Vorstands der Grünen Jugend kam auch von ehemaligen Vorsitzenden der Nachwuchsorganisation. Deren Ex-Vorsitzende, die Grünen-Abgeordnete Jamila Schäfer, bezeichnete die Austritte als "bedauerlich". "Ich verstehe den Frust, aber nicht den Weg. Es braucht gerade jetzt eine selbstbewusste Grüne Jugend, die sich in die Debatten in der Partei einmischt", schrieb sie im Onlinedienst X. Ähnlich äußerte sich der ehemalige Vorsitzende Timon Dzienus. Er verstehe die Kritik an der Ampelkoalition und der Partei, schrieb er auf X. "Aber gerade jetzt braucht es die Grüne Jugend", argumentierte er.
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der auf Drängen der Grünen-Spitze 2023 aus der Partei ausgetreten war, zeigte sich nach dem Schritt hoffnungsvoll. "Ich halte das für einen historisch richtigen Schritt, der mir für Grün große Hoffnung macht", schrieb er auf Facebook. Seine alte Partei habe im vergangenen Jahrzehnt eine "feindliche Übernahme von Innen" erlebt. "Wer Politik gegen die Wirtschaft und mit Marx‘ Theorien machen will, ist bei einer grünen Partei einfach völlig falsch aufgehoben."
Renate Künast gibt sich gelassen
Die Klimafrage sei wichtiger als der Klassenkampf. Deshalb befürworte Palmer es, "wenn jugendliche Klassenkämpfer ein eigenes Projekt aufmachen und das grüne Projekt von ideologischem Ballast befreien".
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast sieht den Schritt gelassen. "Da wundere ich mich nicht und da weine ich auch nicht", sagte sie dem RBB Inforadio. Für ihre Begriffe sei der Vorstand der Grünen Jugend "nicht realitätstauglich" gewesen und habe "einen Klassensystem-Sozialismus aufbauen" wollen. "Ich glaube, dass es viele junge Menschen in und um die Partei herum gibt, die sich jetzt vielleicht freier engagieren können bei den Grünen", sagte die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin und Fraktionschefin Künast. "Wir wollen es mit Verve jetzt anders aufbauen."
Zweites Beben an einem Tag für die Grünen
Der Bundesvorstand der Grünen Jugend war erst knapp ein Jahr im Amt. Die Chefinnen Appuhn und Stolla kritisierten in dieser Zeit die Politik der Grünen in der Regierung immer wieder sehr deutlich. Nun ziehen sie offenbar die Konsequenzen aus den fundamentalen Differenzen über den richtigen Kurs. Der Bundesvorstand des Jugendverbands besteht neben Stolla und Appuhn aus acht weiteren Personen.
Für die Grünen ist das die zweite Erschütterung an einem Tag. Am Vormittag hatte der Bundesvorstand der Partei überraschend angekündigt, geschlossen zurückzutreten. Die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour begründeten den Schritt damit, den Weg für eine Neuaufstellung der Partei freimachen zu wollen.
Die Grünen haben mit der Landtagswahl in Brandenburg am Sonntag die achte Wahl in Folge verloren. Sie ist seit Anfang 2023 aus fünf Landesregierungen ausgeschieden und steht bundesweit in den Umfragen nur noch bei zehn Prozent.
- Eigene Recherchen
- gruene-jugend.de: Bundesvorstand
- x.com: Helene Bubrowski
- x.com: Mike Schier
- Mit Material von dpa