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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Landeschef der AfD Sachsen-Anhalt "Sonderklassen für Flüchtlinge sind nicht rechtsextrem"
Wieso verliert die AfD neuerdings Wähler? Warum sind ihre Parolen für Männer attraktiver? Wie rechtsextrem ist sein Landesverband? Ein Interview mit dem AfD-Chef von Sachsen-Anhalt, Martin Reichardt.
Herr Reichardt, hat die AfD ihre erfolgreichste Zeit bereits hinter sich?
Es gibt noch zwei Volksparteien in Sachsen-Anhalt, die CDU und uns. Deshalb wüsste ich nicht, warum wir unsere beste Zeit hinter uns haben sollten.
Ein Blick auf die Landtagswahlen in diesem Jahr zeigt: Ob in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März oder jetzt in Sachsen-Anhalt: Überall verliert die AfD.
Bei diesen drei Landtagwahlen haben wir einen gewissen Stimmenverlust hinnehmen müssen. Aber Sie müssen ja in Rechnung stellen, welche beispiellose Erfolgsgeschichte wir vorher hingelegt haben. Dass es da zwischendurch mal eine gewisse Nivellierung gibt, ist doch normal.
Wie hoch schätzen Sie denn Ihr maximales Wählerpotenzial in Sachsen-Anhalt ein?
Das kann ich so nicht sagen. Wir sind durchaus in dem Korridor herausgekommen, den ich vorher für realistisch gehalten habe: zwischen 20 und 26 Prozent.
Aber am unteren Ende.
Uns haben natürlich Umfragen geschadet, nach denen wir stärkste Kraft hätten werden können. Und durch den stark polarisierenden Wahlkampf der CDU wurden alle unsere Gegner mobilisiert.
In der Vergangenheit hat doch eher die AfD von einer Polarisierung profitiert.
Die CDU hat uns dämonisiert und so getan, als würde die Welt untergehen, wenn wir stärkste Kraft werden. Dass sie am Ende selbst so gut abschneidet, hat niemand vorhergesehen. Deshalb sind die Demoskopen für mich auch der größte Verlierer dieses Wahlsonntags.
Warum profitiert die AfD nicht stärker von der Corona-Krise? Es lief nicht immer alles glatt. Aber für die Unzufriedenen der Pandemie sind Sie offenbar nicht besonders attraktiv.
Wir haben uns im Wahlkampf in der Corona-Frage sehr deutlich positioniert. Aber wir hatten auch neue Konkurrenz – etwa durch die Freien Wähler und die neue coronakritische Partei "Die Basis". Ich denke, die Leute werden merken, dass die Stimmen für diese Parteien verloren sind.
Laut Forschungsgruppe Wahlen wollten rund zwei Drittel der Wähler in Sachsen-Anhalt lieber Reiner Haseloff als Ministerpräsidenten, nur 10 Prozent Ihren Spitzenkandidaten Oliver Kirchner. Wie erklären Sie sich das?
Ein Ministerpräsident hat immer einen Bonus. Wenn man die Leute fragt, wen sie wollen, nennen sie halt dessen Namen. Diese Abweichungen gibt es doch auch bei anderen Parteien.
Wenn aber insgesamt fast 21 Prozent AfD wählen, aber nur 10 Prozent einen AfD-Regierungschef wollen, ist der Rückhalt in den eigenen Reihen doch ziemlich bescheiden, oder?
Da müsste man in die Analyse gehen, woher das rühren könnte.
Was ist denn Ihre Analyse?
Die Leute sagen: "Der Haseloff ist ja Ministerpräsident, und wird es wohl auch bleiben." Und ich glaube auch nicht, dass die Spitzenkandidaten der anderen Parteien besonders viel Rückhalt in ihren Parteien haben. Da fehlen mir aber die Vergleichsdaten.
Ihre Partei spricht nun auch davon, dass es für CDU und AfD eine Mehrheit gebe.
Die gibt es ja auch.
Haben Sie denn überhaupt einen Gesprächsfaden zur CDU im Landtag?
Also ich weiß schon, dass wir miteinander sprechen. Und ich glaube, dass viele Kollegen der CDU wissen, dass man mit uns zusammenarbeiten kann.
Was schätzen Sie denn: Wie viele CDU-Abgeordnete würden gern mit Ihnen koalieren?
Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Ministerpräsident Reiner Haseloff hat eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausgeschlossen. 69 Prozent aller Wähler – und sogar 91 Prozent der CDU-Anhänger – finden das laut Forschungsgruppe Wahlen richtig. Macht Sie das nicht nachdenklich?
Wenn man die reinen Wahlergebnisse sieht, steht Sachsen-Anhalt Mitte-rechts. Dass Herr Haseloff ein solches Bündnis ausgeschlossen hat, muss ich akzeptieren. Ich halte es trotzdem für falsch. Denn nun entsteht in einem Bundesland mit Mitte-rechts-Mehrheit wahrscheinlich ein Bündnis aus Mitte-links.
Viele hielten eine Koalition aus CDU und AfD in Magdeburg allerdings für ein Mitte-Rechtsextrem-Bündnis. Schließlich genießt Ihr Landesverband selbst in den eigenen Reihen nicht den besten Ruf.
Allerdings völlig zu Unrecht. Wir sind in keiner Weise extremer als irgendein anderer Landesverband.
Und wie erklären Sie sich dann das schlechte Image selbst innerhalb der AfD?
Ich glaube, dass das Einzelmeinungen in der Partei sind. Die haben etwas mit dem grundsätzlichen, negativen Framing zu tun: "Die Ostverbände sind eh alle sehr rechts". Woran das jemand programmatisch festmacht, hat mir bislang noch keiner erklären können.
Sie haben zuletzt zum Beispiel Sonderklassen für Flüchtlingskinder gefordert.
Das ist rechts, aber doch nicht rechtsextrem. Es ist eine legitime Forderung, mit der wir niemanden diskriminieren wollen.
Aber was ist diese Forderung denn anderes als Diskriminierung?
Wir wollen den Flüchtlingskindern eine Bildung bieten, die auf sie abgestellt ist. In separaten Klassen können wir sie besser fördern als in irgendeiner deutschen Klasse. Das ist pädagogisch sinnvoll.
Laut Ihrem Wahlprogramm soll den Kindern der Flüchtlinge dort allerdings "die Botschaft vermittelt werden, dass ihr Aufenthalt in Deutschland nur ein vorübergehender ist". Können Sie nachvollziehen, dass wir das als menschenverachtend empfinden?
Nein. Nach dem deutschen Asylrecht genießen Menschen, die in ihrem Heimatland verfolgt sind, bei uns so lange Asyl, bis die Fluchtursachen in ihrem Heimatland nicht mehr vorliegen. Anders gesagt: Wenn jemand aus Not hierherkommt, muss er sich bewusst sein, dass er wieder gehen muss, wenn die Not behoben ist.
Um es konkret zu machen: Ist die Not in Syrien behoben?
Tja, gute Frage. Ich bin kein Außenpolitiker. Aber allgemein können wir davon ausgehen, dass in großen Teilen Syriens wieder ein Leben möglich ist. Das hat auch unsere Fraktion im Bundestag festgestellt.
Ihr Landesverband dürfte auch wegen dieses Vorfalls aus dem Jahr 2017 als rechtsextrem gelten: In der Facebook-Gruppe "Die Patrioten", in der unter anderem Ihr Spitzenkandidat bei der Landtagswahl Oliver Kirchner vernetzt war, postete ein Mitglied das Bild von Anne Frank auf einer Pizzaschachtel – versehen mit dem Hinweis "Die Ofenfrische". Anne Frank, deren Tagebuch weltberühmt wurde, starb mit 15 Jahren im KZ Bergen-Belsen.
Ich habe das alles nur am Rande mitbekommen, ich selbst bin in keiner einzigen Facebook-Gruppe. Aber dieser Fall ist unsäglich, absolut geschmacklos. Dagegen verwahre ich mich. Wer so etwas postet, hat in der AfD nicht zu suchen.
Aber es gibt ja auch immer wieder andere Vorfälle. Am vergangenen Freitag forderte Kirchner bei einer Wahlkampfveranstaltung "einen totalen Wechsel der Politik". Formulierungen dieser Art sind in Deutschland vorbelastet.
Sie meinen wegen "total"? Es gibt doch sogar eine Tankstellengruppe, die so heißt!
Dabei handelt es sich um ein französisches Unternehmen. Und Sie wissen doch, was wir meinen: Es geht nicht nur um das eine Wort, sondern um den "totalen Wechsel der Politik", den Kirchner in einer Brandrede forderte. Da liegt es nahe, an die Rede von Joseph Goebbels im Sportpalast zu denken.
Ach, wissen Sie: Man müsste einfach alle Reden gleich bewerten. Wenn wir im Bundestag mal etwas burschikoser auftreten, spricht man von Sportpalast. Bei den Grünen tut das keiner.
Die Grünen fragen nicht: "Wollt Ihr die totale Energiewende?"
Nein, die fragen gar nicht erst, die machen sie einfach. Was wir mit "totalem Politikwechsel" meinen ist eine grundsätzliche Kehrtwende. Wir wollen zum Beispiel keinen Kohleausstieg.
Wenn wir uns die Wahlanalysen in Sachsen-Anhalt angucken, kommen wir zu dem Schluss: Solche Parolen sind offenbar für Männer attraktiver als für Frauen – und stoßen bei jüngeren Menschen auf mehr Resonanz als bei älteren.
Sie meinen, weil wir bei Männern und Jüngeren jeweils besser abgeschnitten haben?
Genau. Oder was ist Ihre Erklärung, dass Sie bei älteren Menschen und Frauen weniger punkten?
Frauen wählen zum Beispiel eher einen Pflegeberuf als Männer. Die Linken sagen, das habe damit zu tun, dass die Frauen durch gesellschaftliche Umstände daran gehindert würden, Ingenieurinnen zu werden. Wir glauben, dass alle in freier Entscheidung den Beruf wählen können, den sie wollen.
Die Frage war, warum Sie bei Frauen weniger Erfolg haben als bei Männern.
Frauen beurteilen die Problemlage in Deutschland offenbar anders als Männer. Männer wählen daher häufiger rechts-konservativ. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, warum uns Frauen weniger wählen. Aber wir machen uns Gedanken, warum viele glauben, wir wären eine frauenfeindliche Partei, obwohl das nicht so ist. Bei uns haben Frauen und Männer gleiche Chancen.
- Persönliches Interview in Berlin