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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Täter von München Luxus, Muskeln, Terror: Das Doppelleben des Farhad N.
![Farhad N. bringt sich als Bodybuilder in Szene. In den sozialen Netzwerken präsentierte er sich als Sportler und Luxus-Liebhaber. Farhad N. bringt sich als Bodybuilder in Szene. In den sozialen Netzwerken präsentierte er sich als Sportler und Luxus-Liebhaber.](https://images.t-online.de/2025/02/FrXIZ726iULz/17x129:511x288/fit-in/511x0/farhad-n-bringt-sich-als-bodybuilder-in-szene-in-den-sozialen-netzwerken-praesentierte-er-sich-als-sportler-und-luxus-liebhaber.png)
Erfolg auf der Bühne, Extremismus im Netz: Das Online-Leben von Farhad N. liefert wichtige Hinweise zu den Motiven seiner blutigen Tat in München.
Am Donnerstagmorgen raste ein Fahrer mit seinem Auto in eine Menschenmenge in München und verletzte dabei mindestens 36 Menschen, manche davon schwer. Der mutmaßliche Täter ist ein Asylbewerber aus Afghanistan. Die Polizei nahm ihn noch am Tatort fest.
Der 24-jährige Farhad N. wurde nach übereinstimmenden Medienberichten im Januar 2001 in Kabul geboren. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur kam der Tatverdächtige Ende 2016 nach Deutschland – wie rund 50.000 weitere Afghanen in jenem Jahr. Nach Informationen des "Spiegel" reiste er als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling über das Mittelmeer und Italien in die Bundesrepublik ein. In München wurde er von einer evangelischen Jugendhilfeeinrichtung betreut.
Laut offiziellen Dokumenten stellte N. 2017 einen Asylantrag, der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) abgelehnt wurde, da seine Angaben als nicht glaubwürdig eingestuft wurden. Nach Informationen des "Spiegel" klagte Farhad N. gegen die Ablehnung, wodurch sein Fall vor dem Verwaltungsgericht München unter dem Aktenzeichen M 25 K 17.48375 landete. Das Gericht benötigte jedoch drei Jahre, um eine Entscheidung zu treffen. Erst 2020 wurde die Ablehnung bestätigt, sodass N. ab Dezember desselben Jahres als "vollziehbar ausreisepflichtig" galt. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung hatte N. auch in Italien einen Asylantrag gestellt.
"Aufenthalt des Täters absolut rechtmäßig"
Ob in dieser Zeit konkrete Versuche unternommen wurden, N. abzuschieben, ist nicht bekannt. Mit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 setzte die Bundesrepublik alle Abschiebungen nach Afghanistan aus. Bereits wenige Monate zuvor hatte N. eine sogenannte Duldung erhalten, die ihm erlaubte, in Deutschland zu bleiben. Später folgte eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Zum Zeitpunkt des Anschlags lebte er in einer Mehrfamilienhaussiedlung im Münchner Süden.
Nach Aussagen des bayerischen Innenministers Herrmann war der Mann bis zum vergangenen Donnerstag nicht straffällig geworden und auch nicht ausreisepflichtig. Der 24-Jährige habe einen gültigen Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis. "Damit war der Aufenthalt des Täters bis zum heutigen Tage nach gegenwärtigem Erkenntnisstand absolut rechtmäßig", sagte Herrmann der Deutschen Presse-Agentur.
Farhad N. soll "Allahu Akbar" gerufen haben
Ermittlungsbehörden zufolge wurde N. im Jahr 2021 zweimal sicherheitsrechtlich befragt. Die Hintergründe dieser Befragungen sind bislang unklar, da sie unterschiedliche Gründe haben können. Eine Befragung kann etwa dann stattfinden, wenn ein Asylbewerber Verbindungen zu terroristischen Organisationen verheimlicht hat. Aber auch, wenn ein Asylbewerber seine vorherigen Aufenthalte in Deutschland oder einem anderen Land verschwiegen hat. Was der Grund für die Gespräche mit N. war, worum es ging und wozu sie führten, ist bislang nicht bekannt, schreibt der "Spiegel".
Nach der Tat in München sprach Ministerpräsident Markus Söder von einem "mutmaßlichen Anschlag". Sicherheitskreise berichten, dass N. vor der Tat islamistische Inhalte im Internet verbreitet haben soll. Ein Zeuge gibt an, dass er bei seiner Festnahme "Allahu Akbar" gerufen habe. Die Ermittler sehen hierin mögliche Hinweise auf eine extremistische Motivation, wie sie t-online bestätigten. Die Behörden betonen jedoch, dass die genaue Tatmotivation noch untersucht werde.
Zwischen Bodybuilding und Luxusprahlerei
In Deutschland führte N. ein öffentliches Leben als aufstrebender Bodybuilder. Er nahm an mehreren Wettbewerben teil und präsentierte sich in den sozialen Netzwerken: 68.000 Menschen folgten ihm auf Instagram, 32.800 auf TikTok. Dort prahlte er mit Luxusgütern und sportlichen Erfolgen. Mal posierte er in teurer Kleidung vor einer Ralph-Lauren-Boutique, mal zeigte er einen Porsche. Auf einer Aufnahme trägt er ein T-Shirt mit einer goldenen Schrift "Dior". Ein anderes Foto zeigt ihn auf der Motorhaube eines weißen Mini Cooper. Das Auto sieht aus wie der Wagen, mit dem N. am Donnerstag in die Menschenmenge fuhr.
Nach der Tat in München wurden seine Accounts gelöscht. Doch was einmal im Internet ist, bleibt bekanntlich im Internet.
2024 gewann er offenbar einen deutschen Wettbewerb im Bodybuilding und posierte dort mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne. Im Mai vergangenen Jahres trat er als Junior bei einer deutschen Amateur-Bodybuilder-Meisterschaft an, im Oktober wurde er bei einem Wettbewerb Fünfter in der Rubrik "Men's Physique", meldet der "Spiegel".
Letzter Post: "Oh Allah, beschütze uns immer"
Meistens schrieb er jedoch auf Dari und postete afghanische Flaggen. Am vergangenen Mittwoch, einen Tag vor der Tat, veröffentlichte er seinen vorerst letzten Post. Auf Arabisch schrieb er: "Oh Allah, beschütze uns immer", versehen mit dem Emoji der Kaaba, dem islamischen Heiligtum.
Auf seinem Instagram-Profil fanden sich kaum Hinweise auf seine Weltanschauung. Auffällig war jedoch die Auswahl der Accounts, denen er folgte. Nach Recherchen des "Tagesspiegels" hatte N. dort mehr als 900 Profile abonniert, darunter viele mit islamischen Inhalten. Neben Organisationen, die regelmäßig Koranverse veröffentlichten, gehörten auch bekannte islamistische Prediger zu den von ihm verfolgten Seiten. Eine dieser Seiten erklärte, keine Direktnachrichten von weiblichen Nutzern zu beantworten.
- Kommentar: Republik in Angst
Ein ähnliches Bild zeigte sein TikTok-Profil. Während er dort vor allem Bilder und Videos aus dem Fitnessstudio sowie von Luxusautos teilte, zeigten seine geteilten Beiträge eine andere Facette. Diese bestanden fast ausschließlich aus islamistischen Inhalten, verfasst in Farsi, Arabisch oder Deutsch. Ein von ihm reposteter Beitrag lautete: "Alles, was du verloren hast, wird Allah mit etwas Schönerem ersetzen."
Religiöse Worte über den Tod kurz vor der Tat in München
Weniger als 24 Stunden vor der Tat teilte er ein Video, in dem er sich mit dem Thema Tod befasst haben soll, berichtet die "Bild". Laut einer der Zeitung vorliegenden Übersetzung beschreibt diese Ansprache u. a. den Schutz, den eine verstorbene Person in ihrem Grab durch ihre guten Taten im Leben erhalte. "Wenn sich die Qual dem Verstorbenen aus irgendeiner Richtung nähert, stehen seine Gebete von oben Wache und erklären, dass es nicht erlaubt ist, aus dieser Richtung zu kommen." Und weiter: "Allah sagte: 'Wenn ein gläubiger, frommer oder fleißiger Diener ins Grab gelegt wird, wird ein Gebet über seinem Kopf gesprochen.'"
Die Polizei setzt die Untersuchungen fort und wertet sowohl digitale als auch physische Beweismittel aus. Die genaue Tatmotivation und mögliche Verbindungen zu extremistischen Netzwerken sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen.
- bild.de: "Anschlag München: Attentäter rechnete wohl damit, bei Tat zu sterben"
- spiegel.de: "Mutmaßlicher Anschlag von München: Der Angreifer mit dem Mini Cooper" (kostenpflichtig)
- tagesspiegel.de: "Fitnessinfluencer und Islamist: Was über den mutmaßlichen Attentäter von München bekannt ist"