Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Meuterei gegen eigenen Chef Jetzt hat er alles verspielt
Eine Zusammenarbeit mit der AfD doch nicht kategorisch ausschließen? Nach seiner unklaren Äußerung bricht über Friedrich Merz eine Welle der Kritik herein – vor allem aus der eigenen Partei. Zu Recht.
Die CDU steht in Flammen. Seit Friedrich Merz im "ZDF-Sommerinterview" eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene nicht grundsätzlich ausgeschlossen hat, hagelt es empörte Kommentare.
Klar, es gehört zur Stellenbeschreibung des Oppositionschefs dazu, dass er mit seinen Äußerungen auch Kritik auslöst. Doch dieses Mal gibt es einen gewaltigen Unterschied: Die massivsten Äußerungen kommen nicht vom politischen Gegner, sondern aus der eigenen Partei.
Besonders brisant ist für Merz, dass sich seit Sonntagabend nicht nur die üblichen Verdächtigen aus der CDU melden, also jene, die bei dem 67-Jährigen schon immer Bauchschmerzen hatten, nur zähneknirschend seine Wahl zum Parteichef akzeptierten und danach jede Gelegenheit nutzten, um diskret Stimmung gegen ihn zu machen.
"Wehret den Anfängen!"
Nein, die Kritik kommt nun selbst von jenen, die eigentlich hinter Merz stehen und anerkennen, dass er die Partei nach der Wahlschlappe 2021 wieder stabilisiert hat. Die #AfD sei eine "rechtsradikale Partei ohne jeglichen Anstand" und eine Gefahr für Freiheit, Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt, twitterte etwa der Essener CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer. Sie habe "null Interesse", dass es Deutschland gut gehe. "Nichts auf der Welt wird mich je zu einer Zusammenarbeit bewegen."
Auch der Hamburger CDU-Fraktionschef Dennis Thering distanzierte sich. "Als @CDU_Hamburg sind wir klar: Mit der offen rassistischen und zum Teil antisemitischen AfD wird es auf keiner Ebene eine Zusammenarbeit geben", schrieb er auf Twitter. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei, der eine Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken verbietet, gelte "für alle Christdemokraten".
Der frühere saarländische Ministerpräsident Tobias Hans schleuderte Merz auf Twitter sogar ein "Wehret den Anfängen!" entgegen. Er nutzte also jene Formulierung, mit der vor dem Wiedererstarken des Faschismus gewarnt wird.
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Das Ausmaß der Kritik, das über Merz hereinbricht, zeigt: Es geht gar nicht mehr nur um die Frage, ob die christdemokratische Brandmauer gegen die AfD Risse bekommen hat. In der CDU ist längst eine andere Brandmauer gefallen. Bislang war es in der Partei ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Kritik an der Führung zumindest in der Öffentlichkeit ein gewisses Ausmaß nicht überschreiten darf. Nun sind alle Hemmungen gefallen.
Das ist insofern fast schon ungerecht, weil sicher ist, dass Merz nicht heimlich mit der AfD sympathisiert – auch wenn ihm das von den Linken immer wieder fälschlich unterstellt wird. Er handelt eben nur strikt nach seiner Überzeugung. Und die besagt, dass die CDU die Themen der AfD besetzen muss, wenn sie ihr den Wind aus den Segeln nehmen will. Oder um es mit den Worten von Merz zu sagen: Wenn sie die AfD tatsächlich "halbieren" will.
Nur geht es darum spätestens seit Sonntag nicht mehr. Die heftige innerparteiliche Kritik offenbart, was viele bislang nur flüsterten: Dass Merz nicht der richtige CDU-Chef ist, dass er das Vertrauen großer Teile der eigenen Partei verloren hat. Wäre das nicht so, hätten sich viele wohl eher auf das bewährte Prinzip "Im Zweifel für den Angeklagten" berufen und ihn reflexhaft verteidigt.
Dass Merz eines nicht allzu fernen Tages vielleicht zu dem Schluss kommt, dass der 23. Juli 2023 seine Träume vom Kanzleramt endgültig beendet hat, liegt allerdings nicht an seinen Kritikern, sondern an ihm selbst.
Zweifel am politischen Instinkt
Der interne Vertrauensverlust hat schließlich Gründe. Weder ist es Merz gelungen, die AfD zu halbieren, wie er einst vollmundig versprach. Noch konnte er bislang die CDU als überzeugende neue konservative Kraft aufstellen.
Genau das aber war die Hoffnung, die viele mit ihm verbanden. Schließlich war er im Gegensatz zum gesamten Personal der Ära Merkel mehr als zehn Jahre raus aus der Politik. Obwohl er zu Beginn des Jahrtausends schon einmal Oppositionschef war, gelang ihm das Kunststück, als eine Art "Neuling" zunächst an die Spitze der CDU zu gelangen – und dann auch als Fraktionschef der Union zurückzukehren.
Die Äußerungen von Merz im "Sommerinterview" wecken allerdings Zweifel an seinem politischen Instinkt und nähren den Verdacht, er sei dann doch eher ein Mann von gestern. Ohne Not hat er der AfD, die sich gerade ohnehin guter Umfragewerte erfreut, weiter Aufmerksamkeit verschafft. Dass in der Politik das "Denken Sie nicht an einen Elefanten"-Prinzip gilt, müsste Merz eigentlich wissen. Wenn man nicht an einen Elefanten denken soll, wird man erst recht an ihn denken. Wer über etwas spricht, um es kleinzuhalten, erreicht das Gegenteil – und macht es nur größer.
Besonders problematisch für Merz ist, dass es nicht sein erster großer Patzer ist. Es gibt also durchaus berechtigte Zweifel an seiner Lernfähigkeit. Selbst seine Unterstützter beklagen schon seit Langem hinter vorgehaltener Hand, dass der Chef zu unkontrollierter Impulsivität neige.
Routine, die unglücklichen Worte zu erklären
So geschehen, als er den "Sozialtourismus" ukrainischer Kriegsflüchtlinge beklagte und sich hinterher herausstellte, dass es dafür keine Faktengrundlage gab. Oder zuletzt, als er bei der CSU-Klausur in Andechs die CDU als "Alternative für Deutschland mit Substanz" bezeichnete. Auch hier hatte er den Elefanten in den Raum geholt, die CDU quasi zur Kopie der AfD erklärt, ohne es zu wollen.
Sich mindestens missverständlich – eher schon unklar – zu äußern, ist nicht die beste Eigenschaft eines Spitzenpolitikers. Und schon gar nichts, was einen kanzlertauglich macht.
Immerhin musste Merz mit der Zeit eine gewisse Routine entwickeln, seine unglücklichen Worte später noch mal zu erklären. Am Montag um 9 Uhr hieß es in seinem Was-ich-eigentlich-sagen wollte-Tweet: "Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der @CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der #CDU mit der AfD geben".
Die Korrektur kam also rund 14 Stunden nach Ausstrahlung des Interviews. Und damit, wie so oft, spät, nachdem die Debatte schon unkontrolliert tobte. Vermutlich weil Merz – auch dies eine seiner großen Schwächen – Fehler schlecht eingestehen kann.
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Und wie geht es jetzt weiter? Nicht nur die Rivalen in der CDU werden Merz' Patzer zu nutzen wissen. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder, der jede Schwäche von Gegnern genüsslich auskostet, twitterte am Montag unmissverständlich: "Die CSU lehnt jede Zusammenarbeit mit der AfD ab – egal auf welcher politischen Ebene". So sieht also Solidarität unter Vorsitzenden von Schwesterparteien aus.
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Der Aufstand gegen den CDU-Chef in den eigenen Reihen und bei der CSU zeigt: Nicht nur für die Christdemokraten könnte das "ZDF-Sommerinterview" ihres Vorsitzenden eine Zäsur sein. Sondern auch für Merz selbst, also jenen Mann, der nach dem Rücktritt seiner Erzrivalin Angela Merkel drei Anläufe in Kauf nahm, um endlich die Führung der Partei übernehmen zu können.
Ist die CDU in der Opposition, ist ihr Chef der natürliche Kanzlerkandidat. Doch wer erfolgreich in eine Wahl ziehen will, braucht das Vertrauen seiner Partei. Oder zumindest den Glauben der eigenen Leute, dass niemand anderes den Job besser machen kann.
Diesen Glauben könnte Friedrich Merz am Sonntag unwiderruflich verspielt haben. Die entscheidende Frage in den nächsten Wochen wird sein, ob er es selbst erkennt – oder ob ihm jemand die schlechte Botschaft überbringen muss.
- ZDF-Sommerinterview mit Friedrich Merz
- Eigene Recherchen