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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU-Politiker über BSW "Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, das zu erfahren"
EU-Abgeordneter Dennis Radtke übernimmt an der Spitze des CDU-Arbeitnehmerflügels. Ein Gespräch über seine Pläne, das BSW – und die Lebensleistung der Deutschen.
Karl-Josef Laumann kennen und schätzen auch viele Menschen, die sich ansonsten nicht tiefergehend mit der CDU beschäftigen. Das liegt nicht nur an seiner Statur und seiner Größe von 1,90 Meter – Laumann, derzeit Sozialminister von Nordrhein-Westfalen und Bundesvorsitzender des CDU-Arbeitnehmerflügels, bringt sich mit markigen Worten regelmäßig in die Debatte ein. Sei es, wenn es um den Zustand der Pflege oder die Arbeitsbedingungen in der Industrie geht.
Nach knapp 20 Jahren gibt es jetzt an der Spitze der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) einen Wechsel; Laumann geht als CDA-Chef in den Ruhestand. Sein Nachfolger: der EU-Abgeordnete Dennis Radtke. t-online hat Radtke gefragt, wie er die Fußstapfen seines Vorgängers ausfüllen will, warum er eine Zusammenarbeit mit dem BSW ablehnt – und welche Pläne er für die Rente der Deutschen hat.
t-online: Herr Radtke, Ihr Vorgänger als CDA-Vorsitzender, Karl-Josef Laumann, gilt als einer der beliebtesten CDU-Politiker. Was ist Ihre Strategie, um ihm hier nachzueifern?
Dennis Radtke: Ich weiß nicht, ob ich den Anspruch habe, der beliebteste CDU-Politiker zu werden. Karl-Josef ist, wie er ist, ihm kann man nur schwer nacheifern. Jeder CDA-Vorsitzende hatte seinen eigenen Stil. Ich möchte niemanden kopieren, sondern meinen eigenen Weg weitergehen. Natürlich wird jeder gern gemocht, auch ich, aber das kann man weder erzwingen, noch ist es ein Wert für sich.
Was sind denn Ihre Ziele als CDA-Vorsitzender?
Zum einen wollen wir als Arbeitnehmerflügel der CDU Einfluss auf unser Regierungsprogramm nehmen. Zum anderen ist für mich die Frage nach Deutschlands Industriearbeitern entscheidend.
Warum gerade die?
Da gerät ein Hang ins Rutschen. Die Industriearbeiter rennen in Scharen zur AfD und mittlerweile auch zum BSW. Es gibt eine echte Repräsentationslücke. Die SPD füllt diese Rolle nicht mehr aus. Die Menschen stimmen mit den Füßen ab. Es ist für uns eine historische Chance, in diese Lücke hineinzutreten. Ich will aus der CDU keine Arbeiterpartei machen. Doch wir müssen den Beschäftigten klarmachen, dass wir die Einzigen sind, die für den Erhalt und die Zukunftsfähigkeit ihrer Arbeitsplätze kämpfen – auch in einer Sprache, die die Menschen verstehen. Das sind wir auch der Stabilität unserer Demokratie schuldig.
Was haben Sie denn konkret geplant, um die Industriearbeiter abzuholen?
Wir haben als CDU bereits gute Angebote in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Wir fordern etwa einen europäischen Stahlgipfel und ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das sowohl in der Industrie als auch bei den Gewerkschaften auf große Zustimmung stößt.
Das ist aber sehr abstrakt.
Definitiv. Solche Ideen, Papiere und Gesetzesvorschläge sind oftmals weit weg von der Realität der deutschen Arbeiter. Jetzt geht es darum, dass dies auch in verständliche Kommunikation mit klaren Botschaften übersetzt wird. Wir als Partei müssen den Menschen erklären, was wir als CDU wollen. Ihnen klarmachen: Wir reden mit euch über eure Bedürfnisse und Lebensentwürfe. Darüber müssen wir mit der Bundespartei diskutieren, wie man solche Punkte darstellen kann – besonders mit Blick auf die engere Parteispitze.
Zur Person
Dennis Radtke, 1979 geboren, ist seit 2017 Abgeordneter für die CDU im Europaparlament. Er ist Koordinator der EVP-Fraktion im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Radtke ist gelernter Industriekaufmann, bis zu seinem Eintritt ins EU-Parlament arbeitete der CDU-Mann bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Seit 2019 ist er stellvertretender CDA-Bundesvorsitzende. Radtke ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Ich übersetze: Sie möchten, dass Friedrich Merz und Carsten Linnemann regelmäßig in die Fabrikhallen gehen und mit den Menschen am Band diskutieren.
Zum Beispiel. Für unsere Partei wäre es sicherlich sinnvoll, wenn wir noch öfter mit der Arbeitnehmerschaft ins Gespräch gehen und uns ihre Sorgen anhören, nicht nur im Wahlkampf. Wir als CDA können hier ein entscheidendes Bindeglied sein. Ich finde es wichtig, dass die gesamte CDU das macht – nicht nur Carsten Linnemann und Friedrich Merz.
Wünschen Sie sich, dass die CDA in der Partei mehr gesehen wird?
Es geht darum, dass die Breite der Volkspartei CDU zu erkennen ist. Es ist die historische Stärke der CDU, dass wir sehr breit aufgestellt waren: Arbeitnehmer, Unternehmer, jung, alt, Mann und Frau. Diese Balance sicherzustellen, ist eine wichtige Aufgabe der Parteiführung.
Wurde das in den vergangenen Monaten vernachlässigt?
Ich glaube nicht, dass das mit Merz und Linnemann etwas zu tun hat.
Sondern?
Das ist eine schleichende Entwicklung über die vergangenen zehn, zwanzig Jahre. Sehen Sie sich doch mal die Bundestagsfraktion an. Zwei Drittel der Abgeordneten sind im Parlamentskreis Mittelstand, nur ein Drittel im Arbeitnehmerflügel. Auch in der Parteiführung ist der wirtschaftsnahe Flügel dominierend. Das ist auch kein Gejammer, sondern eine Feststellung. Wichtig ist: Wir brauchen die Breite in der Partei, um wieder Wahlergebnisse deutlich jenseits der 35 Prozent zu erzielen. Das muss man in der CDU mitdenken.
Sehen Sie denn bei Friedrich Merz die Bereitschaft dazu?
Friedrich Merz will, dass die CDU Wahlen gewinnt, dass wir Herrn Scholz schnellstmöglich als Bundeskanzler ablösen. Friedrich Merz ist sich bewusst, dass die CDU-Arbeitnehmerschaft einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann.
Diplomatisch ausgedrückt. Wollen Sie denn eine CDA-Quote in der Fraktion und der Partei?
Nein, wir brauchen keine Quoten von CDA-Mitgliedern. Wir brauchen den Willen und die politische Klugheit, dafür zu sorgen, dass die Dinge in der Balance sind.
Politische Klugheit braucht es auch in einer anderen Frage, über die sich die CDU aktuell streitet: eine mögliche Koalition mit dem BSW. Warum ist ausgerechnet der Arbeitnehmerflügel gegen eine BSW-Zusammenarbeit?
Die Ablehnung einer Koalition mit dem BSW ist keine Frage des Parteiflügels. In allen außenpolitischen Punkten widerspricht das BSW der DNA der CDU. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will nicht mit den CDU-Kollegen Mario Voigt und Michael Kretschmer in Thüringen und Sachsen tauschen. Die Komplexität der Aufgabe ist immens: Es gilt zu verhindern, dass die AfD in irgendeiner Form in die Verantwortung kommt.
Aber wie soll Ihre Partei denn eine Koalition in Sachsen und Thüringen bilden?
Mir schwebt etwa eine Minderheitsregierung unter Führung der CDU vor. Denn ich bin nicht naiv. Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen sich tolerieren lassen, Verabredungen treffen oder einem formalen Bündnis, bei dem am Ende die Vertreter einer stalinistischen Pro-Putin-Partei im Kabinett sitzen. Das ist ehrlich gesagt nur schwer verdaulich.
Eine solche Minderheitsregierung würde nur aus CDU und SPD bestehen, weil Sie als Partei nicht mit den Linken koalieren wollen. Dabei ist Bodo Ramelow mehr ein linker Sozialdemokrat, zumal er Christ ist – und anders als Sahra Wagenknecht nicht früheres Mitglied der SED. Sollte die CDU von dem Unvereinbarkeitsbeschluss abrücken?
Die Debatte werden wir spätestens im nächsten Jahr führen müssen. Außerhalb von Thüringen spielt die Linkspartei jedoch keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass wir auch über das BSW sprechen – und einen möglichen Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU. Das ist für uns eine strategisch wichtige Frage.
Inwiefern?
Die Menschen, die uns wählen, wollen eine Antwort darauf, ob wir mit der Putin-Partei zusammenarbeiten oder nicht – auch mit Blick auf die Bundestagswahl. Ich kritisiere beim BSW derweil nicht nur die Inhalte. Ich finde, wir sollten auch über die dubiose Finanzierung der Partei sprechen.
Gerne.
Das BSW hat einen Verein gegründet und durch ihn bislang 1,6 Millionen eingesammelt – aus ungeklärten Geldquellen. Dann hat es rund 80.000 Euro der Gelder an die Partei überwiesen. Der Großteil verblieb bei dem Verein, wohl um sich Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung zu sichern, deren Berechnung sich nach den Einnahmen einer Partei richtet. Das scheint niemanden zu interessieren, was ich zutiefst verstörend finde.
Als Bundestagspräsidentin überwacht Bärbel Bas die Parteienfinanzierung in Deutschland.
Ich fordere daher Frau Bas auf: Bitte übernehmen Sie, untersuchen Sie die Finanzierung des BSW! Ich bin mehr als erstaunt, dass dies bisher nicht geschehen ist. Wir mussten uns als CDU im Zuge der Spendenaffäre zu Recht viel anhören, haben einen politischen Preis und hohe Bußgelder gezahlt. Doch bei anderen scheint die Frage der Finanzierung keine Rolle zu spielen. Zumal ein Punkt entscheidend ist.
Und welcher?
Wir können beim BSW nicht ausschließen, dass Teile der 1,6 Millionen Euro aus Kreml-nahen Quellen kommen.
Ein schwerer Vorwurf, den Robert Habeck jüngst auch äußerte. Das BSW wehrt sich jedoch vehement dagegen. Zumal die Großspender an die Partei – und nicht den Verein – transparent sind: ein Ehepaar aus Mecklenburg.
Das mag sein. Doch das Problem ist: Wir wissen schlicht nicht, woher die Gelder an den Verein kommen. Denn das BSW muss die Vereinsspenden nicht sofort offenlegen – anders als Parteispenden. Sollten Teile der 1,6 Millionen wirklich aus Moskau stammen, hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, das zu erfahren. Selbst wenn bislang "nur" 80.000 Euro an die Partei BSW überwiesen worden sind.
Parteienfinanzierung in Deutschland
Parteien in Deutschland finanzieren sich zum einen durch Spenden von Privatpersonen und Unternehmen sowie durch Mitgliedsbeiträge. Zum anderen erhalten Parteien Gelder vom Staat. Die Höhe der staatlichen Zuschüsse richtet sich nach den Wahlergebnissen der Parteien sowie den erhaltenen Spenden und Mitgliedsbeiträgen.
Das BSW hat laut eigener Auskunft bis Ende Juli 2024 6,6 Millionen Euro an Spenden eingenommen. Beim BSW gibt es aber eine Besonderheit: Vor Parteigründung im Januar dieses Jahres formierte sich ein gleichnamiger Verein, der ebenfalls Spenden annimmt.
Der Großteil der BSW-Spenden – fünf Millionen Euro – ging direkt an die Partei. Da es sich um Großspenden oberhalb von 35.000 Euro handelte, waren sie offenlegungspflichtig: Die Spenden stammen von einem Ehepaar aus Mecklenburg-Vorpommern. Zudem überwies der BSW-Verein der Partei rund 80.000 Euro; die restlichen Gelder, die an den Verein gespendet wurden, liegen derweil noch bei diesem, laut BSW als "Liquiditätsreserve".
Dieses Vorgehen wird ebenfalls kritisiert. "Wer die Parteifinanzen teilweise in einen Verein outsourct, umgeht die Transparenzpflichten des Parteiengesetzes", sagte die Juristin Sophie Schönberger dem "Tagesspiegel". Damit werde dieses Gesetz "ad absurdum geführt". Denn: Für Vereine gelten weniger strenge Offenlegungspflichten. Das BSW kündigte indes an, die (größeren) Spender des Vereins im Rechenschaftsbericht der Partei zu nennen.
Neben dem BSW-Streit ringt die CDU auch um die Haltung zur Rente. Wäre es nicht geboten, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln?
Die Debatte ging sehr schnell in die Richtung "Rente mit 70". Auf einer solchen Debatte liegt kein Segen. Rente hat viel mit Vertrauen und Verlässlichkeit zu tun. Am Ende reden wir über Lebensleistungen von Menschen, damit darf man nicht leichtfertig umgehen.
Doch die Rentenkasse steht nun mal vor einem Finanzierungsproblem.
Ja, ich gehöre nicht zu den Traumtänzern, die nichts verändern wollen. Natürlich müssen wir zu Reformen kommen.
Aber wie?
Eine Idee ist zum Beispiel, die Pflichtversicherung für Selbstständige umzusetzen. Das wird seit Jahren gefordert, ohne dass es umgesetzt wird. Warum das nicht getan wird, weiß niemand. Der Vorschlag der CDU-Bundestagsabgeordneten Kai Whittaker und Markus Reichel ist es, flankierend die Kapitalertragssteuer anzuheben und die Unternehmenssteuern zu senken. Den Überschuss aus der Steuererhöhung könnte man ins Rentensystem einspeisen. So würde die Rente nicht auf Dauer nur an den Faktor Arbeit geknüpft werden. Darüber kann man leidenschaftlich streiten. Aber wir sollten nicht nur über eine Verlängerung des Rentenalters oder ein niedrigeres Rentenniveau reden.
- Anja Mikus im Interview: Rettet diese Frau die Rente?
- Rente mit 63: Dieser Denkfehler kann teuer für Sie werden
Erklären Sie das bitte.
Wir können bei den 48 Prozent Rentenniveau nicht weiter schrauben. Sonst verliert das ganze System an Akzeptanz. Die Menschen fragen sich zu Recht: Warum zahle ich mein ganzes Erwerbsleben eigentlich ein, wenn das, was ich herausbekomme, nicht viel mehr als Grundsicherung ist? Es geht darum, dass die Menschen im Alter in Würde leben können. Wir diskutieren das als Politiker aus einer Distanz, als ob wir nicht Teil des Systems wären.
Sind Sie auch nicht, da Politiker nicht in die Rentenkasse einzahlen. Sollte sich das ändern?
Nein. Das ist eine populistische Forderung. Es gibt sicher Politiker, die 40 Jahre im Mandat verbringen. Doch durchschnittlich haben Politiker zwei Legislaturperioden lang ein Mandat. Sicherlich: Meine Altersversorgung hier im Europäischen Parlament ist sehr, sehr gut. Dennoch haben Sie damit nach der durchschnittlichen Verweildauer nicht bis ans Ende Ihrer Tage ausgesorgt.
Ach nein?
Sie müssen sich immer bewusst sein: Ein Mandat endet immer, ob gewollt oder ungewollt. Für eine Politikkarriere nehmen Sie auch Einbußen bzw. Risiken in Ihrer Berufskarriere hin. Wenn man ehrlich ist, müssen wir die Gesamtschau betrachten. Im Bierzelt erhält man für solche Forderungen viel Applaus, doch sachdienlich ist es nicht.
Herr Radtke, vielen Dank für das Gespräch!
- Eigene Recherche
- Telefoninterview mit Dennis Radtke
- Tagesspiegel: "Umstrittenes 'Outsourcing' von Parteifinanzen: Wie sich das Bündnis Sahra Wagenknecht finanziert" (kostenpflichtig)
- Deutscher Bundestag: "Parteispenden über 35.000 € – Jahr 2024"
- bpb.de: "Staatliche Parteienfinanzierung"