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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unangenehme Wahrheiten Jetzt hat Olaf Scholz ein Problem
Hessen und Bayern haben gewählt. Doch was bedeuten die Ergebnisse für Deutschland? Erste Erkenntnisse im Überblick.
Bleibt alles, wie es ist? Nach den Wahlen in Hessen und Bayern könnten die alten Landesregierungen auch die neuen sein: Für CSU-Ministerpräsident Markus Söder reicht es in Bayern, um mit den Freien Wählen weiterzuregieren. Für CDU-Ministerpräsident Boris Rhein in Hessen, um die Koalition mit den Grünen fortzusetzen.
Klingt nach politischer Langeweile, doch das trügt. Die politische Landschaft hat sich stärker verschoben, als der simple Blick auf die möglichen Regierungen andeutet. Und gerade für die Bundesebene halten die Landtagswahlen unangenehme Wahrheiten bereit. Wichtige Erkenntnisse in sechs Thesen:
1. Markus Söders Idol wäre enttäuscht
In seinem Jugendzimmer hatte Markus Söder früher ein Plakat des CSU-Übervaters Franz Josef Strauß hängen. Würde Strauß heute noch leben, er wäre wohl enttäuscht von Söder. "Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben", hatte Strauß seiner Partei 1987 eingebläut. In Bayern gibt es nun zwei Parteien rechts der CSU, auch wenn sie deutlich unterschiedlich weit rechts stehen: die Freien Wähler und die AfD. Mit dieser Landtagswahl sind beide stärker denn je.
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Söder selbst hat zuletzt von einer "Schicksalswahl" gesprochen, doch damit macht er sich selbst viel kleiner, als er ist. Nur wenig in der Politik ist unausweichliches Schicksal, Söder selbst hat einen großen Anteil an der Entwicklung.
Lange haben viele Medien Söders Wendehalsigkeit als geniale Geschmeidigkeit verklärt, die ihm nutze und nicht schade. Scheinbar mühelos wandelte er sich vom obersten Atomaussteiger zum Kernkraftfan, vom Baumschmuser zum Grünen-Hauptgegner. Mal kritisierte er die AfD deutlich, mal sprach er fast genau wie sie. Das Wahlergebnis zeigt nun: So genial, wie es einige gerne hätten, kann die Methode Söder nicht sein.
2. Olaf Scholz hat ein Problem
Ein schwaches Ergebnis in Hessen, ein noch schlechteres in Bayern: Für die SPD fallen die Landtagswahlen ernüchternd aus. Dabei hatte Kanzler Olaf Scholz in Hessen mit Nancy Faeser die Bundesinnenministerin in den Ring geschickt, um der CDU nach mehr als 20 Jahren die Regierungsmacht zu entreißen.
Faeser und ihrem Team aber unterliefen zahlreiche Fehler. Die Schönbohm-Affäre versuchte sie zu lange auszusitzen, einen peinlichen Schnitzer im Wahlprogramm musste sie korrigieren, ein überdrehtes Video ihres Teams gegen die CDU ließ Faeser löschen. Statt auf das derzeit größte Thema Migration, per Ministeramt ihr Steckenpferd, setzte Faeser in Hessen vor allem auf das Thema Bildung – und kam damit schlecht an.
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Ihr größtes Problem allerdings war ein hausgemachtes: die Doppelrolle als Ministerin im Bund und Spitzenkandidatin im Land. Der Opposition bot sie so doppelte Angriffsfläche, als Wahlkämpferin in Hessen wirkte sie halbherzig. In Berlin bleibt sie nun Innenministerin, beschädigt allerdings von den Fehlern der vergangenen Monate – und voll im Visier der Union. Schlechte Aussichten für das Kabinett Scholz.
Dafür zeichnet weniger Faeser verantwortlich als die schlechte Personallage der SPD. Den Sozialdemokraten fehlen kluge, charismatische Köpfe auf allen Ebenen, vor allem aber mangelt es ihnen an prominenten Frauen. Faesers problematische Doppelrolle war für die Partei deswegen alternativlos. Ein Problem, das den Kanzler, der Parität in seinem Kabinett versprochen hat, noch lange begleiten wird.
3. Schlechte Nachrichten für Robert Habeck
Robert Habeck wollte die Grünen aus der Öko-Nische holen, sie in die politische Mitte führen, in die Staatskanzleien und ins Kanzleramt. Besonders die Wahl in Hessen zeigt, dass das bislang nicht geklappt hat. Tarek Al-Wazir ist eigentlich der perfekte Kandidat für diesen Kurs. Doch selbst er konnte den Verdacht nicht abschütteln, dass die Grünen den Menschen irgendwie doch die Wurst verbieten und die Heizung rausreißen wollen.
Dass Al-Wazir beste Voraussetzungen für ein besseres Ergebnis hatte, macht die Nachricht über die klaren Verluste für Habeck besonders bitter. Mehr Realo als Al-Wazir geht kaum, er ist seit zehn Jahren Vizeministerpräsident, also in Hessen bekannt und wie die Grünen gerne betonen: bei vielen auch beliebt.
Al-Wazir versuchte im Wahlkampf, sich vom "Zirkus" der Berliner Ampelkoalition zu distanzieren. Und auch von den aus seiner Sicht zu radikalen Landeskolleginnen, die in Bremen zuletzt im Wahlkampf die Brötchentaste verboten oder in Berlin die Friedrichstraße für Autos gesperrt hatten. Doch das Image der Verbots- und Umerziehungspartei wurde selbst er nicht los. Den möglichen nächsten Kanzlerkandidaten Robert Habeck sollte das beunruhigen.
4. Die FDP leidet ohne Ende
In Bayern wieder herausgeflogen, in Hessen große Verluste und möglicherweise auch nicht im Landtag: Die FDP hat die nächsten Wahlen verloren. Das ist gerade in Hessen bitter, wo die Liberalen seit 1946 nur eine Wahlperiode lang nicht im Parlament saßen. Vor allem aber sind es zwei weitere Niederlagen in der scheinbar endlosen Niederlagenserie der FDP insgesamt.
Seit der Bundestagswahl hat die FDP bei allen Landtagswahlen Prozentpunkte verloren, mit der buchstäblich kleinen Ausnahme des Saarlands, wo sie aber auch nicht ins Parlament kam. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein flog sie aus der Regierung, in Niedersachsen und Berlin aus den Landtagen.
Die FDP leidet wie keine andere Ampelpartei an ihrer Performance im Bund. Daran hat auch ihr Strategiewechsel nichts geändert. Statt Kompromisse mitzutragen, widerspricht die FDP ihren Koalitionspartnern seit einiger Zeit laut und öffentlich. Sie will sich so profilieren. Doch mancher Wähler dürfte sich langsam fragen, warum sie dann überhaupt noch mitregiert.
5. Die AfD ist auch im Westen auf Erfolgskurs
Seit Monaten befindet sich die AfD im Höhenflug, bei Umfragen heimst sie bundesweit mehr als 20 Prozent ein. Umfragen aber sind Momentaufnahmen, erhoben oft zur besten Arbeitszeit am Telefon. Die Landtagswahlen sind deswegen nach Wochen der medialen Empörung der erste Realitätscheck: Wie viel ist dran am AfD-Hoch?
Nach Hessen und Bayern lässt sich nun sagen: Die Partei ist auf der Erfolgsspur – und das auch im für sie sonst schwierigen Westen. In beiden Ländern konnte sich die AfD um einige Prozentpunkte verbessern und fährt ihre dort bisher besten Ergebnisse ein. An der 20-Prozent-Marke aber kratzt sie noch nicht. Zustimmungswerte wie im Osten bleiben für die Partei im Westen so vorerst noch unerreicht.
Erfolgreich punkten konnte die AfD bei den Wählern vor allem mit harscher Ampelkritik, Angriffen gegen die Grünen und dem Dauerthema Migration. Rechtsextremistisches Spitzenpersonal schreckte die Wähler auch im Westen nicht ab. Für die Wahlen, die 2024 in drei ostdeutschen Ländern ansteht, verheißt das eine weitere Verschärfung des Kurses.
6. Gute Aussichten für Wagenknecht
In Hessen herausgeflogen, in Bayern wieder gescheitert – für die Linke ist die Bilanz am Wahlsonntag besonders bitter. Eine aber wird sich freuen: Sahra Wagenknecht, prominentestes Mitglied der Linken.
Wagenknecht will eine eigene Partei gründen und der Linken Konkurrenz machen – und das, so heißt es von ihren Unterstützern, am liebsten rasch nach den Wahlen. Die schwachen Ergebnisse für die Linke in Hessen und Bayern spielen ihr in die Karten.
Wagenknecht hat in den letzten Monaten zwar maßgeblich zur Auszehrung der Partei beigetragen, ist nun aber in der angenehmen Position, sagen zu können: Schaut, ich habe abgewartet. Der letzte Stoß kommt nicht von mir.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen