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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Grünen und die Milliarden Jetzt wird's richtig eng

Scheitert das Milliardenpaket von Union und SPD? Das hängt an den Grünen, am Freitag gab es ein weiteres Gespräch. Doch sie sind noch nicht überzeugt.
Sie wollen offenbar nicht viel Aufhebens machen, dabei entscheiden sie in diesen Tagen über viele Hunderte Milliarden Euro. Als die Grünen-Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge um 10.32 Uhr die Verhandlungsräume von Union und SPD im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages betreten, wählen sie nicht den Weg an den Kameras der wartenden Journalisten vorbei. Sie sind nur aus der Ferne zu sehen, im abgesperrten fünften Stockwerk. Ganz oben.
Das symbolisiert ihre Bedeutung recht gut. Denn auch wenn die Grünen wohl nicht mehr mitregieren werden, sind Union und SPD auf ihre Stimmen im Bundestag angewiesen. Das Milliardenpaket für Verteidigung und Infrastruktur wird nur Wirklichkeit, wenn die Grünen dafür stimmen. Und das ist noch immer nicht sicher, auch nicht, als ihr Gespräch knapp eine Stunde später um 11.24 Uhr beendet ist. Einen Erfolg haben sie nicht zu verkünden, sie verschwinden wieder ohne ein Wort. Dabei soll es nächste Woche losgehen mit den Beratungen im Bundestag.
Es wird jetzt richtig eng.
Haßelmann über Söder: "Das widert an"
Die Grünen sind sauer auf die Union, vor allem auf die CSU und Markus Söder. Das machen sie in diesen Tagen immer wieder klar, und es erhöht ihre Bereitschaft nicht gerade, aus ihrer Sicht krumme Kompromisse einzugehen. Fraktionschefin Britta Haßelmann warf Söder zuletzt "Macker-Gehabe" und "Sprücheklopperei" vor. "Das, was wir gerade an Tönen aus der CSU hören, insbesondere von Markus Söder, widert an."
Söder attackiert die Grünen auch jetzt nach der Wahl noch hart. "Ich wünsche Robert Habeck alles Gute, vielleicht eine Reise heim an die Küste", rief er dem Publikum am Aschermittwoch im Bierzelt zu. "Goodbye, gute Reise, auf Nimmerwiedersehen!" Noch deutlicher wurde sein Generalsekretär Martin Huber. "Die Grünen sind ein Auslaufmodell. Sie sind Ramschware", sagte er. "Sie sind nach wie vor unangefochtener Spitzenreiter bei Doppelmoral und Realitätsverweigerung."
Es ist nicht gerade eine Charmeoffensive.
Dabei gäbe es Grund dafür. Die Grünen halten den Vorschlag von Union und SPD inhaltlich für potenziell gefährliches Flickwerk. Wenn man die Schuldenbremse schon reformiere, fragen sie, warum dann nicht richtig? Die Grünen, so ist zu hören, drängen auch in den Verhandlungen noch auf grundsätzliche Änderungen. In dieser Woche hatte ausgerechnet die konservative Bundesbank vorgeschlagen, die Regel so zu reformieren, dass der Staat bei einem niedrigen Schuldenstand deutlich mehr Kredite aufnehmen darf.
Panzer und Raketen, aber keine Cyberabwehr?
Union und SPD aber wollen nur einen großen Teil der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausnehmen. Nämlich alle, die über 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit etwa 44 Milliarden Euro im Jahr hinausgehen. Das halten die Grünen zwar grundsätzlich für deutlich besser als ein weiteres Sondervermögen, wie es vor einigen Tagen noch im Gespräch war. Doch bei den Details haben sie große Bedenken.
"Mir erschließt sich nicht, warum der Fokus so eng geführt auf Verteidigung liegt und nicht auf Sicherheit insgesamt", sagte Haßelmann, als sie am Donnerstagabend im ZDF-Studio bei "Maybritt Illner" saß. Das sei schon beim ersten Sondervermögen falsch gewesen, weil es etwa die Cyberabwehr nicht umfasse. Und das sei nach den jüngsten Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump wichtiger denn je.
Dem Entwurf für die Grundgesetzänderung zufolge, der t-online vorliegt, soll zwar im Artikel 109 Absatz 3 künftig nur "Verteidigungsausgaben" stehen, was nach Spielraum klingt. In der Begründung des Gesetzes wird jedoch erklärt, dass damit der sogenannte Einzelplan 14, also der Haushalt des Verteidigungsministeriums gemeint ist. Cyberabwehr und anderes läuft aber zum Beispiel vor allem über den Haushalt des Innenministeriums.
Wo bleibt das Klima?
Das Sondervermögen für Infrastruktur klingt zwar erst mal wie der "Deutschlandfonds", den die Grünen im Wahlkampf vorgeschlagen haben. Doch auch da kommt es auf die Details an, und die gefallen den Grünen nicht. Für ihr Modell hatten sie sich vorgestellt, es so anzulegen, dass der Fonds kontinuierlich neu mit Geld aufgeladen wird. Das Modell von Union und SPD sieht nun 500 Milliarden Euro für zehn Jahre vor. Danach ist Schluss.
Eine andere Sache stört die Grünen noch mehr. Im Grundgesetz soll im neuen Artikel 143h zwar nur stehen, dass das Geld für "Investitionen in die Infrastruktur" verwendet werden muss. In dem Text zur Begründung aber ist präzisiert, um welche Investitionen es "insbesondere" gehen soll: "Zivil- und Bevölkerungsschutz, Verkehrsinfrastruktur, Krankenhaus-Investitionen, Investitionen in die Energieinfrastruktur, in die Bildungs-, Betreuung- und Wissenschaftsinfrastruktur, in Forschung und Entwicklung und Digitalisierung."
Was aus Sicht der Grünen völlig fehlt: Klimaschutz.
Es ist üblich bei Sondervermögen, dass man nicht unbedingt ins Grundgesetz direkt schreibt, wofür das Geld genau verwendet werden darf. Das wird in einem weiteren Gesetz geregelt. Das Problem für die Grünen: Dieses Gesetz wollen Union und SPD später in Ruhe beschließen, im neuen Bundestag. Und dafür brauchen sie keine Zweidrittelmehrheit mehr wie für die Grundgesetzänderungen. Also auch die Grünen nicht. Die dürften deshalb irgendeine Form von Sicherheit verlangen, dass ihre Vorstellungen dort dann auch eine Rolle spielen.
Bislang gibt es keine Bewegung
Die Grünen wollen wenigstens ernsthaft mitreden, wenn sie Union und SPD schon zu den vielen Hunderten Milliarden verhelfen, die der Ampel immer verwehrt geblieben sind. Ausgerechnet deshalb, weil die Union bislang energisch neue Sondervermögen oder gar Schuldenbremsenreformen abgelehnt hatte. Natürlich auch, um der Ampel das Leben schwer zu machen, so sehen sie das bei den Grünen.
Doch auch am Freitag gibt es im fünften Stock des Jakob-Kaiser-Hauses keine große Bewegung in den Gesprächen. Ernsthafte Verhandlungsbereitschaft bestehe bei Union und SPD offenbar nach wie vor nicht, heißt es. Ohne die aber wollen die Grünen das Ganze offenbar tatsächlich nicht mittragen. Und zwar nicht nur, weil sie das Schnellverfahren ohnehin für rechtlich bedenklich halten.
Einige Grüne befürchten, dass Union und SPD die grundsätzliche Reform der Schuldenbremse nicht mehr angehen werden, wenn jetzt das große Sondervermögen Infrastruktur kommt. Weil der Druck dann weg wäre. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte zwar gesagt, die sei "fest vereinbart". Für die Union scheint das aber nicht so klar zu sein. Und im Papier zur Einigung steht lediglich, dass sich eine neue Kommission damit beschäftigen soll. Was dabei herauskommt? Offen.
Die Grünen halten es zwar auch für dringend notwendig, dass Deutschland schnell mehr Geld für seine eigene Verteidigung und die der Ukraine ausgibt. Dafür aber brauche es dieses Milliardenpaket eigentlich gar nicht, argumentieren sie. Denn für dieses Geld könnten Union und SPD auch mit ihrer eigenen Mehrheit die Notlage erklären und damit die Schuldenbremse einfach aussetzen. Das Schicksal der Ukraine, so das Argument, hängt nicht daran, ob die Grünen diesem Paket zustimmen.
Linke und FDP bleiben skeptisch
Auf die FDP und die Linke jedenfalls können die Verhandler nach wie vor nicht setzen. Union und SPD hätten zwar auch mit der FDP eine Zweidrittelmehrheit. Aber die ist mit fünf Stimmen so knapp, dass kaum jemand damit rechnet, dass das funktioniert. Zumal die FDP neue Schulden für Infrastruktur schlicht nicht für nötig hält.
Bei der Verteidigung, so heißt es in der FDP-Fraktion, sei man zu einer grundsätzlichen Ausnahme von der Schuldenbremse zwar bereit. Allerdings sei es falsch, sämtliche Ausgaben jenseits von einem Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenregel zu befreien.
Die Liberalen argumentieren, dadurch schaffe sich Schwarz-Rot nur mehr Spielraum im Bundeshaushalt, das Geld könne für andere Dinge verbraten werden, bei denen man eigentlich besser spare. Sie sind für eine höhere Grenze, mindestens die zwei Prozent des Nato-Ziels. Alles Weitere solle bestenfalls aus einem weiteren Sondervermögen kommen.
Mit der Linken wiederum will die Union eigentlich gar nicht sprechen, was die Grünen kritisieren. Mit ihren nur 24 Abgeordneten hilft sie Union und SPD allein ohnehin nicht. Vor allem aber will sie nur einen Teil der Vorschläge unterstützen: Ja zu den Investitionen in die Infrastruktur. Nein zur Schuldenbremsenreform für Verteidigung.
Es kommt also auf die Grünen an. Und noch ist etwas Zeit für Bewegung. Zwar wollen Union und SPD ihren Vorschlag schon am Montag in ihren Fraktionen beschließen. Änderungen daran kann es aber auch noch geben, nachdem sie ihn am Donnerstag in erster Lesung im Bundestag eingebracht haben. Knapp wird es aber in jedem Fall.
- Eigene Recherchen