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Verkauf von Nord Stream 2: Verbindungen in Friedrich Merz' Umfeld


Deals um Nord Stream 2
Es führt eine Pipeline in die CDU


22.03.2025 - 11:58 UhrLesedauer: 6 Min.
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Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz: Anwälte für einen möglichen Nord-Stream-2-Investor haben Verbindungen in sein Umfeld. (Quelle: Florian Gaertner/imago-images-bilder)
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Ein US-amerikanischer Investor will die deutsch-russische Gas-Pipeline Nord Stream 2 wiederbeleben. Dafür schickt er Anwälte ins Rennen, die Deutschlands Energiedeals mit Moskau geprägt haben wie wenige andere.

In Hinterzimmern verhandeln russische und US-amerikanische Gesandte über die Zukunft der deutschen Energieversorgung. US-Milliardär Stephen P. Lynch will die Pipeline Nord Stream 2 kaufen und die USA damit in die Rolle eines Vermittlers bringen. Seine Vision: Das russische Gas soll eines Tages, vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft, wieder nach Deutschland fließen. Verdienen sollen gleich drei Parteien: Russland als Exporteur, die USA als Transporteur und vermeintlich Europa als Kunde des billigen russischen Energieträgers.

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Putin setzt auf Trump

So sieht es nicht nur Lynch, sondern auch Russlands Machthaber Wladimir Putin, der vergangene Woche in Belarus andeutete, das Vorhaben sei Gegenstand der russisch-amerikanischen Gespräche zum Krieg gegen die Ukraine. "Wenn sich die USA und Russland auf eine Zusammenarbeit im Energiebereich einigen, kann eine Gaspipeline für Europa bereitgestellt werden. Und das wird Europa zugutekommen, weil es billiges russisches Gas erhalten wird."

Am gleichen Tag berichtete die Nachrichtenagentur "Bloomberg", die US-Regierung lote in den Verhandlungen Möglichkeiten aus, mit Russlands Staatskonzern Gazprom zu kooperieren. Das Recherchebüro "Correctiv" berichtete, auch die Ölraffinerie Schwedt, an der Russlands staatlicher Ölkonzern Rosneft bis heute beteiligt ist, liege auf dem Verhandlungstisch. Das Unterfangen ist hochpolitisch.

In Deutschland hatte sich seit Russlands Angriff auf die Ukraine die Ansicht durchgesetzt, besonders die deutsch-russischen Röhren Nord Stream 1 und 2 durch die Ostsee seien ein nationales Sicherheitsrisiko, weil sie die Bundesrepublik erpressbar machten.

Ein Brief des Investors

Das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck hatte im März 2022 der zweiten Pipeline deswegen zunächst die politische Unterstützung entzogen und damit eine baldige Inbetriebnahme verhindert. Einen großangelegten Schlag des Kremls gegen die deutsche Energieversorgung konnte es kurz darauf nur knapp vereiteln, indem sie die Bundesnetzagentur als Treuhänderin für Gazproms Deutschlandgeschäft installierte. Im Sommer 2022 stellte Russland dann die Gaslieferungen über Nord Stream 1 ein.

Doch in Deutschland wandeln sich die Machtverhältnisse: Habeck wird das Wirtschaftsministerium bald verlassen, die angehende Koalition aus CDU und SPD plant den Bau neuer Gaskraftwerke – und im Hintergrund arbeiten in der Spitzenpolitik gut vernetzte Top-Anwälte daran, die Planspiele des US-Investors Lynch für Nord Stream 2 in die Tat umzusetzen. Das geht aus einem Brief an die Sanktionskontrollbehörde des US-Finanzministeriums (OFAC) hervor, den die "Washington Post" veröffentlichte und dessen Inhalt damit befasste Quellen t-online bestätigten.

Die Top-Anwälte

Die Rede ist von der US-amerikanischen Kanzlei Wilmer Cutler Pickering Hale and Dorr LLP, kurz: WilmerHale. In ihrer Zweigniederlassung in Deutschland arbeitete seit 1999 bis vor wenigen Jahren der frühere CDU-Verkehrsminister und spätere Top-Autolobbyist Matthias Wissmann – Seite an Seite mit seinem ehemaligen Büroleiter Martin Seyfarth, der nun von Lynch in Deutschland mit dem Mandat für Nord Stream 2 betraut ist.

Aus Sicht des US-Investors lag der heikle Auftrag an die Kanzlei vermutlich nahe. Durch zahlreiche ehemalige Offizielle gilt die Kanzlei als bestens vernetzt in der US-Regierung. Gleich drei ihrer Anwälte sollen das Projekt laut Transparenzunterlagen im US-Kongress vorantreiben, darunter der ehemalige Senator John Breaux, der auch schon für die Gazprom-Bank lobbyierte. Dass gleichzeitig auch die deutsche Zweigniederlassung eingebunden ist, kann Branchenkenner nicht überraschen.

Deals mit politischem Wohlwollen

Nord Stream 1, Nord Stream 2, South Stream, Eugal, Opal: kaum eine europäische Röhre, mit der die Kanzlei nicht auf die ein oder andere Art befasst war. Dazu kamen auch immer wieder wegweisende Energie-Deals, die auf handfeste politische Unterstützung aus der Bundesregierung angewiesen waren.

2002 erwirkte Seyfarth die heute berühmt-berüchtigte "Ministererlaubnis", die das Veto des Bundeskartellamts zur Fusion des Energiekonzerns Eon und des größten deutschen Fern- und Erdgasunternehmens Ruhrgas AG umging. Die Konzerne gingen zusammen und vertieften die deutsch-russischen Gasgeschäfte. 2015 war Seyfarth am Asset-Tausch zwischen BASF und Gazprom beteiligt – der Deal brachte die deutschen Gasspeicher in Eigentum des russischen Staatskonzerns, wofür Seyfarths Mandantin, die BASF-Tochter Wintershall, stärker an der Gasförderung in Sibirien beteiligt wurde. Auch für diesen Milliarden-Deal war das Wohlwollen des Wirtschaftsministeriums entscheidend.

Alte Seilschaften

Seyfarth hat sich deswegen einen Ruf nicht nur als gefragter Rechtsexperte erarbeitet, sondern auch den eines gewieften Netzwerkers, der bei heiklen Mandaten sehr diskret politisch beraten kann. Dabei konnte er auf Wissmanns Kontakte aufbauen, die ihn zum Teil noch aus seiner Zeit im Verkehrsministerium kennen. Beispielsweise Mitglieder des CDU-Netzwerks "Andenpakt", dem Merz angehört. Bis 2019 organisierte Wissmann auch die jährliche "Isny-Runde", ein Treffen von Spitzenmanagern und Politikern im Allgäu, bei dem Merz zu den Stammgästen zählt.

Im Verein Atlantik-Brücke – dort war Merz mehrere Jahre Vorsitzender – trifft Seyfarth politische Entscheider wie Lobbyisten. Er hat ihr "Young Leaders"-Programm absolviert, so wie der CDU-Politiker Jens Spahn. Sein ebenfalls mit dem Nord-Stream-2-Mandat betrauter US-Kollege Marik String, ein ehemaliger Rechtsberater des US-Außenministeriums, ist Mitglied im Alumni-Netzwerk der "Munich Young Leaders" genauso wie Merz' Stabchef Jacob Schrot.

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Diskrete Kontakte

Dass die Kanzlei durchaus imstande ist, diese deutsch-amerikanischen Netzwerke im Sinne ihrer Mandanten zu nutzen, zeigt der Fall des lange als Geisel in Russland inhaftierten "Wall Street Journal"-Journalisten Evan Gershkovich. Im Austausch gegen seine Freilassung flog Deutschland im August den verurteilten Tiergartenmörder Ivan Krassikow nach Moskau aus. Er hatte im Auftrag des russischen Staats einen Gegner des Kremls in Berlin erschossen.

Eingefädelt hatte den Deal WilmerHale, deren Anwälte sowohl das Mutterunternehmen der Zeitung (Dow Jones and Company) als auch Gershkovichs Eltern vertraten. Dafür ließen sie diskrete Kontakte auf höchster Ebene spielen, auch zu Bundeskanzler Olaf Scholz, als er im September 2023 in New York den "Weltbürgerpreis" des transatlantischen Thinktanks Atlantic Council entgegennahm.

Im Hinterzimmer mit Scholz

Dessen Geschäftsführer, Frederick Kempe, schrieb nach dem Austausch: "Nur eine Stunde vor der Veranstaltung rief mich der WilmerHale-Anwalt Robert Kimmitt – ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, stellvertretender Sekretär des US-Finanzministeriums und langjähriger Freund von mir – an und bat darum, Evans Eltern zu einer kleinen Versammlung der Geehrten und ihrer Vermittler einzuladen, der auch Scholz angehörte."

Scholz habe dort seine Unterstützung für Evan ausgedrückt, "ein Schlüsselmoment in einer langen Geschichte, die in dem Gefangenenaustausch von letzter Woche gipfelte", zitierte Kempe damals weiter aus einer E-Mail des Geschäftsführers von Dow Jones and Company. Anschließend habe es ein weiteres Treffen mit Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt in Berlin gegeben, um den Gefangenenaustausch vorzubereiten. Ein Branchenmagazin nominierte Kimmitt für diese Arbeit als "Anwalt des Jahres".

Auf die Bundesregierung angewiesen

Es sind genau solche präzise koordinierten Kontakte, die Nord Stream 2 letztlich wieder zum geopolitischen Druckmittel auf die europäische Politik machen könnten – sowohl für Trumps USA als auch für Putins Russland. Denn dem Bundeswirtschaftsministerium kommt mehr Ermessensspielraum zu, als derzeitige Stellungnahmen der Bundesregierung vermuten lassen.

Ohne ihr politisches Wohlwollen ist die Pipeline nicht mehr als eine Röhre auf dem Grund der Ostsee. Zertifiziert und in Betrieb genommen werden kann sie nur, wenn das Bundeswirtschaftsministerium ihr bescheinigt, die Versorgungssicherheit in Deutschland nicht zu gefährden.

Ein Machtwechsel steht an

Das ist zwar derzeit nahezu ausgeschlossen. Ein Sprecher des Ministeriums sagte dazu: "Die Unabhängigkeit von russischem Gas ist für die Bundesregierung sicherheitspolitisch von strategischer Bedeutung, und sie hält daran fest." Gaslieferungen über Nord Stream 2 stünden "nicht zur Debatte", da die Pipeline nicht zertifiziert sei. Das Ministerium führe keine Gespräche dazu.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Ministerium, Michael Kellner, sagte t-online: "In diesen Zeiten sind Deutschland und Europa gut beraten, solche Infrastruktur weder in amerikanische noch in russische Hände fallen zu lassen."

Aber bald schon, das wissen auch mögliche Interessenten, werden andere das Sagen haben im Bundeskanzleramt und im Wirtschaftsministerium. Und aus der künftigen Regierungspartei CDU, die über Jahre die Pläne vorantrieb und absegnete, werden gemischte Signale gesendet. Beispielsweise von Kellners Vorgänger, dem Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiß, der derzeit für die Union in den Koalitionsgesprächen mit der SPD zu Verkehr und Infrastruktur verhandelt.

"Natürlich kann dann auch wieder Gas fießen"

Er schrieb kürzlich im Karrierenetzwerk LinkedIn: "Wenn wieder Frieden herrscht, (...) werden sich die Beziehungen normalisieren, die Embargos früher oder später zurückgehen und natürlich kann dann auch wieder Gas fließen, vielleicht diesmal dann in einer Pipeline unter US-amerikanischer Kontrolle." Sicher finde das russische Gas dann wieder schnell Abnehmer in Europa.

Diese Sicht der Dinge soll unter Spitzenpolitikern der Union verbreitet sein. Besonders enge Verbindungen nach Moskau hatte über viele Jahre der künftige Koalitionspartner SPD. Ein kurzer und diskreter Draht in die Bundesregierung wäre für den US-Investor Lynch unter Umständen also von Nutzen.

Vor dem Kantonsgericht Zug argumentierten Anwälte der Nord Stream 2 AG im Januar, der anstehende Administrationswechsel in den USA und die Wahlen in Deutschland könnten "vermutlich eine maßgebliche Auswirkung auf die Situation" des vom Konkurs bedrohten Unternehmens haben. Auf Anfrage von t-online äußerten sie sich nicht. Auch die Kanzlei WilmerHale und US-Investor Lynch beantworteten keine Fragen. Die CDU-Parteispitze reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.

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