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Die Grünen und Anne Spiegels Nachfolge: Das große Wühlen


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Die Grünen und die Spiegel-Nachfolge
Bullerbü ist abgebrannt


Aktualisiert am 12.04.2022Lesedauer: 5 Min.
Grünen-Parteichefin Ricarda Lang, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Annalena Baerbock (von links) bei einem Parteitag: Die Grünen-Spitze steht vor einer neuen Herausforderung.Vergrößern des Bildes
Grünen-Parteichefin Ricarda Lang, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Annalena Baerbock (von links) bei einem Parteitag: Die Grünen-Spitze steht vor einer neuen Herausforderung. (Quelle: IMAGO / Sven Simon)
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Die Grünen suchen eine Nachfolgerin für Familienministerin Anne Spiegel. Als sicher gilt nur: Es soll eine Frau werden. Viele Kandidatinnen kommen infrage, es könnten scharfe Machtkämpfe anstehen.

So hatten sie sich das nicht vorgestellt. Eigentlich wollten sich die mächtigsten Grünen-Politiker ausgeruht in einem Hotel in Husum treffen. Bei 13 Grad und Sonnenschein sollte in diesen Tagen eine Kernfrage der Partei erörtert werden: Wie wird Deutschland künftig frei von russischen Energieimporten – und das auf möglichst ökologische Weise? Doch dann trat am Montag die grüne Bundesfamilienministerin Anne Spiegel zurück.

Deshalb steht an diesem Dienstag eine neue Frage über dem Treffen: Wer wird Spiegels Nachfolger? Presseanfragen donnern auf die Partei ein, der öffentliche Druck ist groß. Co-Parteichefin Ricarda Lang erklärte, bis Ostern wolle man eine Lösung gefunden haben. Intern ist man bereits fieberhaft mit der Suche beschäftigt, mancher vermutet, dass die ersten Gespräche mit möglichen Kandidaten bereits laufen.

Die neuen Grünen-Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sind erst seit Februar im Amt. Und schon müssen sie ihre erste größere Personal-Rochade bewältigen. Es wird nicht einfach, so viel ist sicher. Denn die Suche nach dem Nachfolger von Anne Spiegel im Familienministerium erzählt eine Geschichte über die Strukturen der Grünen, wo genau auf Proporz und Quoten geachtet wird. Es ist auch eine Geschichte darüber, wie eine Brüskierung von Parteifreunden verhindert werden soll. Und darüber, wie die Verschwiegenheit der Grünen zurzeit teilweise abenteuerliche Gerüchte in der Presse befördert.

Eine Frau soll's werden

Klar ist: Die Parteibasis erwartet, dass eine Frau einer weiblichen Ministerin nachfolgt. Bei den Grünen wird genau darauf geachtet, dass es keinen Männer-Überschuss gibt. Wahllisten werden paritätisch besetzt, auch im Kabinett hatte die Öko-Partei auf Ausgeglichenheit geachtet. Und das Verlangen nach Parität geht über die Partei hinaus: Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte mit dem Versprechen Wahlkampf gemacht, dass es genau so viele Männer wie Frauen unter seinen Ministern geben soll.

Deshalb beginnt nun die Suche nach einer Kandidatin. In der Presse werden zwei Namen als Favoritinnen gehandelt: Die stellvertretende Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt und die Fraktionschefin Katharina Dröge. Beide sind erfahrene Politikerinnen, beide haben Einfluss, beide gelten als integer.

Besonders Göring-Eckardt gilt auch in der Bevölkerung als populär. Eigentlich wäre sie die logische Nachfolgerin. Ihr Problem ist: Sie gehört dem Realo-Flügel der Partei an, der eher für gemäßigte Positionen steht. Die linken Grünen könnten sich düpiert fühlen. Schon wieder.

Machtkampf zwischen Realos und Linken

Denn der Flügel ist in der Bundestagsfraktion zwar besonders stark – aber bei den Ministerposten besonders unterrepräsentiert. Mit Habeck und Baerbock bekleiden zwei ausgewiesene Realos die mächtigsten Ministerien. Auch Realos räumen auf Nachfrage dieses Problem ein, verweisen jedoch darauf, dass Habecks und Baerbocks Kurs nach neuesten Umfragen in der Bevölkerung hohe Zustimmungswerte habe. Das genüge nicht, heißt es dagegen aus dem linken Lager. Es gilt als unwahrscheinlich, dass sich die Linken mit einer weiteren Realo-Vertreterin im Kabinett "abpudern" lassen. Schlechte Nachrichten für Göring-Eckardt.

Anders liegen die Dinge bei der aktuellen Fraktionschefin Katharina Dröge: Die 37-Jährige zählt zu den Linken in der Partei und gilt als erfahren, strukturiert, regierungsfähig. Sie müsste sich allerdings die Frage stellen, ob sie ihr momentanes Amt wirklich gegen einen semi-prominenten Ministerposten tauschen will. Als Fraktionsvorsitzende hat sie großen Einfluss auf die Arbeit der Regierung, weil sie die Mehrheiten für Gesetze organisieren muss. Strategisch klug sei ein solcher Wechsel nicht, ihre Besetzung gelte von daher als unwahrscheinlich, vermuten einige Grüne.

Strauß von Kandidatinnen im linken Lager

Deshalb werden im linken Lager eine Menge sehr unterschiedlicher Kandidatinnen für die Spiegel-Nachfolge gehandelt. Die erfahrene Bundestagsabgeordnete Ulle Schauws beispielsweise, die seit Jahren auf Fragen der Gleichstellung spezialisiert ist und frauenpolitische Sprecherin der Fraktion ist. Oder die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Lisa Paus – ihr Fokus liegt stärker auf Finanzen, zu Themen wie der Kindergrundsicherung soll sie aber bereits oft ressortübergreifend gearbeitet und sich bewährt haben. Oder Theresa "Terry" Reintke, die als Abgeordnete der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament zu Frauenfragen arbeitet. Reintke allerdings fehlt jede Regierungserfahrung.

Deutlich besser sollen die Chancen für eine Landespolitikerin stehen: Katja Dörner, ehemals stellvertretende Parteivorsitzende, war früher auch kinder- und familienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Dörner bringe fachlich alles mit, was es brauche, übertreffe die Erwartungen sogar. Dörner hat allerdings ein Problem: Erst Ende 2020 wurde sie zur Oberbürgermeisterin in Bonn gewählt. Ob für sie so trotzdem ein Wechsel infrage kommt? Das gilt als fraglich. Zumal Spiegels Abgang auch intern das Image des Ministeriums als "Schleudersitz"-Zentrale befördert.

Möglich ist, dass ein Machtkampf zwischen den Kandidatinnen entbrennt. Weil sich keine klare Favoritin abzeichnet, könnte das womöglich mehr Grünen-Politikerinnen dazu ermutigen, doch noch nach dem Posten zu greifen. Mancher erinnert sich schon daran, wie Annalena Baerbock sich gegen Robert Habeck selbstsicher bei der Kanzlerkandidatur durchsetzte. Es drang nicht viel nach außen, doch intern soll es extrem geknirscht haben. Ähnliches droht jetzt wieder, sofern die Parteispitze um Lang und Nouripour nicht schnell eine Kandidatin präsentiert, die vom linken Lager getragen werden kann.

Gerüchte um Hofreiter, Özdemir und Deligöz

Immer wieder kursiert in der Presse auch der Name der eher unbekannten Staatssekretärin Ekin Deligöz. Wer allerdings in Parteikreisen danach fragt, erntet Lachen am Telefon: Die Presse schreibe falsch voneinander ab, heißt es. Möglicherweise ist das Gerücht um Deligöz ein reines Produkt der Berliner Presselandschaft, wo jede Zeitung, jeder Fernsehsender möglichst schnell verbreiten will, wer nun die Nachfolge antritt.

Ähnlich liegt der Fall bei Anton Hofreiter. Das Nachrichtenportal "The Pioneer" vermeldete in diesen Tagen, dass es eine Absprache von Baerbock und Habeck mit Hofreiter gegeben habe: Wenn ein grüner Minister zurücktreten solle, rücke er auf dessen Posten nach. Womöglich verbunden mit einem Wechsel von Cem Özdemir, der noch Landwirtschaftsminister ist und dann Familienminister werden könnte. Dann könnte Hofreiter das Landwirtschaftsressort übernehmen. Das Gerücht geisterte durch Berlin. Doch die Parteispitze will eine Frau, das ist sicher.

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Brüskierte Kollegen als Pulverfass

Hofreiter gilt bei den Grünen schon als politisches Pulverfass: Weil er keinen Ministerposten erhielt, schaltet er sich nun gern mit Kommentierungen in den Medien ein. Und in der Regierung ist klar: Nichts ist gefährlicher als ein brüskierter Parteifreund. Wie Hofreiter doch noch versorgt und damit ruhiggestellt werden kann, gilt als weiteres Problem der Grünen-Spitze.

Die Auseinandersetzungen werden schärfer, das Bullerbü-Image der Partei ist schon seit der Auseinandersetzung zwischen Habeck und Baerbock gekippt. Und die aktuellen Debatten zeigen: Es wird wohl nicht so bald wiederkehren. Das ist auch der Parteispitze klar, sie dringt darauf: Die Spiegel-Nachfolge soll schnell geklärt werden.

Ob es Lang und Nouripour gelingt, in so kurzer Zeit eine Nachfolge zu präsentieren, die wirklich die Partei zufrieden stellt, also weiblich, links und fachpolitisch erfahren ist, dürfte zum Gradmesser ihrer eigenen Macht werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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