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Folgen der Landtagswahl in NRW für Deutschland: Ich war's nicht


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Folgen der NRW-Wahl für Deutschland
Ich war's nicht


Aktualisiert am 16.05.2022Lesedauer: 8 Min.
Olaf Scholz: Wie viel Bundespolitik steckt in der NRW-Wahl – und vor allem: was macht die NRW-Wahl mit der Bundespolitik?Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Wie viel Bundespolitik steckt in der NRW-Wahl – und vor allem: was macht die NRW-Wahl mit der Bundespolitik? (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)
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Keine Landtagswahl wirkt sich so stark auf die Bundespolitik aus wie die in Nordrhein-Westfalen. Entsprechend groß sind die Folgen der Düsseldorfer Eruptionen für Berlin. Ein Streifzug durch tief verunsicherte Parteien.

Damit sich niemand fragt, wann in diesem Text die nahezu unvermeidbaren Begriffe "kleine Bundestagswahl" und "bevölkerungsreichstes Bundesland" vorkommen, lautet die Antwort: Ab jetzt nicht mehr.

Allerdings ist nicht jede abgehangene Floskel falsch. Schließlich war am Sonntag fast jeder vierte Wahlberechtigte der Bundesrepublik aufgerufen, einen neuen Düsseldorfer Landtag zu wählen. Und auch wenn sich so wenige Menschen daran beteiligten wie noch nie bei einer Landtagswahl in NRW: Immerhin rund 7,2 Millionen Bürger gaben ihre Stimme ab. Im Saarland Ende März waren es nicht einmal eine halbe Million.

Weil das Land so groß ist, hatten Wahlen oft Auswirkungen auf die Bundespolitik. Als die SPD 1995 die absolute Mehrheit verlor und ein Bündnis mit den Grünen eingehen musste, galt es als Vorbote für den Bund. Drei Jahre später war es auch in Bonn so weit. Und als die Sozialdemokraten 2005 die Macht in Düsseldorf nach Jahrzehnten verloren, spielte der Kanzler in Berlin „All In“ und provozierte eine vorgezogene Bundestagswahl.

Und 2022? Fest steht: Die CDU liegt deutlich vor der SPD, die Grünen verdreifachten ihr Ergebnis, die FDP wäre mit einer Halbierung schon glücklich. Und bei der CDU fühlen sich irgendwie alle Flügel als Sieger.

Nur sind eben alle Parteien auch verunsichert. Die Union weiß immer noch nicht, ob der Merkel-Kurs nicht doch mehr zieht als der von Merz. Die Ampel besteht nun aus zwei Parteien, die vom Regieren nicht profitieren – und einer, die sich zwar freuen kann, durch Triumphgeheul aber weitere Instabilität schaffen würde.

Und so zeichnete sich am Montag ab, dass die Republik nicht nur eine turbulente Weltlage erlebt, sondern innenpolitisch ziemlich ratlos ist. Das zeigt ein Streifzug durch die Parteizentralen.

Grüne: Eine Krawatte, aber bitte kein Triumphgeheul!

Omid Nouripour hat sich zur Feier des Tages eine Krawatte umgebunden. Für den Grünen-Chef, der auch schon mal Lederjacke trägt, ist das bemerkenswert. "Das ist ein riesiger Grund zur Freude und zur Dankbarkeit für das immense Vertrauen, das uns geschenkt wird", sagt Nouripour am späten Dienstagmittag in der Bundesgeschäftsstelle. Und meint natürlich: den Triumph seiner Partei bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.

Wobei Nouripour abseits des Schlipses auf Triumphgesten weitgehend verzichtet. Nur einmal blitzt durch, wie es angesichts der Erfolgsserie im Grünen-Chef wirklich aussieht. Als ein fußballbegeisterter Journalist eine Frage stellt, scherzt Eintracht-Frankfurt-Fan Nouripour: "Ich hätte in dieser historischen Woche noch andere Fragen erwartet. Es gibt übermorgen ein wahnsinnig wichtiges Fußballspiel, das ihn und mich mehr beschäftigt als so manches andere." Da rollt seine Pressesprecherin mit den Augen.

Denn die Grünen wissen natürlich: Besonders in Berlin werden nun alle ganz genau beobachten, wie genüsslich sie ihren Erfolg auskosten. Einen Erfolg, den sie in der Ampelregierung ganz exklusiv haben: Einzig die Grünen konnten in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zulegen, und zwar beide Male sehr ordentlich.

Also tut Nouripour zur Sicherheit einfach so, als sei der Erfolg so etwas wie ein peinliches Missgeschick, mehr oder weniger Zufall jedenfalls. "Dass wir jetzt gerade eine Momentaufnahme haben, die für die einen vorteilhafter ist als für die anderen, lässt mich daran erinnern, dass wir vor ungefähr zwei Monaten in diesem Raum waren und da gab es ganz andere Vorzeichen", sagt Nouripour. Damals verpassten die Grünen den Einzug in den saarländischen Landtag. Was aber angesichts des tief zerstrittenen Landesverbands wohl eher die Ausnahme als die Regel war.

Und sowieso. Sorgen um die Ampelregierung? Die habe er nicht. "Diese Ampelkoalition ist eine Koalition der staatspolitischen Verantwortung", sagt Nouripour mit seiner Krawatte. "Die Aufgaben sind gewaltig und wachsen jeden Tag. Alle, die daran beteiligt sind, wissen das und sind sich ihrer Verantwortung absolut bewusst." Das seien ja alles Profis in allen drei Parteien.

Allerdings waren führende Grüne durchaus schon vor der Wahl besorgt, welche Schlüsse gerade die FDP aus einer Wahlniederlage ziehen würde. Da war noch gar nicht abzusehen, dass sie so kräftig ausfallen würde, wie sie jetzt ausgefallen ist. Verlieren sie die Nerven und machen mehr Krawall? Nouripour sagt: "Ich mach mir um das Nervenkostüm anderer überhaupt keine Sorgen." Aber gut, das gehört ja auch nicht zu den Hauptaufgaben eines Grünen-Chefs.

FDP: Schock und Chaos

Nein, mehr Krawall macht die FDP erst einmal nicht. Im Gegenteil: Die Partei, die in den vergangenen Monaten immer recht selbstbewusst daherkam, ist an diesem Montag beinahe schon schüchtern. Schließlich hat sie gerade die dritte Landtagswahl in diesem Jahr mit bitterem Ergebnis hinter sich gebracht.

Als sich NRW-Spitzenkandidat Joachim Stamp gemeinsam mit Parteichef Christian Lindner vor die Presse stellt, stichelt Stamp zwar noch: "Es ist klar erkennbar, dass die CDU bereit sein wird, für die Wahl des Ministerpräsidenten viele Inhalte zu opfern." Doch wie groß die Erschütterung für die Partei ist, wird unter anderem deutlich, als Lindner sagt: "Wir regieren in der Ampel aus staatspolitischer Verantwortung, weil CDU und CSU nach der Bundestagswahl nicht Willens und in der Lage waren, eine Regierung zu bilden." An dieser Situation im Bund habe sich nichts verändert.

Das ist kein Satz, der einem selbst Mut macht. Und er ist auch nicht nett in Richtung SPD und Grüne. Damit keine Missverständnisse aufkommen, betont Lindner dann noch, dass man in "Krise und Krieg" ordentlich regieren wolle. Von einer Flucht aus der Verantwortung im Bund, weil sich das Mitregieren in Berlin nicht auszahlt, ist ist also keine Rede.

Und dennoch ist am Sonntag auch bei den Liberalen in Berlin etwas verlorengegangen: Der Glaube, dass sie sich wieder fest etabliert haben, auf Landes- und Bundesebene. Die jüngsten Wahlergebnisse zeigen, dass nichts sicher ist.

SPD: Jetzt bloß nicht sagen, dass wir zusammen verloren haben!

Wie schnell sich die Zeiten ändern, mussten auch die Sozialdemokraten erfahren. Das sozialdemokratische Jahrzehnt, das Olaf Scholz nach der Bundestagswahl ausrief, dauerte dann doch nur rund ein halbes Jahr. Zumindest vorerst.

Wie sehr das schmerzt, zeigen auch die rhetorischen Verrenkungen, die Lars Klingbeil an diesem Montag unternimmt. Denn wenn die SPD immer so kreativ wäre wie der Parteichef beim Umdichten von geflügelten Worten, dürften Wahlergebnisse wie das in NRW eigentlich unmöglich sein.

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Wir kämpfen zusammen, wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen? Sollte man meinen, doch nicht so bei Klingbeil. Verlieren sagt man als SPD-Chef einfach nicht so gerne.

Also sagt Klingbeil, als er am Montagvormittag im Willy-Brandt-Haus neben NRW-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty steht, lieber Folgendes: "Wir haben zusammen gekämpft, und wir haben zusammen nicht das Ergebnis geschafft, das wir uns alle gewünscht haben." Was schon nicht schlecht ist, aber Klingbeil kann es noch in einer schöneren Variante, wie er etwas später beweist: "Wir kämpfen zusammen, wir gewinnen zusammen, aber: so wie gestern fahren wir auch Ergebnisse ein, die wir uns anders gewünscht hätten."

Womit man schon genau bei dem Thema angekommen wäre, das die SPD neben der mangelnden Mobilisierung ihrer Anhänger als wichtigsten Grund für die Niederlage ausgemacht hat: mangelhafte Kommunikation. Beim Thema Preissteigerungen, dem laut Umfragen wichtigsten für die Wähler in NRW, habe man es nicht geschafft, das Gute, was man etwa mit den zwei Entlastungspaketen tue, gewissermaßen auch an den Mann und die Frau zu bringen.

Was auf den ersten Blick eine vergleichsweise bequeme Analyse ist, denn sie bedeutet ja auch, dass man mit den Entlastungspaketen an sich eigentlich schon alles richtig gemacht hat. Auf den zweiten Blick aber erschüttert sie das Selbstverständnis der SPD: Denn offensichtlich hat auch eine gewonnene Bundestagswahl das Grundvertrauen nicht wiederherstellen können, dass die Sozen das mit der sozialen Gerechtigkeit schon irgendwie am besten regeln. Was aber ist dann ihr Markenkern?

Und was bedeutet das alles für die Dreisamkeit in der Ampelregierung? "Ich bin generell ein Mensch, der sich sehr wenig Sorgen macht. Und das ist in diesem Fall auch so", sagt Klingbeil dazu. Dem Kanzler Olaf Scholz will ohnehin niemand die Schuld zuschieben. Es gebe viel zu tun, "und das wissen alle drei Ampelpartner". Er glaube, dass sich die Folgen "in Grenzen halten" – und sich "alle darauf besinnen, was wir im Koalitionsvertrag verabredet haben".

Das klingt dann schon ein wenig nach Selbstbeschwörung. Denn hinter vorgehaltener Hand heißt es aus der SPD, man gehe natürlich davon aus, dass sich gerade die FDP jetzt sichtbarer machen wolle – auch in Abgrenzung zu den Grünen.

CDU: Gute Laune – und jetzt?

Deutlich besser als bei SPD und FDP ist die Stimmung mittags im Konrad-Adenauer-Haus. Und die Euphorie wird auch weniger versteckt als bei den Grünen. Einer will seine gute Laune überhaupt nicht verbergen. Schon lange, bevor der eigene Vorsitzende vor die Presse tritt, steht Jens Spahn vor einer Fernsehkamera in der Parteizentrale und kommt aus dem CDU-Selbstlob gar nicht mehr heraus.

Er erklärt, wie "geschlossen" die Partei sei. Merz sei "unangefochten" und werde das "Team zusammenhalten". Ein bisschen lästert er noch über Olaf Scholz, dann lobt er weiter die Christdemokraten. Etwa zehn Minuten geht das so, der ehemalige Gesundheitsminister setzt schon mal den Ton für die anstehende Pressekonferenz. Das inoffizielle Motto könnte lauten: Wir sind schon ziemlich prima.

Parteichef Friedrich Merz kommt mit zehnminütiger Verspätung gemeinsam mit Hendrik Wüst, dem Wahlgewinner, auf die Bühne. Die Sonne scheint in den Innenhof, Wüst ist eine Art persönliche Lichtgestalt für Merz.

Denn der wusste natürlich, wie wichtig diese Wahl für ihn werden würde. Wäre es für die CDU schlecht gelaufen, hätten viele auch Merz dafür verantwortlich gemacht. Doch weil die CDU so gut abgeschnitten hat, kann die Bedeutung eines Ergebnisses im Bundesland für Merz gar nicht groß genug sein. Das sei "auch ein bundespolitisches Ergebnis", so Merz. Das "auch" ruft er besonders laut in sein Mikrofon.

Seine Ansprache gipfelt dann in dem Satz: "Seit dem gestrigen Tag ist die CDU wieder zurück auf Platz eins unter den deutschen Parteien." Dicker geht es kaum. Man wäre in diesem Moment nicht überrascht gewesen, wenn Merz mit Wüst noch ein Tänzchen aufgeführt hätte.

Ja, es ist ein Erfolg für die nach der Bundestagswahl so gebeutelten Christdemokraten. Doch in Wahrheit ist noch gar nicht klar, welche Schlüsse sich für den generellen Kurs daraus ableiten lassen. Am Montagmittag stehen mit Wüst und Merz zwei ehemalige konservative Hardliner vor der Presse. Beide hatten sich vor Jahren noch mit scharfen Forderungen positioniert, beide sind inzwischen verbal deutlich weichgespülter. Ist das künftig die Stoßrichtung: Harter Kern, zarte Schale? In der Parteizentrale wird man genau analysieren, bei welchen Wählergruppen Wüst wie punkten konnte.

Aber ob sich daraus echte Schlüsse darüber ziehen lassen, wie die Welt in ein paar Monaten aussieht, was bei der nächsten Landtagswahl in Niedersachen im Oktober entscheidend sein wird – das weiß die CDU an diesem Montag genauso wenig wie SPD, Grüne und FDP.

Denn Politik, das kann man gar nicht oft genug betonen, ist ein Geschäft, in dem sich die Rahmenbedingungen rasant ändern: Vor einem Jahr dachten fast alle, Armin Laschet werde Kanzler. Anfang dieses Jahres fürchtete die CDU auch wegen des fluffigen Starts der Ampel ein annus horribilis. Und jetzt ist, von den meisten unerwartet, die Berliner Koalition massiv unter Druck.

Niemand sollte sich in guten Zeiten zu sicher fühlen. Und niemand sollte in schlechten Zeiten verzweifeln.

Verwendete Quellen
  • Vor-Ort-Termine in den Parteizentralen
  • Eigene Recherchen
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