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Organspende-"Widerspruchslösung" – Jens Spahn: "Ein Eingriff in die Freiheit"


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Minister Spahn
"Ja, das bedeutet einen Eingriff in die Freiheit"

InterviewVon Tim Kummert

Aktualisiert am 15.01.2020Lesedauer: 3 Min.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Im t-online.de-Interview verteidigt er seine Position zur Organspende.Vergrößern des Bildes
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Im t-online.de-Interview verteidigt er seine Position zur Organspende. (Quelle: imago-images-bilder)
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Gesundheitsminister Jens Spahn will mit der "Widerspruchslösung" alle Deutschen zu Organspendern machen – bis sie widersprechen. Im Interview mit t-online.de erklärt Spahn, warum er das für richtig hält.

Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland 932 Menschen, die ein Organ spendeten – und mehr als 9.000 Menschen, die darauf angewiesen sind. Um diesem Missverhältnis entgegenzuwirken, werden in dieser Woche zwei Gesetzesvorschläge im Bundestag diskutiert.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist einer der Befürworter der doppelten Widerspruchslösung: Sollte er sich damit durchsetzen, ist künftig jeder deutsche Bürger, wenn er für hirntot erklärt wird, ein Organ- und Gewebespender, sofern er dem nicht zuvor widerspricht. Die aktuelle Gesetzeslage steht dem diametral gegenüber: Gegenwärtig wird nur derjenige zum Organspender, der von sich aus entscheidet, Organe zu spenden.

Andere Parlamentarier schlagen eine "Zustimmungslösung" vor, sodass Bürger weiterhin ausdrücklich zustimmen müssen, wenn sie Organe spenden wollen. Warum Jens Spahn das nicht weit genug geht und weshalb er trotzdem nicht für eine "Organabgabepflicht" ist, erklärt er im Interview mit t-online.de.

t-online.de: Herr Spahn, Sie sind Befürworter einer sogenannten doppelten Widerspruchslösung, bei der Menschen automatisch Organspender sind, bis sie dem ausdrücklich widersprechen. Warum halten Sie es für richtig, dass ein Mensch erst widersprechen muss, um sein Recht auf körperliche Unversehrtheit zu wahren?

Jens Spahn: Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, verlieren jegliche Hoffnung, wenn wir nicht den Mut aufbringen, neue Wege zu gehen. Ich finde daher, die Bereitschaft, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen, kann jedem abverlangt werden. Und ja: Die Widerspruchslösung bedeutet einen Eingriff in die Freiheit. Aber dafür gibt es meiner Meinung nach kein Richtig und Falsch, kein Gut und Böse.

Sondern?

Es handelt sich um eine Abwägung: die Freiheit des Einzelnen und das Recht auf Leben. Was ist mit den Erkrankten, die ein Spenderorgan benötigen? Wir haben Kinder, die mit ihren Eltern über Monate im Krankenhaus leben müssen, weil sie auf ein Spenderherz warten und außerhalb des Klinikums nicht überleben könnten. Das Recht auf Leben und Gesundheit wiegt schwerer als das Recht, einer Entscheidung in dieser Frage aus dem Weg zu gehen. Wir wollen ja keine Organabgabepflicht. Jeder kann das ablehnen, ohne irgendeinen Nachteil befürchten zu müssen.

In Ihrem Gesetzesentwurf steht: "Dem nächsten Angehörigen des möglichen Organ- oder Gewebespenders steht (folglich) kein eigenes Entscheidungsrecht zu." Weiter heißt es, dass dies zu einer "Entlastung" der Angehörigen führt, weil diese so eine schwere Entscheidung, ob der Verstorbene Organe spenden soll, nicht treffen müssen. Entrechten Sie so nicht die Angehörigen, die kein Mitspracherecht mehr haben?

Es geht nicht um Mitspracherecht. Der Wille des Verstorbenen zählt. Daran ändert sich nichts im Vergleich zu heute. Allerdings wird die doppelte Widerspruchslösung in der Tat die Angehörigen entlasten. Sie müssen nicht entscheiden, sondern sind nur "Boten" des Willens des Verstorbenen. Danach werden Sie gefragt, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten einer Organspende nicht widersprochen hat.

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock und mit ihr eine breite Front von Abgeordneten des Bundestages von Union, SPD und Grünen fordern: Niemand soll automatisch Organspender sein – jedoch müssen die Bürger spätestens alle zehn Jahre Auskunft über ihre Spendenbereitschaft geben und die dazugehörigen Daten werden in einem Zentralregister verwaltet. Warum lehnen Sie das ab?

Ich bin kein Gegner des anderen Entwurfs. Uns eint ja dasselbe Ziel und es gibt ja auch Gemeinsamkeiten in den Anträgen. Beide Gruppen wollen etwa ein verlässliches Organspende-Register, mehr Infokampagnen. Ich meine nur, dass es zu wenig ist. Wir brauchen als nächsten Schritt eine stärkere Verbindlichkeit. Alles beim Alten zu lassen, wird nicht reichen, um den Tausenden Patienten zu helfen, deren Leben von einer Organspende abhängt. Nur die Widerspruchslösung macht einen echten Unterschied.

Innerhalb der CDU-Fraktion gehen die Meinungen zur Widerspruchslösung weit auseinander, der ehemalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat sich erneut dagegen gewandt. Wenn die Lagerbildung so ausgeprägt ist – weshalb verhandeln Sie nicht nochmals einen ganz neuen Vorschlag, auf den sich mehr Abgeordnete einigen können?

Wir diskutieren seit Jahren immer wieder über die Widerspruchslösung. Immer dann, wenn die Organspende-Zahlen stagnieren oder sogar sinken, gibt es diese Forderung. Ich finde: Wir sollten nicht nur fordern. Wir müssen auch mal entscheiden. Dass diese Entscheidung nicht ganz einfach ist, dass die Meinungen dazu quer durch die Fraktionen gehen, liegt doch auf der Hand. Wie wir die Organspende gesetzlich regeln, das berührt heikelste Punkte – von Leben und Sterben, vom Selbstbestimmungsrecht und der Verfügung über den eigenen Körper, aber auch von Leben und Gesundheit anderer. Da muss jeder Abgeordnete seinem Gewissen folgen.

Herr Spahn, wir danken Ihnen für das Interview.

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