Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kanzlerkandidat Merz spricht Klartext "Die Welt schaut mit Entsetzen auf Deutschland"
Den Umfragen zufolge kann Friedrich Merz nächster Bundeskanzler werden. Wie will er Deutschland reformieren, welche Pläne hat er für Steuern, Klima, Migration? Wie reagiert er auf die jüngsten Äußerungen von CSU-Chef Markus Söder – und was sagt er zur Kritik, er sei zu impulsiv? Im t-online-Interview verrät er es.
Vor dem Gespräch kommt das obligatorische Foto-Shooting in den Fluren des Adenauerhauses. Friedrich Merz lässt die Prozedur geduldig über sich ergehen. Es blitzt wie in einem Nachtclub aus allen aufgestellten Lampenschirmen, jedes Mal, wenn der Auslöser gedrückt wird. Nach einigen Minuten sagt unser Fotograf: "Gucken Sie doch mal wie ein Kanzler!" (das Ergebnis sehen Sie unten). Noch ein Gruppenbild, dann bittet Merz in sein geräumiges, helles Büro auf die helle Sofagarnitur. Es kann losgehen.
t-online: Herr Merz, sind Sie Asterix-fest?
Friedrich Merz: Einigermaßen.
Im Heft "Asterix als Legionär" wollen Asterix und Obelix etwas von einem Römer wissen, und Obelix macht‘s wie immer: Er versucht es aus ihm herauszuprügeln. Daraufhin erklärt ihm Asterix, dass man manchmal mit Liebenswürdigkeit weiterkomme als mit Dresche. Er zeige ihm mal, wie das gehe: Also fragt Asterix in blümchenverzierten Sprechblasen – bis auch er die Geduld verliert und den Römer einfach aus den Sandalen haut. Darauf Obelix zu Asterix: "Ich verstehe nicht ganz den Unterschied zwischen deiner und meiner Liebenswürdigkeit."
Jetzt bin ich gespannt, warum Sie mir das erzählen…
Weil es uns wie Obelix geht: Wir erkennen nicht den Unterschied zwischen der Liebenswürdigkeit, die Markus Söder vor dreieinhalb Jahren im Wahlkampf dem Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet entgegengebracht hat – und Ihnen heute.
Aber Asterix würde ihn vermutlich erkennen.
Söder rempelt Sie genauso an wie seinerzeit Laschet.
Ich bitte Sie, die Lage ist doch überhaupt nicht zu vergleichen! 2021 waren wir wenige Monate vor der Bundestagswahl völlig aus dem Tritt, und es hat einen offenen Streit zwischen CDU und CSU gegeben. Wir haben dann mit der Nominierung des Kanzlerkandidaten keine Befriedung in der Union gehabt, sondern das Gegenteil. Das ist jetzt alles völlig anders. Markus Söder und ich haben versprochen, im Spätsommer einen gemeinsamen Vorschlag für den Kanzlerkandidaten zu machen. Und so kam es.
Sehen Sie denn Markus Söders Versprechen als eingelöst an, dass Sie sich auf seine Loyalität verlassen können?
Ja. Ich sehe, dass wir beide und dass die beiden Parteien einen gemeinsamen, strategisch gut angelegten Wahlkampf führen. Was wollen wir mehr?
Wir haben den Eindruck, dass da schon immer wieder Querschüsse aus Bayern kommen und Konter gegen Sie stattfinden.
Diesen Eindruck teile ich nicht. Woran machen Sie das fest?
Zum Beispiel an der CSU-Klausur in Seeon: Sie kommen im Auto vorgefahren, es dauert länger, bis Sie aussteigen, Söder steht im Regen und wird ungehalten. Dann gibt es diese kleine Frotzelei übers Wetter, nachdem Sie ausgestiegen sind, und hinterher machen sie eine gemeinsame Pressekonferenz. Ein Journalist spricht sie darauf an, dass Daniel Günther in Kiel gesagt hat, Söder solle doch zu Schwarz-Grün einfach mal den Mund halten: Wie das weitergehe mit den beiden? Sie antworten: "Ich gehe davon aus, dass die beiden weiter kollegial, kameradschaftlich, freundschaftlich miteinander umgehen." Söder steht neben Ihnen und kontert sofort: "Echt?"
Jetzt stelle ich Ihnen mal eine Gegenfrage: Sind das wirklich die wichtigen Themen?
Wir, unsere Leser und viele andere fragen sich schon: Was ist denn da los? Ist das wirklich eine Union, wenn die so miteinander umgehen?
Also, meine Herren, wollen wir wirklich noch länger über solche Nebensächlichkeiten reden? Sie versuchen, hier einen Dissens zu konstruieren, den es nicht gibt!
Wir müssen Ihnen wohl nicht in Erinnerung rufen, dass es diesen Dissens in der Frage einer Koalition mit den Grünen faktisch gibt. Mal andersrum gefragt: Was wäre denn Ihre Lieblingskoalition, in der Sie sich gern wiederfinden würden?
Wir führen keinen Koalitionswahlkampf. Wir führen einen Wahlkampf, aus dem die Union so stark wie möglich hervorgehen soll. Und dann wollen wir einen Politikwechsel für Deutschland, das ist unser Ziel.
Vor fünf Jahren haben Sie im t-online-Interview gesagt: "Große Koalitionen sind eine Notlösung." Jetzt ist diese Notlösung die wahrscheinlichste Option für Sie.
Es gibt keine "Große" Koalition mehr. Denn niemand kann im Ernst behaupten, dass eine Partei mit 14 oder 15 Prozent noch Bestandteil einer Großen Koalition wäre.
Was wäre das dann?
Ich bin sicher, der Presse würde ein passender Name einfallen, falls es soweit kommen sollte.
Uns ist zugetragen worden: Wenn es zu einer Regierungsbildung mit der SPD kommt, könnte der Verteidigungsminister im Kabinett eines Kanzlers Friedrich Merz am Ende Vizekanzler sein und Boris Pistorius heißen.
(lacht) Schöne Spekulation.
Betonung auf schön oder auf Spekulation?
Auf Spekulation. Nochmal: Wir befassen uns nicht mit Koalitionen, sondern kämpfen dafür, dass die Union so stark wie möglich wird. Alles andere interessiert mich zurzeit nicht.
Okay. Damit zu den Themen, die Sie wichtiger finden als das Bild der Union und Koalitionsfragen. In ihrer Agenda 2030 planen Sie teure Schritte: Rentner sollen auf Zuverdienste bis 2.000 Euro monatlich keine Steuern zahlen, den Spitzensteuersatz wollen sie auf 80.000 Euro hochsetzen. Der jährliche Grundfreibetrag soll steigen. Überstundenzuschläge bei Vollzeitbeschäftigung sollen steuerfrei werden. Wie wollen Sie das alles finanzieren?
Jetzt geht bei Ihnen aber viel durcheinander.
Dann klären Sie uns auf.
2000 Euro steuerfreies Zusatzeinkommen ab dem 67. Lebensjahr wären schon ab einer Größenordnung von 72.000 Personen, die länger arbeiten möchten und das in Anspruch nehmen, für den Steuerhaushalt ein Gewinn. Weil die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft insgesamt erhöht wird, wenn wir mehr Menschen in Beschäftigung halten. Das muss doch das Ziel sein, angesichts der Demografie und des Arbeitskräftemangels: Leute, die gerne möchten, weiter im Job zu halten. Es wäre für alle Beteiligten ein Gewinn. Die Steuerpolitik haben wir so angelegt, dass wir in den nächsten vier Jahren Schritt für Schritt eine solche Reform in Kraft setzen. Am Ende werden wir höhere Steuereinnahmen haben. Denn bei der aktuellen Rezession, bei diesem Kapitalabfluss aus Deutschland ist es doch so: Knapp 40 Prozent Steuern von immer weniger Substanz bedeutet für den Steuerhaushalt einen Riesenverlust. Aber 25 Prozent von einer Wirtschaft im Aufschwung bedeutet für den Steuerhaushalt solide, verlässliche, dauerhafte Einnahmen.
Das ist das immergleiche Argument, eine Reform finanziere sich aus sich selbst heraus.
Nein. Sie finanziert sich dann, wenn wir wieder Wachstum und Beschäftigung in diesem Land haben, vor allen Dingen, wenn wir aus dieser strukturellen Wachstumsschwäche unserer Volkswirtschaft herauskommen: durch verlässliche Rahmenbedingungen, durch verlässliche Investitionsbedingungen, durch verlässliches Regierungshandeln – und durch eine Regierung, die aufhört, öffentlich zu streiten, und die endlich wieder vermittelt, dass sie zuverlässig und verlässlich regiert. Für Bürgerinnen und Bürger wie auch für Unternehmen und Investoren.
Eine neue Regierung, und alles wird gut?
Nein. Aber eine erste Voraussetzung wäre schon, dass eine Regierung ersetzt wird, die systematisch die Standortbedingungen verschlechtert hat, zum Beispiel durch die Energiepolitik. Die Energiepolitik der gescheiterten Ampel war ein einziges Fiasko! Da ist die Stilllegung der drei letzten Kernkraftwerke nur die Krone obendrauf. Es müsste doch jedem einsichtig sein, dass das nicht gutgehen kann. Das macht keiner auf der Welt nach. Im Gegenteil: Die Welt schaut mit Entsetzen und Verwunderung auf Deutschland.
Was wollen Sie anders machen?
Unter meiner Führung steigen wir nirgendwo mehr aus, bevor wir nicht Alternativen am Netz haben. Wir lassen die Option Kernenergie offen. Wir lassen auch offen, ob wir die stillgelegten Kernkraftwerke noch mal ans Netz nehmen können. Die Wahrscheinlichkeit wird leider von Woche zu Woche kleiner. Wir als Union hätten diese fatale Entscheidung vom 15. April 2023 so nicht getroffen. Das war ein schwerer strategischer Fehler, mitten in der Energiekrise die letzten drei Kernkraftwerke stillzulegen, die verlässliche Stromerzeugung gewährleistet haben. Das, was wir hier insbesondere unter diesem grünen Wirtschaftsminister sehen, ist und bleibt ein Fiasko.
- Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck im Podcast-Gespräch:
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Noch mal: Was würden Sie konkret anders machen?
Wir müssen so schnell wie möglich 50 Gaskraftwerke in Deutschland bauen, die sofort ans Netz gehen. Schauen Sie mal aus dem Fenster: Wir sind jetzt schon wieder in einer Dunkelflaute. Ich vermute, wir werden immer wieder an der Strombörse in Leipzig die höchsten Strompreise haben, die wir in den letzten Jahren gesehen haben. SPD, Grüne und FDP sind überall ausgestiegen. Wir steigen wieder ein.
Die Rezession hat sich verfestigt, und Sie sagen, da muss schleunigst eine Wende her. Was haben Sie denn für einen Zeithorizont vor Augen, bis wann sich die Wirtschaftsentwicklung wieder zum Besseren wenden kann?
Erstens braucht das Land so schnell wie möglich wieder eine handlungsfähige Bundesregierung. Das hatten wir in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie. Gescheiterte Regierungen haben bisher immer bis zum Schluss der Wahlperiode eine Mehrheit gehabt, die Ampel nicht. Zweitens müssen wir die Zeit zwischen Ostern und den Sommerferien nutzen, ein Sofortprogramm umzusetzen, das in diesem Lande die Stimmung wieder verbessert, sodass die Menschen sehen: Es geht wieder was.
Beispiele für dieses Sofortprogramm?
Die Aktivrente wird sehr schnell viele Menschen motivieren, im Arbeitsmarkt zu bleiben. Das sind Fachleute, die wir dringend brauchen. Wir gehen an das Arbeitszeitgesetz heran, das sind alles niedrighängende Früchte. Wir schaffen das Bürgergeld ab und ersetzen es durch eine Neue Grundsicherung. Wir können eine ganze Reihe von Maßnahmen sehr schnell ergreifen, und wir werden dieses Sofortprogramm auf unserem Parteitag am 3. Februar beschließen.
Nächstes Thema: Migration. Sie haben zuletzt von sich reden gemacht, als Sie gesagt haben: Bei schweren Straftaten muss es möglich sein, Bürgern mit zwei Pässen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Bleiben Sie dabei?
Natürlich. Wir dürfen niemanden in die Staatenlosigkeit entlassen, aber es ist unter Juristen unstreitig, dass man die doppelte deutsche Staatsangehörigkeit auch wieder verlieren kann. Dafür gibt es jetzt schon Tatbestände im Staatsangehörigkeitsrecht, und diese Tatbestände wollen wir auf schwere Straftaten erweitern. Wo ist das Problem?
Was bezwecken Sie letzten Endes damit? Wollen Sie in Wahrheit generell an den Doppelpass ran?
Die doppelte Staatsbürgerschaft war in Deutschland ein Ausnahmefall – bis die Ampelkoalition sie zum Regelfall gemacht hat, indem sie den deutschen Pass nach nur drei Jahren Aufenthalt sehr großzügig vergibt. Schauen Sie mal nach Schweden: Dort wird genau der entgegengesetzte Weg eingeschlagen. Und man hat dort die illegale Migration weitgehend in den Griff bekommen. Schauen Sie nach Italien, ein Land, das eine völlig andere Asylpolitik macht als Deutschland und in der Lage ist, die Migrationszahlen signifikant zu senken. Aber in Deutschland sind in den letzten vier Jahren mehr als drei Millionen Drittstaatsangehörige angekommen. Diese Zahl überfordert unser Land.
Zugleich haben Hunderttausende Deutschland verlassen, der Migrationssaldo lag 2023 bei rund 663.000 Menschen. Ein Pass ist doch nicht das gleiche wie ein Führerschein, den man abgeben muss, wenn man fünfmal betrunken gefahren ist.
Richtig. Ein Pass ist kein Führerschein. Deswegen wird dieser Pass nach diesem Staatsangehörigkeitsrecht eben zu früh vergeben.
Aber so ist jetzt die Rechtslage.
Ja, aber Gesetze kann man auch wieder ändern. Ein Land, das nicht mehr darüber entscheiden darf, wer Staatsangehöriger wird, gibt sich doch zu einem beträchtlichen Teil selbst auf.
Die Behörden können selbstverständlich entscheiden, wer eingebürgert wird. Dafür gibt es klare Regeln.
Schweden verlängert die Einbürgerungsfrist von fünf auf acht Jahre – Deutschland hat sie von fünf auf drei verkürzt.
Um die Integration zu erleichtern.
Die Einbürgerung muss am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses stehen.
Wie wichtig ist Ihnen die Klimapolitik? Im vergangenen Jahr hat die globale Durchschnittstemperatur das 1,5-Grad-Ziel gerissen. Ihre Partei will die Stromsteuer auf den EU-Mindestsatz senken und Netzentgelte für Unternehmen halbieren. Damit würden die Anreize für die klimaschonende Transformation zurückgefahren. Spielt Klimaschutz in ihren Plänen eine nachrangige Rolle?
Wir stehen zu den Klimazielen. Aber Klimaziele durch Deindustrialisierung erreichen zu wollen, kann niemand ernsthaft wollen. Wir werden dafür sorgen, dass unser Land ein Industrieland bleibt. Wir haben uns mit der Verbindung von Ökonomie und Ökologie in den letzten drei Jahren intensiv beschäftigt und hier in Berlin einen Technologiekongress ausgerichtet, der gezeigt hat: Es gibt genügend technologische Möglichkeiten, um Klimaschutz mit Wirtschaftswachstum zu verbinden.
Was bedeutet das konkret?
Zum Beispiel ein Gesetz, das CCS erlaubt.
Also Carbon Capture and Storage, die Abscheidung und Speicherung von klimaschädlichem CO2.
Warum ist es in Deutschland verboten, CO2 aus Produktionsprozessen abzuscheiden, die mit Verbrennungsverfahren arbeiten? In Norwegen ist es erlaubt, in Italien und vielen anderen Ländern auch. Bundeswirtschaftsminister Habeck kam mit strahlenden Augen aus Norwegen zurück und meinte: "Das ist eine ganz wunderbare Technologie!" Er hat einen Gesetzgebungsvorschlag gemacht – und ist an seiner eigenen Fraktion gescheitert. So geht nichts voran.
Aber das reicht natürlich nicht. Der CO2-Ausstoß steigt ja weiter.
Einspruch: Der CO2 Ausstoß in Deutschland sinkt. Wir haben unsere Wirtschaftsleistung bezogen auf das Jahr 1990 verdoppelt und den CO2 Ausstoß bis zum Jahr 2020 bereits um 40 Prozent fast halbiert. Richtig ist natürlich, dass die anspruchsvollen Jahre jetzt vor uns liegen. Aber der Weg, den die Koalition geht, nämlich, die Industrieproduktion in Deutschland immer schwerer zu machen und CO2-Reduktion durch Rezession zu erreichen, ist nicht der Weg, den wir gehen werden.
Sondern?
Wir brauchen eine technologieoffene Entwicklung. Wenn Verbrennerautos wirklich zum ersten 1. Januar 2035 verboten werden, dann haben wir am 2. Januar 2035 immer noch 50 Millionen Verbrenner auf den deutschen Straßen, immer noch 250 Millionen Verbrenner in Europa und immer noch 1,2 Milliarden Verbrenner auf der Welt.
Das ist doch kein Argument, Verbrennerautos trotzdem weiter zu produzieren und immer mehr werden zu lassen.
Nein, aber ein Argument dafür, diese Technologie so weiterzuentwickeln, dass alle Autos auch CO2-neutral fahren können.
Es steht nun mal fest, dass ein Elektromotor einem Verbrenner in der Effizienz bei weitem überlegen ist. Der Verbrenner ist eine rollende Heizung. Das Rollen ist beinahe das Nebenprodukt.
Ob und falls ja, wann die Zukunft vollelektrisch sein wird, das weiß heute niemand von uns. Deswegen gehen einige Automobilunternehmen auf der Welt und richtigerweise auch in Deutschland auf alle verfügbaren Technologien und entwickeln sie weiter. Wir brauchen alle Optionen und zugleich definieren wir das Ziel, dass wir Co2-Neutralität mit Technologieoffenheit verbunden sehen wollen.
Auch an anderer Stelle braucht es dringend Entscheidungen: Bei der Frage, ob die Ukraine drei weitere Milliarden Euro für Waffenkäufe bekommen soll, geht es nicht voran. Was wollen und können Sie tun, um das aufzulösen?
Die Rest-Bundesregierung muss sich zunächst einmal einig werden. Pistorius will es, Baerbock will es. Der Bundeskanzler will es offensichtlich nicht, also gibt es wieder Streit. Jetzt höre ich, dass da angeblich die Schuldenbremse gelockert werden soll für drei Milliarden Euro! Dabei ist das überhaupt nicht nötig. Die Bundesregierung kann ohne weiteres nach der Bundeshaushaltsordnung eine außerplanmäßige Ausgabe beschließen, kann sie vollziehen und dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages davon Kenntnis geben. Das ist der Weg.
Und den gehen Sie mit?
Ich habe Frau Baerbock und Herrn Pistorius gesagt: Machen Sie einen Vorschlag, und wir werden hier nicht widersprechen. Aber deswegen die Schuldenbremse zu lockern, aufzuheben, das Grundgesetz zu ändern für drei Milliarden Euro? Auf gar keinen Fall! Das ist der durchsichtige Versuch des Bundeskanzlers, uns eine Falle zu stellen. Da tappen wir nicht rein. Ich finde es verantwortungslos, dass hier offensichtlich mit den Menschen in der Ukraine ein innenpolitisches Spiel getrieben wird, und zwar sowohl innerhalb der Rest-Koalition als auch der Union gegenüber. Aber das ist ein Muster, das wir bei den Sozialdemokraten immer wieder gesehen haben. In dem Augenblick, in dem die Alternativen lauten: staatspolitische Verantwortung oder innenpolitischer Geländegewinn entscheiden sich diese SPD und dieser Bundeskanzler in der Regel für die zweite.
Hatten Sie zu Bundeskanzler Olaf Scholz denn jemals ein echtes Vertrauensverhältnis?
Am Anfang der Wahlperiode, ja. Aber mit abnehmendem Grenznutzen.
Warum?
Weil ich von ihm nie in wirklicher Offenheit die Dinge beschrieben bekommen habe. Bei Scholz lief immer ein zweiter Film im Kopf ab. Das kann man so machen, aber es ist keine Voraussetzung für Vertrauen.
Sehen Sie darin einen Politikstil oder einen Charakterzug?
Ich kenne ihn dafür zu wenig. Aber so, wie ich ihn kennen gelernt habe, scheint das ein Verhaltensmuster zu sein.
Am kommenden Montag tritt Donald Trump sein Amt an. Wie würden Sie als Kanzler mit ihm sprechen?
Ich würde zunächst einmal darauf verzichten, aus Deutschland heraus mehr oder weniger kluge Ratschläge zu erteilen. Und ich würde so schnell wie möglich den Dialog mit ihm suchen - aber erst, nachdem ich mit den europäischen Staats- und Regierungschefs ein möglichst hohes Maß an Übereinstimmung gesucht und gefunden habe, wie wir miteinander im transatlantischen Verhältnis in Zukunft auftreten.
Donald Trump hat angekündigt, er wolle den Krieg in der Ukraine schnell beenden, und plant ein Treffen mit Putin. Würden Sie zu so einem Treffen mitgehen?
Der deutsche Oppositionsführer wird das natürlich nicht tun. Aber wenn der heutige Oppositionsführer morgen als Bundeskanzler in diese Lage versetzt würde, selbstverständlich ja! Aber unter der Voraussetzung, dass es eine gemeinsame Strategie der Amerikaner und Europäer einschließlich der Deutschen gibt, abgestimmt mit der Ukraine. Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Krieg beendet wird, aber das kann man nicht mit Schwäche erreichen und nicht mit Resignation oder Kapitulation. Sondern indem man Putin die Aussichtslosigkeit der Fortsetzung dieses Krieges vor Augen führt.
Würden Sie die Bundeswehr an einer Friedenstruppe beteiligen?
Die Frage stellt sich heute überhaupt nicht, denn Putin ist derzeit erkennbar nicht zu Verhandlungen bereit. Klar ist: Deutschland darf nicht Kriegspartei werden.
Augenhöhe mit den USA setzt ein stärker geeintes Europa voraus. Wie wollen Sie das erreichen?
Deutschland muss ein klares Zeichen setzen, und das werden wir unter meiner Führung tun. Wir werden uns wieder stärker in Europa engagieren.
Wo sehen Sie in der EU gerade den größten Bedarf einzugreifen, wo brennt der Baum?
Wir müssen das Brüsseler Bürokratiemonster bändigen. Das ist die drängendste Aufgabe. Schauen sich an, was die Unternehmen mittlerweile für einen Aufwand betreiben müssen! Ich höre, dass die Lufthansa 200 Mitarbeiter eingestellt hat, um die europäischen Berichtspflichten zu erfüllen. Das ist doch der helle Wahnsinn! Und das alles für die Datenfriedhöfe, die niemand mehr anschaut.
Zum Abschluss ein, zwei persönliche Fragen. Ihnen wird vorgehalten, keine Regierungserfahrung zu haben und vergleichsweise wenig Erfahrung in politischer Führung. Was entgegnen Sie?
Ach wissen Sie, mittlerweile bin ich 23 Jahre in der Politik, ziemlich genau ein Drittel meines Lebens. Zwischendurch bin ich zwölf Jahre in der Wirtschaft gewesen, das war ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Ich bringe politische Führungserfahrung mit aus großen, komplexen Organisationen, dazu gehört die CDU genauso wie die Bundestagsfraktion von CDU/CSU. Ich glaube, ich bringe so viel Lebens- und Führungserfahrung aus der Wirtschaft mit wie kein zweiter derer, die im Wettbewerb mit mir stehen. Über alles andere entscheiden die Wählerinnen und Wähler in Deutschland.
Was sind in Ihren Augen die drei wichtigsten Qualitäten, die ein Kanzler haben muss?
Die Bereitschaft, eine Mannschaft zu führen und Streit zu vermeiden, bevor er offen ausbricht. Ein klares Ziel zu haben und eine Mannschaft aufzubauen, die sich diesem Ziel verschreibt. Das Ganze unter kollegialer Führung. Aber Führung von vorne.
In den vergangenen Wochen hatten wir den Eindruck, dass Sie an manchen Stellen keine ganz gerade Linie bei jedem Thema gezogen haben. Einmal konnten sie sich Herrn Habeck als Minister vorstellen, dann wieder nicht. Einmal konnten Sie sich Herrn Lindner als Minister vorstellen, aber dann war es doch wieder ein bisschen schwierig nach dessen Äußerungen zu Milei und Musk.
Ich bitte Sie! Ich habe darüber gesprochen, dass sich die Wirtschaftspolitik ändern muss und mit uns auch ändern wird. Wer diesen Weg mitgeht, kann das gerne tun, die anderen bleiben eben am Wegesrand zurück. Daraus ist interpretiert worden, ich könne mir Herrn Habeck als Bundeswirtschaftsminister vorstellen – was ich nie gesagt habe.
Sie haben gesagt, dass es einen Politikwechsel brauche – "mit Habeck oder ohne – das muss Habeck entscheiden, wenn er noch dabei ist". Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie impulsiv sind Sie?
Das wird mir ja immer wieder gerne unterstellt.
Könnte sein, dass das der Hintergrund der Frage ist.
Ich bin viel ruhiger, viel gelassener und viel konzentrierter, als mir manch einer unterstellt. Richtig ist: Ich bin ein engagierter politischer Debattenredner. Für mich gehört Emotion zu einer politischen Debatte, sonst wird es langweilig. Aber ich bin in der Vorbereitung von Entscheidungen und auch in der Durchführung von Entscheidungen sehr konzentriert und ziemlich frei von Emotionen.
Was braucht es, um so ein Amt als Kanzler länger als drei, vier Jahre durchzustehen?
Kondition, Überblick und Abstand, auch von kurzfristigen tagespolitischen Fragen. Den Blick immer aufs Ganze gerichtet. Und die Bereitschaft, auch mal ins persönliche Risiko zu gehen.
Ihr Leben würde sich als Kanzler stark verändern. Sie verbringen ja auch gerne Zeit mit Ihrer Familie. Das wäre dann viel seltener möglich.
Das gehört dazu, das weiß ich. Und werde trotzdem versuchen, einen Rest an Privatheit zu retten.
Herr Merz, vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Friedrich Merz am 16. Januar im Konrad-Adenauer-Haus.