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Großmanöver "Sapad": Russland probt den "Heißen Krieg"


Mega-Manöver in Osteuropa
Russland probt den "Heißen Krieg"

reuters, afp, dpa, Sabine Siebold

30.08.2017Lesedauer: 5 Min.
Russland plant ein Mega-Manöver – und tarnt es als Mini-Manöver. Vor allem im Baltikum sorgen sich die Nato-Mitgliedstaaten, dass das Manöver nicht rein defensiv sein könnteVergrößern des Bildes
Russland plant ein Mega-Manöver – und tarnt es als Mini-Manöver. Vor allem im Baltikum sorgen sich die Nato-Mitgliedstaaten, dass das Manöver nicht rein defensiv sein könnte. (Quelle: Eduard Korniyenko/Reuters-bilder)
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Am Anfang dürfte der Kampf gegen Aufständische stehen, am Ende der totale Atomkrieg gegen die Nato: Russland wird für ein Großmanöver in Osteuropa vermutlich rund 100.000 Soldaten mobilisieren. Nach eigenen Angaben sollen aber weniger als 13.000 Soldaten teilnehmen – so umgeht Russland international verbindliche Transparenzpflichten. NATO-Vertreter äußern sich besorgt. Dient das Manöver ausschließlich defensiven Zwecken?

Das Szenario von "Sapad 2017", wie das Manöver genannt wird, ähnelt der Vorgängerübung vor vier Jahren, doch die Sicherheitslage hat sich seither drastisch verschlechtert. Ein Jahr nach dem letzten Manöver eroberte Russland auch mit Hilfe der dort erprobten Taktiken die ukrainische Halbinsel Krim – seitdem herrscht Eiszeit zwischen dem transatlantischen Verteidigungsbündnis und dem Nachbarn im Osten.

Entsprechend aufmerksam beobachtet der Westen die neue Übung, die Mitte September Moskaus größtes Militärmanöver seit dem Kalten Krieg werden könnte.

"Als Russland die Krim eroberte, geschah dies vor dem Hintergrund eines Manövers. Auch der Einmarsch in Georgien war ein Manöver", warnte Ben Hodges, der Kommandeur der US-Truppen in Europa. Russland verstoße regelmäßig gegen Abmachungen. Die USA würden daher vorsichtshalber drei Verbände Luftlandetruppen mit bis zu 600 Soldaten für die Dauer von "Sapad" in den drei Balten-Staaten stationieren, um in höchster Alarmbereitschaft zu sein. Auch sieben zusätzliche US-Kampfjets vom Typ F-15C Eagle erreichten am Mittwoch Litauen.

Der russische Nato-Botschafter warf der westlichen Allianz dagegen vor, die Übung zu dämonisieren. Für Russland ist das Herbstmanöver Routine: Jedes Jahr ist ein anderer Militärbezirk des Riesenreichs an der Reihe, dieses Jahr der Westen, auf russisch "Sapad". Als Schauplatz der Kernübung ist Weißrussland geplant, Russlands engster militärischer Verbündeter.

Flugzeuge, Panzer und Marineschiffe

Dort sollen sich insgesamt rund 12.700 Soldaten an dem Manöver beteiligen, darunter vermutlich etwa 5500 Russen. Außerdem etwa 70 Flugzuge, bis zu 250 Panzer, 200 Artilleriesysteme und zehn Schiffe der Marine. Westliche Militärbeobachter sind nur zu Besuchertagen eingeladen. Weitergehende Transparenzpflichten, wie Überflüge des Manövers, wären laut dem sogenannten "Wiener Dokument" der OSZE erst ab einer Übung von 13.000 Soldaten vorgeschrieben.

Nach den Erfahrungen der Vergangenheit rechnet Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg allerdings auch dieses Mal mit einem wesentlich größeren Ausmaß des Manövers als offiziell angekündigt. Das Bündnisland Litauen geht sogar von 100.000 teilnehmenden Soldaten aus.

Denn abseits der Kernübung zeichnen sich bereits zahlreiche weitere Übungen ab, die am Ende in das große "Sapad"-Szenario münden dürften: Erwartet werden unter anderem Übungen der Nordflotte, in der Schwarzmeerregion und im ganzen Militärbezirk West, der an das Baltikum grenzt. Neben Heer, Luftwaffe und Marine werden dabei wohl auch die Geheimdienste, Truppen der Innenministeriums zur Aufstandsbekämpfung und zivile Stellen zum Einsatz kommen.

Geprobt werden dürfte unter anderem die strategische Verlegung von Truppen mit Flugzeugen und per Bahn in den Westen. Auch Alarmierungsübungen, für die Russland in der Vergangenheit auf einen Schlag über 80.000 Soldaten mobilisierte, werden wohl auf dem Programm stehen. Die Nato hat diese "snap exercises", die auch den Auftakt zur Annexion der Krim bildeten, angesichts der verschlechterten Sicherheitslage immer wieder als gefährlich kritisiert.

Taktische Atomwaffen vermutlich Teil der Übung

Zudem dürften wie bereits 2013 erneut taktische Atomwaffen zu beobachten sein. Nach russischer Militärdoktrin dürfen sie als eine Art "letzte Aufforderung zum Dialog" eingesetzt werden, wenn dadurch ein Atomkrieg mit strategischen Nuklearwaffen verhindert werden kann. Bereits frühere Manöver enthielten simulierte nukleare Angriffe unter anderem auf Großstädte in Polen und Schweden.

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Vor allem die drei Balten-Staaten mit ihren teils starken russischen Minderheiten, deren Territorium als schwer zu verteidigende Achilles-Ferse der Nato gilt, beobachten "Sapad 2017" mit Nervosität. Nach der Annexion der Krim stationierte die Militärallianz erstmals westliche Kampftruppen dort, jeweils ein Nato-Bataillon mit rund 1000 Soldaten soll Russland nun von einem Angriff auf Litauen, Lettland und Estland abschrecken.

Die Kampfverbände dienen vor allem als Stolperdraht, als Warnung, dass die Nato mit ihrer Führungsmacht USA eine Attacke auf baltisches Gebiet nicht hinnehmen würde. Militärisch dagegen könnten die Bataillone wohl nicht allzu viel ausrichten: Auf russischer Seite stehen ihnen im Militärbezirk West Schätzungen zufolge drei Armeen mit allein rund 100.000 Soldaten Kampftruppe gegenüber.

Enklaven-Festung an der Ostsee

Dazu kommt, dass Russland mit der zwischen Litauen und Polen eingekeilten Enklave Kaliningrad über einen Vorposten mitten im Nato-Gebiet verfügt. Seit Jahren bereits rüstet die Regierung in Moskau das Territorium an der Ostsee zur Festung auf: Für Aufsehen sorgte vor allem die Verlegung von Iskander-Raketen dorthin, die mit Atomwaffen bestückt werden können.

Doch auch die Marine wird im Zuge der Streitkräfte-Modernisierung massiv gestärkt. Kaliningrad ist Heimathafen russischer Korvetten, die mit Kaliber-Marschflugkörpern ausgerüstet sind – Lenkflugkörpern mit einer Reichweite von bis zu 2500 Kilometern, die Atomwaffen tragen und fast ganz Europa erreichen können. Zuletzt verschoss Russland den Marschflugkörper vom Kaspischen Meer aus auf Ziele in Syrien.

Anders als 2013 werden westliche Truppen beim diesjährigen "Sapad"-Manöver durch die Stationierung im Baltikum sehr nah dabei sein. Die Bundeswehr, die das Nato-Bataillon in Litauen führt, hat dabei einen Platz in der ersten Reihe: 420 deutsche Soldaten sind aktuell in Rukla im Einsatz. Von dem Örtchen aus sind es je nach Himmelsrichtung etwa 150 Kilometer zur Grenze Weißrusslands, Kaliningrads oder bis zur sogenannten Suwalki-Lücke an der Grenze nach Polen.

Suwalki-Lücke als strategische Achillesferse

Der rund 100 Kilometer lange Streifen zwischen Polen und Litauen ist so etwas wie das Fulda Gap des alten Kalten Krieges, wo die Nato einen Angriff der Roten Armee vermutete: Der schmale Landkorridor verbindet das Baltikum mit den übrigen Gebieten der Nato, trennt aber zugleich das unter Moskaus Einfluss stehende Weißrussland von Kaliningrad.

Militärs halten es daher für schwer vorstellbar, dass Russland die strategisch wichtige Suwalki-Lücke im Falle einer Krise nicht sichern würde. Zugleich würde die Regierung in Moskau damit aber das Baltikum vom Rest der Nato abschneiden. Im Juni übten amerikanische und britische Soldaten daher erstmals mit einem größeren Manöver die Verteidigung der Suwalki-Lücke gegen einen russischen Angriff.

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"Der Landstreifen ist durch seine geographische Lage sehr verwundbar. Es muss dort natürlich nicht zum Angriff kommen. Aber wenn der Korridor geschlossen würde, wären drei Verbündete im Norden möglicherweise vom Rest der Allianz isoliert", warnte US-General Hodges.

Für weitere Verunsicherung in den baltischen Staaten sorgten vor einigen Monaten Befürchtungen, Russland könnte nach dem "Sapad"-Manöver Tausende Soldaten und Militärmaterial auf Dauer in Weißrussland lassen. Zuletzt wurden derartige Mutmaßungen allerdings nicht mehr laut. Russland selbst äußert sich nicht zum Ausmaß von "Sapad", bezeichnet das Manöver aber als Reaktion auf die Stationierung der Nato-Bataillone in Polen und dem Baltikum.

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