Woran die Regierung arbeitet Die große Koalition streitet nicht nur, sie regiert auch
Erst war es die Asypolitik, nun die Causa Maaßen: Die große Koalition scheint von einer Krise in die nächste zu taumeln. Dass sie darüber das Regieren nicht vergisst, zeigt dieser Überblick.
Zank und Streit bestimmten in den vergangenen Tagen erneut das Bild der großen Koalition. Das Ringen im Fall des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen vermittelte oft den Eindruck, als seien die Befindlichkeit bestimmter Politiker und ihrer Parteien wichtiger als die Probleme im Land.
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Stimmt dieser Eindruck? Oder haben Union und SPD bei allem Disput über Asylzentren und die Migrationsfrage, über Hetzjagden und rechte Gewalt doch das eine oder andere zustande gebracht? Die Süddeutsche Zeitung hat errechnet, dass Schwarz-Rot von 137 im Koalitionsvertrag gesteckten Zielen aktuell 52 bearbeitet, drei teilweise und fünf abschließend umgesetzt hat. Die große Koalition regiert also auch. Ein Überblick:
- Asyl: Beschlossen wurde zum Beispiel die Wiederaufnahme des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz – allerdings in engen Grenzen. Maximal 1.000 Personen dürfen so monatlich einreisen. Die Regelung ist seit dem 1. August in Kraft. Von den ebenfalls im Koalitionsvertrag beschlossenen sogenannten "Ankerzentren" gibt es seit Anfang August sieben in Bayern, außerhalb des Freistaats jedoch nur eins. In Dresden ging jüngst Sachsens erstes "Ankerzentrum" in den Pilotbetrieb. Im Saarland, in Hessen und in Baden-Württemberg werden Standorte geprüft. Mehrere Länder lehnen die Einrichtungen bislang ab.
- Bei der Außen- und Sicherheitspolitik hat Deutschland den angestrebten Sitz im UN-Sicherheitsrat für die kommenden beiden Jahre bekommen. Die Mandate für die Einsätze in Afghanistan und Mali wurden verlängert, die Irak-Mission wie geplant angepasst.
- Ende August hat das Kabinett ein Paket für die Rente beschlossen, von dem alle Rentner profitieren sollen. Das Rentenniveau, das Verhältnis der Rente zum Lohn, soll für alle bis 2025 bei 48 Prozent stabil gehalten werden. Das bedeutet, dass eine Standardrente nach 45 Beitragsjahren nicht unter 48 Prozent des aktuellen Durchschnittsverdienstes sinkt. Zugleich soll der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. Aktuell liegt er bei 18,6 Prozent.
Vor allem soll es aber Verbesserungen für einzelne Gruppen geben. Durch eine erweiterte Mütterrente sollen alle Mütter und Väter mit Erziehungszeit, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, zusätzlich einen halben Rentenpunkt gutgeschrieben bekommen. Sieben Millionen Mütter und Väter sollen bessergestellt werden. Auch die finanzielle Lage der Erwerbsminderungsrentner soll sich verbessern. Beratung und Beschluss im Bundestag stehen noch aus.
- Bauen: Die Bundesregierung will den sozialen Wohnungsbau nach Jahren des Zusammenstreichens wieder in Schwung bringen. In dieser Legislaturperiode sollen 100.000 neue Sozialwohnungen entstehen, der Bund will dafür fünf Milliarden Euro investieren. Das hat der Wohngipfel in der vergangenen Woche vereinbart. Insgesamt sollen bis 2021 eineinhalb Millionen neue Wohnungen in Deutschland entstehen. Das ehrgeizige Ziel soll etwa über eine Sonderabschreibung für den Neubau günstiger Mietwohnungen erreicht werden, die vergangene Woche im Kabinett beschlossen wurde.
Seit Mitte des Monats können Familien rückwirkend zum 1. Januar Baukindergeld beantragen. Der Zuschuss soll Familien angesichts steigender Immobilienpreise beim Eigenheimbau oder -kauf unter die Arme greifen. Es gibt einen Zuschuss von 1.200 Euro je Kind und pro Jahr. Dieser wird über zehn Jahre ausgezahlt und beläuft sich somit auf insgesamt 12.000 Euro pro Kind. Gewährt wird das Baukindergeld für Familien und Alleinerziehende mit einem Kind bis zu einer Grenze von 90.000 Euro zu versteuerndem Haushaltseinkommen im Jahr. Bei mehreren Kindern darf die Grenze höher liegen.
- Familien: Das Kindergeld soll ab Juli 2019 laut Kabinettsbeschluss vom Juni um zehn Euro pro Monat erhöht werden, dazu ist geplant, einen höheren Grundfreibetrag bei der Steuer und zusätzlich einen höheren Kinderfreibetrag zu gewähren. In einer zweiten Stufe soll das Kindergeld ab Januar 2021 um weitere 15 Euro angehoben werden.
Das letzte Woche im Kabinett beschlossene "Gute-Kita-Gesetz" soll Geringverdiener von Kita-Gebühren befreien. Die Gebühren entfallen für Eltern mit Anspruch auf Kinderzuschlag und/oder Wohngeld. Die Eltern von 280.000 Kita-Kindern sollen künftig nicht mehr für die Kita zahlen müssen. Hartz-IV-Bezieher werden schon heute nicht durch Kita-Gebühren belastet. Das Gesetz soll zudem bessere Qualität für die Kitas bringen.
- Arbeit und Soziales: Zum Jahreswechsel soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Punkte auf 2,5 Prozent des Bruttolohns gesenkt werden. Die Weiterbildung von Beschäftigten soll durch ein im September im Kabinett beschlossenes Gesetz unabhängig etwa von Alter und Betriebsgröße ermöglicht und so verbreitert werden. Auch für Aufstocker, die ihren geringen Lohn mit Hartz IV aufbessern, soll es Weiterbildungsförderung geben.
Noch im Herbst will Arbeitsminister Heil Eckpunkte für das geplante Fachkräftezuwanderungsgesetz vorlegen. Es soll die Anerkennung von Abschlüssen beschleunigen und das Deutschlernen bereits im Ausland erleichtern. Heil plant etwa, dass Ausländer mit Deutschkenntnissen auch ohne konkrete Arbeitsplatzzusage ein halbes Jahr lang nach Deutschland kommen dürfen, um Berufsabschlüsse anerkennen zu lassen und einen Job zu suchen.
Arbeitslose sollen leichter Arbeitslosengeld I beziehen können. Sie sollen künftig dafür innerhalb von 30 Monaten mindestens 12 Monate Beiträge gezahlt haben müssen. Heute muss man mindestens 12 Monate in den letzten 24 Monaten versichert gewesen sein, um Arbeitslosengeld zu erhalten.
- Klima: Die Bundesregierung hat eine Kommission zum Ausstieg aus der Kohleverstromung eingesetzt, die eine Strategie für den Strukturwandel der Kohleregionen entwickeln soll. Für den Schutz der Artenvielfalt und den Kampf gegen Umweltzerstörung weltweit plant das Kabinett im Haushalt für das kommende Jahr 457 Millionen Euro und damit 20 Millionen mehr als bislang ein. 2020 sollen diese Mittel um weitere 30 Millionen Euro aufgestockt werden, 2021 um noch einmal 50 Millionen Euro.
Kommentar: Eine starke SPD wird dringend gebraucht - Gesundheit und Pflege: Gesundheitsminister Jens Spahn will Kassenpatienten schneller zu einem Arzttermin verhelfen. Schaffen will er das, indem niedergelassene Ärzte dazu verpflichtet werden sollen, mehr Sprechstunden anzubieten. Die Mediziner sollen dafür Extravergütungen erhalten. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist derzeit in der Ressortabstimmung.
Gegen den eklatanten Mangel an Altenpflegerinnen und -pflegern sollen verschiedene Schritte ineinandergreifen. Flächendeckend sollen sie künftig nach Tarif bezahlt werden – ein absolutes Novum in dem Bereich. Dazu erwägt die Regierung, entsprechende Tarifregelungen auszudehnen. Passend dazu will die Gewerkschaft Verdi bald erste Tarifverhandlungen mit weltlichen Heimträgern wie der AWO starten. - Steuern: Im Juni hat das Kabinett eine Entlastung mittlerer und unterer Einkommen bei der sogenannten kalten Progression beschlossen. Zusammen mit der Kindergelderhöhung werden Familien mit einem Bruttojahresgehalt von 60.000 Euro um rund neun Prozent ab 2019 entlastet.
Derzeit in Arbeit ist eine Neuordnung der Grundsteuer. Das Bundesverfassungsgericht hatte das gefordert. Diskutiert werden Modelle wie eine Berechnung allein nach der Wohn- und Grundstücksfläche. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) will bis Ende des Jahres einen Vorschlag mit den Ländern erarbeiten.