Diskriminierung im "Selection Fitness"? Muslima muss ihren Glauben jetzt vor Gericht beweisen

Gegen das Fitnessstudio Selection Fitness läuft derzeit ein Gerichtsverfahren. Die Klägerin, eine konvertierte Muslima, wirft den Betreibern Diskriminierung vor. Vor Gericht soll sie am Montag beweisen, dass sie eine "echte Muslima" ist.
Das Selection Fitness in Herzogenrath ist Lara Seilers allererstes Fitnessstudio gewesen. Mehr als zehn Jahre lang trainierte sie dort regelmäßig. Mit 18 Jahren meldete sie sich an – damals trug sie noch kein Kopftuch. Heute, mit 29 Jahren, sieht sich Seiler als Klägerin in einem laufenden Gerichtsverfahren gegen das Studio wieder. Sie wirft den Betreibern Diskriminierung vor – der Fall wird aktuell vor Gericht verhandelt.
Lara Seiler, die eigentlich anders heißt, ist mit 26 Jahren zum Islam konvertiert. Ein Jahr später hat sie für sich die Entscheidung getroffen, auch das Kopftuch zu tragen. Probleme habe es deswegen in ihrem Alltag keine gegeben, sagt sie. Familie und Freunde hätten zwar ein paar Fragen gehabt, hätten der heute 29-Jährigen aber auch viel Verständnis entgegengebracht. Was Diskriminierung ist, wusste die studierte Soziologin zwar; wie demütigend sie sich anfühlen kann, habe sie allerdings erst gelernt, als sie das Herzogenrather Fitnessstudio mit Kopftuch betrat.
Das Tragen eines Nike-Sport-Kopftuchs wurde ihr untersagt
"Es war ein Nike-Sport-Kopftuch, ganz so wie das der berühmten Boxerin und deutschen Meisterin im Federgewicht Zeina Nassar", sagt Seiler. Also ein Kopftuch, das eigens für das Training konzipiert wurde. Normalerweise, sagt Seiler, werde man beim Betreten des Studios freundlich gegrüßt. "An diesem Tag wurden ich und meine Cousine allerdings nur lange komisch angeschaut." Seiler konnte das nicht sofort einordnen. Sie erinnert sich aber an ein mulmiges Gefühl in der Umkleidekabine.
Als sie gemeinsam mit ihrer Cousine in Sportklamotten die Trainingsfläche betrat, kam der Trainer, der vorher nur "komisch geschaut" hatte, Seiler zufolge auf sie und ihre Begleiterin zu. Er habe auf ihr Kopftuch gedeutet und laut gesagt, dass sie das ausziehen müsse, dass sie "damit" nicht trainieren dürfe.
"Das Fitnessstudio war zum Bersten voll an diesem Tag. Alle haben es mitbekommen. Es war superpeinlich", sagt die Herzogenratherin. Sie fragte, wieso sie nicht im Sport-Hijab trainieren dürfe. Die Antwort, die sie bekommen habe: Weil religiöse Symbole per Hausordnung verboten seien. Um ihr die Hausordnung zu zeigen, habe der Trainer die junge Frau in sein Büro geführt. "Ich lief hinter ihm her und fühlte mich wie eine Aussätzige." Während der Trainer die Hausordnung vorlas ("Keine religiösen Symbole auf dem gesamten Trainingsgelände"), fiel ihr Blick auf die große Kreuzkette des Mannes, erinnert sich Seiler.
Fitnessstudio: Das Tragen eines Sport-Hijabs führe zu Überhitzung
Der Trainer habe der 29-Jährigen dann erklärt, dass das Training im Hijab gefährlich sei. Sie könne dadurch einen Hitzschlag erleiden. Das konnte Seiler nicht nachvollziehen. Schließlich präge das Bild von Männern in Hoodies mit Kapuze den Kraftbereich unzähliger Fitnessstudios. Doch der Trainer ließ sich ihr zufolge nicht auf eine Diskussion ein. Sie habe umgehend das Gelände verlassen sollen. Kurz darauf wurde sie nach eigenen Angaben fristlos gekündigt. "Das ist ein öffentlicher Ort, für den ich seit Jahren Mitgliedsbeiträge gezahlt habe, und plötzlich wurde ich weggeschickt wie eine Straftäterin", erinnert sie sich.
Seiler war vor den Kopf gestoßen. "Ich kannte das damals noch nicht, für mein Aussehen diskriminiert zu werden – weil ich so ..." Sie sucht nach den richtigen Worten: "Weil ich so europäisch aussehe." Lara Seiler ist groß, hat blonde lange Haare unter ihrem hellblauen Kopftuch und große blaue Augen.
Noch am selben Tag hat Seiler ein TikTok-Video aufgenommen, um öffentlich über ihre Erfahrung zu sprechen. "Und das Video ist viral gegangen", sagt sie. Tausende hätten es geteilt und kommentiert. Viele Nachrichten hätten Seiler erreicht: von Menschen, die berichteten, ähnliche Erfahrungen in einem Selection-Fitnessstudio gemacht zu haben.
TikTok-Video geht viral: Gleichbehandlungsbüro schaltet sich ein
Einige schilderten Seiler zufolge, rassistisch beleidigt oder von Trainern diskriminiert worden zu sein. Eine der Nachrichten kam vom Aachener Gleichbehandlungsbüro. Die Selection-Fitness-Betreiber hätten wegen Diskriminierung schon häufiger vor Gericht gestanden und seien deswegen auch bereits belangt worden, habe es darin geheißen. Etwa, weil sie einem Menschen aufgrund seiner Hautfarbe den Zutritt zu einem Studio verweigert hätten. Mit dem Gleichbehandlungsbüro an ihrer Seite ist Seiler dann juristisch gegen Selection Fitness vorgegangen. Kräftezehrend sei das gewesen – und das sei es immer noch.
Auf die erste schriftliche Beschwerde seien die Betreiber der Studios nicht eingegangen. Zu einem anschließenden Schlichtungsgespräch sei der Betreiber dann mit einem Anwalt gekommen. "Und dieses Gespräch war wirklich mehr als unangenehm. Beide haben mir vorgeworfen, nur aufs Geld aus zu sein, und sind mir während des gesamten Gesprächs immer wieder ins Wort gefallen", sagt die junge Frau. Sie hätten Seiler weismachen wollen, dass sie gar nicht wisse, wovon sie spreche, wenn sie über den Islam rede.
"Ohne Religion sei doch alles besser – das versuchten sie mir zu verkaufen. Und dass ich froh sein könne, als Frau kein Kopftuch tragen zu müssen. Und auch froh darüber, dass keine Männer versuchten, mich zu bevormunden." Seiler lacht. Löcher hätte sie den Männern zufolge in ihren Hijab schneiden sollen, damit die Ohren frei lägen. "Ich habe das Gespräch dann beendet", sagt Seiler. Und damit ging ihr Fall vor das Aachener Amtsgericht.
Geldsumme zur "Erledigung der Sache" angeboten
Doch noch vor dem ersten Verhandlungstag sei der 29-Jährigen vom Anwalt des Fitnessstudios eine Geldsumme zur "Erledigung der Sache" angeboten worden, sagt sie. "Ich habe das abgelehnt. Es geht mir wirklich nicht ums Geld, sondern um die Sache", so Seiler.
Doch der erste Gerichtstermin knüpfte ihr zufolge da an, wo das Schlichtungsgespräch geendet habe. Nachdem Seilers Anwältin das Überhitzungsargument mit dem Gegenargument der Eigenverantwortung entkräftet habe, habe der Anwalt des Fitnessstudios eine ganze Weile lang über die Unterdrückung von Frauen im Iran referiert.
"Das Ganze gipfelte in der These, dass ich vielleicht ja gar keine 'echte' Muslima bin", sagt Lara Seiler. "Und jetzt muss ich das beweisen. Ich muss beweisen, dass ich eine 'echte' Muslima bin – vor Gericht." Obwohl der letzte Verhandlungstermin in der Sache bereits eine Weile zurückliegt, liegt immer noch Fassungslosigkeit in ihrer Stimme. "Wie kann ich das beweisen? Wie kann man seinen Glauben beweisen? Und wie kann es sein, dass man das vor Gericht wirklich tun muss?"
Vor dem Aachener Amtsgericht soll Seiler ihren Glauben beweisen
Lara Seiler weiß zwar, dass sie sich in der Moschee einen Konvertierungsschein holen kann. Ob das vor Gericht ausreichen wird, weiß sie allerdings nicht. Vielleicht, so sagt sie, müsse sie auch das Glaubensbekenntnis aufsagen oder ein paar Suren aus dem Koran rezitieren. "Ich hoffe jedenfalls, dass sie nicht verlangen dürfen, dass ich ihnen etwas vorbete. Das fände ich wirklich demütigend." Das Ganze fühle sich für sie an wie ein Zirkus, sagt sie. Als würde man ihr zurufen "Mach mal eine muslimische Show".
Auch die Betreiber des Fitnessstudios Selection Fitness wurden von t-online mit den von Lara Seiler erhobenen Vorwürfen konfrontiert. Eine Stellungnahme wurde seitens des Anwalts des Studios zugesagt. Diese wurde für Dienstag, 29. April, angekündigt und wird nachgereicht. Am Montag, 28. April, wird der Fall um 13 Uhr öffentlich vor dem Aachener Amtsgericht verhandelt.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Lara Seiler
- Anfrage an "Selection Fitness"
- aachener-zeitung.de: "Kopftuch bei Selection Fitness: Klägerin soll beweisen, dass sie eine Muslima ist"