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Anschlag in München: Was trieb den Täter Farhad N. an?


Anschlag von München
"Ich wäre da sehr vorsichtig"


15.02.2025Lesedauer: 4 Min.
Das Auto des Attentäters von München wird am Einsatzort auf einen Abschleppwagen gehoben. In den sozialen Netzwerken hatte Farhad N. mit einem solchen Wagen posiert.Vergrößern des Bildes
Das Auto des Attentäters von München wird am Einsatzort auf einen Abschleppwagen gehoben. In den sozialen Netzwerken hatte Farhad N. mit einem solchen Wagen posiert. (Quelle: Matthias Balk/dpa)
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Nach dem Anschlag in München mit zahlreichen Verletzten rückt der Lebensweg des Verdächtigen in den Fokus der Ermittlungen. Hinweise deuten auf einen islamistischen Hintergrund.

Nach dem Anschlag in München mit mindestens 39 Verletzten untersuchen die Ermittler den Lebensweg des tatverdächtigen Afghanen. Die Staatsanwaltschaft sieht nach seiner Vernehmung Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund.

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Mittlerweile hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen. Dies erfolge "wegen der besonderen Bedeutung des Falles" und des Ermittlungsverfahrens gegen den afghanischen Staatsangehörigen Farhad N., teilte die Behörde am Freitagabend mit. Es bestehe der Verdacht, "dass die Tat religiös motiviert war und als Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verstehen ist".

Wer ist Farhad N.?

Farhad N. kam 2016 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan nach Deutschland und lebte in München. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, doch er durfte aufgrund einer Duldung legal im Land bleiben und besaß eine Arbeitserlaubnis. Er arbeitete im Sicherheitsgewerbe, unter anderem als Ladendetektiv, und war nicht vorbestraft.

Nach Angaben der Ermittler bezeichnete er sich selbst als religiös, besuchte regelmäßig eine Moschee und veröffentlichte in sozialen Netzwerken Beiträge mit religiösen Bezügen. Auch auf seinem Handy fanden Ermittler WhatsApp-Nachrichten mit "religiösen Äußerungen". Gleichzeitig präsentierte er sich als Bodybuilder und selbst ernannter Fitness-Influencer in sozialen Medien – ein Lebensstil, der nicht mit einem strikt islamistischen Weltbild vereinbar scheint.

Farhad N. zeigte sich in sozialen Medien häufig mit Luxusartikeln und teuren Autos, wobei unklar ist, wie er sich diesen Lebensstil finanzierte.

Radikalisierung über soziale Netzwerke?

Der Psychologe und Extremismusexperte Ahmad Mansour sieht in der Entwicklung von Farhad N. eine typische Radikalisierungsdynamik. Er sagt t-online: "Der Täter von München hatte wohl schon immer einen religiösen Hintergrund, aber keinen radikalen. Das ist zu trennen." Dennoch habe er besonders in den vergangenen Tagen "islamistische Narrative" verbreitet.

Mansour betont: "Doch seine Radikalisierung muss schon länger vorher angefangen haben. So etwas geschieht nicht von jetzt auf gleich." Interessant sei, inwiefern die Mitmenschen von N. seine Radikalisierung mitbekommen haben. Aktuell handele es sich nur um Mutmaßungen, so Mansour, da die Ermittlungen noch am Anfang stünden.

Ahmad Mansour: Er arbeitet für Projekte gegen Extremismus und Antisemitismus.
Ahmad Mansour: Er arbeitet in Projekten gegen Extremismus und Antisemitismus. (Quelle: Maurizio Gambarini/Archiv/dpa)

Zur Person

Ahmad Mansour, geboren 1976, ist Psychologe. Seit 2004 lebt der arabisch-palästinensische Israeli und Deutsche in Berlin. Er arbeitet für Projekte gegen Extremismus und Antisemitismus. Anfang 2018 gründete er die Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention, die Projekte gegen muslimischen Extremismus und Antisemitismus für junge Menschen anbietet. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz, den Carl-von-Ossietzky-Preis und das Bundesverdienstkreuz.

Laut Mansour passe N. in die aktuelle Radikalisierungswelle, ähnlich wie die Täter von Mannheim oder Solingen: "Ein junger Mann, der vom Leben gefrustet ist und Halt in der radikalen Auslegung des Islam sucht. Er schien nicht Teil eines islamistischen Netzwerks zu sein und religiös auch nicht sehr gebildet – anders als Attentäter von Al-Qaida oder dem IS." Viel spreche dafür, dass er sich über soziale Netzwerke radikalisiert habe. Beim Messerangriff von Solingen hatte der IS das Attentat für sich reklamiert.

Video | "War klar, dass so was passiert"
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Quelle: t-online

Auf seinem Instagram-Profil gab es indes wenig direkte Hinweise auf seine Weltanschauung. Auffällig war jedoch die Auswahl der Accounts, denen er folgte. Laut Recherchen des "Tagesspiegel" abonnierte N. dort über 900 Profile, darunter viele mit islamischen Inhalten. Neben Organisationen, die regelmäßig Koranverse veröffentlichten, folgte er auch bekannten islamistischen Predigern.

Sein TikTok-Profil offenbarte derweil ein ähnliches Muster: Neben Bildern und Videos aus dem Fitnessstudio sowie von Luxusautos präsentierten seine geteilten Beiträge auch eine andere Seite. Sie bestanden fast ausschließlich aus islamistischen Inhalten, verfasst in Farsi (Persisch), Arabisch oder Deutsch.

Nach der Tat in München wurden seine Accounts gelöscht. Doch was einmal im Internet steht, bleibt bekanntlich im Internet.

Laut Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann rief Farhad N. "Allahu Akbar", als er nach dem Attentat am Donnerstag verhaftet wurde. In seiner Vernehmung gab er zu, absichtlich in die Menschenmenge gefahren zu sein. Kurz vor der Tat in einer Nachricht an einen Verwandten: "Vielleicht bin ich morgen nicht mehr da."

Tatmotiv und psychische Verfassung

Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland wurde bei dem damals 15-Jährigen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Das ist bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten nicht selten. Die Ursachen dafür liegen oft in Erlebnissen im Herkunftsland – etwa Kriegsgeschehen – oder in den Umständen der Flucht.

Ermittler gehen dennoch nicht von einer psychischen Störung im medizinischen Sinne aus. Mansour sieht das ähnlich, sagt aber auch, dass N. wohl "psychisch labil" sei. "Die meisten Attentäter sind psychisch labil", so der Experte. "Ansonsten ist man zu so einer schrecklichen Tat kaum fähig. Oftmals kommen verschiedene Faktoren zusammen. Allen voran: Frust über das eigene Leben und die Gesellschaft und Sozialisation um einen." Komme dann die passende Gelegenheit, würden die Täter zuschlagen. "Sie handeln im Namen des Hasses."

Politikerin: "Nicht jede dieser Personen wird zu einem Mörder"

Auch die Grünen-Innenpolitikerin und Religionspädagogin Lamya Kaddor sieht in der Radikalisierung von Farhad N. bekannte Muster: "Viele von ihnen sind etwa junge Männer, viele haben keine oder problematische Beziehungen zu ihrem Vater, einige sind ausreisepflichtig, aber geduldet. Nicht jede dieser Personen wird automatisch zu einem Mörder." Doch Radikalisierung habe oft verschiedene begünstigende Faktoren, wie auch Mansour betonte.

Kaddor fordert daher verstärkte Präventionsarbeit, um gefährdete Personen frühzeitig zu erreichen und eine weitere Radikalisierung zu verhindern. Lesen Sie hier mehr dazu.

Mansour warnt derweil davor, die Tat mit dem aktuellen Bundestagswahlkampf in Verbindung zu bringen. "Ich wäre da sehr vorsichtig. Ich wage es gar zu bezweifeln, dass er überhaupt wusste, dass Wahlkampf ist." Das würden die Ermittlungen sicher zeigen, so Mansour.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Ahmad Mansour
  • Gespräch mit Lamya Kaddor
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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