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Zum journalistischen Leitbild von t-online.FDP-Parteitag "Welche Berater hat Friedrich Merz?"
![urn:newsml:dpa.com:20090101:250209-911-008870 urn:newsml:dpa.com:20090101:250209-911-008870](https://images.t-online.de/2025/02/WQD4JhDFa1p9/0x112:2048x1152/fit-in/1920x0/image.jpg)
Für die Liberalen geht's in den letzten zwei Wahlkampfwochen um alles oder nichts. Die Parole von Christian Lindner: Jetzt Schwarz-Grün verhindern und damit Schlimmeres in 2029.
Birgit Homburger reibt sich die Hände, es ist kalt am Bahnhof Berlin-Wannsee. Die Regionalbahn 37 in Richtung Potsdam hat Verspätung, eigentlich wollte Homburger bereits ein wenig früher da sein, wo es an diesem sonnigen Sonntag Hunderte Liberale hinzieht: Im Filmpark Babelsberg vor den Toren der Hauptstadt will die FDP heute Christian Lindner offiziell zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl krönen und einen Wahlaufruf beschließen: "Alles lässt sich ändern", lautet das offizielle Motto – "Hauptsache nicht Schwarz-Grün" die inoffizielle Marschrichtung.
Für Homburger, 59 Jahre alt, ist es der gefühlt hundertste Parteitag ihres Lebens. In früheren Zeiten war sie in der FDP eine große Nummer, lange Jahre stand sie als Chefin dem einflussreichen Landesverband Baden-Württemberg vor, zudem von 2009 bis 2011 der FDP-Bundestagsfraktion. In Dutzende Wahlkämpfe ist sie für ihre Partei gezogen – doch in kaum einem ging es um so viel wie in diesem. "Wir werden kämpfen", sagt sie. "Heute muss noch mal Klartext gesendet werden, dann schaffen wir's im Schlussspurt. Dann holen wir weit mehr als nur fünf Prozent bei der Wahl, da bin ich ganz sicher."
Genau darum geht es für die FDP exakt zwei Wochen vor der Bundestagswahl: Mehr als fünf Prozent einfahren, reinkommen ins Parlament, egal wie. Irgendwie. Es ist ein Wahlkampf ums nackte Überleben angesichts des Dauertiefs in den Umfragen, in denen die Liberalen seit Wochen bei nur vier Prozent stehen. Wenn es jetzt nicht klappt mit der Fünfprozenthürde, so sehen es viele Parteigänger, dann war's das, dann können sie einpacken, vielleicht für immer. Sogar FDP-Grandseigneur Wolfgang Kubicki sagte unlängst der "Welt am Sonntag": "Wenn die Freien Demokraten den nächsten Deutschen Bundestag nicht erreichen, wird die Partei des Liberalismus in Deutschland über kurz oder lang aufhören zu existieren." Mehr Druck geht nicht.
Der Kampf gegen die AfD – und gegen Schwarz-Grün
Ist die FDP ihm gewachsen? Erträgt ihn vor allem Christian Lindner?
Der Parteichef, den manche nach einem internen Streit zuletzt angezählt sahen, gibt in Potsdam alles. Der große Bogen seiner Rede: Die Mitte gerät unter Druck, von rechts wie von links. Aber, so Lindner, die Mitte dürfe nicht weichen, weder jetzt noch in Zukunft, bei der Bundestagswahl in vier Jahren. "Ändern wir jetzt die Politik, bevor es 2029 die Falschen tun", so steht es in fetten Großbuchstaben, Schwarz auf Gelb, neben und hinter Lindner an der Wand der Metropolis-Halle.
Nach einem kurzen Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine, dessen Botschafter zuvor ein Grußwort gehalten hatte, ruft Lindner den Delegierten und Wählern darum zu: Deutschland stehe vor einer "Richtungswahl", in der Wirtschaftspolitik, aber eben auch angesichts des Erstarkens der politischen Ränder, vor allem des rechten Rands. "Die AfD ist eine antiliberale und wirtschaftsfeindliche Partei, die wir bekämpfen", so Lindner. Und: "Die AfD macht man nicht klein mit Lichterketten, die AfD macht man klein, indem man die Probleme klein macht, die einst diese Partei groß gemacht haben."
Ein erster Seitenhieb auf die Grünen, deren Spitzenpersonal sich nach dem Attentat von Aschaffenburg bei einer Demo "gegen Rechts" am Brandenburger Tor fotografierte. Womit der oberste Freidemokrat zugleich das zweite Leitmotiv seiner Ansprache setzt: Die FDP sei der Garant dafür, dass die Grünen nicht erneut an die Regierung kommen und vor allem Robert Habeck nicht noch einmal Wirtschaftsminister wird. Denn, so Lindners Behauptung: Schafft es die FDP ins Parlament, sei eine schwarz-grüne Koalition, mit der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zuletzt immer wieder liebäugelte, rechnerisch nicht mehr möglich.
Lindner, der Mutmacher
Das muss zwar nicht stimmen, "unwahrscheinlich" wäre richtig. Aber was soll's, Lindner ist jetzt richtig on fire. "Robert Habeck ist die größte Wachstumsbremse in unserem Land. Bei Robert Habeck wächst nur der Frust und nicht die Wirtschaft!" Er ruft den Satz nicht mehr, er brüllt ihn fast. Das Publikum klatscht heftigst, es strahlen die Gesichter. Gleich dreimal springen die Delegierten während Lindners Rede auf, um zu applaudieren, später werden viele sagen: "So was gibt's bei uns sonst gar nicht." Das Tagesziel, Mut zu machen, scheint Lindner schon vor Ende seiner Ansprache zu erreichen.
Was folgt, ist ein Best-of seiner Wahlkampfreden. Lindner spricht übers staatliche Schuldenmachen, das er für gefährlich hält. Mit der Methode "Karnevalskamelle", mit dem einfachen Ausschütten immer neuer kreditfinanzierter Subventionen, lasse sich das Land nicht regieren. Zudem müsse – auch das ein liberaler Evergreen – "absolute Technologieoffenheit" gelten, sowohl beim Autoantrieb als auch in der Wasserstoffproduktion. Und er gibt die bekannten Punkte zur Belebung der Wirtschaft zu Protokoll: Bürokratie runter, Steuern auch, Arbeitszeitgesetz lockern, damit alle, die wollen, länger arbeiten dürfen.
Eine auffällig kleine Rolle spielt während seiner Rede das Thema Migration. Bewusst scheint Lindner die Diskussionen der letzten Wochen zu umschiffen. Zu wenig gewinnen lässt sich offenbar für die Liberalen auf diesem Feld. Ebenso auffällig: Nach zuletzt nur leicht unterkühlten Worten in Richtung Friedrich Merz teilt Lindner am Sonntag stärker gegen den CDU-Chef aus, der unlängst davon abgeraten hatte, seine Stimme an die FDP zu verschenken.
"Welche Berater hat Friedrich Merz?"
Merz und die Union, zu denen Lindner nach eigener Aussage im t-online-Interview "ein gutes Verhältnis" hat, hätten mit ihrem Vorgehen im Bundestag das Land gespalten. "Und all das, obwohl die wesentlichen Fragen der Migrationspolitik erst von der nächsten Bundesregierung entschieden werden können." Man frage sich: "Welche Berater hat Friedrich Merz?" Und dann keilt er: "Er wird im Falle seiner Kanzlerschaft ein Fall für betreutes Regieren sein."
Womit sich Lindner natürlich selbst meint, die FDP, und keinesfalls die bereits gescholtenen Grünen, denen er dann aber gleich noch einen mitgibt. "Friedrich Merz will Kanzler werden, aber er ist auch bereit dafür, einen Politikwechsel zu opfern. Wir nicht. Nein, wir sind nicht offen für Robert Habeck als Wirtschaftsminister im Kabinett Merz." Die entscheidende Frage am Wahltag sei nicht mehr: "Kanzler Merz, Scholz oder Habeck? Die entscheidene Frage ist: Wachstum oder Stagnation? Die entscheidende Frage ist: Lindner oder Habeck im Kabinett?" Der Saal tobt, es wird gepfiffen und gejohlt. Lindner, eben noch angespannt, huscht ein leichtes Grinsen über die Lippen, als denke er sich: Gut gemacht!
Richtungsentscheidung auch schon für 2029
Doch er will die Anwesenden nicht ohne einen Schwenk auf die Metaebene zurücklassen. Darum kommt er zum Abschluss auf das zu sprechen, was in den bereits erwähnten fetten Lettern an der Wand steht. Wenn's jetzt nicht klappt, mit dem Wiedereinzug in den Bundestag, mit einer Regierung, die die Probleme der Menschen wirklich löse, dann drohe Deutschland das, was in anderen Ländern schon zu sehen ist: Donald Trump in den USA, eine blau-schwarze Regierung unter einem Kanzler Herbert Kickl in Österreich.
Lindner: "Ich bin überzeugt, dass wir bei der Bundestagswahl in gewisser Weise auch für das Jahr 2029 eine Vorentscheidung treffen." Die FDP kämpfe darum umso mehr für einen Politikwechsel. "Alles lässt sich ändern. Aber eines darf sich nicht ändern, das ist der liberale Charakter unseres Landes!"
Offen bleibt, inwieweit sich mit diesem Parteitag auch noch die Haltung der Wähler ändern lässt, ob die Botschaften von Babelsberg noch Wähler überzeugen. In der Halle tuschelten viele Liberale: Wartet's mal ab, wir haben da was gehört, schon in einer der nächsten wichtigen Umfragen geht der Balken rauf auf fünf Prozent. Endlich.
- Eigene Beobachtungen vor Ort