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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Haushaltsberatungen Der Milliarden-Poker
Noch drei Wochen haben Scholz, Habeck und Lindner, um den Bundeshaushalt fürs nächste Jahr aufzustellen. Derweil tut sich auch für 2024 eine Finanzlücke auf. Wie groß sind die Geldprobleme der Ampel wirklich?
Erst ist der Kanzler in Italien und in der Schweiz, dann bricht der Vizekanzler nach China auf: Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sehen sich nur selten dieser Tage. Zu selten, meinen manche im Regierungsviertel, haben die drei von der Ampelspitze doch viel zu besprechen.
In weniger als drei Wochen muss der Haushaltsentwurf für das Jahr 2025 stehen. Am 3. Juli soll das Kabinett den Etat beschließen, damit anschließend der Bundestag darüber beraten kann. Parallel dazu läuft jetzt auch noch die Diskussion über die Staatsfinanzen im aktuellen Jahr 2024: Einen sogenannten Nachtragshaushalt könnte es geben, auch dabei steht ein hoher Geldbetrag im Raum.
Längst blicken bei all dem nicht mal mehr Haushaltsprofis durch, von den Bürgern ganz zu schweigen. Millionen, Milliarden, Nachtragshaushalt und Schuldenbremse – worum geht es beim großen Geld-Poker in Berlin? Und vor allem: Um welche Summen? t-online begibt sich auf Spurensuche, für dieses und fürs nächste Jahr.
2024: Höhere Ausgaben – aber auch mehr Schuldenspielraum
Für das laufende Jahr ist die Sache vergleichsweise einfach und schnell erklärt. So wie es derzeit aussieht, reichen die rund 476,8 Milliarden Euro aus dem Bundesetat nicht aus, um die laufenden Ausgaben zu decken, denn die sind entgegen früherer Erwartungen gestiegen.
Das liegt vor allem daran, dass die Wirtschaft schlechter läuft als gedacht: Weil die Firmen in Deutschland weniger Leute einstellen, manche auch Jobs streichen, beziehen mehr Menschen als angenommen Arbeitslosengeld oder Bürgergeld. Hinzu kommt, dass durch die Konjunkturflaute die Steuereinkünfte sinken.
So erwartet das Finanzministerium nach der jüngsten Steuerschätzung, dass der Bund dieses Jahr 2,7 Milliarden Euro weniger Steuern einnimmt als ursprünglich veranschlagt. Beim Bürgergeld wird der Mehrbedarf in Ampelkreisen auf bis zu 3 Milliarden Euro geschätzt.
EEG-Umlage kostet weit mehr als gedacht
Der zweite Faktor, der die laufenden Kosten für den Bund nach oben treibt, ist die Erneuerbare-Energien-Umlage (EEG-Umlage). Gemeint ist damit die Preiskompensation für die Betreiber von Windkraftanlagen oder Solarparks: Damit sie einen fest garantierten Preis für nachhaltig produzierten Strom erzielen, ersetzt der Staat ihnen die Differenz zum Preis an der Strombörse.
Das Problem: An der Börse sind die Strompreise zuletzt stark gefallen, stundenweise kostete die Kilowattstunde 0 Cent. Eigentlich eine gute Nachricht, allerdings führt das dazu, dass die Kosten für die Ökostrom-Umlage, die früher die Stromkunden zahlen mussten, momentan geradezu explodieren. Zusätzlich zu den für die EEG-Umlage veranschlagten 10 Milliarden Euro dürften dieses Jahr deshalb schätzungsweise bis zu 9 Milliarden Euro anfallen, die der Bund über die Netzbetreiber an die Energieproduzenten überweisen muss.
Addiert man all diese Beträge, ergibt sich für 2024 also schon einmal ein Mehrbedarf von rund 15 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mehr Mittel für die Ukraine-Hilfen in den Raum gestellt hat, dabei geht es dem Vernehmen nach um weitere rund 3,8 Milliarden Euro. Summa summarum macht das insgesamt 18,5 Milliarden Euro, die dem Bund in diesem Jahr fehlen.
Maue Konjunktur ermöglicht mehr Schulden
Immerhin: Einen Großteil dieses Betrags darf der Bund über neue Schulden finanzieren – und das, ohne die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu brechen. Die nämlich ist flexibel und erlaubt in wirtschaftlich schwächeren Zeiten, wie sie Deutschland gerade erlebt, eine höhere Kreditaufnahme. Nach derzeitigem Stand dürfte die Bundesregierung etwa 11 Milliarden Euro Extra-Schulden machen, erfuhr t-online aus Ampelkreisen.
Um die dann den einzelnen Ausgabenposten zuzuführen, könnte es absehbar einen Nachtragshaushalt geben, über den am Donnerstag zunächst die "Bild"-Zeitung berichtet hatte. Aber: Anders, als es die Zeitung darstellte, ergeben sich damit nach t-online-Informationen zunächst keine Spielräume fürs nächste Jahr und den Haushalt 2025 – im Gegenteil. Denn die 11 Milliarden Euro Zusatz-Schulden reichen schon nicht aus, um die Mehrbedarfe im Jahr 2024 zu decken.
Fallen im laufenden Jahr höhere Staatsausgaben an als ursprünglich gedacht, kann die Regierung einen Nachtragshaushalt aufstellen und sich so vom Parlament zusätzliches Geld genehmigen lassen. Alternativ kann der Finanzminister auch eine Haushaltssperre verhängen, um mit dem gesetzten Budgetrahmen auszukommen. In diesem Fall müsste das Finanzministerium alle größere Investitionen der Minister einzeln freigeben. Ausgaben, die auf einem gesetzlichen Anspruch fußen (z. B. Arbeitslosengeld) würden davon unbehelligt weiter gezahlt.
Heißt also: Will – oder kann – die Regierung die Schuldenbremse nicht gänzlich aussetzen, indem sie eine Notlage erklärt, muss die Ampel trotz der Extra-Schulden im laufenden Jahr wohl noch sparen.
Neben der Option Nachtragshaushalt spricht mancher in Berlin auch deshalb schon von einer "Haushaltssperre". In dem Fall müssten sich die Ministerien all ihre Ausgaben vom Finanzminister absegnen lassen, ein sehr unangenehmer Weg. Alternativ hofft deshalb mancher darauf, dass zum Ende des Jahres noch Geld übrig ist, etwa aus Fördertöpfen, die nicht komplett geleert worden sind, was das Sparvolumen verringerte.
2025: Größeres Milliardenloch – und viel Zoff um Einsparungen
Von den Finanzproblemen 2024 unberührt ist derweil der Haushalt 2025, über den Scholz, Habeck und Linder primär beraten. Bei ihm handelt es sich um eine komplett andere Baustelle – die zu bearbeiten aber noch einmal schwerer ist. Denn die Summe, die der Bund einsparen muss, ist nächstes Jahr wohl noch einmal deutlich größer.
Ihre genaue Höhe steht dem Vernehmen nach noch nicht fest, die exakte Summe kennt demnach nur das Finanzministerium. Je nachdem, von wem sie stammen, fallen Näherungsversuche deshalb sehr unterschiedlich aus. Während man in der FDP die Lücke als eher klein und damit beherrschbar darstellt, bemühen sich SPD und Grüne darum, sie möglichst groß zu rechnen – um so ein Aussetzen der Schuldenbremse zu rechtfertigen, wogegen sich die Liberalen sträuben.
Grob gesagt geht die Rechnung so: Die mittelfristige Finanzplanung, die das Kabinett im vergangenen Sommer gemeinsam verabschiedet hat, sieht für 2025 ein Gesamtbudget in Höhe von 451,8 Milliarden Euro vor. Verglichen mit dem Etat des laufenden Jahres (476,8 Milliarden) darf der Bund nächstes Jahr also 25 Milliarden Euro weniger ausgeben als 2024.
Finanzminister Lindner hat darum in Absprache mit Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck den einzelnen Ministerien konkrete Sparansagen gemacht. Würden sich alle Minister an diese Vorgaben halten, gäbe es also an dieser Stelle kein Problem.
Mehrere Minister geben sich sparresistent
Doch das ist nicht der Fall. Boris Pistorius (SPD, Verteidigung), Svenja Schulze (SPD, Entwicklungshilfe), Hubertus Heil (SPD, Arbeit und Soziales), Nancy Faeser (SPD, Inneres) und Annalena Baerbock (Grüne, Auswärtiges Amt) sollen Anfang Mai deutlich höhere Etatansätze angemeldet haben. Zusammengerechnet soll der von ihnen geforderte Bedarf Lindners Budgetvorgaben um rund 20 Milliarden Euro übersteigen.
Zuletzt liefen darum Gespräche zwischen den erwähnten Ministern und dem Spitzentrio der Ampel. Ziel: eine Einigung auf Etatansätze, die den Vorgaben aus dem Finanzministerium entsprechen. Ausgang: bislang offen.
Doch selbst wenn Baerbock, Heil und Co. Lindners Sparvorgaben am Ende doch noch erfüllen, muss der Bund trotzdem noch mehr Geld einsparen – laut Lindner einen "niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag".
Doch was ist niedrig? Klar ist, und zwar bereits seit Jahresbeginn: Enthalten in diesem "Handlungsbedarf" ist eine Summe in Höhe von rund 5 Milliarden Euro, der sich aus erwarteten Steuermindereinnahmen ergibt. Hinzu kommt wohl ein Fehlbetrag in ähnlicher Höhe, der sich aus den Nachverhandlungen zum Sparpaket rund um die abgemilderten Kürzungen bei den Agrarsubventionen ergeben.
SPD-Berechnung: 50-Milliarden-Euro-Loch
Und dann sind da noch – ähnlich wie im Jahr 2024 – mehrere unbekannte Variablen: Wie viel Extra-Geld muss der Bund für die EEG-Umlage zurückstellen? Wie viel fürs Bürgergeld? Und was fällt im Verteidigungsressort noch an zusätzlichen Ausgaben an, jenseits des Etatplans?
In der SPD kursiert in diesem Zusammenhang laut einem Bericht des "Tagesspiegels" die Summe von 20 Milliarden Euro, die allein für die EEG-Umlage nötig werden. Stimmt diese Zahl und addiert man sie zu den genannten, kommt man schnell auf eine Spanne zwischen 50 und 60 Milliarden Euro. Das ginge kaum mehr als "niedriger" zweistelliger Milliardenbetrag durch.
Allerdings haben sich die meisten Häuser eben doch an die Sparvorschriften gehalten. Lenken auch die sparresistenten Minister ein, wäre die Summe wohl kaum halb so hoch und damit tatsächlich deutlich leichter zu beherrschen.
Schuldenbremse als Bruchkante der Koalition
So oder so: Die Ampel steht mit dem Haushalt fürs kommende Jahr vor ihrer bislang schwersten Probe und die Bruchkante dafür ist die Schuldenbremse. Während Lindner und die Liberalen auf deren Einhaltung pochen und auch der Kanzler unlängst dem Finanzminister den Rücken gestärkt hat, rumort es in den Fraktionen von SPD und Grünen gewaltig.
Nur wenige können sich dort vorstellen, wie sich das Loch im 2025-Haushalt durch zusätzliche Sparbemühungen stopfen lassen soll, zumal wenn Lindner zugleich Steuersenkungen in Aussicht stellt und wenn es zusätzlich noch ein Paket zur Stimulierung der Wirtschaft geben soll. Viele Grüne und Sozialdemokraten wollen darum die Schuldenbremse abermals aussetzen oder neue Sondervermögen ähnlich dem für die Bundeswehr auflegen – wofür sie immer wieder neue Begründungen anführen, zuletzt etwa das Hochwasser in Süddeutschland (hier lesen Sie mehr dazu).
Für die FDP wiederum ist die Schuldenbremse sakrosankt. Ein Aussetzen ist mit den Liberalen nicht zu machen, für sie käme das einem Aufkündigen des Koalitionsvertrages gleich, in dem die Ampel sich zum Einhalten der Schuldenbremse bekennt. Scholz, Lindner und Habeck dürften noch viel zu besprechen haben. Nächster Termin für einen kurzen Treff der Dreierrunde einem "Bild"-Bericht zufolge: Sonntagnachmittag, nach des Kanzlers und vor des Vizekanzlers Reise.
- Eigene Recherche
- Tagesspiegel.de: "Haushaltsloch viel größer als gedacht?"