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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Er hat es schon wieder getan AfD-Hochstapler legt nach – und fliegt endgültig auf
Mit seinem Lebenslauf habe alles seine Ordnung, versichert AfD-Europakandidat Arno Bausemer. Doch jetzt widerlegen ihn sogar Dokumente. In der Partei rumort es.
Arno Bausemer ist aufgebracht, Berichte über ihn bezeichnet er als "Schmutzkampagne". Der AfD-Europakandidat steht innerparteilich unter Druck, seit t-online zahlreiche Unregelmäßigkeiten im Lebenslauf des Politikaufsteigers öffentlich machte. Der Berufsabschluss? Nicht vorhanden. Berufserfahrung? Aus kleinsten Tätigkeiten zusammengestückelt. Der Geschäftsführerposten? Äußerst fraglich.
Mit diesen zweifelhaften Angaben ließ sich Bausemer von den AfD-Delegierten auf dem Parteitag in Magdeburg allerdings zum Kandidaten fürs Europaparlament küren und wird voraussichtlich mit hoch dotiertem Mandat dort einziehen.
Bausemer bestritt die Vorwürfe gegenüber Medien ausdrücklich. Sie seien leicht zu entkräften, entgegnete er seinen parteiinternen Kritikern. "Diese Form der Zersetzung durch unsere Freunde von der Lügenpresse" werde nicht fruchten, schrieb er im Chat mit Parteifreunden.
Auch auf Facebook teilte er aus. "Glaubt nicht alles, was in der Zeitung steht oder von Hetz-Portalen im Netz verbreitet wird", so der Landwirt dort. "Bei mir wird nur eines hochgestapelt, und zwar die Eier für den Verkauf am nächsten Tag." t-online hatte er schon zuvor mit rechtlichen Schritten gedroht.
Studienordnung und Universität widersprechen
Die Vorwürfe hatten Bausemer am Donnerstagabend offenbar so erbost, dass er sich zu detaillierten Ausführungen zu seiner Qualifikation auf Facebook hinreißen ließ. Dass sein neunmonatiges Praktikum beim MDR keinen Berufsabschluss darstellt, wie der Sender angibt und wie t-online berichtete, wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Und legte dar, wie er zu seinen Angaben kommt.
Doch ausgerechnet diese Ausführungen belasten ihn nun zusätzlich. Im Wortlaut schrieb Bausemer:
"Sie wissen also nicht, dass das Kurzvolontariat im Diplom-Studiengang Journalistik nach absolvierten Grundstudium zum Redakteur ausbildet?"
Arno Bausemer, Facebook, 10.8.2023
Das Problem an Bausemers Angaben: Sie sind nachweislich falsch. Bausemer brach 2010 sein Studium an der Universität Leipzig nach Vordiplom und integriertem Volontariatspraktikum ohne Hochschulabschluss ab. Doch nur ein Diplom hätte ihn zum Redakteur qualifiziert. Das belegen die damalige Studienordnung und begleitende Dokumente, die t-online vorliegen. Darin heißt es ausdrücklich:
"Neben dem Erwerb des Diploms ist der erfolgreiche Abschluss des Kurzvolontariats Voraussetzung für die Qualifikation zum Redakteur/zur Redakteurin im Sinne des Manteltarifvertrags."
FAQ Volontariat, Universität Leipzig, 2005
Das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig bestätigte t-online die damaligen Bestimmungen auf Anfrage. "Erst nach dem vollständigen Studium mit Diplom" könne man womöglich "umgangssprachlich" sagen, dass damit der Status eines Redakteurs erworben worden sei.
Zwar gebe es im Journalismus ohnehin keine gesetzlichen Ausbildungsbezeichnungen. Medien stehe es frei, welche Qualifikationen sie von ihren Mitarbeitern verlangen. Doch auch der Bund Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) teilte t-online mit, "jedenfalls im Pressebereich" sei es nicht mit neun Monaten Praktikum getan. Tarifvertragliche Regelungen sähen eine grundsätzliche Ausbildungszeit von zwei Jahren vor.
Die Sache mit der "Hochbegabung"
Somit scheinen Bausemers Behauptungen endgültig widerlegt. Er verfügt über keinen Berufsabschluss. In einer späteren Ausbildung bei der "Allgemeinen Zeitung Uelzen" wurde er 2015 nach wenigen Wochen gekündigt. Weitere Stationen als "Freier Journalist" bauschte er maßlos auf. An seiner Tätigkeit als langjähriger "Geschäftsführer" des landwirtschaftlichen Betriebs seiner Eltern bestehen ebenfalls begründete Zweifel. Bislang hat Bausemer dazu nicht weiter aufgeklärt.
Und ein weiterer Punkt, den der AfD-Kandidat nun als entlastend darstellt, ist eigentlich das Gegenteil: Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat mittlerweile mitgeteilt, dass Bausemer tatsächlich während seines Studiums mit einem Stipendium gefördert worden sei – allerdings nicht mit einem "Hochbegabten-Stipendium", wie Bausemer 2016 bei der Wahl des AfD-Landesschatzmeisters behauptet hatte.
Als "hochbegabt" gelten zwei bis drei Prozent aller Menschen, die meist einen IQ von über 130 aufweisen. Um derlei Stipendien zu erhalten, müssen sie üblicherweise einen Nachweis über außergewöhnliche intellektuelle oder künstlerische Begabungen erbringen. Ein solches Stipendium existiert bei der Friedrich-Naumann-Stiftung überhaupt nicht.
Basis schreibt an den Bundesvorstand
Stattdessen nahm Bausemer laut Stiftung während seines Studiums an der "Begabtenförderung" teil. Voraussetzung für ein solches Stipendium sind "gute oder sehr gute Noten" im Abitur oder den ersten zwei Fachsemestern, kurze Gutachten von Lehrern oder Hochschulmitarbeitern – und zusätzlich gesellschaftliches Engagement im Sinne einer "liberalen, weltoffenen Einstellung". Unter anderem veranstaltete das damalige FDP-Mitglied Bausemer für die FDP-nahe Stiftung über mehrere Jahre kommunalpolitische Seminare.
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Bislang ließen die offensichtlichen Falschangaben im Lebenslauf die Parteiprominenz nicht von ihrem frisch gekürten Europakandidaten abrücken. Der Bundesvorstand schweigt. Unter anderen Alexander Jungbluth, ebenfalls Europakandidat, und Hans-Thomas Tillschneider, stellvertretender Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, demonstrierten bei Facebook sogar ihre fortdauernde Unterstützung für Bausemer.
Andere Parteimitglieder wollen die Vorgänge hingegen nicht länger hinnehmen. In einem Brief an den Bundesvorstand, der t-online vorliegt und dem sich dem Vernehmen nach Mitglieder aus zahlreichen Kreisverbänden angeschlossen haben, fordert die Basis Aufklärung. Bausemer und auch die umstrittene Kandidatin Mary Khan-Hohloch sollen Belege für die Angaben in ihren Lebensläufen vorlegen. Auch bei Khan-Hohloch wird angezweifelt, dass sie, wie von ihr angegeben, studiert und vier Jahre Berufserfahrung hat. Für eine Antwort wird dem Bundesvorstand eine Frist von zehn Tagen gesetzt.
- Eigene Recherchen