IQ laut Gericht "unterdurchschnittlich" Der Täter von München: Geld, Lügen und die Taliban
Allmählich setzt sich ein Mosaik zusammen: Der Täter von München könnte pleite gewesen sein, er lehnte "freizügige" Frauen ab und wirkte "verloren in der Welt".
Am Donnerstag ist ein Autofahrer von hinten in einen Verdi-Demonstrationszug in München gerast. Er überholte ein Begleitfahrzeug der Polizei und gab Gas. 39 Menschen wurden verletzt. Zwei von ihnen so schwer, dass sie mit dem Tod ringen, darunter ein zweijähriges Kind. Am Tatort blieben verlorene Schuhe der Opfer, Wärmedecken der Sanitäter und ein zusammengeklappter Kinderwagen zurück.
Ein Video zeigt die Festnahme des Täters. Polizisten haben ihn an seinem völlig demolierten Mini zu Boden gebracht. Der Mann schreit laut Polizei in diesen Momenten: "Allahu Akbar" – "Gott ist groß".
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Am Freitag stellen sich nun nicht nur die Ermittler die Frage: Was ist das für ein Mensch, der im Namen seines Gottes scheinbar wahllos töten wollte? Der laut Staatsanwaltschaft im Polizeiverhör zugab, aus "religiöser Motivation" mit voller Absicht in die friedlich demonstrierenden Menschen gefahren zu sein – und der jetzt wegen 39-fachen versuchten Mordes in Untersuchungshaft sitzt.
Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen. Die Karlsruher Behörde erklärte dies am Freitagabend mit der besonderen Bedeutung des Falls und einem möglichen Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Gericht brauchte drei Jahre, um über Asylantrag zu entscheiden
Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um den in München lebenden Afghanen Farhad N. Er ist 24 Jahre alt und wurde Berichten zufolge im Januar 2001 in Kabul geboren. 2016 kam er laut "Spiegel" als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling über das Mittelmeer und Italien nach Deutschland. Eine Jugendhilfeeinrichtung übernahm seine Betreuung.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) wurde bei dem damals 15-Jährigen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Das ist bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten nicht selten. Die Ursachen dafür liegen oft in Erlebnissen im Herkunftsland – etwa Kriegsgeschehen – oder in den Umständen der Flucht.
N. stellte einen Asylantrag, dieser wurde laut dpa im September 2017 abgelehnt. Der damals 16-Jährige klagte dagegen. Bis das anscheinend überlastete Verwaltungsgericht München diese Klage abwies, dauerte es dem "Spiegel" zufolge drei Jahre. Das Gericht hielt die Geschichte, die N. über seine Fluchtgründe erzählt hatte, für erlogen.
"Detailarm und lebensfremd", IQ angeblich "unterdurchschnittlich"
Der Teenager hatte laut "Spiegel" von einer kriminellen Bande erzählt, die den Laden seines Vaters überfallen und den Vater getötet habe. Auch er selbst sei in den Fokus der Kriminellen geraten: Sie hätten ihn mit Autos verfolgt und nachts Steine auf das Grundstück seiner Familie geworfen. Der "Spiegel" zitierte das Gericht: Die Erzählung des Jugendlichen sei "detailarm und lebensfremd", sie weise "Unstimmigkeiten" auf und sei zusammengenommen wohl bloß "erfunden". Es sei "unwahrscheinlich", dass N. nach einer Rückkehr nach Afghanistan einer "ernsthaften Bedrohung" ausgesetzt sei. Der IQ des Jugendlichen sei im Übrigen "unterdurchschnittlich".
Von Ende 2020 an hätte der nun Volljährige wohl eine Zeit lang abgeschoben werden können. Doch dann übernahmen die Taliban in Afghanistan die Macht und N. erhielt eine Duldung, später zudem eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
Luxus auf Social Media – alles nur Fassade?
N. verließ die Schule in Deutschland mit Mittelschulabschluss, machte laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eine Berufsausbildung und arbeitete dann als Ladendetektiv für zwei Sicherheitsfirmen. Außerdem trainierte er viel. Bilder, die er in sozialen Medien veröffentlichte, zeigen einen muskelbepackten jungen Mann, einen erfolgreichen Bodybuilder. Er nahm an Wettbewerben teil, ein anderer Bodybuilder sagte dem "Spiegel" über ihn: "Er war supernett und aufgeschlossen."
Auf seinen Social-Media-Accounts zeigte sich N. gerne gut gestylt. Im Anzug, vor Luxusautos, mit Goldschmuck und wechselnden Uhren am Handgelenk. Nur eine glänzende Fassade?
N. klagte in gebrochenem Deutsch über Frauen und die Taliban
Was wirklich in dem jungen Afghanen vorging, davon können möglicherweise Menschen berichten, denen er zuletzt zaghaft näherkam. RTL hat einen von ihnen gesprochen, ein Mann Mitte 30, der mit N. das Hobby teilt: Bodybuilding.
In der vergangenen Woche seien die beiden gemeinsam in einem Burgerladen essen gewesen, berichtete der Trainingsgefährte. Das Gespräch sei schwierig gewesen, N. habe nur gebrochenes Deutsch gesprochen. Was aber deutlich wurde: N. sei "gläubig und koraninteressiert" gewesen. Er habe sich beklagt, dass die Frauen in Deutschland so "freizügig" leben würden. Frauen, die mehrere Sexualpartner gehabt hätten, die "willst du nicht mehr heiraten“, habe N. gesagt.
Auch über die Taliban habe N. gesprochen. Die afghanischen Machthaber würden den Islam nicht "ordentlich ausleben" und religiöse Regeln für sich selbst lockerer handhaben, als sie nach außen predigen würden. Waren die extremen Taliban dem Bodybuilder etwa noch zu lasch?
"Vom Leben enttäuscht": War N. pleite?
Der Eindruck, der bei dem Bekannten von N. während der Unterhaltung beim Burger aufkam: Der Afghane habe insgesamt "verloren in der Welt" gewirkt, "wie ein Mensch, der vom Leben enttäuscht ist".
Dazu passt, dass N., der sich im Internet so gern stark, erfolgreich und wohlhabend präsentierte, in Wirklichkeit möglicherweise Geldprobleme hatte. Zumindest gibt es Hinweise darauf: N. habe sich seinen Bodybuilding-Trainer wohl nicht mehr leisten können, daraufhin habe der Trainer die Zusammenarbeit beendet, sagte seine Trainingsbekanntschaft.
Die "Süddeutsche Zeitung" sprach unterdessen mit einem Mitarbeiter des Burgerladens, in dem die beiden sich getroffen hatten. N. sei immer höflich gewesen, erzählte dieser. Er kenne ihn schon länger. In den vergangenen Monaten habe N. allerdings zunehmend religiöse Inhalte auf TikTok geteilt, das sei ihm schon aufgefallen. Und dass der 24-Jährige zumindest zuletzt offenbar knapp bei Kasse war, bestätigte der Burgerladen-Mitarbeiter auch: Sein letztes Essen in dem Restaurant mit dem Kumpel aus dem Fitnessstudio habe er nicht bezahlen können. Kein Geld auf dem Konto, habe N. gesagt – und versprochen, die Rechnung an diesem Donnerstag zu begleichen. An dem Tag also, an dem N. laut Ermittlern in sein Auto stieg, um Menschen zu töten.
- sueddeutsche.de: "Wer ist der Mann, der mit dem Auto in die Demo gerast ist?"
- rtl.de: "RTL-Reporter trifft Bekannten des Münchner Tatverdächtigen"
- spiegel.de: "Mutmaßlicher Anschlag von München: Der Angreifer mit dem Mini Cooper"
- spiegel.de: "Verdächtiger log laut Gericht über Fluchtgeschichte"
- Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft am 14. Februar 2025
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP