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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wahlergebnis macht stutzig Wo kommen plötzlich 4.277 Stimmen für das BSW her?

Das BSW reicht Klage gegen das Ergebnis der Bundestagswahl ein. Eine Überprüfung der Zweitstimmen in den Bundesländern brachte erstaunliche Differenzen zutage.
Am Mittwoch hat das BSW angekündigt, gegen das Ergebnis der Bundestagswahl vor dem Bundesverfassungsgericht Klage einreichen zu wollen. Die Partei von Sahra Wagenknecht will damit eine Neuauszählung der Stimmen erreichen, um zu prüfen, ob es zu Unregelmäßigkeiten zum Nachteil des BSW gekommen ist. Dem BSW hatten nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis 13.435 Stimmen zum Sprung über die Fünfprozenthürde gefehlt.
Eine BSW-Sprecherin bestätigte der Deutschen Presse-Agentur einen entsprechenden Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Der Antrag sei heute in Karlsruhe eingereicht worden, sagte sie. Im Laufe der Woche sollen weitere Klagen folgen. Laut des unabhängigen Informationsdienstes "Wahlrecht.de" hält man die Aussichten auf einen Erfolg der Klage allerdings für "sehr gering".
Ebenfalls am Mittwoch meldeten die Bundesländer der Bundeswahlleiterin ihre amtlichen Endergebnisse. Demnach hat sich die Zahl der gültig abgegebenen Zweitstimmen insgesamt um 7.425 erhöht. Auffällig ist, dass vor allem eine Partei von den nach oben korrigierten Zahlen der Landeswahlleiter profitiert: das BSW. 4.277 der nachträglich festgestellten Zweitstimmen entfallen auf die Wagenknecht-Partei, das sind rund 57,6 Prozent.
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Zum Vergleich: Die Volkspartei SPD hat nach der Prüfung nur 840 Zweitstimmen mehr erhalten. Was aber ist die Ursache für die ungewöhnlich hohe Zahl an "aufgefunden" Stimmen für das BSW?
Laut "wahlrecht.de" soll es jedenfalls nichts mit der fehlerhaften Übertragung von Zahlen von den Gemeinden und Kommunen an die Bundeswahlleiterin am Wahlabend zu tun haben, wie in sozialen Medien bereits behauptet worden war. Vielmehr geht "wahlrecht.de" davon aus, dass die auffällig hohe Zahl an Zweitstimmen zugunsten des BSW mit der Position der Partei auf den Wahlzetteln zu tun haben könnte. Dort fand sich das Bündnis Sahra Wagenknecht nämlich weit unten, zudem in direkter Nachbarschaft zum Bündnis Deutschland, einer Kleinstpartei, die laut vorläufigem Ergebnis auf 79.012 Zweitstimmen gekommen ist.
BSW-Ergebnis hat erhebliche Konsequenzen
Was nun passiert sein könnte, so die Experten von "wahlrecht.de", ist eine Fehlkommunikation bei der telefonischen Schnellmeldung von Stimmen am Wahlabend. Dabei geben die Wahlvorsteher in den jeweiligen Stimmbezirken die Zahl der Stimmen für eine Partei an das zuständige Wahlamt durch. Obwohl das Auszählungsergebnis in der offiziellen Wahlniederschrift richtig eingetragen wurde, kann es bei dieser mündlichen Schnellmeldung zu einer Verwechslung gekommen sein – was die unterschiedlichen Werte zwischen vorläufigem und amtlichem Endergebnis erklären würde.
Der Grund wäre also banal: eine Namensähnlichkeit, genauer gesagt die unglückliche Positionierung des BSW auf dem Wahlzettel. Ähnliche hohe Stimmen-Differenzen soll es auch bei der Bundestagswahl 2009 bei der Piratenpartei, sowie 2013 bei der AfD gegeben haben.
Die korrigierte Stimmenzahl für das BSW bedeutet, dass die Partei auf einen Anteil von 4,98 Prozent kommt. Sie wäre demnach nicht mit 13.435 Stimmen, sondern mit nur 9.529 Stimmen an der Fünfprozenthürde und damit am Einzug in den Bundestag gescheitert.
Das Foto-Finish zu Ungunsten der Wagenknecht-Partei hat nicht nur erhebliche Konsequenzen für die Partei selbst. Ihr entgehen nun in erheblichem Maße parlamentarischer Einfluss und mediale Aufmerksamkeit auf Bundesebene. Auch kann die Parteigründerin selbst nicht als starke Oppositionsfigur glänzen, wie sie das eigentlich geplant hatte.
Für den Bundestag selbst bedeutete das Scheitern des BSW aber auch, dass die Union mit dem designierten Kanzler Friedrich Merz nicht auf einen dritten Koalitionspartner angewiesen ist. Denn mit dem BSW-Einzug ins Parlament hätten sich die Mehrheitsverhältnisse so verschoben, dass Merz sehr wahrscheinlich ein Bündnis mit SPD und Grünen hätte schmieden müssen. Das wäre wohl ungleich schwieriger geworden, als nur ein Bündnis mit den Sozialdemokraten einzugehen.
Bundeswahlleiterin: Probleme für Auslandsdeutsche "bedauerlich"
Nun lässt die Partei von Sahra Wagenknecht das Ergebnis der Wahl anfechten, die Klage vor dem Verfassungsgericht hinsichtlich der Auszählung ist dabei nur der erste Schritt. Weitere könnten folgen. Im Fokus stehen dabei vorwiegend die Stimmen der Auslandsdeutschen – t-online hatte ausführlich im Vorfeld der Wahl darüber berichtet.
Etwa 230.000 von ihnen hatten sich für die Wahl registriert und damit eine Zusendung der Wahlunterlagen angefordert. Aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit bei der vorgezogenen Neuwahl war es vielen der im Ausland lebenden Wahlberechtigten aber nicht möglich, ihre Stimme rechtzeitig abzugeben.
Bundeswahlleiterin Ruth Brand nannte es gegenüber dem "Handelsblatt" nun "bedauerlich", dass nicht alle im Ausland lebenden Wahlberechtigten wählen konnten. "Wie viele Auslandsdeutsche tatsächlich an der Wahl teilgenommen haben, wissen wir nicht", sagte Brand.
Wagenknecht selbst mutmaßte noch am Wahlabend, bei den Briefwählern aus dem Ausland, die ihren Wahlzettel fristgerecht zurücksenden konnten, handele es sich nur um "einen Bruchteil". Sollte das stimmen, würde die Zahl von 9.529 fehlenden Stimmen für das BSW vielleicht doch wieder mandatsrelevant werden. Aber darüber muss demnächst wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
- wahlrecht.de: Bundestagswahl am 23. Februar 2025
- bundeswahlleiterin.de: Bundeswahlordnung
- Eigene Recherchen
- Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP und dpa