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Bauernproteste in Berlin: "Ich fahre erst weg, wenn Scholz zurücktritt"


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Nicht nur Bauern sind wütend
"Ich fahre hier erst wieder weg, wenn Scholz zurücktritt"


Aktualisiert am 09.01.2024Lesedauer: 5 Min.
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"Das können wir seit Jahren nicht mehr": Ein Landwirt erklärt seinen Frust auf die Politik. (Quelle: t-online)
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Vor dem Brandenburger Tor stehen die Demoteilnehmer kilometerweit: Neben den Bauern machen noch viele andere Menschen hier ihrem Ärger Luft.

Für Werner Mette geht es um alles: Seit 1870 betreibt seine Familie einen Hof im Süden Berlins mit 30 Rindern und 180 Hektar Land für Ackerbau. Nun befürchtet er, dass die fünfte Generation mit seinem Sohn Martin die letzte sein könnte, sollte die Politik nicht einlenken. "Ich glaube, dass dann noch dieses Jahr Schluss ist", sagt er.

In vielen Bereichen seien die Kosten gestiegen. Er sei noch dabei, die Rechnungen für die Düngerlieferungen aus dem vergangenen Jahr zu zahlen, die nächsten stünden bereits vor der Tür. Wenn jetzt zudem nach und nach die Subventionen für Agrardiesel wegfallen, wie es die Ampelregierung plant, werde es für seine Familie eng.

Deshalb haben er und sein Sohn schon bei den ersten Protesten im Dezember mitgemacht und sind auch diesmal wieder vor Ort. Sie haben zahlreiche Unterstützer, darunter auch viele, die selbst nicht in der Landwirtschaft arbeiten. Sie alle eint: ein großer Unmut über die Politik der Ampelregierung.

Es treibt sie am Montagmorgen, teils schon vor sieben Uhr, bei minus acht Grad zum Brandenburger Tor: Die ersten Demoteilnehmer zünden Feuertonnen an. Thermoskannen mit Kaffee werden herumgereicht, auch Bier, Sekt und Cola stehen bereit. Martins Traktor ist bei der Demonstration ein beliebter Anlaufpunkt. Er bietet seinen Mitdemonstranten selbstgebackenen Kuchen von seiner Mutter und Pralinen an.

Organisator Arfsten: "Ich bin ziemlich geflasht"

Seit Sonntagabend stehen die ersten Traktoren im Berliner Regierungsviertel – und es ist erst der Anfang: Sie läuten eine deutschlandweite Aktionswoche ein. Der Bauernverband und der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) haben zum Abschluss am 15. Januar eine Großdemonstration in Berlin geplant. Laut Polizei sind dazu 10.000 Teilnehmer mit vielen Traktoren angemeldet.

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Doch schon an diesem Montag ist die Straße des 17. Juli auf der etwa zwei Kilometer langen Strecke zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule gut gefüllt. In vier Spuren stehen Traktoren, Laster, Lieferfahrzeuge und Pkw - der Polizei zufolge sind es bis zum Nachmittag 700 Fahrzeuge. Viele Fahrer haben Deutschlandflaggen und Protestplakate dabei.

"Ich bin ziemlich geflasht", sagt Frerk Arfsten über die langen Traktor-Reihen vor dem Brandenburger Tor. Der Landwirt engagiert sich im Branchenverband "Freie Bauern" und hat die Organisation der Demonstration übernommen.

Er freut sich auch über die Unterstützung aus anderen Branchen. Von Logistikern über Beschäftigte aus dem Tiefbau bis hin zu verschiedensten Handwerkern seien ganz unterschiedliche Berufsgruppen vertreten. Er bemühe sich nach Kräften, den Protest dabei politisch-neutral zu halten und vor allem nicht von rechten Kreisen vereinnahmen zu lassen.

Zu hundert Prozent gelingt das an diesem Berliner Morgen allerdings nicht. Vor Ort sind vereinzelt Autos mit Reichsflaggen und AfD-Fahnen zu sehen. Auch vor drastischen Symbolen schrecken manche Teilnehmer nicht zurück, und so prangt auf einem Traktor mit der Aufschrift "Stirbt der Bauer, stirbt das Land" auch ein selbstgebauter Galgen mit einer Puppe daran.

"Wir brauchen eine andere Regierung"

Um die Anliegen der Bauern zu unterstützen, ist auch Krankenschwester Manuela aus dem Raum Cottbus angereist, zusammen mit ihrem Partner Chris und dessen Kollegen Marcel und Gerd aus einem Stahlbetrieb. "Wir brauchen eine andere Regierung", sagt Chris. Die anderen nicken. Sie stehen um eine Feuertonne und laden Getränkekisten, einen Grill und Proviant aus ihrem Auto aus.

"Mir gefällt der Zusammenhalt, den man hier spürt", sagt Gerd. Der Umgang miteinander sei freundlich, der Protest friedlich. "Ich hoffe, dass es so bleibt", sagt er. Auch die Polizei vor Ort ist am Vormittag zufrieden: "Es läuft alles friedlich ab, die Rettungsgassen werden frei gehalten", sagt ein Beamter.

"Ich fahre hier erst wieder weg, wenn Scholz zurücktritt"

Kirsten und Ronny Reinefeld haben ihr Auto mit großen Stickern beklebt: Darauf zu sehen ist eine durchgestrichene Ampel. Die beiden arbeiten in der Logistikbranche und ärgern sich über die CO2-Bepreisung und die dadurch höher ausfallende Lkw-Maut. "Die Sparmaßnahmen der Regierung treffen so am Ende alle Verbraucher. Da muss etwas getan werden", sagen sie. Sie wollen deshalb auch nächste Woche wieder die Fahrt aus Magdeburg nach Berlin antreten und mitdemonstrieren.

Einige Autolängen weiter vorne steht Günter Klein. Er ist bereits am Sonntagabend angereist und hat in seinem Anhänger übernachtet. Neben einer Liege hat der Firmeninhaber aus Köln darin auch Kleidung und Verpflegung mitgebracht. "Ich fahre hier erst wieder weg, wenn Scholz zurücktritt", sagt er und nippt an seinem Pappbecher.

Regierung lenkt in Teilen ein

Auslöser für die Proteste waren angekündigte Kürzungen bei den Agrarsubventionen durch die Ampelregierung. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Haushalt hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) darauf verständigt, mit Sparmaßnahmen die Haushaltslöcher zu stopfen. Die Bauern sollte es gleich doppelt treffen. Die Rückerstattung der Energiesteuer bei Agrardiesel sollte gestrichen werden, ebenso die Steuervergünstigung für landwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge. Letzteres nahm die Regierung am Donnerstag wieder zurück.

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Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hat weitergehenden Forderungen bereits eine Absage erteilt. Zugleich unterschied er zwischen einem legitimen Protest von Landwirten und Aktionen wie jene am Donnerstagabend gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck. Bauern hatten Habeck im schleswig-holsteinischen Ort Schlüttsiel an jenem Abend daran gehindert, eine Fähre zu verlassen, die er für eine Privatreise nutzte. Nach Angaben der Reederei wäre das Schiff beinahe gestürmt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen Nötigung und Landfriedensbruch. Mehr dazu lesen Sie hier.

Özdemir: "Lassen uns nicht erpressen"

"Wer jetzt glaubt, dass er die Politik erpressen kann, wer jetzt glaubt, mit Umsturzfantasien hier irgendwie Eindruck machen zu können, wird sehen, dass die Mehrheit unseres Landes und auch die Politik da sehr klar steht: Wir sind nicht erpressbar", sagte Özdemir am Freitag im ZDF-"Heute-Journal".

Es wird wohl kein weiteres Einlenken geben. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa beschloss das Kabinett eine sogenannte Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen nun in den Bundestag einbringen können. Darin seien auch die umstrittenen Kürzungen bei Agrarsubventionen enthalten.

Wie einschneidend die Maßnahmen der Regierung sind, ist umstritten. Berechnungen der "Tagesschau" zufolge würden die Landwirte durchschnittlich etwa 4.000 bis 5.000 Euro pro Jahr weniger erhalten, wenn die Subventionen für Agrardiesel und Autosteuer wegfielen. Ihnen blieben aber immer noch 40.000 Euro jährlich an staatlichen Unterstützungen.

Viele fordern: "Die Ampel muss weg"

Die Berliner Bauern Werner und Martin Mette könnte schon ein solcher Betrag in die Knie zwingen, sagen sie. Denn erst im vergangenen Jahr mussten sie für den Hof einen neuen Traktor anschaffen. Die Abzahlung der Raten falle auch so schon schwer.

Gesunde Betriebe müssten das verkraften, sagen die einen Ökonomen. Zudem habe die Branche im vergangenen Jahr Rekordgewinne erzielt. Die Belastungen träfen eine Branche unverhältnismäßig stark und kämen zu plötzlich, sagen andere.

Auf der Demo in Berlin ist man sich dagegen einig: Auf Plakaten und Transparenten werden Neuwahlen gefordert. Immer wieder steht da "Die Ampel muss weg".

Die Streichung von bestimmten Agrarsubventionen bringe lediglich das Fass zum Überlaufen, ruft Reinhard Jung von den "Freien Bauern" bei der Kundgebung der Menge entgegen, es gibt tosenden Applaus. Es müsse nun auch über die anderen Faktoren gesprochen werden, die die Bauern belasten. Dazu zählen aus Sicht des Verbandes sowohl Bürokratie als auch Freihandelsabkommen, die günstige Importe ermöglichen, sowie die Monopolstellung großer Lebensmittelkonzerne.

Nicht alle Bürger haben Verständnis

Doch obwohl viele Nicht-Bauern die Proteste unterstützen, haben nicht längst nicht alle Verständnis für die Blockaden. In einem nahegelegenen Café erklärt ein Demonstrant dem Personal: "Wir legen das ganze Land lahm. Habt ihr das mitbekommen?" Die Verkäuferin lächelt höflich, schüttelt den Kopf. Nein, das habe sie vorher nicht mitbekommen. Allerdings sei sie durch die Umleitungen zu spät zur Arbeit gekommen. "Das hat mich geärgert", erklärt sie dem verdutzten Kunden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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