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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampf gegen Niedergang Kompetenz unterstellt der AfD so gut wie niemand
Pleite um Pleite fing sich die AfD zuletzt ein, ihr Parteitag soll die Wende bringen. Doch die rechte Partei kämpft weiter mit sich selbst.
An diesem Wochenende ist AfD-Parteitag. Viel wird darüber spekuliert, wie die neue Parteiführung aussehen wird. Doch bei all den Wahlverlusten der letzten Zeit stellt sich die Frage, womit die AfD inhaltlich bei ihren Wählern überhaupt noch punkten kann.
Es ist paradox: Die AfD ist in Umfragen bundesweit derzeit stabil bei knapp zehn Prozent. Es kümmert ihre Anhänger offenbar kaum, dass die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf. Es ist ihnen anscheinend ebenso nicht wichtig, dass es Spendenskandale gibt. Auch wie Teile der Fraktion mit den parlamentarischen Spielregeln des Bundestages umgehen, wie kürzlich die ARD-Dokumentation "AfD-Leaks: Die geheimen Chats der Bundestagsfraktion" enthüllt hat, führt nicht offen zu Protesten.
AfD kämpft mit Problemen allerorten
Doch unter der Oberfläche brodelt es. Gerade erst hat die AfD bei den Kommunalwahlen in Sachsen weit schlechter abgeschnitten, als sie selbst erwartet hatte. Weil sie sonst landesweit in Sachsen in Umfragen mehr als 20 Prozent Zustimmung erreicht, wollte sie eigentlich auf der bürgernahen Ebene der Kommunalpolitik als Volkspartei wahrgenommen werden. Bei den letzten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hat die AfD ebenfalls viele Stimmen verloren.
Und auch auf Bundesebene gibt es reichlich Probleme: Ihr ehemaliger Vorsitzender Jörg Meuthen ist erst zurück- und dann ausgetreten. Tino Chrupalla führt die Partei jetzt allein. Der Parteichef sagte, der Krieg gegen die Ukraine habe "mehrere Väter". Sein Herausforderer um den Parteivorsitz, Norbert Kleinwächter, setzte sich hingegen dafür ein, dass Russland aus dem Europarat ausgeschlossen werden sollte. Beide Positionen riefen entsprechend harsche Kritik in unterschiedlichen Teilen der Partei hervor.
Von den Personalquerelen unberührt scheint die AfD auf den ersten Blick ihre programmatische Nische gefunden zu haben. In Umfragen sind ihre Anhänger im Vergleich zu den Wählern anderer Parteien am wenigsten zufrieden mit der Politik der Ampel in Berlin. Davon profitiert die Partei und so positioniert sie sich immer verlässlich als Gegenpol zur Regierung – zuletzt bei den Sanktionen gegen Russland und den Waffenlieferungen an die Ukraine.
Davor war es die Corona-Impfpflicht. Noch weiter zurück bot sich das gleiche Bild in der Flüchtlingspolitik oder in der Euro-Rettungspolitik. Alice Weidel, Fraktionschefin im Bundestag, nutzte die Haushaltsdebatte Anfang des Monats, um die altbekannten Themen der Partei wieder zu befeuern: Die Klimapolitik der Regierung sei schuld an den aktuellen Preissteigerungen. Weiß Weidel doch, dass die Leugnung des menschengemachten Klimawandels und die Kritik an der Energiewende die härtesten Anhänger für die Partei mobilisieren kann.
"An Glaubwürdigkeit in diesem Bereich verloren"
Ebenso sei es die niedrige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank gewesen (EZB) gewesen, welche die Inflation in die Höhe getrieben habe. So wiederholt sie die alte kritische Haltung der AfD zur Euro-Rettungspolitik. Doch diese Positionen sind fragiler, als es zunächst wirkt. Dies gilt besonders für das aktuell so brennende Thema der Inflation. "Für die AfD kommt dieses Konfliktthema gewissermaßen zu spät", erklärt der Politikwissenschaftler Alexander Hensel von der Universität Göttingen. "Nach dem Austritt vieler Ökonomen aus der Partei und der deutlichen Verschiebung von Kernthemen und Positionen hat sie an Glaubwürdigkeit in diesem Bereich verloren."
Damit kann sie viele Wähler, denen die FDP gegenwärtig zu wenig marktorientiert ist, nicht mehr so gut ansprechen. Aber auch bei sozial schwächer gestellten Wählern hat die Partei ihre Probleme, diese über eine Regierungskritik wegen der hohen Inflation für sich zu gewinnen. Denn "diejenigen Wähler, die eine rechte Gesellschaftspolitik und eine linke Sozialpolitik wollen, hat die AfD offenbar weithin mobilisiert", erklärt Hensel weiter.
Auch hinsichtlich anderer Themenfelder sieht es derzeit nicht sehr gut aus für die Partei. Denn in den bei der Bundestagswahl gemessenen Parteienkompetenzen der AfD erreichte sie nur in wenigen Feldern Zustimmungswerte, mit denen sie es schaffte, über diese Themen Wähler zu mobilisieren. Dies gilt allein für die Kriminalitätsbekämpfung und die Asyl- und Flüchtlingspolitik.
Große Mobilisierungsthemen sind dies beides gegenwärtig nicht. Sie ist damit abhängig von Krisen, von denen sie profitieren kann. Sie braucht zudem außerparlamentarische Kräfte, zuletzt die Corona-Leugner und "Querdenker", die ihren Kurs mitstützen. Besonders bei ihrer Position zum Krieg gegen die Ukraine und gegenüber Russland ist eine einfache Anti-Haltung zur Regierung nicht so leicht durchzuhalten.
Jedenfalls jenseits des harten Kerns der Partei. Gegenüber Russland knüpft sie fast an Positionen an, wie sie in Teilen der SPD noch immer vertreten werden. Dies kann unter anderem auf ihre teils starken ostdeutschen Einflüsse zurückgeführt werden. Im bürgerlichen Lager, in dem die AfD auf Stimmen von Union und FDP schielt, dürfte mit dieser Position kaum etwas zu gewinnen sein. Dies macht sie für bürgerliche Wähler erst recht unwählbar.
Steht sich die AfD selbst im Weg?
Die Gefahren für die Partei gehen aber noch tiefer. Größere Gruppen scheint die Partei mit ihrem aktuellen Kurs ohnehin nicht mehr mobilisieren zu können. Das Institut für Demoskopie Allensbach wertet regelmäßig Parteienpotenziale aus. Es versucht also herauszufinden, wie hoch der maximale Wähleranteil von Parteien sein kann. Bei anderen Parteien liegt das Potenzial teilweise doppelt so hoch, oder mindestens mehr als zehn Prozent über den aktuellen Umfrageergebnissen.
Bei der AfD ist diese Differenz minimal. In der letzten Untersuchung des Allensbach-Instituts aus dem Mai 2022 liegt die AfD in Umfragen bei neun Prozent, ihr Potenzial bei elf Prozent. Zum Vergleich: Die SPD stand zum gleichen Zeitpunkt in Umfragen bei 24 Prozent, ihr Potenzial wurde aber bei 43 Prozent gesehen. Dies zeigt: Bundesweit ist für die AfD in ihrer jetzigen Ausrichtung kaum mehr zu holen.
Die Partei wird eher alles daransetzen müssen, die aktuellen Wählergruppen halten zu können. Wie schwer dies werden dürfte, zeigt eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die sich vor Kurzem die Wahlmotive der einzelnen Parteiwähler angesehen hat. Für Anhänger der AfD kam heraus, dass diese sich überdurchschnittlich häufig aus einem "Bauchgefühl" heraus für die AfD entscheiden.
Die Problemlösungskompetenz spielt für die AfD-Parteianhänger im Vergleich zu Wählern anderer Parteien nur eine untergeordnete Rolle. Die kommenden Debatten um die zukünftige Ausrichtung können so für die Partei gefährlich werden. Die AfD kann zwar versuchen, aus dieser diffusen emotionalen Stimmung heraus auch zukünftig weiter zu mobilisieren.
Doch dies behindert die Teile der Partei, etwa um Joana Cotar und Jürgen Braun, welche die AfD "seriöser" aufstellen wollen. Denn die emotionale Wahlentscheidung verlangt nach immer weiterer Zuspitzung, muss unterschiedliche Formen der Wut vereinen und bedienen. Weitere Wählergruppen wird die AfD so kaum gewinnen können.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Alexander Hensel
- Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung: Wieso, weshalb, warum? Wahlmotive bei der Bundestagswahl 2021
- Daten zu Parteipotentialen aus Untersuchungen des Instituts für Demoskopie Allensbach
- Infratest Dimap: Wahlreport Bundestagswahl 2021