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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU-Politikerin Wiebke Winter Die schwarze Greta
Wiebke Winter ist die jüngste Direktkandidatin der CDU für den Bundestag – und wirbt für radikalen Klimaschutz. Ist sie die letzte Chance der Volkspartei? Oder doch eine Opportunistin?
Und dann ist Wiebke Winter plötzlich sprachlos. Am Donnerstag letzter Woche steht sie mit einem älteren Herrn in dessen Vorgarten in Bremen, es geht um die Weichenstellungen der CDU-Klimapolitik in der Ära von Angela Merkel. Mittendrin sagt er: "Dieser Atomausstieg, so über Nacht: Solche Entscheidungen hätte selbst der Führer nicht getroffen!"
Winter zieht scharf die Luft ein und schaut den Mann ernst an. Es ist kurz still. Dann sagt sie: "Jetzt müssen wir ein bisschen aufpassen. Aber ich werde mich dafür einsetzen, wenn ich in den Bundestag komme, dass wir erneuerbare Energien ausbauen und keine Probleme mehr damit haben." Anschließend verabschiedet sie sich und geht.
Das Anliegen der CDU-Politikerin Wiebke Winter ist für einige Bürger ein Reizthema. Ein großes sogar. Ihr geht es um den Klimawandel, damit macht Winter aktuell Wahlkampf in Bremen. Sie sagt: "Ich weiß, dass ich mit dem Thema bei manchen Wählern anecken kann."
Plötzlich ist der Klimawandel ein Thema in der CDU
Die Jura-Doktorandin ist mit 25 Jahren die jüngste Direktkandidatin der CDU in diesem Wahlkampf und sitzt bereits im Bundesvorstand ihrer Partei. Winter glaubt, Deutschland brauche eine radikale Politikwende. Und die lasse sich mit der CDU als Regierungspartei am besten vollziehen. Deshalb will sie mitmischen.
Bremen II, ihr Wahlkreis, ist zwar seit Jahrzehnten fest in der Hand der SPD. Deshalb sind Winters Chancen trotz eines ambitionierten Wahlkampfes schwer einzuschätzen. Doch allein ihr Sitz im Vorstand der Partei, den sie seit Januar hat, ist ein erster Erfolg. Die Bundestagskandidatur ist für sie nur der nächste Schritt. Sie kämpft sich langsam vor.
Wiebke Winter steht für eine verwandelte CDU: Jahrzehntelang haben die Christdemokraten den Klimawandel als eine Art Randnotiz im Weltgeschehen betrachtet. Dann, im Jahr 2019, kam Fridays for Future. Im Jahr 2020 legten die Grünen trotz der alles überschattenden Corona-Pandemie in den Umfragen weiter zu. Und in diesem Jahr brachen diverse Naturkatastrophen herein, zuletzt das Hochwasser in Deutschland mit über 150 Toten.
Plötzlich rückt die Klimakrise in den Fokus der Öffentlichkeit und so auch auf die Agenda der Union. Im Bundestagswahlkampf lässt sich das Thema nicht mehr wegdiskutieren. Und die CDU sucht jetzt nach ihrem Umgang damit.
Deshalb erzählt der Kampf von Wiebke Winter fürs Klima eine Geschichte. Es ist die Geschichte über eine mögliche Wandlung der CDU hin zu einer nachhaltigen Partei. Vielleicht ist die Chance dafür so groß wie nie. Zugleich ist es die Geschichte einer aufstrebenden Konservativen, die ihre Karriere völlig dem Thema Klimawandel verschrieben hat. Und die sich selbst zum Ziel setzt, damit ganz nach oben zu kommen. Die Geschichte ist ein doppeltes Experiment – mit offenem Ausgang.
"Momentan tanzen viele nur und spielen Geige!"
Einen Tag bevor sie Gespräche mit Bürgern beim Haustürwahlkampf führt, sitzt Wiebke Winter in ihrem Wohnzimmer auf der Couch. Es geht um die Frage, was geschieht, wenn der Klimawandel ungebremst einfach weiterläuft. Winter legt sofort los: "Dann steht hier alles unter Wasser. Bremen und Bremerhaven gibt es dann vielleicht nicht mehr! Und in Karlsruhe kann man Apfelsinen ernten."
Während Winter über die Folgen der Klimakrise spricht, werden die Auswirkungen bereits im Rheinland spürbar: Ganze Landstriche gehen unter, in den nächsten Tagen werden Dutzende Menschen sterben. Winter schüttelt den Kopf und sagt: "Wieso hat die Politik in den letzten 30 Jahren nur so wenig versucht, was zu ändern? Ich fühle mich ein wenig wie bei der Titanic, das Leck ist da! Momentan tanzen viele jedoch nur und spielen die Geige!"
Manchmal klingt sie wie die parteiinterne Opposition, die ihrer eigenen Partei das Versagen vorwirft. Sie hat wenig Lust, sich für die Politik der anderen zu rechtfertigen – und hält sich trotzdem mit allzu scharfer Kritik an der Kanzlerin zurück.
In ihrem kleinen Arbeitszimmer hängen drei Porträts nebeneinander, die fast die ganze Wand einnehmen: Ursula von der Leyen, Ruth Bader Ginsburg und Kamala Harris. Die EU-Kommissionspräsidentin, die legendäre US-Verfassungsrichterin und die Vizepräsidentin der USA sind ihre weiblichen Ikonen der Macht. Und Winter selbst will die Ikone der Klimabewegung in der CDU werden, eine schwarze Greta.
"Ich dachte nur: Schiete, Schiete!"
Wiebke Winter saß gerade in einem Flugzeug, als sie beschloss, sich fürs Klima zu engagieren. Sie weiß natürlich, wie ironisch das klingt, trotzdem erzählt sie diese Geschichte immer wieder: Es war im Sommer 2018 und Winter noch mitten in ihrem Jurastudium, sie flog gerade von einer politischen Reise nach Deutschland zurück. Zu dem Zeitpunkt war sie seit rund fünf Jahren Mitglied der CDU.
Dabei hörte sie in einem Podcast, dass die Auswirkungen des Klimawandels seit 30 Jahren bekannt seien. Diese Zahl schien ihr gigantisch: "Ich habe das gehört und dachte nur: Schiete, Schiete!" Das habe sie politisch erweckt. Winter schreibt noch das erste juristische Staatsexamen und beginnt dann eine Promotion. Doch sie konzentriert ihre Energie auf den Kampf für das Klima und die Politik.
Ab diesem Moment hat Winter ein eigenes Thema gefunden. Vorher war sie eines von vielen kleinen Lichtern, unsichtbar im Meer der mittigen Positionen einer Volkspartei: Winter sieht sich selbst nicht als Feministin, schätzt sich aber auch nicht als extrem konservativ ein. Sie ist dagegen, die Polizei zu diskreditieren und unterstützt es, wenn Unternehmen ohne staatlichen Einfluss arbeiten können. Winter sieht das so wie Zehntausende andere CDU-Mitglieder auch. Nur ihre Leidenschaft fürs Klima, die hebt sie seit dem Sommer 2018 von den Parteifreunden ab.
"Ich bin hartnäckig. Ich nerve."
Doch weil Winter keinerlei öffentliche Bühne hat, bleibt ihre Leidenschaft, ihr Alleinstellungsmerkmal, anderthalb Jahre unbemerkt. Sie wird im Januar zwar auf Vorschlag der Jungen Union in den Vorstand der Partei gewählt, doch die große öffentliche Aufmerksamkeit bleibt aus. Winter beschließt, sich selbst eine öffentliche Bühne zu bauen.
Nach einer Onlinedebatte im Januar dieses Jahres schließt sich Winter mit sieben anderen CDU-Mitgliedern und -Sympathisanten zusammen. Sie wollen den Klimawandel aus ihrer eigenen Partei heraus bekämpfen und gründen deshalb die sogenannte Klimaunion. Es ist keine offizielle Untergruppe der CDU, sondern ein eingetragener Verein. Dabei sind unter anderem die Unternehmerin Bianca Praetorius und Heinrich Strößenreuther, der Initiator der Initiative Volksentscheid Fahrrad in Berlin. Man hat bereits Erfahrung mit Kampagnen.
Am 9. April geben die unionsnahen Klimaaktivisten eine Pressekonferenz. Winter findet, man müsse komplett von den fossilen Brennstoffen weg, der Strom solle grüner werden, und es würden auch zu wenig Offshore-Windkraft-Anlagen gebaut.
Fragt man sie danach, wie sie ihre Inhalte in der Partei durchsetzen will, sagt Winter: "Ich bin hartnäckig. Ich nerve. Und glauben Sie mir: Das kann ich ziemlich gut." Sie grinst. Die Klimawende solle nicht mit Verboten gemeistert werden. Anreize sollen die Menschen eher zu einem nachhaltigeren Lebensstil motivieren, die Wirtschaft soll CO2-neutral produzieren. Künftig soll eine Solarpflicht für Neubauten eingeführt, Windräder sollen aufgerüstet werden.
Die Union merkt: Sie ist jetzt da
Gemeinsam mit ihren Mitstreitern fordert Winter, zwei wesentliche Ziele im Parteiprogramm der CDU zu verankern: das Ziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung und die Klimaneutralität Deutschlands bis 2040.
Beide Ziele schaffen es nicht ins Wahlprogramm der Partei, eigentlich ist es ein Rückschlag. Doch der öffentliche Aufschlag von Winter ist danach enorm, fast alle überregionalen Medien berichten. Wiebke Winter hatte im Sommer 2018 ihr Thema gefunden. Und nun, im Sommer 2021, findet sie auch ihre Bühne. Sogar die "Tagesthemen" fragen sie für ein Interview an. Ihre Kandidatur für den Bundestag nimmt Fahrt auf, plötzlich bekommt sie permanent Presseanfragen. Ab April dieses Jahres wird sie wahrgenommen, in der CDU kommt plötzlich an, dass es Wiebke Winter gibt. Sie ist jetzt da.
Doch in der Union zögert man seitdem: Einerseits weiß die CDU, dass der Klimawandel ein zentrales Thema des Wahlkampfes sein wird. Da kommt eine engagierte Nachwuchspolitikerin gerade gelegen. Und Winter ist so, wie die CDU gern wäre: Jung, klug, weiblich und mit einem Sinn fürs Klima, der viele Millennials abholt.
"Unklug für die Sache, aber klug für die Marke Winter"
Doch die Millennials machen nicht den Hauptteil der CDU-Wähler aus. Die Stammwähler werden schnell misstrauisch, wenn Revolutionen drohen. Mit allzu ambitionierten Zielen, wie Winter und ihre Mitstreiter sie fordern, könnten rigide Vorgaben für Unternehmen einhergehen. Winter ist zwar gegen Verbote. Doch ob die Wende mit Freiwilligkeit gelingt, bezweifeln CDU-Strategen. Und strenge Vorgaben wiederum treiben Stammwähler zur FDP, glaubt man im Konrad-Adenauer-Haus. Das soll unbedingt verhindert werden.
Uwe Feiler, CDU-Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, beobachtet Winter schon eine Weile. Er sagt t-online: "Wir sollten jetzt nicht in blinden Aktionismus ausbrechen: Immer nur höher, schneller, weiter bei der Klimarettung zu rufen, das bringt nichts. Solche Aktivitäten sehe ich kritisch."
Besonders aufgestoßen ist manchen, dass die Gründer der Klimaunion die Vorstellung ihrer Initiative nicht breiter absprachen. Ein klärendes Gespräch mit dem Präsidium gab es nicht, lediglich der Generalsekretär wurde informiert. "Es war unklug für die Sache, aber klug für die Marke Winter", heißt es dazu aus dem Führungszirkel der Partei.
Ist Wiebke Winter nur vorausgegangen und die CDU zieht langsam hinterher? Oder hat sie es mit ihrem ehrgeizigen Vorpreschen übertrieben?
In der Bundestagsfraktion heißt es: Durch die Flutkatastrophe könnte noch mal Bewegung in die Haltung der Union zu harten Fragen beim Klima kommen. Und vielleicht lasse sich auch noch mal über das 1,5-Grad-Ziel reden.
Mancher fragt, ob sie überhaupt einen IQ-Test gemacht habe
Das alles kommt Winter sehr gelegen, sie feilt weiter an ihrer Kandidatur. Dazu gehören auch Besuche bei Unternehmen in ihrem Wahlkreis. Am Donnerstagmorgen der vergangenen Woche, am Tag des Haustürwahlkampfes, hat sie einen Termin bei einer Bremer Holzfabrik. Vor dem Eingang googelt sie noch mal schnell, welche Produkte das Unternehmen im Detail produziert, um vorbereitet zu sein. Als es nach dem Gespräch um die Frage geht, ob man ein gemeinsames Foto mache, der Geschäftsführer, eine Mitarbeiterin und Winter, sagt der Mann zwinkernd zur CDU-Politikerin: "Na, da muss ich aber schauen, dass ich noch eine gute Figur neben Ihnen mache!"
Ein Witz, natürlich. Aber einer, der vor allem auf Winters Aussehen abzielt. Winter ärgern solche Sprüche, für sie sind es Nadelstiche, die sie oft genug abbekommt. Mittlerweile richtet sie sogar ihre Kleidung danach aus und sagt: "Ich kann nicht immer mit Sneakern herumlaufen, weil ich sonst nicht ernst genommen werde." Mancher im Wahlkampf hat sie schon gefragt, ob sie überhaupt einen IQ-Test absolviert habe für das, was sie da politisch so mache.
Sie halte sich gern an Regeln, sagt Winter
Nach dem Termin bei der Holzfabrik fährt Winter nach Hause, sie trifft sich kurz mit ihrem Vater. Martin Winter ist ein großer, fröhlicher Mann mit dröhnendem Lachen. Der 56-jährige Augenarzt trinkt erst mal einen Milchkaffee und sagt: "Es war etwas gewöhnungsbedürftig, dass sie jetzt in der CDU ist." Er selbst war lange bei Greenpeace aktiv, mit 13 Jahren nahm er Tochter Wiebke das erste Mal mit auf eine Anti-Atomkraft-Demo. Dort hielten sie selbst gebastelte Pappschilder hoch. Winter wurde schon früh politisiert. Heute sagt der Vater über sie: "Ich diskutiere mit niemandem so leidenschaftlich über Politik wie mit ihr."
Winter trat 2012 in die Junge Union ein, auch weil die Bremer Bürgerschaft von einem linken Bündnis geführt wurde. Die wollten unter anderem die Gymnasien schließen, davon hielt Winter nichts. Sie erklärt, sie sei wegen der Werte zur CDU gegangen: "Solidarität, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Eigenverantwortung."
Es geht zum letzten Termin an diesem Donnerstag. Wiebke Winter ist auf der Autobahn, ihr Smart saust über die Straße. Vor Ort wartet schon eine Reporterin von Radio Bremen auf sie, die sie beim Wahlkampf begleiten will. Winter fährt zügig, doch sie beachtet die Geschwindigkeitsbegrenzung: "Ich halte mich gern an Regeln, ich bin schon sehr deutsch."
Ein paar CDU-Unterstützer warten bereits, dann wird an den Türen geklingelt und Wahlkampf gemacht. Zwischendurch bleibt Winter stehen und sagt der Radio-Bremen-Reporterin Sätze in ihr Mikrofon, die wirken, als seien sie aus einem Vorlagen-Buch für Politiker ausgeschnitten: "Politik ist meine Freizeit", und dass der Wahlkampf aktuell "das größte Geschenk" für sie sei. Natürlich sei ihre Kandidatur eine "Aufgabe, die Verantwortung mit sich bringt".
Wenn sie über die Umweltpolitik spricht, klingt Wiebke Winter manchmal wie die parteiinterne Opposition. Doch wenn sie über ihre Art, Politik zu machen, spricht, klingt Winter, als säße sie schon seit 30 Jahren im Deutschen Bundestag. Die Regeln des politischen Geschäfts lernt sie sehr schnell.
- Eigene Recherche
- Persönliche Begleitung von Wiebke Winter in Bremen