Alle Nachbarländer betroffen Kontrollen ausgeweitet – hitzige Debatten in Europa
Seit Mitternacht gelten die verschärften Kontrollen an deutschen Grenzen. Faeser hat diese in Reaktion auf das Attentat von Solingen angeordnet, doch es gibt Kritik. Ein Überblick.
Deutschland hat seine bereits laufenden Grenzkontrollen im Osten und Süden des Landes wie angekündigt auf die Landgrenze im Westen und Norden ausgeweitet. Seit Mitternacht laufen in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen die temporären Grenzkontrollen zu Belgien und den Niederlanden an, wie die Bundespolizei bestätigte. Am Montag sollen auch Kontrollen an den Grenzen nach Luxemburg und Dänemark eingerichtet werden.
Innenministerin Nancy Faeser hatte die schärferen Kontrollen an den Grenzen zu allen deutschen Nachbarländern angeordnet. "Unsere Maßnahmen greifen – und wir verstärken sie weiter, um die irreguläre Migration zurückzudrängen", sagte die SPD-Politikerin der "Augsburger Allgemeinen".
t-online gibt einen Überblick über die wichtigsten Fragen.
Was ist geplant?
Faeser hat angeordnet, dass es ab Montag an allen Landgrenzen stationäre Kontrollen geben soll. Bisher hatte die Bundespolizei wegen der Migrationslage an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz kontrolliert. Zusätzlich betroffen sind nun Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Belgien und Dänemark. Die stationären und mobilen Kontrollen sind zunächst für ein halbes Jahr bis Mitte März vorgesehen, können aber verlängert werden.
Es solle "keine flächendeckenden, sondern gezielte Kontrollen" geben, "um grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen und die irreguläre Migration weiter zu begrenzen", erklärte das Ministerium. Die Bundespolizei werde die Kontrollen "flexibel und je nach den aktuellen Sicherheitserfordernissen vornehmen". Umfang, Dauer und konkrete Orte für die Kontrollen hingen davon ab.
Die Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze sollen nach Angaben der Bundespolizei Reisende so wenig wie möglich beeinträchtigen. Daher werde es auch keine ständigen Kontrollen geben wie bei der Europameisterschaft im Sommer, sondern nur Stichproben, sagte ein Sprecher der Bundespolizeidirektion in Bad Bramstedt. Zudem werde auch auf Nord- und Ostsee kontrolliert. Die dänische Polizei warnte am Sonntag bereits vor drohenden Staus.
Eigentlich sind Grenzkontrollen im europäischen Schengenraum nur als letztes Mittel erlaubt. Faeser verweist in einem Schreiben an die EU-Kommission auf die Migrations- und Sicherheitslage. Die Ressourcen von Bund und Ländern zur Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten seien "nahezu erschöpft", schreibt Faeser. Neben "Gefahren durch den islamistischen Terrorismus" hätten zudem "zuletzt Vorfälle von Messer- und Gewaltkriminalität durch Geflüchtete zu einer massiven Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls und des inneren Friedens geführt".
Warum werden die Kontrollen gerade jetzt erweitert?
Die Bundesregierung begründet die Kontrollen mit Sicherheitsrisiken durch irreguläre Migration und Schleusertum an den EU-Außengrenzen, wie bei der EU-Kommission nachzulesen ist. Diese führten zu einem erhöhten Niveau irregulärer Grenzübertritte in Deutschland, was die ohnehin schon angespannte Situation bei der Unterbringung von Flüchtlingen verschärfe – zumal Deutschland nach Angaben des Innenministeriums bereits 1,2 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat.
Als Gründe für die nun angeordneten Kontrollen nannte das Ministerium zuletzt neben der Begrenzung der irregulären Migration auch den Schutz der inneren Sicherheit vor aktuellen Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und vor grenzüberschreitender Kriminalität.
Nach dem Terroranschlag in Solingen hatte die Bundesregierung ein Asyl- und Sicherheitspaket vorgelegt. Zwei eingebrachte Gesetzentwürfe der Regierung sehen Messerverbote etwa bei Veranstaltungen und im Fernverkehr, erweitere Ermittlungsbefugnisse für die Behörden in der Terrorismusbekämpfung und Leistungsstreichungen für bestimmte ausreisepflichtige Geflüchtete vor. Daran schloss ich eine hitzige Debatte an.
Hinzu kommt: Eine Mehrheit der Deutschen hat sich zuletzt für strikteres Vorgehen an deutschen Grenzen ausgesprochen. Das zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Dabei zeigt sich auch, dass härtere Regeln im Umgang mit irregulärer Migration von älteren Menschen häufiger befürwortet werden als von jüngeren.
Von den insgesamt 2.126 Teilnehmern der Befragung, die vom 6. bis 10. September lief, sprachen sich 71 Prozent für direkte Zurückweisungen an der Grenze aus. Die gibt es jetzt bereits zum Beispiel für visumspflichtige Ausländer, die beim Grenzübertritt kein Asylgesuch stellen, sowie für Menschen mit Einreisesperre.
21 Prozent sprachen sich gegen direkte Zurückweisungen an den deutschen Grenzen aus. Die Union fordert, die Bundespolizei solle auch Menschen zurückweisen, die in Deutschland ein Asylgesuch stellen wollen, nachdem sie sich zuvor in einem anderen EU-Staat aufgehalten haben.
Wie reagieren die Nachbarländer?
Vor allem aus Polen gab es scharfe Kritik. Ministerpräsident Donald Tusk sagte, die angekündigten Kontrollen seien "aus polnischer Sicht inakzeptabel".
Eine Belastung für die beiden Länder sah auch der polnische Vizeaußenminister Wladyslaw Teofil Bartoszewski: "Man hatte uns vorab in keinster Weise informiert", sagte er dem Magazin "Stern". "Wir erfuhren davon, als die deutsche Innenministerin die Entscheidung öffentlich machte." Bartoszewski kritisierte dies als "etwas unübliche Art, mit seinen Nachbarn umzugehen". Faeser hatte zuvor öffentlich mitgeteilt, dass die deutschen Nachbarstaaten im Vorfeld nicht von dem Vorhaben informiert wurden.
Bartoszewski ergänzte: "Man kann seine Nachbarn nicht mit derartigen Entscheidungen überraschen. So geht man nicht mit Partnern um." Die Einführung der Grenzkontrollen sei das "Ende des Geistes von Schengen", sagte er mit Blick auf den europäischen Raum, in dem üblicherweise freier Personen- und Warenverkehr gewährleistet ist.
Auch in Österreich wurde bereits Widerstand angekündigt. "Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Da gibt es keinen Spielraum", sagte Innenminister Gerhard Karner der "Bild" und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Er argumentierte, dass Deutschland zwar das Recht habe, Menschen zurückzuschicken, wenn ein anderes EU-Land für ihren Asylantrag zuständig sei. Dafür sei aber ein formelles Verfahren und die Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaates nötig. Zurückweisungen im Rahmen von Kontrollen an den EU-Binnengrenzen seien nicht erlaubt.
Auch der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis kritisiert die Pläne. Die Antwort auf die irreguläre Migration könne nicht sein, den Schengen-Vertrag einseitig abzuschaffen, sagte der konservative Politiker im Nachrichtensender "Talk Radio". Den Ball aufs Feld anderer Länder zu werfen, "kann nicht toleriert werden". Ungarn und Italien hingegen fühlen sich in ihrer harten Migrationspolitik bestätigt.
Kritik äußerte auch der ehemalige Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker. "Ich bin kein Freund von Grenzkontrollen, weil sie mit massiven Unannehmlichkeiten für die Pendler verbunden sind", sagte der frühere EU-Kommissionspräsident. "Wenn es Kontrollen geben muss, dann wären mobile statt stationäre Kontrollen nicht an der Grenze, sondern im Hinterland weniger schwierig für Betroffene", mahnt der Luxemburger.
"Dass man jetzt ohne viel Federlesen die Errungenschaft der europäischen Integration zur Disposition stellt, das macht mich schon besorgt." Es dürfe nicht sein, "dass man wieder in den Köpfen und in den Herzen der Menschen Grenzen entstehen lässt".
Wie groß sind die Erfolgsaussichten?
"Unsere Maßnahmen greifen – und wir verstärken sie weiter, um die irreguläre Migration zurückzudrängen", sagte Faeser der "Augsburger Allgemeinen". Durch die bereits laufenden Grenzkontrollen seit Oktober 2023 seien mehr als 30.000 Menschen an den deutschen Grenzen zurückgewiesen worden, betonte sie. Dies habe dazu beigetragen, dass die Zahl von Asylanträgen um mehr als ein Fünftel im Vergleich zum vergangenen Jahr gesunken sei.
Auch an den sächsischen Grenzübergängen nach Polen und Tschechien sind die unerlaubten Einreisen seit Einführung der stationären Grenzkontrollen rückläufig. Von Anfang Januar bis Ende Juli griff die Bundespolizei dabei 6.800 Personen auf. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es mit fast 13.500 noch etwa doppelt so viele Menschen gewesen. Rund 3.000 Menschen wurden in diesem Jahr bisher zurückgewiesen, sagte ein Sprecher der Bundespolizeidirektion Pirna.
Die Bundespolizei äußerte indes mit Blick auf fehlendes Personal erneut Zweifel an der Umsetzbarkeit der verschärften Kontrollen. "Die Bundespolizei ist bis Montagfrüh damit beschäftigt, Kräfte zusammenzuziehen", sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei für den Bereich der Bundespolizei, Andreas Roßkopf, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Das ist noch nicht zu Ende gestrickt und hängt auch damit zusammen, dass die Ankündigung der Ministerin sehr überraschend kam."
"Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine längerfristige Überlastung kommen. Denn die Kontrollen werden ja ein halbes Jahr oder sogar länger dauern", warnte Roßkopf. "Schon jetzt haben wir bei jüngeren Kollegen eine Kündigungsrate von über 25 Prozent", fügte er hinzu. Einem Bericht des "Spiegel" zufolge sollen deshalb auch Azubis für den Grenzschutz eingesetzt werden. Mehr dazu lesen Sie hier.
Auch der Migrationsforscher Gerald Knaus ist skeptisch. Bei Caren Miosga sagte Knaus zu dem Vorstoß: "Das wird nicht funktionieren, weil das immer auf Kosten der Nachbarn geht, aber praktisch braucht man die Nachbarn, um es zu tun", so der österreichische Migrationsforscher. "Das wird europäische Spannungen erhöhen, aber keine Kontrolle bringen", fasste Knaus zusammen. Möglich wäre das nach seinen Worten nur mit radikalen Maßnahmen wie einem totalen Ende des kontrollfreien Reise- und Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten des entsprechenden Schengener Abkommens.
Unionspolitiker haben ihre Forderung nach weiteren Schritten zur Begrenzung der Migration bekräftigt. Zur Frage, ob sich illegale Zuwanderung mit den ausgeweiteten Kontrollen verringern lasse, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) dem Portal "Politico": "Verringern: Ja. Das Problem lösen: Nein." Die eigentliche Frage, die den Menschen auf den Nägeln brenne, laute: "Wie kriegen wir es extrem begrenzt?", sagte Reul. Und diese Frage "kriegen wir damit nicht gelöst", sagte er in Bezug auf die neuen Grenzkontrollen.
Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der "Bild"-Zeitung vom Montag, "Kontrollen alleine reichen nicht aus. Die Verweigerung der Ampel für umfassende Zurückweisung ist eine Kapitulation. Wer jetzt keine Zurückweisungen an den Grenzen will, der akzeptiert den grenzenlosen Zustrom nach Deutschland." Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) sagte der "Rheinischen Post", die Union bleibe bei der Forderung, "jede illegale Einreise aus einem sicheren Nachbarland an der Grenze zu unterbinden und zurückzuweisen". Merz habe "einen konkreten Vorschlag gemacht. Jetzt liegt der Ball bei der Ampel."
Wie wirken sich die bisherigen Kontrollen aus?
Die Bilanz der Kontrollen ist gemischt. Von einem Zusammenbruch des Grenzverkehrs kann keine Rede sein, Störungen gibt es aber hier und dort. In Mecklenburg-Vorpommern wurden keine signifikanten Verzögerungen an den Grenzübergängen von und nach Polen durch die Grenzkontrollen bekannt. "Wir haben keine Engpässe feststellen können und erwarten auch künftig keine Störungen", sagte der Präsident des Landesverbands des Verkehrsgewerbes Mecklenburg-Vorpommern, Christian Joerß. Auch vom Tourismusverband kamen keine Klagen.
In Bayern, wo schon länger die Grenzen zu Österreich und Tschechien kontrolliert werden, kommt es immer wieder zu Staus und längeren Wartezeiten an den Übergängen. Davon sind Reisende ebenso betroffen wie Menschen, die aus beruflichen oder privaten Gründen über die Grenze pendeln.
In Baden-Württemberg gibt es bereits Kontrollen an der Grenze mit der Schweiz und seit dem Sommer auch zu Frankreich. Manchmal wirkt sich das auf den Verkehr aus, wie beispielsweise an der Kehler Europabrücke, die sich über den Rhein nach Straßburg spannt. Kilometerlange Staus an den Grenzen zur Schweiz und Frankreich sind aber nicht bekannt.
An den drei schleswig-holsteinischen Grenzübergängen zu Dänemark kommt es immer mal wieder zu Staus auf dänischer Seite – was aber an dortigen Kontrollen liegt. Das ist vor allem dann der Fall, wenn viel Urlaubsverkehr herrscht. Die Grenzposten sind auf dänischer Seite aber nicht dauerhaft besetzt.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa und AFP