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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Plagiatsjäger greift Grünen an Habeck widerspricht Vorwürfen zu Doktorarbeit
Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck rechnet mit Vorwürfen zu seiner Doktorarbeit – und geht selbst in die Offensive. Ins Visier genommen hat ihn ein österreichischer Plagiatsjäger.
Der Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck tritt in einem Video Vorwürfen entgegen, die sich gegen seine Doktorarbeit richten. Habeck rechnet offenbar mit einer Veröffentlichung des Österreichers Stefan Weber, der sich selbst als Plagiatsjäger bezeichnet und besonders vor Wahlen wissenschaftliche Arbeiten von Politikern durchleuchtet – die Auftraggeber sind häufig unklar. Habeck: "Ich habe mich entschieden, das Ganze transparent zu machen und die Vorwürfe schon vorab zu entkräften." Von der Hochschule bekommt er Rückendeckung.
Habeck sagt, er habe die Universität Hamburg eingeschaltet, nachdem er von den Recherchen zu seiner vor 25 Jahren geschriebenen Doktorarbeit erfahren hatte. Die Arbeit mit dem Titel "Die Natur der Literatur" wurde 2001 veröffentlicht. Die Ombudsstelle der Universität habe sie daraufhin eine "Person mit ausgewiesener Fachexpertise" prüfen lassen. Das Ergebnis sei, dass kein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliege.
Was die Ombudsstelle offenbar anmerkte: Zitationsregeln seien zu dieser Zeit zum Teil nicht in gleicher Weise definiert und formalisiert gewesen. Heute würde man es anders machen. Habeck erklärte, er werde der Empfehlung folgen, sie zu überarbeiten, "wenn Zeit ist". Die Grünen sehen die Vorwürfe als "haltlos" entkräftet, ehe sie überhaupt öffentlich sind.
Uni bestätigt: "Kein wissenschaftliches Fehlverhalten"
Die Universität Hamburg bestätigte t-online die Prüfung: "Im Ergebnis wurde festgestellt, dass gemäß den Regeln der Universität Hamburg kein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt, da weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gegen die Standards der guten wissenschaftlichen Praxis verstoßen wurde." Die Eigenständigkeit der Forschungsleistung sei durch das Prüfungsergebnis bestätigt worden. Die Hochschule teilte auch mit, dass Weber neue Hinweise nachgereicht habe, die ebenfalls sorgfältig begutachtet und fachlich eingeordnet würden. Dem Vernehmen nach haben sie ähnlichen Charakter wie die vorherigen Anmerkungen.
Stefan Weber widersprach Habeck und der Hochschule auf der Plattform X: "Es geht nicht um 'Ungenauigkeiten in den Fußnoten'. Sie haben methodisch eine Quellenarbeit simuliert, die nicht stattgefunden hat." Habeck habe "sehr wohl auch Textfragmente plagiiert".
Auf Fragen von t-online etwa zu seinem möglichen Auftraggeber antwortete Weber, die Fragen gingen "völlig an dem akademischen Problem vorbei, das ich seit 2007 aufzeige". Habeck verweist in seinem Video unterdessen auf eine "Spiegel"-Recherche, wonach Weber bei einer früheren Prüfung einer Doktorarbeit vom umstrittenen Nachrichtenportal "Nius" bezahlt wurde.
Wegen übler Nachrede verurteilt
Weiter teilte Weber t-online mit: "Ich lasse mich von Journalisten wie Ihnen nicht zu etwas anderem machen." Unklar bleibt, was er damit meint. Man solle seine Bücher lesen. Er kündigte an, der Beitrag mit den Vorwürfen gegen Habeck solle am Montagmittag um 13.05 Uhr veröffentlicht werden. Darin wird es offenbar auch um Habecks Frau gehen. Zur angekündigten Zeit stand dort noch kein Text.
Größere Recherchen Webers in der jüngeren Vergangenheit, vor allem zu Arbeiten österreichischer Politiker, führten nicht zu Titelentziehungen durch die Universitäten, was Weber unter anderem mit "Hochschulkorruption" kommentierte. Erst vor wenigen Tagen wurde er in zweiter Instanz wegen übler Nachrede verurteilt. Er habe demnach in seinem Blog den damaligen Rektor der Universität Klagenfurt mit falschen Anschuldigungen diffamiert, berichtet der österreichische "Standard".
Bereits vor der Bundestagswahl 2021 hatte der Medienwissenschaftler Vorwürfe gegen Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock erhoben. Er hatte nachgewiesen, dass Baerbocks Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" Passagen ohne entsprechende Quellenangaben enthielt. Allerdings gelten hier nicht die gleichen strengen Regeln wie für wissenschaftliche Veröffentlichungen. Der "Süddeutschen Zeitung" hatte Weber damals gesagt, er habe nun auch die Habeck-Bücher zum Digitalisieren gegeben.
Den damaligen Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet entlastete Weber zunächst von ähnlichen Vorwürfen, die der deutsche Plagiatsjäger Martin Heidingsfelder erhoben hatte. Laschet räumte jedoch selbst ein, dass es in seinem Buch "offenkundig Fehler" gebe, die er selbst verantworte. Weber hat auch wissenschaftliche Veröffentlichungen konservativer österreichischer Politiker untersucht und unterstützte in seiner Heimat zumindest in der Vergangenheit die Kommunisten.
Habecks Wahlkampf-Manager Andreas Audretsch weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass die Grünen ein besonderes Ziel russischer Desinformation seien. So wurde im vergangenen Jahr eine aufwendig konstruierte Lügengeschichte mit schweren Vorwürfen gegen Habeck verbreitet, ohne allerdings große Resonanz zu erzielen. Ähnlich verhielt es sich Ende Januar bei einem mutmaßlich von der russischen "Matroschka"-Desinformationskampagne erstellten Video. Dabei wurde die Erfindung verbreitet, Habeck werde Steuerhinterziehung in zweistelliger Millionenhöhe vorgeworfen.
- YouTube: Robert Habeck: Zu meiner Dissertation
- Anfrage an Stefan Weber und die Universität Hamburg
- uni-hamburg.de: Stellungnahme der Universität Hamburg
- twitter.com: Tweet Stefan Weber
- sueddeutsche.de: Jäger der verlorenen Sätze (Abo-Inhalt)
- standard.at: "Plagiatsjäger" Stefan Weber wegen übler Nachrede rechtskräftig verurteilt